Ursprünglich hatte das Festival vom 9. bis 20. Mai stattfinden sollen. Aufgrund der zeitlichen Nähe zur Französischen Präsidentschaftswahl (Stichwahl am 6. Mai) wurde die Veranstaltung um eine Woche nach hinten verlegt.[4] Die offiziellen Sektionen zeigten mehr als 54 Filme aus 26 Ländern.[5] Bei allen handelt es sich um Weltpremieren. Während mit Michael Haneke (Amour) und Ulrich Seidl (Paradies: Liebe) erstmals zwei österreichische Regisseure gemeinsam um den Hauptpreis konkurrierten, erhielten Filmemacher aus Deutschland oder der Schweiz keine Einladung in den offiziellen Wettbewerb. Deutschland war jedoch an verschiedenen Koproduktionen beteiligt. Der deutsche Regisseur Fatih Akin stellte außer Konkurrenz seinen Film Müll im Garten Eden vor, eine Langzeitdokumentation über einen Umweltskandal im türkischen Schwarzmeerort Çamburnu.[6]
Parallel zum Festival fand der Filmmarkt von Cannes (frz.: Marché du film) statt. Dieser stellt das größte Branchentreffen dar, auf dem Filmrechte gekauft und veräußert werden.
Das offizielle Festivalplakat wurde Ende Februar 2012 vorgestellt. Als Motiv wurde wie schon in den Vorjahren eine Schauspielerin ausgewählt – eine Schwarz-Weiß-Fotografie der US-Amerikanerin Marilyn Monroe, die in einem Auto sitzend eine Kerze auf einem Kuchen ausbläst. Das Foto stammt von Otto Bettmann. Anfang August 2012 jährte sich Monroes Tod zum 50. Mal.
Die französische Schauspielerin Bérénice Bejo moderierte als Gastgeberin („maîtresse de cérémonie“) die Auftaktzeremonie am 16. Mai und die Preisgala am 27. Mai, wie im April 2012 bekanntgegeben worden war. Bejo, die 2011 mit der später Oscar-prämierten Stummfilm-Hommage The Artist von Michel Hazanavicius in Cannes vertreten war, folgte damit ihrer Landsfrau Mélanie Laurent.[7]
Als Nachfolger des letztjährigen Jurypräsidenten Robert De Niro war im Januar 2012 der Drehbuchautor, Filmregisseur und -schauspieler Nanni Moretti präsentiert worden. Er gilt als einer der politischsten und eigenwilligsten Filmemacher Italiens. Moretti ist ein klassischer Autorenfilmer, der an den meisten seiner häufig autobiografisch geprägten Filme als Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller beteiligt war. Die Fachkritik betitelte ihn als italienischen Woody Allen.[8] Bis 2011 wurde er sechsmal in den Wettbewerb nach Cannes eingeladen und gewann für sein Familiendrama Das Zimmer meines Sohnes2001 den Hauptpreis des Filmfestivals. 1997, zum 50. Jubiläum der Filmfestspiele von Cannes, war er bereits Mitglied der Jury unter der Leitung von Isabelle Adjani. Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter des Festivals, gab an, zum 65. Jubiläum im Jahr 2012 habe man einen europäischen Jurypräsidenten auswählen wollen. Frémaux charakterisierte Moretti als „mitreißend“, „modern“ und „intelligent“.[9] Wiederholt teilte Moretti mit, als „demokratischer“ Jurypräsident agieren zu wollen mit verminderter Befugnis gegenüber den übrigen Jurymitgliedern.[10][11]
Wie in den Vorjahren standen dem Jurypräsidenten acht Jurymitglieder zur Seite, deren Namen am 25. April präsentiert wurden. Es handelte sich fast ausschließlich um Filmschaffende:[12]
