Es wurden elf Entscheidungen ausgefahren, darunter erstmals in der Geschichte der Weltmeisterschaften auch in der Kategorie Frauen U23. Die Fahrerinnen der Elite und der U23 starteten sowohl im Zeitfahren als auch im Straßenrennen gemeinsam. Die U23-Fahrerinnen nahmen so gleichzeitig an der Elite-Wertung als auch an einer gesonderten U23-Wertung teil.[1]
Ursprünglich meldeten 80 Mitgliedsverbände der UCI ihre Teilnahme an. Aus verschiedenen Gründen konnten jedoch nicht alle tatsächlich an den Start gehen, so dass sich letztlich 642 Sportler aller Altersklassen aus 70 Ländern beteiligten.[2] Hinzu kamen die Mannschaften des World Cycling Centres, Neukaledoniens und Tahitis, die in der Mixed-Staffel antraten.[3] Die beiden letzteren sind zwar assoziierte Mitglieder des Ozeanischen Radsportverbands, gehören der UCI aber nicht direkt an, sondern über den französischen Radsportverband, ihre Sportler hätten also normalerweise in der Nationalmannschaft Frankreichs antreten müssen. Außerdem beteiligten sich Bangladesch, Samoa, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie der Vatikan[4] erstmals an der Straßen-WM.
Umgekehrt waren die Weltmeisterschaften auch von einer Reihe Absagen betroffen. Ein Grund bestand in den generell gestiegenen Reisekosten nach der Covid-Krise in Verbindung mit der Austragung im fernen Australien. Die Mannschaft Irlands sagte ihre Teilnahme aus diesem Grund komplett ab,[5] die Neuseelands schickte ein stark reduziertes Aufgebot, da ihre besten Profis üblicherweise in Europa tätig sind.[6] Weitere Fahrer mussten ihre Teilnahme dem Kampf um die WorldTour-Lizenzen opfern, die nach Ende der Saison gemäß dem Stand der Weltrangliste neu vergeben wurden. Mehrere „abstiegsgefährdete“ Teams sahen sich daher außerstande, ihre Fahrer freizustellen.[7] Die Mannschaften von Russland und Belarus waren wegen des Kriegs in der Ukraine von der Teilnahme ausgeschlossen.
CC=City Circuit (17,1 km), HW=Helensburgh–Wollongong (27,7 km), MKL = Mount Keira Loop (34,2 km), MP = City Circuit mit Mount Pleasant (17,1 km)
Die Zeiten sind im Format Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) angegeben. Der Zeitunterschied zu Wollongong (AEST) beträgt −8 Stunden, sprich: 8 Uhr in Deutschland sind 16 Uhr in Wollongong.
Kurs
Die Einzel- und Mannschafts-Zeitfahren wurden auf einem Kurs in Wollongong ausgetragen, wobei die Elite bei den Männern und Frauen eine kleine Zusatzschleife im Norden der Stadt drehte (City Circuit = 17,1 km). Ein Teil der Strecke führte entlang der Pazifik-Küste, wo sich auch das Ziel der verschiedenen Rennen befand.
Die Straßenrennen der Juniorinnen und Junioren sowie der Männer-U23 nutzten denselben Rundkurs, erweitert um eine Schleife zum Vorort Mount Pleasant, die mit 100 Höhenmetern und bis zu 14 % Steigung die Haupt-Schwierigkeit des Rennens darstellte. Die Rennen der Elite – Frauen und Männer – starteten in Helensburgh, fuhren bis Wollongong am Meer entlang, um eine Runde über den Mount Keira (473 Meter hoch) und anschließend mehrfach über den innerstädtischen Rundkurs inklusive Mount Pleasant zu drehen.[8]
Für die Mixed-Staffel gab es keine festgelegten Qualifikations-Kriterien, das Organisationskomitee traf eine Auswahl nach sportlichen Gesichtspunkten, aber auch im Hinblick auf Diversität; so wurden Länder mit eher geringer Radsport-Tradition wie Kap Verde oder Südsudan eingeladen.[9][10] Diese beiden waren letztlich nicht unter den 16 Mannschaften am Start, dafür aber gesonderte Mannschaften Neukaledoniens und Tahitis, die eigentlich zum französischen Verband gehören.
