Der Name bezieht sich auf die goldgearbeiteten Siegel, die an sechs der sieben Ausfertigungen der Urkundeangehängt waren; er wurde allerdings erst im 15. Jahrhundert gebräuchlich. Karl IV., in dessen Herrschaftszeit das in lateinischer Sprache abgefasste Gesetzeswerk verkündet wurde, nannte sie unser keiserliches rechtbuch.
Die ersten 23 Kapitel sind bekannt als Nürnberger Gesetzbuch und wurden in Nürnberg erarbeitet und am 10. Januar 1356 auf dem Nürnberger Hoftag verkündet. Die Kapitel 24 bis 31 tragen die Bezeichnung Metzer Gesetzbuch und wurden am 25. Dezember 1356 in Metz, auf dem Metzer Hoftag, verkündet.
Die Goldene Bulle ist das wichtigste Verfassungsdokument des mittelalterlichen Reiches. Im Jahr 2013 wurde sie zum Weltdokumentenerbe erklärt, mit den entsprechenden Verpflichtungen für Deutschland und Österreich.
Ursprünglich war es nicht die Aufgabe der mittelalterlichen Herrscher, neues Recht im Sinne eines Gesetzgebungsverfahrens zu schaffen. Seit der Zeit der Staufer setzte sich jedoch zunehmend die Auffassung durch, dass der König und zukünftige Kaiser als die Quelle des alten Rechtes anzusehen sei und ihm damit auch eine Gesetzgebungsfunktion zukomme. Dies resultierte aus dem Umstand, dass sich das Reich in die Tradition des antiken römischen Kaisertums stellte (→ Translatio imperii, Restauratio imperii), und aus zunehmendem Einfluss des römischen Rechts auf die Rechtsauffassungen im Reich.
Dementsprechend konnte sich Ludwig IV. (1281/1282–1347) unwidersprochen als über dem Gesetz stehend bezeichnen; er sei berechtigt, Recht zu schaffen und Gesetze auszulegen. Karl IV. setzte diese Gesetzgebungskompetenz als selbstverständlich voraus, als er die Goldene Bulle erließ. Dennoch verzichteten die spätmittelalterlichen Kaiser weitestgehend auf dieses Machtinstrument.
Nach der Rückkehr von seinem Italienzug (1354–1356) berief Karl IV. einen Hoftag nach Nürnberg ein. Während dieses Zuges war Karl am 5. April 1355 in Rom zum Kaiser gekrönt worden. Auf dem Hoftag sollten grundlegende Dinge mit den Fürsten des Reiches beraten werden. Karl ging es vor allem darum, die Strukturen des Reiches zu stabilisieren, nachdem es immer wieder Machtkämpfe um die Königswürde gegeben hatte.[1] Solche Unruhen sollten in Zukunft durch eine genaue Regelung der Thronfolge und des Wahlverfahrens ausgeschlossen werden. In diesem Punkt waren Kaiser und Kurfürsten schnell einig. Auch die Absage an ein Mitspracherecht des Papstes bei der deutschen Königswahl wurde weitgehend einvernehmlich beschlossen. In anderen Punkten erkaufte Karl sich die Zustimmung der Fürsten, mehrere Vorhaben zur Stärkung der Zentralmacht des Reiches konnte er jedoch nicht durchsetzen. Im Gegenteil musste er den Fürsten Zugeständnisse an ihre Macht in den Territorien machen und sicherte sich gleichzeitig viele Privilegien in seinem eigenen Herrschaftszentrum Böhmen. Das Ergebnis der Nürnberger Beratungen wurde am 10. Januar 1356 feierlich verkündet. Dieses später als „Goldene Bulle“ bezeichnete Gesetzeswerk wurde auf einem weiteren Hoftag in Metz Ende 1356 erweitert und ergänzt. Dementsprechend werden die beiden Teile auch als Nürnberger bzw. Metzer Gesetzbuch bezeichnet.