Das offizielle Wettbewerbsprogramm war am 19. April 2012 von Thierry Frémaux und Festivalpräsident Gilles Jacob in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt worden.[14] Laut Frémaux hätte der Auswahlprozess noch bis zum Abend, einen Tag zuvor, angedauert.[15] 22 Filmproduktionen von Regisseuren aus 15 Ländern konkurrierten um die Goldene Palme. Regiearbeiten von Filmemacherinnen waren im Gegensatz zum letzten Jahr nicht ausgewählt worden. Eine bereits Anfang April im Internet veröffentlichte Liste mit 24 Wettbewerbsfilmen hatte Thierry Frémaux als falsch zurückgewiesen.[16]
Jüngster Wettbewerbsteilnehmer mit 33 Jahren war der US-Amerikaner Jeff Nichols (Mud), ältester mit 89 Jahren der Franzose Alain Resnais(Ihr werdet euch noch wundern). Elf der 22 Beiträge waren in Europa produziert oder koproduziert worden, sieben in Nordamerika, zwei in Südkorea, und jeweils einer in Ägypten und Mexiko. Sechs der 22 Regisseure (Wes Anderson, Lee Daniels, Andrew Dominik, John Hillcoat, Yousry Nasrallah, Jeff Nichols) waren zum ersten Mal im Wettbewerb vertreten. Der Brite Ken Loach (2006 für The Wind That Shakes the Barley), der Österreicher Michael Haneke (2009 für Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte), der Iraner Abbas Kiarostami (1997 für Der Geschmack der Kirsche) und der Rumäne Cristian Mungiu (2007 für 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage) hatten bereits in der Vergangenheit den Hauptpreis gewonnen. Loach erzählt in der Sozialkomödie The Angels’ Share von einem jungen Vater, der mit Hilfe einer Whisky-Brennerei in Zeiten der Wirtschaftskrise einen neuen Lebensweg einschlagen möchte. Haneke stellt in seinem französischsprachigen Film Amour ein pensioniertes Pariser Musiker-Paar (dargestellt von Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant) in den Mittelpunkt, dass mit der Diagnose Schlaganfall konfrontiert wird. Kiarostami drehte seinen Film Like Someone in Love in Japan und berichtet von einer jungen Frau, die sich ihr Studium mit Prostitution finanziert und sich mit einem älteren Klienten anfreundet.[17] Mungiu blickt auf zwei befreundete Frauen (dargestellt von den Kino-Debütantinnen Cristina Flutur und Cosmina Stratan) in einem orthodoxen Konvent in Rumänien. Die eine möchte die andere mit nach Deutschland nehmen, woraufhin sie sich gegen die Priesterschaft erwehren muss und der Besessenheit verdächtigt wird. Neben Michael Haneke war mit Ulrich Seidl ein weiterer Österreicher im Wettbewerb vertreten. In Liebe, dem ersten Teil seiner geplanten Paradies-Trilogie erzählt er von älteren Europäerinnen, die als Sextouristinnen an kenianische Strände reisen.[18]
Wie schon im vergangenen Jahr waren französische Filmregisseure am häufigsten vertreten – Jacques Audiard, Leos Carax und Alain Resnais. Audiard dienten Kurzgeschichten des kanadischen Schriftstellers Craig Davidson als Grundlage für seinen Film De rouille et d’os, der von einem arbeitslosen jungen Schläger (Matthias Schoenaerts) handelt, der sich in Südfrankreich in eine Schwertwal-Trainerin (Marion Cotillard) verliebt, die bei einem Unfall schwer verletzt wird. Mit Holy Motors legte Carax seinen ersten Spielfilm seit 13 Jahren vor. Denis Lavant spielt einen geheimnisvollen Mann, der seine Identitäten wechselt – vom Arbeitgeber, Mörder und Bettler bis hin zum Vater.[19] Resnais erzählt in Ihr werdet euch noch wundern die Geschichte von einem verstorbenen Dramatiker, der postum seine früheren Schauspieler dazu auffordert, sich die verschiedenen Versionen seiner Fassung von Eurydice anzusehen.[20]
