Als Kriegsfilme im eigentlichen Sinn gelten in der derzeitigen medienwissenschaftlichen Diskussion[2] nur Spielfilme, nicht aber Dokumentarfilme. Ein Konsens darüber, wie viel Krieg in einem Film vorhanden sein muss, um ihn zum Kriegsfilm zu machen, lässt sich nur in Ansätzen finden. Da das Vorkommen von Konflikten und auch ihre Lösung durch verschiedene Arten von Gewalt im Grunde in allen Genres notwendig ist, um eine dramatische Struktur entstehen zu lassen,[3] bot sich aufgrund der in ihm stattfindenden physischen und psychischen Bedrohungen schon immer der Krieg an, um vor seinem Hintergrund den Kampf des Helden um sein Schicksal zu veranschaulichen. Deshalb finden sich kriegerische Elemente auch oft
Während einige Autoren diese Filme zu den Kriegsfilmen zählen wollen,[4] geht die Mehrheitsmeinung dahin, nur jene Filme als Kriegsfilme zu bezeichnen, die kriegerische Konflikte des 20. Jahrhunderts als Thema oder als Hintergrund haben.[5] Dies schließt allerdings auch Filme aus, die – zum Teil in breiter Form – Kriege vergangener Jahrhunderte thematisieren (Alexander, 2004 oder Master & Commander – Bis ans Ende der Welt, 2003) und die demnach eher als Historienfilme bezeichnet werden. Eine Ausnahme bilden im US-amerikanischen Raum die Filme über den Sezessionskrieg, der bereits zu den modernen Kriegen gezählt wird und Filme vor diesem Hintergrund deshalb als Kriegsfilme gelten.
Antikriegsfilm
Der Begriff Antikriegsfilm – von Regisseur Francis Ford Coppola noch anders gebraucht[6] – bezeichnet dagegen in der neueren filmwissenschaftlichen Diskussion kein eigenes Genre mehr, sondern wird nur noch als Prädikat für jene Kriegsfilme verwendet, die in bewusst zum Frieden mahnender Absicht die Schrecken des Krieges zeigen. Ein solches Prädikat ist jedoch höchst subjektiv; es gibt kaum Filme, die unbestritten als Antikriegsfilme gelten.
1996: Der Unhold (The Ogre, Regie: Volker Schlöndorff, Deutschland/Frankreich/Vereinigtes Königreich – Zweiter Weltkrieg)
2005: Merry Christmas (Joyeux Noël, Regie: Christian Carion, Deutschland/Frankreich/Vereinigtes Königreich/Belgien/Norwegen/Rumänien – Erster Weltkrieg)
Merkmale des Kriegsfilms
Vereinfacht ausgedrückt thematisiert der Kriegsfilm auf der narrativen Ebene Auseinandersetzungen unter Verwendung moderner Waffen- und Kriegstechnik. Eine Eigenschaft der modernen Kriegsführung ist die vollständige Anonymisierung des einzelnen Soldaten aufgrund der großen Reichweite und des oft großen Vernichtungspotentials moderner Waffen.[7] In einer Gegenbewegung dazu zeigen die Kriegsfilme der 1980er Jahre vermehrt die männliche Körperlichkeit und einen archaischen Krieger (Rambo, 1982), während gerade neuere Kriegsfilme in besonderer Weise die Verletzungsanfälligkeit des menschlichen Körpers und die Möglichkeit seiner Zerstörung inszenieren. Ein Beispiel hierfür ist Der Soldat James Ryan (1998).
Diese Eingliederung des Einzelnen in die kollektive „Militärmaschinerie“ wird in vielen Filmen verdeutlicht, wenn die Hauptperson als Rekrut lernt, sich in den militärischen Alltag einzufügen (Full Metal Jacket, 1987 oder in Jarhead – Willkommen im Dreck, 2005). Gleichwohl muss sich die Hauptfigur auch hier als Individuum beweisen. Dies geschieht in den meisten Kriegsfilmen dadurch, dass die Hauptfigur ein möglichst perfekter Soldat wird, mit anderen Worten: indem der Held den Krieg meistert, gewinnt er seine Individualität zurück.
Anhand visueller, auditiver und narrativer Merkmale kann man die Grundstruktur von Kriegsfilmen folgendermaßen beschreiben:[8]
Der Kriegsfilm ist eine Mischung aus fiktionalen (Filmhandlung) und non-fiktionalen Elementen (historisch existenter Kriegsschauplatz, Typ und Wirkung der Waffen). Mag auch die Geschichte fiktional sein, so ist doch dem Zuschauer bewusst, dass das Gezeigte durchaus so oder ähnlich stattgefunden haben könnte. Gleichzeitig weiß der Zuschauer meist, welche Gruppen sich gegenüberstehen und wie der historische Ausgang dieses Konfliktes war. Dies steigert zum einen den Anspruch der Zuschauer an den Realitätsgehalt des Films im Gegensatz zu z. B. dem Actionfilm, zum anderen erhält der Kriegsfilm durch die Nähe zum tatsächlich Geschehenen eine gewisse „Denkmal-Funktion“ – er hält Schrecken vergangener Kriege in Erinnerung.
