Das Wirtschaftsgeschehen wurde hauptsächlich von der Land- und Forstwirtschaft bestimmt. Im 19. Jahrhundert wurde östlich der Kreisstadt ein 2500 km² großes Bernsteinlager ausgebeutet. Die industrielle Infrastruktur bildeten Ziegeleien, Mühlen und Sägewerke. In Passenheim hatte sich ein Kalksandsteinwerk angesiedelt.
Bevor der Deutsche Orden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in das Gebiet vorstieß, war es nahezu unbewohnt und mit Urwald bewachsen. Im Rahmen seiner Besiedlungspolitik gründete der Orden zahlreiche Ortschaften, und bereits 1386 wurde Passenheim als erster Siedlung das Stadtrecht verliehen. Ortelsburg und Willenberg wurden hingegen erst 1723 zu Städten ernannt. Mit einer zweiten Ansiedlungsaktion erschloss der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts den Osten des späteren Kreisgebietes durch die Gründung zahlreicher neuer Dörfer.
Die Gründung des Kreises bei der Verwaltungsreform 1818
Im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen ergab sich mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisreform in ganz Ostpreußen, da sich die 1752 eingerichteten Kreise als unzweckmäßig und zu groß erwiesen hatten. Zum 1. Februar 1818 wurde durch die Ausgliederung der drei Städte Ortelsburg, Passenheim und Willenberg mit ihren umliegenden Landgemeinden aus dem Kreis Neidenburg ein neuer Kreis Ortelsburg gebildet. Mit einer Flächengröße von 1.703 km² gehörte er danach zu den größten Kreisen der Provinz Preußen, dem späteren Ostpreußen.
Durch den Versailler Vertrag von 1919 war der Kreis Ortelsburg der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Ostpreußen oder Polen unterworfen. Am 11. Juli 1920 entschieden sich 48.204 Stimmberechtigte des Kreises für und 511 Stimmen gegen einen Verbleib bei Ostpreußen.[3]
Entwicklung bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Zum 30. September 1929 fand im Kreis Ortelsburg entsprechend der Entwicklung im übrigen Freistaat Preußen eine Gebietsreform statt, bei der mit Ausnahme von vier Waldgebieten alle bisherigen Gutsbezirke aufgelöst und den benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden.
Am 16. Juli 1938 wurden im Kreis Ortelsburg 50 Gemeinden umbenannt. Betroffen waren zum Beispiel Jablonken („Wildenau“), Piasutten („Seenwalde“) oder Wawrochen („Deutschheide“).
Im Zweiten Weltkrieg eroberte im Januar 1945 die Rote Armee das Kreisgebiet und unterstellte es im März 1945 mit der südlichen Hälfte Ostpreußens der Verwaltung der Volksrepublik Polen. Diese unterzog das nach Evakuierung, Flucht und Abtransport in sowjetische Lager noch vorhandene Drittel der Einwohner einer „Verifizierung“, in deren Ergebnis die polnische Staatsangehörigkeit anzunehmen war. Von rund 70.000 Bewohnern des Kreisgebiets im Jahr 1939 war das bei knapp 14.000 möglich. Das jetzt polnische südliche Ostpreußen verlor infolge von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten bis 1950 rund 80 Prozent seiner bisherigen Bewohner.[4]
Heute umfasst der Powiat Szczycieński (Kreis Ortelsburg) alle größeren Gemeinden des ehemaligen deutschen Landkreises. Er ist der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren angegliedert, die in etwa dem polnisch verwalteten Südteil Ostpreußens entspricht.
Bei der Volkszählung 1900 gaben 43,4 % der Bewohner masurisch als ihre Muttersprache an. Mit einem Anteil von 31,1 Prozent (1900) lebte eine verhältnismäßig große polnischsprachige Minderheit im Kreis. Von den 72.146 Einwohnern im Jahre 1939 waren 85,9 Prozent Evangelische und 12,1 Prozent Katholiken.
Politik
Landräte
In der Zeit seines 128-jährigen Bestehens hatte der Kreis lediglich sieben Landräte. Sowohl der erste Landrat Wilhelm von Berg (1818 bis 1851) als auch Viktor von Poser und Groß-Naedlitz (1914 bis 1945) kamen auf lange Amtszeiten.
Sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Eingemeindungen vorgenommen. Während zum Kreis 1908 noch 200 Gemeinden und Gutsbezirke zählten, waren es 1931 nur noch 166 und ab 1936 noch 160 Gemeinden. Mit Stand vom 1. Januar 1938 gehörten zum Kreis Ortelsburg drei Städte und 157 Landgemeinden:[10][8]
Im Jahr 1938 erhielten viele Gemeinden im Kreis Ortelsburg aus politisch-ideologischen Gründen der Abwehr fremdländisch klingender Ortsbezeichnungen neue Namen. Andere wurden bereits früher und auch aus anderen Erwägungen umbenannt:
Gustav Großmann (1893–1973), deutscher Psychologe und Sachbuchautor
Literatur
Königlich Preußisches Statistisches Landesamt: Gemeindelexikon der Regierungsbezirke Allenstein, Danzig, Marienwerder, Posen, Bromberg und Oppeln. Auf Grund der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und anderer amtlicher Quellen. Heft 1: Regierungsbezirk Allenstein. Berlin 1912, S. 38–47, Kreis Ortelsburg.