Zu den weiteren europäischen Beiträgen zählten Die Jagd(Jagten) des Dänen Thomas Vinterberg, in dem ein frisch geschiedener Mann und Kindergartenlehrer (gespielt von Mads Mikkelsen) des sexuellen Missbrauchs an einem fünfjährigen Mädchen verdächtigt wird.[21] Der italienische Beitrag Reality von Matteo Garrone dreht sich um eine Reality-Show, von der ein Fischhändler (Aniello Arena) angetan ist.[22]V Tumane des in Deutschland lebenden Ukrainers Sergei Loznitsa ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt und handelt von zwei Partisanen, die einen vermeintlichen Verräter töten sollen.[23]
Zu den Beiträgen aus Nordamerika zählten Cosmopolis des kanadischen Regisseurs David Cronenberg mit Robert Pattinson in der Hauptrolle, der auf dem gleichnamigen Roman von Don DeLillo basiert. Darin begleitet der Leser einen Tag lang einen wohlhabenden Börsenspekulanten in seiner Limousine durch New York City. Ebenfalls um Literaturverfilmungen handelte es sich bei den amerikanischen Produktionen Killing Them Softly, Lawless, On the Road und The Paperboy. In dem Thriller Killing Them Softly des Australiers Andrew Dominik soll Brad Pitt als Auftragskiller den Raubüberfall auf ein von der Mafia abgeschirmtes Pokerspiel untersuchen, der von zwei Junkies begangen wurde. Nach einem historischen Roman von Matt Bondurant inszenierte Dominiks Landsmann John HillcoatTom Hardy und Shia LaBeouf als Brüderpaar, das zur Zeit der Weltwirtschaftskrise als Schmuggler in Virginia operieren und mit den dortigen Behörden in Konflikt kommen. Der Brasilianer Walter Salles verfilmte mit On the Road den gleichnamigen Roman des Beatnik-Autors Jack Kerouac über eine Gruppe junger Menschen (dargestellt von Sam Riley, Garrett Hedlund und Kristen Stewart), die quer durch die Vereinigten Staaten reisen. Lee Daniels’ The Paperboy basiert auf einen Roman von Pete Dexter und stellt zwei Enthüllungsjournalisten (gespielt von Zac Efron und Matthew McConaughey) in den Mittelpunkt, die in den 1960er Jahren beauftragt werden, einen Gefängnisinsassen vor der Todesstrafe zu bewahren. Auf Originaldrehbüchern basierten Moonrise Kingdom und Mud – Kein Ausweg. Wes AndersonsMoonrise Kingdom eröffnete das Filmfestival von Cannes. Die Geschichte ist an der Küste Neuenglands des Jahres 1965 angesiedelt und erzählt von zwei Zwölfjährigen (gespielt von Kara Hayward und Jared Gilman), die sich verlieben und in die Wildnis durchbrennen, woraufhin die Gemeinschaft (dargestellt von u. a. Edward Norton, Bruce Willis, Bill Murray, Tilda Swinton, Frances McDormand, Harvey Keitel, Jason Schwartzman und Bob Balaban) die Verfolgung aufnimmt. Jeff Nichols Drama Mud berichtet von zwei Jugendlichen, die auf einen Flüchtigen (Matthew McConaughey) stoßen und diesem helfen, von einer Mississippi-Insel zu entkommen.