Nicht in allen Punkten, die Karl regeln lassen wollte, traf der Hoftag jedoch Entscheidungen. So wurde in der Landfriedensfrage nur wenig entschieden und in Fragen des Münz-, Geleit- und Zollwesens vermochten die rheinischen Kurfürsten eine Entscheidung zu verhindern.
Inhalt
Insgesamt gesehen wurde in der Goldenen Bulle in großen Teilen kein neues Recht geschaffen, sondern es wurden jene Verfahren und Grundsätze niedergeschrieben, die sich in den hundert Jahren zuvor bei den Königswahlen herausgebildet hatten.
Wahl des Königs und Kaisers
Das „kaiserliche Rechtsbuch“ regelte zum einen ausführlich die Modalitäten der Königswahl. Das Recht hierzu lag alleine bei den Kurfürsten. Der Erzbischof von Mainz hatte als Kanzler für Deutschland binnen 30 Tagen nach dem Tod des letzten Königs die Kurfürsten in Frankfurt am Main zusammenzurufen, um in der Bartholomäuskirche, dem heutigen Dom, den Nachfolger zu küren. Die Kurfürsten hatten den Eid abzulegen, ihre Entscheidung „ohne jede geheime Absprache, Belohnung oder Entgelt“ zu treffen. Zum andern erhielt der Gewählte alle Rechte nicht nur eines Königs, sondern auch des zukünftigen Kaisers.
Der Erzbischof von Köln als Kanzler für Reichsitalien. Seit Otto dem Großen (936) bis zur Krönung König Ferdinands I. (1531) wurde der König in der Pfalzkirche von Aachen gekrönt. Diese von Karl dem Großen gegründete Kirche lag im Territorium des Kölner Erzbischofs, sodass dieser den König zu krönen hatte.
Der König von Böhmen als gekrönter weltlicher Fürst und Erzschenk des Reiches.
Der Pfalzgraf bei Rhein. Sein Territorium lag im alten fränkischen Siedlungsgebiet, so wurde er Erztruchsess und bei Abwesenheit des Kaisers von Deutschland war er Reichsverweser in allen Ländern, in denen nicht-sächsisches Recht galt. Der Erztruchsess war auch die Instanz, vor der sich der König bei Rechtsverstößen zu rechtfertigen hatte.
Der Herzog von Sachsen als Erzmarschall und Reichsverweser in allen Ländern, in denen sächsisches Recht galt.
Der Erzbischof von Mainz hatte als Kanzler für die deutschen Lande den höchsten Rang und stimmte wegen der Möglichkeit des Stichentscheides durch seine Stimme als Letzter ab.
Umfassend und auf Dauer wurden die Rechte und Pflichten der Kurfürsten bei der Königswahl besiegelt. Die Königswahl wurde damit auch formell, wie bereits im Kurverein von Rhense erklärt, von der Zustimmung des Papstes gelöst und dem neuen König die vollen Herrschaftsrechte zugestanden. Wesentliche Neuerung der Goldenen Bulle war, dass erstmals überhaupt der König mit den Stimmen der Mehrheit gewählt wurde und nicht auf die Zustimmung aller (Kur-)Fürsten insgesamt angewiesen war. Hierfür musste aber, damit es keinen König erster oder zweiter Klasse geben würde, noch fingiert werden, dass die Minderheit sich der Stimme enthalte und so doch letztlich „alle zugestimmt“ hatten. Ein König konnte aus der Reihe der Kurfürsten mit eigener Stimme gewählt werden.
Zwar wurde an der Zeremonie der Krönung zum Kaiser durch den Papst grundsätzlich festgehalten, tatsächlich erfolgte dies aber zuletzt bei Karl V. Schon sein Vorgänger Maximilian I. nannte sich mit Einverständnis des Papstes seit 1508 „Erwählter Römischer Kaiser“. Anstelle der Krönung in Aachen fanden ab 1562, beginnend mit Maximilian II. bis zu Kaiser Franz II. 1792, fast alle Krönungen im Frankfurter Dom nach der Wahl statt.