Die mit starken Zeitfahr-Spezialisten vertretene Schweiz setzte sich knapp vor Italien durch. Für Gesprächsstoff sorgte die vom Pech verfolgte niederländische Mannschaft, bei der zunächst Bauke Mollema durch ein Kettenproblem ausfiel und auch noch von einer Möwe attackiert wurde. Beim Start des Frauen-Trios stürzte Annemiek van Vleuten durch ein technisches Problem und zog sich einen Haarriss im Ellenbogen zu.[11][12] Da nur jeweils zwei Fahrer bzw. Fahrerinnen ins Ziel kommen müssen, konnten die Niederlande die Staffel dennoch beenden und waren nur sechs Sekunden langsamer als Titelverteidiger Deutschland, bei denen freilich nur zwei aus der Siegermannschaft von 2021 vertreten waren.[13][14][15]
Es gingen 42 Fahrerinnen aus 27 Ländern an den Start des Rennens, in dem zugleich die U23-Weltmeisterin ermittelt wurde. Grace Brown startete früh und setzte lange Zeit den Maßstab. Ihre erste Zwischenzeit wurde nur noch von den beiden letzten Fahrerinnen unterboten, Europameisterin Marlen Reusser und Titelverteidigerin Ellen van Dijk. Reusser konnte ihr Tempo auf der zweiten Runde nicht halten und wurde im Ziel Dritte. Van Dijk verteidigte ihren Vorsprung und wurde zum dritten Mal Weltmeisterin dieser Disziplin. Die Olympiasiegerinnen von Tokio, Annemiek van Vleuten und Anna Kiesenhofer, kamen ebenfalls unter die ersten Zehn.[16][17]
Die Österreicherin Christina Schweinberger ging wegen Verdachts auf Corona (ihre Schwester und Zimmernachbarin Kathrin war erkrankt) nicht an den Start.[18]
Es gingen 126 Fahrerinnen aus 38 Ländern an den Start des Rennens, in dem zugleich die U23-Weltmeisterin ermittelt wurde. Die zu den Favoriten gehörende Niederländerin Demi Vollering sowie die österreichischen Schwestern Schweinberger mussten wegen positiver Covid-Tests verzichten.
Auf dem vorletzten Anstieg bildete sich nach einer Attacke von Liane Lippert eine Spitzengruppe von fünf Fahrerinnen (Lippert, Longo Borghini, Niewiadoma, Uttrup Ludwig sowie Ashleigh Moolman-Pasio). Es kam jedoch keine Kooperation zustande, so dass wieder eine größere Gruppe zusammenkam. Am letzten Anstieg bildete sich dieselbe Fünfergruppe erneut und gewann einen Vorsprung von 20 Sekunden auf eine Gruppe von acht Fahrerinnen. Erneut mangelte es vorne an entschlossener Zusammenarbeit, und zunächst Reusser, die sich in den Dienst ihrer SD-Worx-Teamkameradin, der Sprinterin Kopecky, stellte, dann die zweite Schweizerin Chabbey fuhren das Loch zu. Als die beiden Gruppen unter der Kilometermarke zusammenkamen, fiel das Tempo still. Annemiek van Vleuten, die sich bei einem Sturz im Mannschaftszeitfahren den Ellenbogen angebrochen hatte, attackierte von hinten, ohne dass jemand reagierte, und gewann das Rennen vor einer sichtlich frustrierten Lotte Kopecky.[19][20][21]
Es gingen 48 Fahrer aus 30 Ländern an den Start, aufgeteilt in vier Wellen. Vor der letzten Welle, in der die meisten Favoriten platziert waren, hielt Europameister Stefan Bissegger die Bestzeit. Als die letzten Fahrer an die erste Zwischenzeit kamen, lagen sechs von ihnen innerhalb von nur vier Sekunden, und alle vor Bissegger: Stefan Küng, Remco Evenepoel, Filippo Ganna, die alle schon WM-Medaillen gewonnen hatten, sowie die jüngeren Talente Tobias Foss, Ethan Hayter und Magnus Sheffield.
