Sinn Féin ([ˌʃinʲ ˈfʲeːnʲ] bzw. [ˌʃinʲ ˈheːnʲ], irisch für wir selbst) ist eine 1905 gegründete irisch-republikanische Bewegung und Partei und die einzige politische Partei, die sowohl in Nordirland als auch in Irland bedeutend aktiv ist. In Nordirland ist Sinn Féin seit 2005 die unter den katholischen Einwohnern stärkste Partei, in der Republik Irland ist sie seit 1997 im Parlament vertreten. Vor allem in den Grenzregionen zu Nordirland verfügt die Partei über eine historische politische Verankerung.
Das Hauptziel von Sinn Féin besteht darin, die Teilung Irlands zu beenden. Dabei strebt die Partei laut Programm eine „neue nationale Demokratie“ an, die im Konsens aller Bevölkerungsgruppen zu schaffen und auszugestalten sei.[2]
Vertretung in Parlamenten
Bei der britischen Unterhauswahl am 8. Juni 2017 wurden sieben Abgeordnete für das House of Commons gewählt, die ehemals ebenfalls stark in der katholischen Wählerschaft verankerte Social Democratic and Labour Party verlor ihre letzten Sitze. Die Unterhaus-Abgeordneten der Sinn Féin weigern sich allerdings, ihre Sitze einzunehmen, denn dazu müssten sie einen Treueeid auf den britischen Monarchen schwören.
Sinn Féin ist im nordirischen Parlament (Northern Ireland Assembly) vertreten. Von 1998 bis 2003, als die Exekutive arbeitete, stellte die Partei zwei Minister. Die stärkste britisch-protestantische Partei, die Democratic Unionist Party, hat sich am 26. März 2007 (Vereinbarung von St. Andrews) auf ein Machtteilungsabkommen mit Sinn Féin geeinigt. Seit dem 8. Mai 2007 war der Sinn-Féin-Abgeordnete Martin McGuinness der stellvertretende Erste Minister von Nordirland. Des Weiteren stellte Sinn Féin mit Pearse Doherty im Ausschuss für Landwirtschaft einen Abgeordneten im irischen Oberhaus (Seanad Éireann) und mit Gráinne Mhic Géidigh für das County Donegal ein Mitglied in der Organisation für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Údarás na Gaeltachta.
Abgeordnete der Sinn Féin beschränken ihr Gehalt auf einen durchschnittlichen Industrielohn.[3][4]
Beziehung zur IRA
Sinn Féin ist geschichtlich mit der Provisional Irish Republican Army verbunden und wurde deswegen gelegentlich auch als „politischer Arm der IRA“ bezeichnet. Sinn Féin kam damit auch eine besondere Bedeutung im Friedensprozess in Nordirland zu. Von der irischen Regierung wird der Oppositionspartei vorgeworfen, dass sie auch lose organisatorisch mit der IRA verbunden sei. 2005 ging der Justizminister (im Zusammenhang mit der britischen nachfolgenden Entscheidung) über den Vorwurf hinaus, indem er äußerte, einige führende Mitglieder der Partei seien auch führende Mitglieder in der IRA.[5] Sinn Féin wies die Vorwürfe zurück. Nach einem Banküberfall Ende 2004 in Belfast, dessen Täter nicht ermittelt wurden, wurde der IRA der Überfall zur Last gelegt (was diese dementierte). Das House of Commons (Vereinigtes Königreich) beschloss im März 2005 mit der Mehrheit der Stimmen daraufhin, den dortigen Abgeordneten der Sinn Féin die Parlamentsgelder (u. a. zur Finanzierung von Reisen und Angestellten) für ein Jahr vorzuenthalten.[6]
Geschichte
Sinn Féin wurde am 28. November 1905 von Arthur Griffith in Dublin gegründet. Griffith wollte mit der Parteigründung ursprünglich vor allem ein eigenes Parlament für ganz Irland im Verbund des Vereinigten Königreiches durchsetzen. Vorbild für die Partei und ihr Programm waren die Nationalbewegungen im Osten Mitteleuropas. Griffith orientierte sich insbesondere an der Struktur in Österreich-Ungarn mit einem Monarchen und zwei Parlamenten. Zwischen 1905 und 1908 war der DramatikerEdward Martyn erster Vorsitzender.
Beim Osteraufstand von 1916 trat Sinn Féin erstmals als gewaltbereite Bewegung auf und entwickelte sich in den folgenden Jahren unter dem neuen Präsidenten Éamon de Valera zur führenden Organisation der Bewegung für eine „nationale Selbstbestimmung“ der Iren. 1918 verzeichnete sie bei den Wahlen zum Unterhaus einen ersten durchschlagenden Erfolg: Sie stellte 73 der 105 irischen Abgeordneten. 1919 rief sie das erste irische Parlament, das First Dáil, in Dublin aus, woraus sich der irische Unabhängigkeitskrieg und die erste Teilung der Insel im Anglo-Irischen Vertrag von 1922 entwickelten.