Königliches Statistisches Bureau: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Preussen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 bearbeitet und zusammengestellt. Berlin 1874, S. 132–143.
Preußisches Finanzministerium: Die Ergebnisse der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung im Regierungsbezirk Königsberg. Berlin 1966, Kreis Ortelsburg, S. 1–35.
Adolf Schlott: Topographisch-statistische Uebersicht des Regierungs-Bezirks Königsberg, nach amtlichen Quellen. Hartung, Königsberg 1861, S. 181–190.
Beiträge zur Kunde Preußens. Band 2, Königsberg 1819, S. 499–500.
Max Brenk: Der Kreis Ortelsburg im Bild. 3. Auflage. Rautenberg Verlag, Leer 1996.
Olaf Göbeler: Willenberg. Die Geschichte einer ostpreußischen Grenzregion. Weber Druck GmbH, Gevelsberg 2004.
Hugo Krüger: Die Kirchen des Kreises Ortelsburg. Rautenberg Verlag, Leer 1989.
Joachim K. H. Linke: Vierhundert Jahre Ortelsburg. Ortelsburger Mosaik. Schriftenreihe der Kreisgemeinschaft Ortelsburg, Band 1. Rautenberg, Leer 1983.
Max Meyhöfer: Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg. 2. Auflage. Rautenberg, Leer 1984, ISBN 3-7921-0311-7 (326 Seiten).
Max Meyhöfer: Die Landgemeinden des Kreises Ortelsburg (Ergänzungsband). Unveränderte Neuauflage. Rautenberg Verlag, Leer 1995.
Victor von Poser, Max Meyhöfer: Der Kreis Ortelsburg. Ein ostpreußisches Heimatbuch. Neuauflage. Rautenberg Verlag, Leer 1995.
Heinz Rayzik, Bernhard Maxin, G. Jasinski, Bernd Blaudow: Kreisblätter Ortelsburg 1842–1922 (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 12). Selbstverlag, Seeheim-Malchen 1996.
Michael Bulitta, Martin Jend, Marc Plessa: Kirchspiel Passenheim: Geburten, Heiraten, Tote nach Bescheinigungen der Standesämter Passenheim und Passenheim-Land 1878–1945 (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 12). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen, Selbstverlag, Bonn 2005.
Martin Jend, Michael Bulitta, Marc Plessa: Kirchspiel Friedrichshof im Kreis Ortelsburg, Die Familien und ihre Kinder im 19. Jahrhundert. Band I–III (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 13). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen, Selbstverlag, Bornheim 2006.
Martin Jend, Wilfried Monka: Kirchspiel Ortelsburg und Ortelsburg-Land. Die Familien und ihre Kinder im 19. Jahrhundert. Band I–III (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 15). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen, Selbstverlag, Bornheim 2007.
Werner Pachollek, Martin Jend, Reinhard Kayss, Bernhard Maxin, Marc Plessa: Amt/Kirchspiel Willenberg – Orte, Wohnplätze und ihre Einwohner 1579–1945, Band I–III (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 21). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen. Selbstverlag, Bornheim 2010.
Martin Jend, Marc Plessa: Das Kirchspiel Jerutten. Die Familien und ihre Kinder (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 24). Historische Einwohnerverzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen. Selbstverlag der GeAGNO, Bornheim/Rheinland 2011.
Marc Plessa, Michael Bulitta, Martin Jend: Das Kirchspiel Passenheim im Kreis Ortelsburg (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 31). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen. Selbstverlag, Koblenz/Bornheim 2017.
Michael Bulitta, Martin Jend, Marc Plessa: Das Tauf-, Heirats- und Sterberegister der katholischen Kirche zu Kobulten im Landkreis Ortelsburg in den Jahren 1894 bis 1945 (= Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg und Ortelsburg, Nr. 32). Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen. 2016.
Michael Bulitta, Dietmar Falk. Historische Einwohner-Verzeichnisse (HEV) für das ehemalige Südostpreußen – Einwohnerbuch der ehemaligen Gemeinde Rauschken/Kr. Ortelsburg. Nr. 38 der Schriften der Genealogischen Arbeitsgemeinschaft Neidenburg Ortelsburg, Bonn, 2023.
↑Max Toeppen: Historisch-comparative Geographie von Preussen. Gotha: Perthes 1858, Seite 320.
↑Ludwig von Baczko: Handbuch der Geschichte, Erdbeschreibung und Statistik Preussens, Band 2. Friedrich Nicolovius, Königsberg und Leipzig 1803, S.35 (google.de).
↑Zahlen bei Andreas Kossert: Ostpreußen. Geschichte und Mythos. Siedler, München 2005, ISBN 3-88680-808-4, S. 352, 354, zur Verifizierung S. 353 ff.
↑Christian Gottfried Daniel Stein: Handbuch der Geographie und Statistik des preußischen Staats. Vossische Buchhandlung, Berlin 1819, Der Regierungsbezirk Königsberg (Digitalisat [abgerufen am 9. September 2020]).
↑Königliches Statistisches Bureau (Hrsg.): Mittheilungen des Statistischen Bureau's in Berlin, Band 2. Einwohnerzahlen der Kreise. S.304 (Digitalisat).