Weitere Bestimmungen
Überdies legte die Goldene Bulle eine jährliche Versammlung aller Kurfürsten fest. Dort sollten Beratungen mit dem Kaiser stattfinden.
Die Bulle verbot Bündnisse aller Art mit Ausnahme von Landfriedenvereinigungen, ebenso das Pfahlbürgertum (Bürger einer Stadt, die wohl das Stadtrecht besaßen, jedoch außerhalb der Stadt wohnten).
Die Goldene Bulle regelte die Immunität der Kurfürsten sowie die Vererbung dieses Titels. Zudem erhielt ein Kurfürst das Münzrecht, das Zollrecht, das Recht zur Ausübung der unbeschränkten Rechtsprechung sowie die Pflicht, die Juden gegen Zahlung von Schutzgeldern zu beschützen (Judenregal).
Die Gebiete der Kurfürsten wurden zu unteilbaren Territorien erklärt, um zu vermeiden, dass die Kurstimmen geteilt werden könnten oder vermehrt werden müssten, was beinhaltete, dass als Nachfolger in der Kurwürde bei den weltlichen Kurfürsten immer der erstgeborene eheliche Sohn vorgesehen war. Das eigentliche Ziel dieser Bulle war es, Thronfolgefehden sowie die Aufstellung von Gegenkönigen zu verhindern. Dies wurde schließlich erreicht.
Der zweite Teil der Bulle, das „Metzer Gesetzbuch“, behandelte insbesondere protokollarische Fragen, die Steuererhebung sowie die Strafen für Verschwörungen gegen Kurfürsten. Ihm nach sollten die Söhne und Erben der Kurfürsten in der deutschen, lateinischen, italienischen und tschechischen Sprache unterrichtet werden.[2]
Unmittelbare Wirkungen und langfristige Folgen
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Die Goldene Bulle dokumentiert, formalisiert und kodifiziert eine in Jahrhunderten herausgebildete Praxis und Entwicklung hin zur Territorialisierung. Die Etablierung sowohl der weltlichen als auch der geistlichen Landesherrschaften etwa vom 11. bis zum 14. Jahrhundert und parallel dazu der schleichende Machtverlust des Königs im Zuge der Territorialisierung (Vermeidung der Gefahr eines Doppelkönigtums oder Zeiten von Thronvakanz[3]) werden strukturell verfassungsrechtlich festgeschrieben. Norbert Elias spricht bezüglich dieser langfristigen Entwicklung vom Konflikt zwischen „Zentralgewalt“ und den „zentrifugalen Kräften“ im Zuge der Entwicklung vom feudalen Personenverband zum administrativ-verrechtlichten Staat.
Die Privilegien der Kurfürsten, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet und quasi gewohnheitsrechtlich verfestigt hatten, teils normativer Natur waren,[4] werden kodifiziert:
Die Kurfürstenterritorien werden ungeteilt an den Erstgeborenen vererbt.
Durch die weitgehende Souveränität der einzelnen Territorien entstand auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches kein Zentralstaat wie beispielsweise in England oder Frankreich, der von einem mächtigen monarchischen Hof und damit einem politischen und kulturellen Zentrum aus herrscht. Es gibt keine sprachliche Einheitlichkeit und Normierung, sondern die jeweiligen Territorien behalten ihre Regiolekte und entwickeln sich weitgehend autonom. Die Territorien bauen eigene Universitäten auf, die unabhängig voneinander lehren und eine wichtige Funktion in der Heranziehung von speziellen „Landesbeamten“ haben. Die Territorialisierung schreitet in den folgenden Jahrhunderten fort, im Westfälischen Frieden von 1648 wird die Aufspaltung Deutschlands in weitgehend autonome Territorien besiegelt, die Zentralgewalt verliert noch weiter an Kompetenzen, bis sie im Jahr 1806 auch formal beendet wird.
Bis heute ist Deutschland ein Föderalstaat, in dem die Länder erheblichen politischen Einfluss nehmen.
