Tournai (französisch, aus lateinisch Turnacum;[1]niederländischDoornik, deutsch veraltet Dornick) ist eine Stadt am Fluss Escaut (niederländisch: Schelde) in der Provinz Hennegau (niederländisch Henegouwen, französisch Hainaut) im picardischen Teil von Wallonien, dem überwiegend Französisch sprechenden Teil Belgiens. Sie hatte am 1. Januar 2019 gemäß den Angaben des nationalen Registers 69.233 Einwohner.[2] Die Stadt liegt etwa 85 km südwestlich von Brüssel. Mit einer Fläche von über 213 km² ist sie die größte Gemeinde Belgiens.
Seit dem Zusammenschluss belgischer Gemeinden 1977 besteht die Gemeinde Tournai aus 30 Entitäten oder Sektionen. Das sind neben der alten Stadt Tournai 29 Dörfer.[3] Alle diese Sektionen waren vor 1977 eigenständige Gemeinden. Durch die Fusion wurde Tournai zur flächenmäßig größten Kommune Belgiens, mit einer Fläche von 213,75 km². Die Kommune gliedert sich in fünf Distrikte: Tournai, Froidmont, Gaurain, Kain und Templeuve.[4] Von den insgesamt etwa 70.000 Einwohnern leben gut 30.000 in der Kernstadt Tournai.[5]
Die Sozialisten und die Liberalen hatten gegenüber der letzten Kommunalwahl 2012 deutliche Verluste erlitten, die bis 2018 regierende Koalition dieser beiden Parteien zerbrach. Wahlsieger war Ecolo mit starken Zugewinnen. Es bildete sich eine Koalition von PS und Ecolo, zum Bürgermeister wurde Paul-Olivier Delannois von der Sozialistischen Partei gewählt.[7]
Geschichte
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Römische Gründung
Tournai liegt an der Stelle des römischen Turnacum, das seit diokletianischer Zeit als Nachfolger von Castellum Menapiorum der Hauptort (civitas) der Menapier war. Sie ist nach Tongern die älteste Stadt Belgiens. Die Anlage einer ersten Befestigung wird auf das Ende des dritten Jahrhunderts oder Beginn des vierten Jahrhunderts datiert. Allerdings fand sich bei Ausgrabungen in der rue de La Loucherie südlich der Domkirche eine große bäuerliche Hofanlage aus der Eisenzeit, deren Einfriedungen bis zum Vieux Marché du Beurre reichten.
In den 50er Jahren wurde unter Kaiser Claudius der Norden Galliens ausgebaut und die Grenze nach Germanien militärisch gesichert. So wurde an der Stelle eines vicus ein römisches Militärlager an der Furt über die Schelde erbaut, an der sich wichtige Handelsstraßen kreuzten und vor allem die zur befestigten Römerstraße ausgebaute Verbindung zwischen Boulogne-sur-Mer und Köln die Schelde überquerte. Diese Straße ist in Belgien als Chaussée Brunehaut bekannt und wird in Deutschland neuerdings als Via Belgica bezeichnet. Von dem Römerlager wurden 1954 Teile des umlaufenden Wassergrabens entdeckt.
In der Folge zeigte sich die Befestigung als zu schwach, im zweiten Jahrhundert plünderten Chauken die Stadt, im dritten Jahrhundert Franken und Alemannen. Möglicherweise auf Kaiser Diokletian geht die nachfolgende Befestigung zurück. Tournai wurde in dieser Zeit zum Hauptsitz der keltisch-germanischen Menapier. Die römische Garnison bestand zu dieser Zeit vor allem aus germanischen Laeten. Die Vandalen überfielen und plünderten Römerlager und vicus 406, womit die römische Zeit in Tournai endete.
Dass Römer unter ihrem König Lucius Tarquinius Priscus im Jahre 606 vor Christus den Ort gegründet hätten, der deswegen als „zweites Rom“ gelte, ist eine mittelalterliche Legende. Ebenso ist ein römischer oder gallischer Heerführer Turnus nicht historisch gesichert, der die lokalen Gallier gegen Julius Cäsar im Gallischen Krieg angeführt habe. Er wurde aber lange Zeit als Erklärung für den Namen Tournai angeführt, dessen erste Überlieferung Tornacus ist und als „Siedlung des Turnus“ gedeutet wurde.
Nach der Schlacht bei Guinegate wurde die Stadt von den Engländern belagert und musste am 24. September 1513 kapitulieren. Der spätere englische Kardinal Thomas Wolsey bemächtigte sich gegen den von Papst Leo X. als gewählten Bischof 1513 eingesetzten Lois Guillard 1514 des Bistums Tournai. Wolsey gab es erst 1519 für eine jährliche Leibrente von 12.000 Livre des französischen Königs Franz I. frei.
1667 wurde Tournai im Rahmen des Devolutionskrieges (1667–1668) zwischen Frankreich und Spanien belagert und nach 4 Tagen durch Kapitulation der Spanier von den Franzosen erobert.
Im Jahr 1745 wurde die Stadt im Zuge des Österreichischen Erbfolgekrieges von französischen Truppen unter dem Maréchal de Saxe belagert und erobert, wobei die Zitadelle komplett zerstört wurde. Tournai war bis zum Frieden von Aachen (1748) in französischer Hand und wurde anschließend zurückgegeben.
