Deutschland ist im Internationalen Register des Weltdokumentenerbes mit 28 Einträgen vertreten. Sie dokumentieren „die Vielfalt deutscher Beiträge zur Kulturgeschichte“[1] innerhalb des UNESCO-Programms Memory of the World (Weltdokumentenerbe). Das Programm wurde 1992 von der UNESCO als das dritte Welterbeprogramm gestartet, um sowohl den freien Zugang zu den kulturell bedeutsamen und historisch wichtigen Dokumenten zu sichern (unter anderem durch die Digitalisierung der Dokumente) als auch das dokumentarische Erbe vor Zerstörung und Vergessen zu bewahren.
Die Deutsche UNESCO-Kommission hatte im Juli 1999 die Gründung eines nationalen Nominierungskomitees für das Programm Memory of the World beschlossen.[2] Mit dem Vorsitz des Expertengremiums wurde der Historiker Joachim-Felix Leonhard beauftragt.
Während die Nominierungen zum Weltkultur- und Weltnaturerbe durch die deutschen Bundesländer erfolgen, können im Programm Memory of the World auch Einzelpersonen, Verbände und Nichtregierungsorganisationen Vorschläge beim Deutschen Nominierungskomitee einreichen, welches diese nach Beratung und bei positiver Bewertung an das internationale Beraterkomitee einreicht.[3] Ursprünglich waren Einreichungen auch direkt an das internationale Beraterkomitee möglich. So wurde bereits vor der ersten Sitzung des Deutschen Nominierungskomitees mit dem Berliner Phonogramm-Archiv der erste deutsche Beitrag nach einem gemeinsamen Vorschlag des Archivs mit dem Wiener Phonogrammarchiv in das Register des Weltdokumentenerbes aufgenommen.
Die Aufgabe des deutschen Nominierungskomitees besteht sowohl in der Prüfung und Bewertung eingereichter Vorschläge, als auch in der Erarbeitung eigener Vorschläge für das Weltregister. Seit 2007 kann jeder Mitgliedsstaat der UNESCO alle zwei Jahre zwei rein nationale und unbegrenzt mehrnationale Vorschläge bei dem internationalen Beraterkomitee einreichen. Nach den Empfehlungen des Beraterkomitees entscheidet abschließend der Exekutivrat der UNESCO über die Aufnahme in das Internationale Register.
Deutsche Beiträge zum Weltdokumentenerbe
Legende:
Jahr: Jahr der Eintragung in das Register des Memory-of-the-World-Programms
Bezeichnung: Bezeichnung des betreffenden Dokuments gemäß der Publikationen der Deutschen UNESCO-Kommission
Beschreibung: Beschreibung des Dokuments inklusive Angaben zum Aufbewahrungsort
Bild: Exemplarische Illustration zum Dokument
Jahr
Bezeichnung
Beschreibung
Bild
1999
Tondokumente traditioneller Musik 1893–1952 (Edison-Zylinder) des Berliner Phonogrammarchivs
Das 1282 Seiten umfassende Exemplar in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ist die einzige vollständige Gutenberg-Bibel auf Pergament in Deutschland und eine von vieren weltweit. Zwischen 1452 und 1454 entstanden rund 180 Exemplare der Bibel in der Druckerwerkstatt von Johannes Gutenberg, davon etwa 30 auf Pergament. Das Göttinger Exemplar ist vollständig aufbereitet im Internet verfügbar.
Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm wurden erstmals in den Jahren 1812 und 1815 veröffentlicht. Die Handexemplare der Märchensammlungen werden seit 2015 in der GRIMM WELT Kassel ausgestellt und befinden sich seit 1932 im Besitz der Murhardschen Bibliothek Kassel (Universitätsbibliothek Kassel).
Die 1507 von Martin Waldseemüller erstellte Weltkarte wurde als gemeinsamer Vorschlag Deutschlands und der Vereinigten Staaten in die Liste des Weltdokumentenerbes eingetragen. Seit 2007 wird die Karte in der Library of Congress in Washington, D.C. ausgestellt.