Siegel
Üblicherweise sind Bullen aus Blei gefertigt, nur bei ganz besonderen Anlässen und in geringer Zahl gibt es Bullen aus Gold, die daher eine außerordentliche Bedeutung und Kostbarkeit darstellen. Avers und Revers der 6 cm breiten und 0,6 cm hohen Bullen bestehen aus Goldblech. Der Avers zeigt den thronenden Kaiser mit Reichsapfel und Zepter, flankiert vom (einköpfigen) Reichsadlerrechts und vom böhmischenLöwen links. Die Umschrift lautet: + KAROLVS QVARTVS DIVINA FAVENTE CLEMENCIA ROMANOR(UM) IMPERATOR SEMP(ER) AVGVSTVS (Karl IV., Von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches). Im Siegelfeld steht: ET BOEMIE REX (und König von Böhmen). Der Revers zeigt ein stilisiertes Bild der Stadt Rom, auf dem Portal steht: AVREA ROMA (Goldenes Rom). Die Umschrift lautet: + ROMA CAPVT MVNDI, REGIT ORBIS FRENA ROTVNDI (Rom, das Haupt der Welt, lenkt die Zügel des Erdkreises).[5]
Ausfertigungen und deren Verbleib
Von der Goldenen Bulle sind heute sieben Ausfertigungen erhalten. Es gibt keine Hinweise, dass es darüber hinaus noch weitere Exemplare gegeben hat. Alle Ausfertigungen bestehen aus zwei Teilen: dem ersten, bestehend aus den am Nürnberger Reichstag beschlossenen Kapiteln 1–23, und dem zweiten mit den Metzer Gesetzen in den Kapiteln 24–31. Aufgrund des Umfanges haben die Ausfertigungen nicht das Aussehen von Urkunden, sondern es handelt sich um gebundene Libelle. Bemerkenswert ist, dass der sächsische und der brandenburgische Kurfürst, wohl aus Geldmangel, auf eine eigene Ausfertigung verzichtet haben.
Das Böhmische Exemplar befindet sich heute im Österreichischen Staatsarchiv in Wien, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Es stammt aus der kaiserlichen Kanzlei, wobei nur der erste Teil eine besiegelte Ausfertigung mit Goldbulle ist, der zweite Teil ist eine nicht besiegelte Abschrift eines früheren zweiten Teils des böhmischen Exemplars, der aber wohl nur ein Konzept war. Schon zwischen 1366 und 1378 wurde die Abschrift mit dem ersten Teil zusammengebunden.
Auch das Mainzer Exemplar befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv in Wien, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Es stammt aus der kaiserlichen Kanzlei. Das goldene Siegel und die Siegelschnur sind nicht mehr vorhanden.
Das Pfälzische Exemplar, das ebenfalls aus der kaiserlichen Kanzlei stammt, befindet sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Das Siegel liegt der Urkunde bei, ist aber nicht mehr verbunden.
Das Trierer Exemplar, das ebenfalls aus der kaiserlichen Kanzlei stammt, liegt heute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Das Frankfurter Exemplar ist eine Abschrift des ursprünglichen böhmischen Exemplars, der zweite Teil hat also die gleiche Vorlage wie der zweite Teil des heutigen böhmischen Exemplars. Es befindet sich im Institut für Stadtgeschichte im Karmeliterkloster, dem früheren Frankfurter Stadtarchiv. Es handelt sich um eine Abschrift auf Kosten der Stadt, da diese, im Zusammenhang mit den ihr zugesicherten Rechten bei der Königswahl und beim ersten Reichstag, ein Interesse an einem vollständigen Exemplar hatte. Obwohl sie dem Charakter nach eine Abschrift ist, hatte sie den gleichen rechtlichen Status wie die anderen Exemplare.