Aus Asien wurden die Filmregisseure Hong Sang-soo und Im Sang-soo berücksichtigt. Ersterer drehte gemeinsam mit Isabelle HuppertIn Another Country über Mutter und Tochter, die von Seoul an die Küste übersiedeln. Im Sang-soo stellt in The Taste of Money einen ambitionierten jungen Mann in den Mittelpunkt, der als Privatsekretär Zugang zu den Finanzen einer reichen südkoreanischen Familie erhält.[24] Als einziger afrikanischer Beitrag erhielt der Ägypter Yousry Nasrallah für Baad el mawkeaa eine Einladung nach Cannes, der in seinem Film die Geschehnisse rund um die Revolution in Ägypten 2011 am Tahrir-Platz dramatisierte.[25]
Die französische Presse lobte einmütig das Wettbewerbsprogramm kurz nach Bekanntwerden der Filmtitel. Die französische Tageszeitung Le Figaro bezeichnete es als „verlockend und spannend“ und wies auf die „ehrgeizigen“ US-amerikanischen Independentfilme und die „eklektische Auswahl“ an französischen Beiträgen hin. Gleichzeitig sprach man von einer Wiederholung des bereits exzellenten Jahrgangs 2011. Der „bal des têtes“ der immer wieder gleichen Namen im Wettbewerb würde zu Gunsten hoffnungsvoller Newcomer abgelöst.[29]Libération charakterisierte den Jahrgang 2012 ebenfalls als „verlockend“, „angesehen“ und „attraktiv“, aber vermisste auf dem Papier die „große Überraschung oder Kontroverse“. Die französische Auswahl erscheine im Vergleich zum letzten Jahr „viel klüger“, gleichzeitig wurde das Fehlen von Regisseurinnen, Dokumentar-,
Zeichentrickfilmen oder Spielfilmdebüts bemerkt. Die englischsprachigen Beiträge erschienen zahlreicher als üblich, „wenn nicht geradezu aufdringlich“.[30]Le Monde urteilte, der Wettbewerb präsentiere sich wie ein „Selbstbildnis“ des Festivals mit „anerkannten Meistern (Kiarostami, Haneke, Resnais), bestätigten Regisseuren (Salles, Audiard, Nasrallah, Hong) und vor kurzem an der Croisette entdeckten Talenten (Mungiu, Garrone, Nichols).“ Es herrsche eine starke US-Präsenz und eine Abnahme asiatischer Filme.[31]
Das Branchenblatt Daily Variety registrierte eine so „robuste“ Wettbewerbspräsenz an US-amerikanischen Filmen wie seit 2007 nicht mehr.[26] Die Los Angeles Times äußerte, dass die Auswahl der US-amerikanischen Beiträge mit dem wiedererstarkten Independent-Film in den USA korreliere.[32] Der künstlerische Leiter Thierry Frémaux zeigte sich in einem Interview mit der britischen Fachzeitschrift Screen International selbst von der hohen Zahl passender US-amerikanischer Beiträge überrascht. In den vorangegangenen Jahren hätte sich das amerikanische Kino in große Studio-Filme und Independentfilme im Sundance-Format geteilt, mit wenig dazwischen. Das habe es der Leitung schwer gemacht, passende Beiträge für Cannes zu finden.[15]
In einem am 12. Mai in der Le Monde erschienenen Protestbrief mit dem Titel A Cannes, les femmes montrent leurs bobines, les hommes leurs films (dt.: „Frauen zeigen in Cannes ihr Gesicht, Männer ihre Filme“) kritisierten die Filmregisseurin Coline Serreau, die Schauspielerin Fanny Cottençon sowie die Filmemacherin Virginie Despentes mit vielen Wortspielereien die Programmpolitik des Festivals, da keine Regisseurin den Weg ins Wettbewerbsprogramm gefunden hatte.[33] Bis zum Start des Festivals unterschrieben mehr als 1300 Menschen ihre Online-Petition,[34] eine Initiative, die auf die feministische Vereinigung La Barbe (dt.: „Der Bart“) zurückgeht.[35] Thierry Frémaux wies die Kritik zurück und sprach sich gegen eine Quotenregelung aus.[36] Bereits direkt nach der Präsentation der Wettbewerbsfilme hatte er bekundet, dass passende Werke von Frauen nicht in der Auswahl gewesen wären und er keine positive Diskriminierung praktizieren wolle: „Den größten Respekt den wir Frauen erweisen können, ist es, sie als Regisseure wahrzunehmen. Ich möchte nicht sagen, ‚Dieser Film wurde ausgewählt, weil der Regisseur eine Frau ist.‘ Sondern weil der Film gut ist.“, so Frémaux.[27]