Hayter erlitt einen Kettenabsprung, Sheffield stürzte in einer Kurve, und Ganna vermochte das Tempo nicht zu halten. Lag Küng an der zweiten Zwischenzeit noch 11 Sekunden vor Foss, musste er im Ziel dem Überraschungssieger aus Norwegen den Vortritt lassen. Evenepoel errang eine Woche nach seinem Sieg bei der Vuelta die Bronzemedaille.[22][23][24][25]
Es gingen 169 Fahrer aus 50 Ländern an den Start. Mit Mathieu van der Poel stieg einer der Favoriten schon nach 30 Kilometern vom Rad, da er nach einem Streit wegen Ruhestörung die Nacht auf der Polizeiwache verbracht und keinen Schlaf bekommen hatte.[26]
Nach einer hektischen Anfangsphase, in der sich das Peloton auf dem Mount Keira zwischenzeitlich geteilt hatte, gab es nach 80 km eine Ausreißergruppe von 16 Fahrern vor einem geschlossenen Peloton. Erstere bekam bis zu sieben Minuten Vorsprung, ansonsten tat sich auf den nächsten 100 km nichts von Belang.
Am fünftletzten Anstieg kam wieder Bewegung ins Rennen. Im Peloton setzte sich eine Gruppe von 20 Fahrern mit Remco Evenepoel, Romain Bardet und Florian Sénéchal ab und stieß eine Runde später zu den Ausreißern. Die übrigen als Favoriten gehandelten Fahrer verblieben im Peloton und spekulierten darauf, die Spitzengruppe später einzuholen. In keiner der beiden Gruppen kam es indes zu echter Zusammenarbeit. Der Vorsprung der Spitzengruppe wuchs dennoch auf zwei Minuten, weil ihre Mitglieder sich ständig attackierten, während das Peloton passiv blieb.
Bei der vorletzten Zieldurchfahrt konnte Evenepoel sich entscheidend absetzen, zunächst mit Alexei Luzenko, den er am folgenden Anstieg abhängte. Das Rennen geriet nun zu einer Demonstration, bei der sein Vorsprung ständig wuchs. Luzenko wurde kurz vor Schluss von anderen Mitgliedern der ursprünglichen Spitzengruppe eingeholt, die den Schlusskilometer im Poker um die Medaillen sehr langsam fuhren. Dies erlaubte dem Peloton, sie noch einzuholen, so dass Laporte und Matthews unverhofft zu Silber und Bronze sprinteten.[27][28]
Evenepoel schaffte auf diese Weise im Alter von 22 Jahren in nur einer Saison drei der größten Erfolge, die ein Rennfahrer erreichen kann: Mit Lüttich-Bastogne-Lüttich gewann er eines der fünf bedeutendsten Eintagesrennen, der so genannten „Monumente“; mit der Vuelta eine große Landesrundfahrt und zusätzlich die Weltmeisterschaft im Straßenrennen. Zuletzt gelang dies Bernard Hinault 1980.
Frauen U23
Die U23-Fahrerinnen starteten in beiden Disziplinen im Feld der Elite und nahmen an deren Wertung teil, hatten aber zugleich ihre eigene Wertung und damit zwei Medaillenchancen auf einmal.
Es gingen 11 Fahrerinnen dieser Kategorie an den Start. Vittoria Guazzini verpasste mit dem vierten Platz knapp das Podium der Elite, wurde dafür aber erste U23-Weltmeisterin dieser Disziplin. U23-Europameisterin Shirin van Anrooij belegte den 13. Platz im Klassement. Ricarda Bauernfeind, die als erste Fahrerin die WM eröffnet hatte, kam auf Rang 18 und errang so die Bronzemedaille der U23.[16][29]
Es gingen 36 Fahrerinnen dieser Kategorie an den Start. Niamh Fisher-Black kam als Einzige mit der ersten Gruppe ins Ziel und wurde 12. des Elite-Rennens. In der zweiten Gruppe kamen Pfeiffer Georgi als 16., Ricarda Bauernfeind als 20., die Kanadierin Simone Boilard als 22. sowie die Britin Anna Shackley als 26. ins Ziel. 18 Fahrerinnen dieser Kategorie beendeten das Rennen nicht.[19][30]
Streckenlänge: 28,8 Kilometer
Es gingen 44 Fahrer aus 31 Ländern an den Start, von denen einer das Rennen nicht beendete.