Am 6. Juni 1944 begann die Landung in der Normandie; am 26. August 1944 kapitulierte die deutsche Wehrmacht in Paris. Anschließend rückten die westalliierten Truppen sehr schnell Richtung Osten voran. Am 31. August 1944 schlug Brigadegeneral Truman C. Thorson vor, Richtung Tournai vorzurücken, um den Kessel von Mons vorzubereiten. General Omar N. Bradley befahl General Hodges, seine Truppen Richtung Tournai zu ziehen.[8] Am 2. September ab 14 Uhr trafen US-Truppen und britische Truppen dort ein;[9] auf dem Weg fanden sie fast keinen Widerstand.[8]
Sehenswürdigkeiten
Die mittelalterliche Altstadt von Tournai ist gut erhalten. Besonders sehenswert sind die Kathedrale Notre-Dame (erbaut 1110 bis 1325) und der um 1200 erbaute und damit älteste belgische Belfried, die beide zum UNESCO-Welterbe gehören. Nordwestlich des Belfrieds schließt sich der Grand-Place an, der mit seiner dreieckigen Form einen ungewöhnlichen Schnitt aufweist. Er wurde vom 1. bis 4. Jahrhundert als Friedhof benutzt und Ausgrabungen Ende des 20. Jahrhunderts konnten Reste einer karolingischen Kapelle nachweisen. Die Verleihung der Gemeindecharta durch Philipp II. im Jahr 1187 leitete das Wachstum der Stadt und des Marktplatzes ein, so dass er das Zentrum des kommunalen Lebens wurde.[10] Kriegsschäden aus dem Jahr 1940 wurden in der Nachkriegszeit stilgerecht behoben, so dass der Platz seinen ursprünglichen Charakter bewahrt hat. Der Renaissancebau der Tuchhalle wurde nach Plänen von Jacques Van den Steen im Jahr 1610 errichtet.[11]
Ferner ist auch die Pont des Trous sehenswert, eine Brücke über den Escaut als Teil der mittelalterlichen Befestigung.[12] Die Brückenbögen des Pont des Trous wurden allerdings nach langen politischen Auseinandersetzungen gegen erhebliche Widerstände im August 2019 abgerissen, um die Durchfahrt größerer Schiffe auf dem Fluss zu ermöglichen. Es stehen nur noch die Türme auf den beiden Seiten des Escaut. Eine Restaurierung der Brücke ist geplant, es ist jedoch noch nicht klar, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt.[13]
In der 1797 säkularisiertenBenediktinerabtei St. Martin aus dem 11. Jahrhundert ist heute das Rathaus untergebracht. Das Gebäude hat eine neoklassische Fassade aus dem 18. Jahrhundert und ist in eine Parkanlage eingebettet. Erhalten ist noch die romanische Krypta aus dem 12. Jahrhundert. Das Musée des Beaux-Arts, geplant von Victor Horta, wurde 1928 eröffnet und beherbergt eine Gemälde- und Skulpturensammlung. Gegenüber der Basilika Saint-Brice befindet sich ein Doppelensemble romanischer Bürgerhäuser.
Tournai war früher ein bedeutendes Zentrum des Textilhandels und der Anfertigung von hochwertigen Textilien (in Tournai wird die Hauptmanufaktur der Millefleurs-Wandteppiche vermutet). Berühmt ist der sogenannte Tournai-Teppich (der auch Tournay-Teppich genannt wird). Die Textilindustrie hat auch heute (2008) noch eine gewisse Bedeutung.
Sport
Von 1911 bis 1996 wurde mit Unterbrechungen das Radrennen Binche–Tournai–Binche ausgetragen. Seit dem Jahre 2010 wird es wieder veranstaltet (in der UCI-Kategorie 1.1.): es trägt in Erinnerung an den 2009 verstorbenen belgischen Radsportler den Namen 'Mémorial Frank Vandenbroucke'.
Alulfus von Tournai (* um 1075; † 1144), auch Alulfus Tornacensis, Benediktinermönch, Kanoniker, Bibliothekar und Kantor
Hermann von Tournai, (* um 1095; † nach 1147) auch Herimannus Tornacensis, Benediktinermönch, Chronist und 3. Abt in der Abtei Saint-Martin von Tournai
Gilles Li Muisis, auch Gilles Le Muiset (1272–1352), Mönch, Chronist und Dichter
Nach der Stadt Tournai ist die geologische Stufe Tournaisium benannt, die unterste Stufe des Mississippiums im Karbon. Sie umfasst ca. den Zeitraum 359 bis 347 Millionen Jahre vor heute.
↑Vgl. Willem Pée: Flamentum in Französisch-Flandern. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Band 83, 1960, S. 107–113, hier: S. 108: „die sonderbare Gewohnheit [der Deutschen], flämische Orte immer mit ihrem französischen Namen zu nennen“.
↑Siehe Statistiques de population: Chiffres de population au 1er janvier 2019 auf der Website des Service Public Fédéral Intérieur, online.
↑Tournai et ses 29 villages, online, abgerufen am 16. November 2019.
↑Les districts administratifs, online, abgerufen am 17. November 2019.
↑Évolution de la population à Tournai (période 2002–2007), online, abgerufen am 16. November 2019.
↑Siehe etwa: Benjamin Puech: La municipalité de Tournai choisit de détruire un pont médiéval pour améliorer la navigation. In: Le Figaro, 12. Februar 2019, online; Tournai s’apprête à dire adieu à son pont médiéval trop étroit pour la navigation. In: Le Figaro, 31. Juli 2019, online; Suivez en direct la démolition du pont médiéval de Tournai. In: Le Figaro, 2. August 2019, online; Tournai verliert ein Wahrzeichen: Die Pont des Trous muss weichen. In: Grenz-Echo, 3. August 2019, online.