Spielfilme
Eine Übersicht über die 22 Spielfilmproduktionen, die um die Goldene Palme konkurrierten. Diese wurden aus 1779 eingegangenen Vorschlägen ausgewählt.[5]
In der Reihe Un Certain Regard (dt. „Ein gewisser Blick“) werden vornehmlich Werke von wenig bekannten Filmemachern gezeigt, die mit einem 30.000 Euro dotierten Preis ausgezeichnet werden. Die diesjährige Jury stand unter der Leitung des Briten Tim Roth, der u. a. als Schauspieler mit den Filmen Reservoir Dogs – Wilde Hunde (1992) und Pulp Fiction (Goldene Palme 1994) in Cannes vertreten gewesen war und dort 1999 auch sein Regiedebüt The War Zone vorgestellt hatte.[37] Die weiteren Jurymitglieder waren die französische Schauspielerin Leïla Bekhti, die französische Filmemacherin Tonie Marshall, der argentinische Filmkritiker Luciano Monteagudo und Sylvie Pras, Leiterin der Kinosäle des Centre Georges-Pompidou sowie künstlerische Leiterin des Filmfestivals von La Rochelle.[38]
Das Programm mit 20 Filmen war am 19. April 2012 bekanntgegeben worden.[14] Eröffnet wurde die Reihe am 17. Mai mit Lou YesMystery. Abschlussfilm war die Filmbiografie Renoir des Franzosen Gilles Bourdos.[38] Den Hauptpreis gewann der mexikanische Beitrag Después de Lucia von Michel Franco.
Der Jury des Kurzfilmwettbewerbs, in dem ebenfalls eine Goldene Palme vergeben wird, stand der belgische Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Jean-Pierre Dardenne vor. Gemeinsam mit seinem Bruder Luc hatte er bis 2011 fünf Einladungen in den offiziellen Wettbewerb von Cannes erhalten und 1999 für Rosetta und 2005 für Das Kind jeweils den Hauptpreis des Festivals gewonnen. Weitere Jurymitglieder waren die kanadische Schauspielerin Arsinée Khanjian, der brasilianische Regisseur und Drehbuchautor Karim Aïnouz, der Schriftsteller und Filmemacher Emmanuel Carrère aus Frankreich und der Kameramann und Filmemacher Yu Lik-wai aus China.[39]
Die Beiträge waren gemeinsam mit jenen aus der Reihe Cinéfondation am 17. April 2012 veröffentlicht worden. Insgesamt wurden zehn Filme aus 4500 Einsendungen ausgewählt, darunter auch der deutsche Beitrag Gasp von Eicke Bettinga. Einladungen erhielten erstmals Filmemacher aus Syrien und Puerto Rico.[40] Den Hauptpreis gewann der türkische Beitrag Sessiz-Be Deng. Regisseur L. Rezan Yeşilbaş lässt das Drama im Jahr 1984 spielen und erzählt vom Leben einer Mutter und drei Kinder, die in der südostanatolischen Stadt Diyarbakır ihren im Gefängnis der Stadt sitzenden Ehemann besucht.[41]
Für die 1998 ins Leben gerufene Reihe Cinéfondation werden Kurzfilmarbeiten aus der ganzen Welt ausgewählt, darunter sowohl Animations- als auch Realfilme. Das Programm hilft jungen Filmstudenten bei der Förderung und Fertigstellung ihrer Projekte. 2012 wurden mehr als 1700 Filme von 320 Filmhochschulen eingereicht. 15 Filme aus 14 Ländern wurden ausgewählt, darunter erstmals ein Beitrag einer libanesischen Filmhochschule.[40]
Als Jury fungierte die Kurzfilmjury um Jean-Pierre Dardenne.[39]
Parallel zur Vergabe der Goldenen Palme widmet sich die seit 1962 bestehende Nebensektion Semaine de la critique (bis 2007 Semaine internationale de la critique) der Entdeckung neuer Talente. Ausgerichtet vom Syndicat français de la critique de cinéma konkurrieren ausschließlich Erstlingsfilme oder Zweitwerke junger Regisseure. Der Wettbewerb hatte in der Vergangenheit stets sieben Spielfilme und sieben Kurzfilmarbeiten umfasst, die seit 1990 mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurden. Begleitet wurde die „internationale Kritikerwoche“ von Sonderaufführungen zahlreicher Kurzfilme.
