Reichsadler nennt man den Adler derjenigen Staatsgebilde, die sich durch das Adlersymbol auf eine Reichsidee beziehen und – mittelbar oder unmittelbar – an die Tradition des Römischen Reiches anknüpfen oder diesen Anspruch verfolgen.
Wie einige andere europäische Wappenadler leitet sich der Reichsadler aus den römischen Feldzeichen, den Aquilæ, ab. Er bezieht sich in dieser Traditionslinie auf die herrschaftliche Befehlsgewalt als solche, das Imperium, und nicht auf die Person oder die Dynastie des Herrschers, denn die kaiserzeitlichen römischenCaesaren führten den Adler nicht als persönliches oder dynastisches Emblem. Daneben ist der Doppeladler im kleinasiatischen Raum aber als dynastisches Zeichen seit dem 4. Jahrhundert verbreitet. Die späten Herrschergeschlechter Ostroms nutzten hierzu den Adler sowie den Doppeladler. Vermutlich steht der Adler daher nach vormittelalterlich-oströmischer Sichtweise nicht als territoriales Zeichen, sondern als ein Symbol für ein Herrschergeschlecht.[1] Nach mittelalterlich-heraldischer Lesart aber steht der Adler primär für ein Territorium und die herrschaftliche Befehlsgewalt über dieses. Anknüpfend an die Ikonografie der Kaiser Ostroms wurde der Adler – zuerst mit einem Kopf, später allgemein zweiköpfig – europaweit zum Emblem der kaiserlichen Würde und Stellung, des Kaisertums, eine Identifikation mit den Dynastien selbst ist seltener und erscheint ausgeprägt erst wieder im Kaisertum Österreich.[2]
Die erste heraldische Darstellung des Reichsadlers findet sich auf einer Münze Friedrich Barbarossas aus den Jahren 1172 bis 1190, wenige Jahrzehnte nach dem Investiturstreit und just in jener Zeit, in der der Kaiser und seine Kanzlei damit begonnen hatten, die Konzepte des Honor Imperii sowie des Sacrum Imperium einzuführen und damit die Würde, Legitimität und Macht des Kaisertums und des Reichs in Bezug auf das Papsttum, den Adel und die Städte neu zu betonen. Die erste farbige Wiedergabe des Reichsadlers (schwarz in goldenem Feld) ist unter Kaiser Otto IV. (1198–1218) historisch greifbar. Schon um 1270 erscheint der Adler im Siegel der ReichsstadtKaiserswerth[3] – von dort gewinnt er im Sinne der Staatsidee der Renovatio imperii seine Rolle als königlich-kaiserliches Emblem und Wappentier auf Reichssturmfahne und Reichsbanner des Heiligen Römischen Reiches, und damit zum Symbol des Heiligen Römischen Reiches.[2] Besonders bei Ottos Nachfolger Friedrich II. hatten kaiserliche Symbole, die wie der Adler an die Insignien und Ikonografien der spätantiken Kaiser anknüpfen, eine hohe Bedeutung für die Vermittlung seiner Kaiser- und Reichsidee.
Der Doppeladler geht auf Kaiser Sigismund und das Jahr 1433 zurück – in einer Übergangsphase symbolisiert der einfache Adler den römisch-deutschen König, der doppelköpfige den Kaiser. Außerdem dient er auf dem Reichsbanner als Bild, und knüpft damit an die gegen die islamisch-arabische Expansion gerichtete Tradition des Doppeladlers Ostroms an.[4]
Er wurde bald darauf als Quaternionenadler mit einer Auswahl an Wappen der Reichsstände (Quaternionen der Reichsverfassung) auf den Flügeln belegt. Dieser Adler trägt das Kruzifix auf der Brust, wenn er das Reich, und das Hauswappen des Herrschers, wenn er den römisch-deutschen Kaiser symbolisiert.[5]
Der Adler galt sowohl als kaiserliches Symbol wie auch als Symbol des Reiches. Die Verwendung eines Adlers war daher auch immer ein Bekenntnis zu Kaiser und Reich und wurde von den römisch-deutschen Kaisern oft auch verliehen. So sind Adlerwappen typisch für viele freie Reichsstädte, die Wert auf ihre Reichsunmittelbarkeit legten und sich keinem Territorialherrn unterwerfen wollten, und finden sich auch in Zunftwappen und anderem (vgl. Sonstige Verwendung des Doppeladlers).
Als Zeichen dafür, dass sich die Alte Eidgenossenschaft noch nicht gänzlich vom Römisch-Deutschen Reich gelöst hatte, ließen die Städte Zürich, Zug, Bern, Solothurn und Schaffhausen noch lange Zeit zum Zeichen der von ihren anerkannten Reichshoheit den Reichsadler auf ihre Taler prägen.[6]Genf führt bis heute den Reichsadler in seinem Wappen.