Bévort, Hayter und schließlich Wærenskjold setzen nacheinander neue Bestmarken. Der Sieg Wærenskjolds geriet noch durch den Europameister Segaert in Gefahr, der als vorletzter Starter die beste Zwischenzeit erzielte. Er konnte sein Tempo jedoch nicht halten und errang Silber.[31][32][33]
Streckenlänge: 169,8 Kilometer
Es gingen 129 der gemeldeten Fahrer aus 43 Nationen an den Start des Rennens über zehn Runden, drei traten nicht an.
Das Rennen fand unter widrigen äußeren Umständen statt, immer wieder ergossen sich heftige Schauer über die Fahrer. Im Anstieg der neunten Runde holte ein stark reduziertes Feld die fünfköpfige Ausreißergruppe ein, bis auf den Franzosen Mathis Le Berre, der verbissen weiterkämpfte. In der Abfahrt bekam er Gesellschaft durch Fedorow und Vacek sowie Alec Segaert, die mit ihm ein neues Spitzenquartett bildeten. Am letzten Anstieg mussten Le Berre und Segaert abreißen lassen, Fedorow und Vacek hielten ihren Vorsprung vor einer Gruppe von 15 Verfolgern. Am Ziel war Vacek mit seinen Kräften am Ende, und Fedorow gewann.[34][35]
Streckenlänge: 14,1 Kilometer
Es starteten 37 Fahrerinnen aus 22 Nationen. Bei den Ergebnissen gab es wenig Überraschungen: Die Vorjahres-Zweite Bäckstedt gewann mit riesigem Abstand, während die Erste und Dritte der Europameisterschaft auf den weiteren Medaillenplätzen landeten.[36][37]
Es gingen 72 Fahrerinnen aus 24 Nationen an den Start des Rennens. Bereits beim ersten von vier Anstiegen auf Mount Pleasant konnten nur wenige Fahrerinnen das Tempo von Titelverteidigerin Bäckstedt mitgehen. Auf der Abfahrt setzte sie sich endgültig ab, fuhr einen großen Vorsprung heraus und wurde an ihrem 18. Geburtstag ungefährdet Weltmeisterin. Im Rest des Felds wagte die Niederländerin Vinke bei der letzten Zieldurchfahrt einen Alleingang. Am folgenden Anstieg bekam sie durch Rayer Gesellschaft, die den Zielsprint zur Silbermedaille gewann.[38][39]
Es gingen 52 Fahrer aus 32 Nationen an den Start. Als vierter von ihnen setzte der Australier McKenzie eine Bestzeit und verharrte drei Stunden lang auf dem „Hot Seat“, bevor ihm Tarling als allerletzter Starter den Sieg noch entriss. Der vor ihm startende und ebenfalls favorisierte Belgier Verbrugghe musste kurz vor dem Start das Fahrrad wechseln, weil seine Übersetzung für Junioren nicht zugelassen war, und landete abgeschlagen auf dem 26. Platz.[40][41][42][43]
Streckenlänge: 135,6 Kilometer
Es gingen 106 Fahrer aus 37 Nationen an den Start des Rennens über acht Runden. Zwei der gemeldeten Fahrer aus Neuseeland traten das Rennen nicht an.
Bei Regenwetter kam es schon zu Beginn zu mehreren Stürzen, von denen Favoriten wie die beiden Ersten des Zeitfahrens, Joshua Tarling und Hamish McKenzie, sowie der Niederländer Max van der Meulen betroffen waren; sie sollten im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen. Es entwickelte sich ein abwechslungsreiches Rennen, mit ständig sich ändernden Gruppen und stetig reduziertem Feld. António Morgado animierte das Rennen mit mehreren Attacken, so bei der letzten Zieldurchfahrt, womit er bis zu 30 Sekunden auf eine Gruppe von zwölf Verfolgern gewann. Auf dem letzten Berg setzte sich Emil Herzog an deren Spitze, hängte sie durch eine gewagte Abfahrt ab und holte Morgado drei Kilometer vor dem Ziel ein. Im langgezogenen Sprint setzte sich Herzog knapp gegen Morgado durch.[44][45]