Das Nürnberger Exemplar, das im Staatsarchiv Nürnberg verwahrt wird, ist nur mit einem Wachs- und nicht mit einem Goldsiegel besiegelt. Es ist eine Abschrift des heutigen böhmischen Exemplars und ist zwischen 1366 und 1378 entstanden.
Neben diesen sieben Originalen gibt es zahlreiche Abschriften (auch in deutscher Sprache) und später auch Drucke, die jeweils auf eine dieser Vorlagen zurückgehen. Besonders hervorzuheben ist die aus dem Jahr 1400 stammende Prunkhandschrift König Wenzels (siehe Bild oben), die sich heute in der Österreichischen Nationalbibliothek befindet.[6][7]
Abschriften
Es konnten 174 Abschriften der Goldenen Bulle aus dem späten Mittelalter und mindestens zwanzig weitere Textzeugen aus der Neuzeit ausfindig gemacht werden, die die Zahl der in der jüngsten Ausgabe benannten Kopien um mehr als ein Viertel erhöhen. Die meisten lateinischen Abschriften folgen der böhmischen Ausfertigung der Goldenen Bulle. Die anderen folgen zum überwiegenden Teil der pfälzischen Version; nur wenige Stücke sind der Mainzer oder der Kölner und nur ganz vereinzelte Abschriften der Trierer Fassung zuzuweisen. Hintergrund hierfür ist erstens die römisch-deutsche Königs- bzw. Kaiserwürde der Luxemburger sowie der Habsburger; zweitens die langjährigen Ansprüche der entgegen dem inner-wittelsbachischen Hausvertrag von Pavia übergangenen bayerischen Wittelsbacher auf die Kurwürde; und drittens die Tatsache, dass die Ausfertigungen für Frankfurt und Nürnberg diplomatische Abschriften der böhmischen Fassung darstellen und damit mittelbar zu ihrer weiteren Verbreitung beigetragen haben. Die Kopien kommen aus den Rheinlanden, dem Südwesten, Franken und der späteren Schweiz, aus dem wittelbachischen und dem habsburgischen Süden sowie dem böhmischen Südosten, außerdem aus der Markgrafschaft Brandenburg, Preußen und Livland sowie Städten in Sachsen, Thüringen und Westfalen. Weitere Duplikate kommen aus der Kanzlei der französischen Könige, aus dem Königreich Norwegen und der Markgrafschaft Mähren, aus der Hafenstadt Venedig und von der römischen Kurie.
Die meisten Abschriften entstanden zwischen 1435 und 1475. Die ersten lateinischen Duplikate wurden noch im ausgehenden 14. Jahrhundert in den Kanzleien der Kurfürsten von Köln, Mainz und Böhmen sowie der Burggrafen von Nürnberg angefertigt. Die bekannte Prachtausgabe für König Wenzel IV. von Böhmen wurde kurz nach 1400 angelegt. Ihr folgen im 15. Jahrhundert Kopien für den Herzog von Brabant, den Pfalzgrafen bei Rhein, den Erzbischof von Trier und den habsburgischen Kaiser. Man kann außerdem mit Duplikaten für die bayerischen Wittelsbacher, die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, die Hochmeister des Deutschen Ordens und die sächsischen Wettiner rechnen. Weitere Rezipienten lateinischer Ausgaben waren hohe Kleriker wie die Bischöfe von Eichstätt und Straßburg oder auch prominente Mitglieder der römischen Kurie. Auch der Niederklerus und das Patriziat finden sich als Nutzer lateinischer Sammlungen.
Zweisprachige Exemplare gab es vor allem am Mittel- und Oberrhein, aber auch in Franken. Alle französischen Versionen stammen aus der ReichsstadtMetz. Sie sind erst seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts nachweisbar. Wesentlich jünger ist die einzige spanische Übersetzung, welche ins 18. Jahrhundert gehört. Aus dem Druckzeitalter stammen Übertragungen ins Niederländische und Italienische. Eine tschechische Übersetzung existiert wohl deshalb nicht, weil es schon im 15. Jahrhundert in Böhmen keinen Bedarf mehr gab.