Vor allem an dem im Vertrag verlangten Treueschwur zum britischen König, weniger an der Teilung, spaltete sich darauf Sinn Féin. Die Befürworter des Vertrages stellten eine knappe Mehrheit im Dáil, in der Partei eine knappe Minderheit. Sie bildeten unter der Führung von W. T. Cosgrave die neue Partei Cumann na nGaedheal, die später in der Fine Gael aufging. Die streng republikanische Mehrheit der Mitglieder wollte diese Bedingung nicht akzeptieren. Im Irischen Bürgerkrieg bekämpften sich beide Seiten erbittert. Nach dem Waffenstillstand 1926 spaltete sich Sinn Féin erneut an einer grundsätzlichen Frage: Sollte man den Status quo akzeptieren und den neuen Freistaat Irland als ersten Schritt auf dem Weg zur Republik anerkennen, oder blieb man besser auf dem Standpunkt der Fundamentalopposition? Die weniger radikalen Gegner des Vertrags um Éamon de Valera bildeten am Ende dieser Auseinandersetzung die neue Partei Fianna Fáil. Die übrig gebliebene, fundamentalrepublikanische Sinn Féin trat nach dem Bürgerkrieg nur noch als Splitterbewegung auf und verschwand nach den Juni-Wahlen 1927 für ein halbes Jahrhundert aus dem Dáil Éireann mit einer kleinen Ausnahme bei den Wahlen 1957. Ähnlich verschwand sie aus dem Parliament of Northern Ireland und dem House of Commons des Vereinten Königreichs.
In den 1960er Jahren verfolgte die Sinn Féin vorübergehend einen marxistischen Kurs.
In den 1970er Jahren kam es zu einer inneren Reform der Partei. Sie verstand sich zunehmend als politischer Flügel der IRA. Politiker einer neuen Generation wie Gerry Adams und Martin McGuinness sowie eine nordirisch dominierte Funktionärsschicht führten die Partei wieder zurück in die politische Handlungsfähigkeit. Ein Waffenstillstand Mitte der 1970er Jahre machte die Sinn Féin zu einem akzeptablen Verhandlungspartner für andere Parteien.
Seit 1970 bringt Sinn Féin eine eigene Zeitschrift heraus, die An Phoblacht, die zunächst monatlich erschien und seit 2010 wöchentlich erscheint.
Wahlerfolge im größeren Umfang und damit politische Macht erlangte die Partei aber erst nach dem Hungerstreik gefangener IRA-Mitglieder 1980/81 um den Sinn-Féin-Unterhauskandidaten Bobby Sands. Der Wahlkampf für ihn und sein Tod wenige Wochen nach der Wahl verschafften der Partei große Popularität.
Die Sinn Féin erkannte am 28. Januar 2007 auf einem Sonderparteitag in Dublin in einer historischen Abstimmung von 2000 Delegierten die nordirische Polizei an. Damit räumte sie ein wichtiges Hindernis bei der Wiederherstellung einer nordirischen Regionalregierung aus dem Weg. Laut dem Parteivorsitzenden Gerry Adams habe sie damit „die Möglichkeit geschaffen, die politische Landschaft auf dieser Insel für immer zu verändern“. Die britische Regierung versicherte im Gegenzug, die Rolle des GeheimdienstesMI5 auf dem Gebiet der Provinz einzuschränken.[7]
1970 spaltete sich Sinn Féin in zwei Parteien, die sich beide als die einzig legitime Sinn Féin ansahen
Sinn Féin (Gardiner Place), häufiger Official Sinn Féin genannt. Die Partei benannte sich in Sinn Féin, the Workers Party (1977) um, später nannte man sich nur noch Workers Party (1982).
Sinn Féin (Kevin Street), häufiger Provisional Sinn Féin genannt. Dieser Flügel ist inzwischen allgemein als „die“ Sinn Féin bekannt.
Eamon de Valera, ehemaliger Parteivorsitzender, Gründer von Fianna Fáil und dritter irischer Ministerpräsident
Wahlergebnisse
Nordirland
Die Wahlergebnisse in der folgenden Tabelle sind jeweils (auch für die gesamt-britischen Wahlen) auf Nordirland bezogen.[8][9][10][11][12] Unterhauswahlen erfolgten durchgehend nach Mehrheitswahlrecht, Wahlen zur Nordirland-Versammlung ab 1998 und Wahlen zum Europaparlament nach Präferenzwahlrecht.
Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.): Nordirland – Geschichte Landschaft Kultur & Touren. Die Werkstatt, 1996, ISBN 3-89533-177-5.
Pit Wuhrer: Die Trommeln von Drumcree. Nordirland am Rande des Friedens, Rotpunktverlag, 2000, ISBN 3-85869-209-3.
Brian Feeney: Sinn Féin – A hundred turbulent years. The O’Brien Press Ltd. Dublin, 2002, ISBN 0-86278-770-X.
William O’Reilly, Andrea Penz: Freiheit und Unabhängigkeit als imperative Postulate. Nationale Bewegungen in Irland und Ungarn im Vergleich 1780–1870. Grazer Universitätsverlag, 2006, ISBN 3-7011-0061-6.
Dominic Vogel: Zwischen Terrorismus und Politik – Sinn Féin im Wandel. Diplomica-Verlag, Hamburg 2009, ISBN 3-8366-7576-5.
*Mitglieder der Labour and Co-operative Party treten gemeinsam mit der Labour Party bei Wahlen an †Die Abgeordneten von Sinn Féin nehmen ihre Plätze in Westminster nicht ein