Die unterschiedlichen Schauplätze und Waffengattungen des Kriegs bestimmen die Dramaturgie des Kriegsfilms wesentlich mit: Pazifischer Inselkrieg, Krieg in Europa mit Städtebombardierungen und Grabenkrieg, Vietnamkrieg mit Dschungelkampf, Wüstenkrieg mit Sonne, Durst, Desorientierung, großen Entfernungen und massiven Panzerschlachten, Bürgerkrieg mit Häuserkampf oder Krieg in Japan mit atomarer Bombardierung unterscheiden sich ebenso stark wie die Dramaturgie der Waffengattungen: Luftkrieg (Luftschlacht um England, 1969), Grabenkrieg (Im Westen nichts Neues, 1930), U-Boot-Krieg (Das Boot, 1981), Guerillakrieg (La Milagrosa/Guerilla War – Gefangen in der Hölle, 2008), Bürgerkrieg (Viva la muerte – Es lebe der Tod, 1971), Darstellung von Gefangenenlagern (So weit die Füße tragen, 2001), oder Versuch einer historischen Rekonstruktion mit allen Waffengattungen (Der längste Tag, 1961)[9]
Protagonist des Kriegsfilms ist entweder, wie oben angedeutet, ein Individuum, der sich in der Situation von Krieg und Armee beweisen und eine Entwicklung durchlaufen muss, oder eine Anzahl unterschiedlicher Individuen, die sich über interne Differenzen hinweg zu einer Einheit entwickeln müssen, um erfolgreich die Bedrohungen meistern zu können.
Diese Plots verleiten einen Teil der Zuschauer dazu, Krieg und Soldatentum zu idealisieren – als „Charakterschmiede“ bzw. als „wahre Kameradschaft unter Männern“ in einer militärischen Gemeinschaft.
Inszeniert wird der Kriegsfilm als visuell-auditives Spektakel. Bei der filmischen Umgesetzung der Kampfhandlungen verwendet der Kriegsfilm Stunts, pyrotechnische und auditive Effekte, die denen des Actionfilms ähneln. Dies bzw. die Flut der visuellen und auditiven Eindrücke kann eine kritische Reflexion des Filmes erschweren. Oft wird dieser Vorwurf dem Film Apocalypse Now gemacht (R: Francis Ford Coppola, USA 1979).
2019: 1917 (Regie: Sam Mendes, USA, Vereinigtes Königreich – Erster Weltkrieg)
Wissenschaft und Forschung
Der Kriegsfilm ist Untersuchungs- und Forschungs-Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, z. B. der Filmwissenschaft und der Geschichtswissenschaft.[10]
Bibliographie
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↑Definition Genre Kriegsfilm: Filmgenres: Kriegsfilm, ed. Stiglegger/Klein/Traber, reclam, 2006, S. 10. und weiter: „Der Krieg im Kriegsfilm handelt immer auch von der Moderne und der spezifischen Entwicklung von Nationalstaaten.“ ebd., S. 10.
↑Vgl. dazu Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. 3., überarbeitete Auflage. Stuttgart/Weimar 2001, S. 192f.
↑Vgl. dazu die Darstellung von Gerhard Hroß: Die Funktion von Gewalt im Film. In: Thomas Hausmanninger, Thomas Bohrmann (Hrsg.): Mediale Gewalt. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven. München 2002, S. 136–145.
↑etwa Hanns-Otto Horst: Kriegsfilme. Ein Überblick. In: Büttner, Christian/Gottberg, Joachim von/Kladzinski, Magdalena (Hrsg.): Krieg in Bildschirmmedien. Zur politischen Orientierung Jugendlicher zwischen Inszenierung und Wirklichkeit. München 2005, S. 165.
↑Vgl. Marcus Stiglegger: Artikel Kriegsfilm. In: Thomas Koebner: Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart 2002, S. 322.
↑„Alle Kriegsfilme sind Antikriegsfilme“. Rebecca Winters Keegan: 10 Questions for Francis Ford Coppola. In: Time. 14. August 2006, abgerufen am 15. Mai 2008 (englisch): „All war movies are antiwar movies […]“
↑Vgl. zum Folgenden Georg Seeßlen: Von Stahlgewittern zur Dschungelkampfmaschine. Veränderungen des Krieges und des Kriegsfilms. In: Evangelische Akademie Arnoldshain (Doron Kiesel); Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e. V.: Kino und Krieg. Von der Faszination eines tödlichen Genres (Arnoldshainer Filmgespräche 6), Frankfurt am Main 1989, S. 20ff.
↑Vgl. Thomas Bohrmann, Mathias Grandl: Jeder Krieg ist anders. Jeder Krieg ist gleich: Krieg im Film. In: Thomas Bohrmann u. a.: Handbuch Theologie und Populärer Film. Band 1. Schöningh, Paderborn 2007, S. 82f.
↑Filmgenres: Kriegsfilm, ed. Stiglegger/Klein/Traber, reclam, 2006, S. 11–15.