Rezeption
Es lassen sich insgesamt fünf Phasen der Rezeption unterscheiden. In der Regierungszeit Karls IV. standen Reich und Territorien im Vordergrund der Deutung. Die Goldene Bulle wurde vornehmlich als Privilegiensammlung oder auch als Gesamtprivileg aufgefasst. Bestimmungen zur Fehde und zur Immunität der Kurlande gerieten dabei in das Kreuzfeuer der Kritik. Während des Großen Abendländischen Schismas wurde die Goldene Bulle meistens als Kaisererlass gedeutet. Man legte den Text nun in Hinblick auf die Königswahl in Frankfurt aus, welche wie eine Kaisererhebung ohne Berücksichtigung der päpstlichen Approbationsansprüche verstanden wurde. Die konkurrierenden Herrschaftsansprüche der Könige Wenzel und Ruprecht stellten hierfür den aktuellen politischen Hintergrund dar. Unter Ruprecht wurden neben dem Kaiser auch die Kurfürsten in den Blick genommen, fasste man doch die Goldene Bulle wie ein Weistum der Kurfürsten auf. Dieses entsprach deren gestiegenem Anteil am Reichsgeschehen. In der Regierungszeit Sigismunds rückte die Goldene Bulle als Reichsgesetz in das Zentrum des Interesses. Die Quaternionen stellten spätestens seit dem Konzil von Konstanz alle Stände als vollwertige Glieder des Reiches dar und modifizierten damit den Dualismus von Kaiser und Kurfürsten. Man verstand den Kaiser in dieser Phase vornehmlich als höchsten Richter, Friedensstifter, Vogt der Kirche und Schützer des Rechts. Zeithistorischer Hintergrund hierfür war die Kirchen- und Reichsreform.
Nach der Wahl Friedrichs III. wurde die Goldene Bulle immer mehr zum Synonym für das kaiserliche Recht, doch gewann auch die Kaiserkrönung für die Habsburger wieder an Stellenwert. Die Kur in Frankfurt, welche die neuzeitliche Betrachtung der Goldenen Bulle maßgeblich prägen sollte, und das gegenseitige Verhältnis der beiden Universalgewalten, an dem sich vor allem die protestantische Debatte über die Goldene Bulle entzündete, wurden erstmals sogar zum Gegenstand der universitären Lehre. Das Kanonische Recht und das Römische Recht gingen dabei ganz neue Verbindungen ein, für die die Goldene Bulle einen wesentlichen Knotenpunkt darstellte.
Zum 650-jährigen Jubiläum der Goldenen Bulle brachte die Bundesrepublik Deutschland am 2. Januar 2006 eine Briefmarke im Wert von 1,45 Euro heraus.[8] Zum gleichen Anlass fand 2006/07 die Ausstellung Die Kaisermacher in Frankfurt am Main statt.
Die UNESCO hat die „Goldene Bulle“ als deutsch-österreichische Gemeinschaftsnominierung in das Register „Memory of the World“ aufgenommen.[9] Über die Aufnahme wurde am 18. Juni 2013 bei einer Konferenz in der südkoreanischen Stadt Gwangju entschieden.
Übersetzungen und Ausgaben
Wolfgang D. Fritz (Bearb.): Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356 (= Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici in usum scholarum separatim editi. Band 11). Böhlau, Weimar 1972.
Die Goldene Bulle. Nach König Wenzels Prachthandschrift. Mit einem Nachwort von Ferdinand Seibt. Harenberg, Dortmund (= Die bibliophilen Taschenbücher. Band 84).
Arno Buschmann (Hrsg.): Kaiser und Reich. München 1984, S. 108 ff. (deutsche Übersetzung).
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Karls IV. Erster Teil: Entstehung und Bedeutung der Goldenen Bulle. Zweiter Teil: Text der Goldenen Bulle und Urkunden zu ihrer Geschichte und Erläuterung. Weimar 1908. (Im Volltext bei Wikisource Teil 1, Teil 2)
Die Goldene Bulle. In: Lorenz Weinrich (Hrsg.): Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250–1500). (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe. Band 33). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, ISBN 3-534-06863-7, S. 314–393 (lateinische Edition mit deutscher Übersetzung).