Das Programm der 51. Semaine internationale de la critique war am 23. April 2012 bekanntgegeben worden.[42]
Die Nebenreihe Quinzaine des Réalisateurs (dt.: „Zwei Wochen der Regisseure“) wurde 1969 in Anlehnung an die ein Jahr zuvor stattgefundenen Maiunruhen ins Leben gerufen und wird von der Société des réalisateurs de films (SRF) organisiert. Gezeigt werden Langfilme (Dokumentar- und Spielfilme) sowie eine Vielzahl an Kurzfilmen aus aller Welt, ohne dass ein Preis vergeben wird.
Das Programm war am 24. April 2012 bekanntgegeben worden.[43]
Mit der Caméra d’Or (Goldene Kamera) wird seit 1978 der beste Debütfilm eines Regisseurs ausgezeichnet, unabhängig in welcher Sektion dieser vertreten ist. Der internationalen Jury stand dieses Jahr der brasilianische Filmregisseur Carlos Diegues vor. Unterstützt wurde er von den Jurymitgliedern Gloria Satta (Journalistin, Italien), Rémy Chevrin (Kameramann, Frankreich), Hervé Icovic (Mitglied der französischen Fédération des Industries du Cinéma, de l’Audiovisuel et du Multimédia), Michel Andrieu (Filmregisseur, Frankreich) und Francis Gavelle (Syndicat Français de la Critique de Cinéma). Insgesamt kamen 22 Filmproduktionen für den Preis in Frage.[44] Ausgezeichnet wurde der US-amerikanische Beitrag Beasts of the Southern Wild von Benh Zeitlin.
Der US-amerikanische Filmregisseur Philip Kaufman sollte während der Filmfestspiele eine sogenannte „Master Class“ abhalten, in der er auf seine Arbeitsweise als Filmemacher einging. Unter den Titeln A personal history of film music bzw. A History Lesson sollten es der französische Filmkomponist Alexandre Desplat und der US-amerikanische Filmemacher Norman Lloyd Kaufman gleichtun.[46]
Am 18. Mai sollte der Schauspieler und politische Aktivist Sean Penn die Benefizveranstaltung Haiti: Carnival abhalten, der nach dem Erdbeben in Haiti 2010 die Hilfsorganisation JP/HRO gründet hatte. Für das erste Charity-Event des Filmfestivals seit 1996[36] war der italienischen Modedesigner Giorgio Armani als Moderator vorgesehen. Ebenfalls daran beteiligen sollten sich die Organisationen Artists for Peace and Justice des Filmregisseurs Paul Haggis und der Happy Heart’s Fund des tschechischen Models Petra Němcová.[47]
Mit der Reihe L’Atelier werden seit 2005 weltweite Filmprojekte unterstützt. Filmregisseure und ihre Produzenten werden nach Cannes eingeladen, wo Treffen mit Fachleuten stattfinden, um die Finanzierung der Projekte voranzutreiben. 2012 wurden 15 Projekte aus 14 Ländern unterstützt.[48]
Auszeichnungen
Preisträger der Offiziellen Auswahl
Die feierliche Preisverleihung für den offiziellen Wettbewerb, den Kurzfilmwettbewerb sowie die Vergabe der Goldenen Kamera fand am letzten Festivaltag zwischen 19 und 20 Uhr im Palais des Festivals et des Congrès statt.