Drittes Kaisersiegel Konrads II. mit der Darstellung eines sogenannten Adlerszepters, von 1029 bis 1034 im Gebrauch
Darstellung des doppelköpfigen Reichsadlers als Wappen Otto IV. Chronica Maiora des Matthäus Paris, ca. 1250
Russland, 1883 – in einer an den Quaternionenadler angelehnten Form
Reichsadler nach Ende des Heiligen Römischen Reiches
Nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 ging der Adler über auf:
das Reich der Habsburger: Der Österreichische Adler, ein vom Quaternionenadler abgeleiteter Doppeladler mit den Wappen der Erblande belegt – schon vor dem Zerfall ab 1804 – für das Kaisertum Österreich, und ab 1867 die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Erst hier findet eine Vereinigung des Reichsemblems mit dynastischen Symbolen und feudalem Eigentumsrechten statt.[8] Der heutige einköpfige Bundesadler der Republik Österreich wurde 1919 aber bewusst in Distanz zum monarchischen Kaiseradler eingeführt; er leitet sich nicht von diesem, sondern von normalen Wappenadlern ab – während der nimbierte Doppeladler des Ständestaats 1934–1938 wieder einen ausdrücklichen Bezug zum römisch-deutschen Reichsadler nahm.
die Bundesrepublik Deutschland: Auf dem heutigen Bundeswappen Deutschlands und auf zahlreichen anderen Symbolen, Ehren- und Hoheitszeichen wird die Traditionslinie der Reichsadler des Deutschen Reichs unter der Bezeichnung Bundesadler weitergeführt.
Auch für Napoleon I. und Napoleon III. war der Napoleonische Adler in Übernahme der päpstlich zugesicherten Nachfolge der römischen Cäsarenmacht Kennzeichnungssymbol der Heere.
In Hitlers Verordnung über das Hoheitszeichen des Reichs vom 5. November 1935 heißt es:
„Um der Einheit von Partei und Staat auch in ihren Sinnbildern Ausdruck zu verleihen, bestimme ich:
Artikel 1: Das Reich führt als Sinnbild seiner Hoheit das Hoheitszeichen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei.
Artikel 2: Die Hoheitszeichen der Wehrmacht bleiben unberührt.
Artikel 3: Die Bekanntmachung, betreffend das Reichswappen und den Reichsadler, vom 11. November 1919 (Reichsgesetzbl. S. 1877) wird aufgehoben.
Artikel 4: Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers die zur Ausführung des Artikels 1 erforderlichen Vorschriften.“[10]
Die definitive Gestaltung des Hoheitszeichens des Reichs erfolgte jedoch erst mit einer Verordnung über die Gestaltung des Hoheitszeichens des Reichs vom 7. März 1936. Dort wurde erstmals festgelegt, dass der Kopf des Reichsadlers nach rechts – heraldisch gesehen aus der Blickrichtung des Wappentieres betrachtet – gewendet ist, der Parteiadler jedoch nach links zu blicken hatte.
Es gibt mehrere Theorien zu dem von Hitler selbst entworfenen „Parteiadler“. Die wohl populärste und wahrscheinlichste Theorie sagt aus, dass der Parteiadler die „Rückseite“ des Reichsadlers darstellt. Symbolisch würde das im Sinne eines Einparteiensystems, des Führerprinzips und der totalitären Staatsauffassung des NS-Regimes bedeuten, dass es zwei voneinander abhängige „Hälften“ gibt: das Reich und die Partei. Beide vereinigten sich in dem Amt des „Führers“, der sowohl Reichskanzler als auch Parteivorsitzender, ab 1934 auch Reichspräsident und somit Staatsoberhaupt war.
Es wurden z. B. kleine und größere Statuen des Reichsadlers mit ausgebreiteten Schwingen gefertigt, der auf einem Siegerkranz mit eingraviertem Hakenkreuz stand. Noch heute kann man an Gebäuden aus dieser Zeit solche Adler sehen. Lediglich das Hakenkreuz, das ein Symbol der NSDAP und ihrer völkischen und antisemitischen Programmatik war, wurde im Zuge der Entnazifizierung Deutschlands aus dem Kranz herausgemeißelt.
Reichsadler, gedrungene Form mit angelegten Schwingen, im Eichenlaubkranz (entnazifiziert mit ausgemeißeltem Hakenkreuz, als Höhenmarke am Blaserturm in Ravensburg)
↑Andreas Janek: Wunderbare Wappenwelt. Deutschland und Sachsen-Anhalt. Band 1: Allgemeines zur Heraldik, deutsche Wappen und das Landeswappen von Sachsen-Anhalt. Norderstedt 2020, ISBN 978-3-7504-1876-9, S. 129
↑Franz Gall: Zur Entwicklung des Doppeladlers auf den kaiserlichen Siegeln. In: Adler, Band 8, Heft 16/17, 1970, S. 281 ff.
↑Siehe dazu den im 16. und 17. Jahrhundert geprägten Schaffhauser Bockstaler. – Johann David Köhler: Im Jahr 1729 wöchentlich herausgegebene Historischer Münz-Belustigung, Band 16, 1744, S. 303/304
↑Diem, Doppeladler, Abschnitt „Die Bedeutung für Österreich“
↑Verordnung über das Hoheitszeichen des Reiches vom 5. November 1935, Verordnung über die Gestaltung des Hoheitszeichens des Reiches vom 7. März 1936. In: Robert Ley (Hrsg.): Organisationsbuch der NSDAP. 7. Auflage. Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf., München 1943, S.511 (mit Abb.).