Marie-Luise Heckmann: Der Deutsche Orden und die „Goldene Bulle“ Kaiser Karls IV. Mit einer Vorbemerkung zur Herkunft der Quaternionen (mit Edition ausgewählter Stücke). In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 52 (2006), S. 173–226.
Marie-Luise Heckmann: Zeitnahe Wahrnehmung und internationale Ausstrahlung. Die Goldene Bulle Karls IV. im ausgehenden Mittelalter mit einem Ausblick auf die Frühe Neuzeit. Mit einem Anhang unter Mitarbeit von Mathias Lawo: Nach Überlieferungskonfigurationen geordnete Abschriften der Goldenen Bulle, in: Die Goldene Bulle. Politik, Wahrnehmung, Rezeption, hg. von Ulrike Hohensee, Mathias Lawo, Michael Lindner, Michael Menzel und Olaf B. Rader, Bd. 1 (= Berichte und Abhandlungen [der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften], Sonderband 12), Berlin 2009, S. 933–1042 (Digitalisat).
Bernd-Ulrich Hergemöller: Fürsten, Herren, Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle“ Karls IV. (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für Vergleichende Städtegeschichte in Münster. Band 13). Böhlau, Köln u. a. 1983, ISBN 3-412-00282-8.
Ulrike Hohensee, Mathias Lawo, Michael Lindner, Michael Menzel und Olaf B. Rader (Hrsg.): Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption (= Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen. Sonderband 12). 2 Bände. Akademie Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-05-004292-3 (Rezension)
Klaus-Frédéric Johannes: Die Goldene Bulle und die Praxis der Königswahl 1356–1410. In: Archiv für mittelalterliche Philosophie und Kultur. Bd. 14 (2008), S. 179–199.
Eva Schlotheuber, Maria Theisen: Die Goldene Bulle von 1356. Das erste Grundgesetz des römisch-deutschen Reichs. Wbg Edition, Darmstadt 2023, ISBN 978-3-534-27642-4
Bernd Schneidmüller: Monarchische Ordnungen – Die Goldene Bulle von 1356 und die französischen Ordonnanzen von 1374. In: Johannes Fried, Olaf B. Rader (Hrsg.): Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends. Beck, München 2011, ISBN 3-406-62214-3, S. 324–335.
↑Goldene Bulle, Kapitel 31 (Übersetzung von Wolfgang D. Fritz, Weimar 1978): (Memento vom 6. Februar 2007 im Internet Archive) „Wir bestimmen daher, daß die Söhne, Erben oder Nachfolger der erhabenen Fürsten, nämlich des Königs von Böhmen, des Pfalzgrafen bei Rhein, des Herzogs von Sachsen und des Markgrafen von Brandenburg, die doch wahrscheinlich als Kinder die deutsche Sprache auf natürliche Weise erlernt haben, vom siebenten Jahre an in der lateinischen, italienischen und slawischen [das heißt wohl tschechischen] Sprache unterrichtet werden.“
↑Armin Wolf: Das „Kaiserliche Rechtbuch“ Karls IV. (sogenannte Goldene Bulle). Mit Verweis auf Literatur (Wolf), S. 8.
↑Karl Zeumer: Die goldene Bulle Kaiser Karls IV. Böhlau, Weimar 1908. Band I, Kapitel 1.
↑Wolfgang D. Fritz (Bearb.): Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. Weimar 1972, S. 14.
↑Wolfgang D. Fritz (Bearb.): Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. Weimar 1972, S. 9–32.
↑Die Goldene Bulle (Reproduktion von Codex Vindobonensis 338 und Kommentar von A. Wolf), Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 2002, ISBN 978-3-201-01791-6 (Glanzlichter der Buchkunst, Band 11).