Auf der abschließenden Pressekonferenz der Jury am 27. Mai gab Jurypräsident Nanni Moretti an, sich während des Festivals mehr als achtmal mit seinen Jurykollegen getroffen und ausgetauscht zu haben.[49] Er kritisierte, dass einige Regisseure im Wettbewerb mehr in ihren Filmstil „verliebt“ gewesen seien als in ihre Figuren.[50] Die Jury habe Filme ausgewählt, die weniger „mondän“, beziehungsweise „mehr authentisch“ seien.[51] Große Meinungsverschiedenheiten hätte unter den Jurymitgliedern bei den mitfavorisierten Filmen Holy Motors von Leos Carax, Paradies: Liebe von Ulrich Seidl und Post Tenebras Lux von Carlos Reygadas geherrscht. Letztgenannter Film, für den sich unter anderem Andrea Arnold[52] und Raoul Peck[53] starkgemacht hatten, wurde schließlich mit dem Regiepreis geehrt.
Mit der Goldenen Palme wurde der ebenfalls mitfavorisierte Beitrag Amour von Michael Haneke preisgekrönt, der in internationalen und französischen Kritikspiegeln vorne gelegen hatte.[54][55] Nanni Moretti hatte noch vor Verkündigung des Filmtitels auf der offiziellen Preisverleihung die „fundamentale Beteiligung“ der beiden Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva herausgestellt.[56] Er gab an, dass man Liebe auch den Darsteller- und Drehbuchpreis zuerkannt hätte. Jedoch sei die Goldene Palme wie auch der Große Preis der Jury und der Regiepreis entsprechend den Richtlinien des Festivals mit keinem weiteren Preis kombinierbar.[57]
Die französische Presse enthüllte wenige Tage nach der Preisverleihung, dass es sich bei vier von sechs prämierten Filmen (Reality, Post Tenebras Lux, După dealuri, The Angels’ Share) um Produktionen bzw. Koproduktionen oder Verleihfilme des französischen Unternehmens Le Pacte handelt. Unternehmenschef Jean Labadie hatte mit Le Pacte u. a. Habemus Papam, den letzten Film von Jurypräsident Nanni Moretti, koproduziert und in Frankreich verliehen. Darüber hinaus war Labadie als früherer Geschäftsführer von Bac Films auch am Verleih aller früheren Werke Morettis beteiligt.[58] Der künstlerische Leiter des Festivals, Thierry Frémaux, wies den Verdacht auf mögliche Manipulationen zurück und verteidigte Moretti. Als der Italiener zum Jurypräsidenten berufen wurde, war laut Frémaux erst mit der Auswahl der Filmbeiträge begonnen worden. Er selbst sowie Festivalpräsident Gilles Jacob würden die Einhaltung der Regeln bei der geheimen Jurydiskussion und Wahl der Preisträger überwachen. Jedes Jurymitglied würde nur über eine Stimme verfügen, ein Preis jeweils in zwei demokratisch verlaufenden Abstimmungsrunden vergeben. Laut Frémaux sei die Qualität des Films entscheidend, nicht sein Verleiher. Er sah neben Le Pacte u. a. die Unternehmen Wild Bunch, Ad Vitam (fünf Filme in der offiziellen Auswahl), Why Not, MK2, Elzevir, Diaphana und Memento aufgrund ihrer qualitätsvollen Arbeit im Weltkino als ebenfalls beim Festival stark repräsentiert an.[59]
↑Nanni Moretti. In: Internationales Biographisches Archiv 09/2009 vom 24. Februar 2009, ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 09/2012 (abgerufen via Munzinger Online).