Das am 29. Januar 1886 eingereichte Patent von Carl Benz beschreibt die Funktionsweise seines ersten Motorwagens und dokumentiert die Geburtsstunde des modernen Automobils.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine etwa 3700 bis 4100 Jahre alte Bronzeplatte mit Einlegearbeiten aus Gold. Diese Einlegearbeiten sollen vermutlich astronomische Phänomene und Symbole aus dem religiösen Themenkreis darstellen. Sie wurde 1999 nahe der Stadt Nebra gefunden und gehört seit 2002 zum Bestand des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle.
Beim Lorscher Arzneibuch handelt es sich um eine frühmittelalterliche Handschrift aus der Zeit um das Ende des 8. Jahrhunderts. Der Hauptteil besteht dabei aus einer Sammlung von 482 Rezepten. Das Lorscher Arzneibuch wird in der Staatsbibliothek Bamberg aufbewahrt (Signatur Msc.Med.1).
Es wurden die beiden angeführten Werke (Manifest der Kommunistischen Partei von 1847/48 und Das Kapital. Erster Band) von Karl Marx in das Weltdokumentenerbe aufgenommen. Im Manifest der Kommunistischen Partei entwickelten Karl Marx und Friedrich Engels bereits große Teile der später als „Marxismus“ bezeichneten Weltanschauung. Das Kapital (Erster Band) enthält eine Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Die Dokumente wurden gemeinsam für Deutschland und die Niederlande zum Dokumentenerbe erklärt.
Titelblatt der Erstausgabe des Manifests der Kommunistischen Partei
Die Goldene Bulle war das wichtigste der Dokumente des Heiligen Römischen Reiches und regelte die Modalitäten zur Wahl und Krönung der römisch-deutschen Könige durch die Kurfürsten bis zum Ende des Alten Reiches 1806. Von den erhaltenen sieben Ausführungen befinden sich fünf an verschiedenen Orten in Deutschland (Darmstadt, Frankfurt am Main, München, Nürnberg, Stuttgart) und zwei in Österreich (beide in Wien). Die Dokumente wurden gemeinsam für Deutschland und Österreich zum Dokumentenerbe erklärt.
14 Manuskripte und Originaldrucke von Martin Luthers Schriften stehen repräsentativ für Luthers erste Jahre als Professor, den Ablassstreit, Luther auf dem Wormser Reichstag, seine Bibelübersetzung und die von ihm initiierten Veränderungen des Bildungswesens und der Liturgie. Darunter sind eine von Luther benutzte hebräische Bibel, der Wolfenbütteler Psalter, je ein Exemplar des Septembertestaments (1522) und der Lutherbibel (1534) sowie ein Plakatdruck der 95 Ablassthesen.
Luthers 95 Thesen
2015
Autograph der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach
Die auf 99 Seiten niedergeschriebene Messe in h-Moll aus dem Jahr 1749 steht für das gesamte kompositorische Werk Bachs. Das Manuskript ist im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin.
Autograph der ersten Seite des Kyrie
2015
Goldener Brief des birmanischen Königs Alaungphaya an den britischen König George II.
Das Kitab al-Masalik wa-l-mamalik (persisch für „Buch der Wege und Provinzen“) ist ein aus dem 10. Jh. n. Chr. stammendes kartographisches Werk von al-Istachri. Die älteste persische Abschrift befindet sich in der Iranischen Nationalbibliothek in Teheran, die älteste arabische Handschrift des Buches in der Forschungsbibliothek Gotha.
Tondokumente und Prozessakten des ersten Auschwitzprozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt. Die Dokumente befinden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden.[5]
Vermutlich 212 in Kraft gesetzte Verordnung, mit welcher der Herrscher allen freien Bewohnern des Römischen Reichs das römische Bürgerrecht verlieh. Das einzig erhaltene Exemplar befindet sich in den Gießener Papyrussammlungen.
Fragment der Constitutio Antoniniana in der Justus-Liebig-Universität in Gießen
Auch Große Heidelberger Liederhandschrift (Cod. Pal. germ. 848) genannt; gilt als die umfangreichste und berühmteste Sammlung mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung.
Codex Manesse, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 124r, Herr Walther von der Vogelweide
17 ausgewählte Dokumente aus Archiven in sechs europäischen Staaten zeigen beispielhaft die Entwicklung Nordeuropas vor über 600 Jahren, geprägt von einer Organisation von Kaufleuten und rund 200 Mitgliedstädten.[7]
Die Handschriften aus der Hofschule Kaiser Karls des Großen zählen zu den bedeutendsten Bilderhandschriften aus der frühmittelalterlichen Zeit um 800, der beginnenden Epoche der karolingischen Kaiser. Bei den Handschriften handelt es sich um ein Evangelistar, einen Psalter, fünf Evangeliare und ein Evangeliar-Fragment.
Hofschule Kaiser Karl Ada-Evangeliar, Hs 22 Markus
Deutschland hat sich außerdem als Mitglied der Internationalen Kommission des Internationalen Suchdienstes (ITS), gemeinsam mit den anderen zehn Mitgliedstaaten der Kommission, an der Nominierung der „Archive des Internationalen Suchdienstes“ in Bad Arolsen beteiligt. Die Aufnahme ins Register erfolgte 2013.[8] Das Welterbe ist dabei keinem Staat, sondern der Internationalen Kommission des ITS zugeordnet.
Deutsche Nominierungen zum Weltdokumentenerbe
Bisher wurden drei Vorschläge des Deutschen Nominierungskomitees vom Internationalen Beraterkomitee abgelehnt.[9] Von diesen wurde der 2007 abgelehnte Vorschlag Dokumente zu Bau und Fall der Berliner Mauer im Jahr 2010 nach einer Überarbeitung unter dem Titel Bau und Fall der Berliner Mauer und der Zwei-plus-Vier-Vertrag erneut nominiert und 2011 in das Register Memory of the World aufgenommen.
In der Tabelle ist das Jahr der erstmaligen Nominierung aufgeführt.
Jahr
Dokument
Beschreibung
Bild
2001
Patentanmeldung von Konrad Zuse für eine „Rechenvorrichtung“
Zuses Patentanmeldung aus dem Jahr 1941, die die Funktion des ersten Digitalrechners Z3 beschrieb, wurde vom Reichspatentamt abgelehnt. Kopien der Patentanmeldung befinden sich im Privatbesitz der Familie Zuse.
Die Heiratsurkunde dokumentiert die Vermählung der byzantinischen Prinzessin Theophanu mit dem römisch-deutschen Kaiser Otto II. im Jahr 972. Sie zählt zu den wenigen erhaltenen frühmittelalterlichen Purpururkunden und befindet sich heute im Niedersächsischen Staatsarchiv in Wolfenbüttel.
Ausschnitt aus der Heiratsurkunde der Kaiserin Theophanu
Literatur
Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Gedächtnis der Zukunft. Das Weltdokumentenerbe in Deutschland. Bonn, 2022 (PDF; 4,6 MB), ISBN 978-3-947675-31-9.
Henning Aubel (Hrsg.): Das Gedächtnis der Menschheit. Das Dokumentenerbe der UNESCO: Bücher, Handschriften, Partituren, Bild-, Ton- und Filmarchive. Kunth, München 2008, ISBN 978-3-89944-465-0.
Verena Metze-Mangold: Memory of the World - Das Gedächtnis der Menschheit. (PDF; 48 kB) In: Helmut Knüppel (Hrsg.): Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Kultur, Wissenschaft, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2007, ISBN 978-3-86650-001-3, S. 471–484.
Joachim-Felix Leonhard: UNESCO Programm „Memory of the World“ – UNESCO Charta zum Erhalt des digitalen kulturellen Erbes. In: Thomas Dreier, Ellen Euler (Hrsg.): Kulturelles Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Tagungsband des internationalen Symposiums, 23. April 2005, Karlsruhe. (= Schriften des Zentrums für Angewandte Rechtswissenschaft. Band 1). Universitäts-Verlag Karlsruhe, Karlsruhe 2005, ISBN 978-3-937300-56-6.
↑Sybille Steinbacher: Förderung des kritischen Geschichtsbewusstseins. Die Unterlagen des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses als UNESCO-Weltdokumenterbe. In: Archivnachrichten aus Hessen 18/1 (2018), S. 4–8; Johann Zilien: Dokumente des Schreckens. Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess im Memory of the World-Register (MoW). In: Archivnachrichten aus Hessen 18/1 (2018), S. 9–12; Johann Zilien: Festakt am authentischen Ort. Verleihung der Urkunde zum UNESCO-Weltdokumentenerbe im Saalbau Gallus. In: Archivnachrichten aus Hessen 18/1 (2018), S. 13f.