Jane Addams’ Eltern waren John H. Addams (1822–1881), Mühlenbesitzer und später republikanischerStaatssenator in Illinois, und Sarah Weber Addams, geborene Weber (1817–1863). Sie hatte vier Schwestern und drei Brüder: Mary Catherine Addams (1845–1894); Georgiana Addams (1849–1850); Martha Addams (1850–1867); John Weber Addams (1852–1918); Sarah Alice Addams (1853–1915); Horace Addams (1855–1855); George Weber Addams (1857–1859). Als Addams zwei Jahre alt war, verstarb ihre Mutter. Danach vermählte sich ihr Vater 1864 erneut. Er heiratete die Witwe Anna Hostetter Haldeman (1828–1919). Diese brachte zwei eigene Kinder mit in die Familie, Henry Winfield Haldeman (1848–1905) und George Bowman Haldeman (1861–1909).
Nach ihrem Schulabschluss wollte Addams am Smith College studieren, aber ihr Vater gestattete ihr nicht, so weit weg zu fahren. Ihren College-Abschluss machte sie stattdessen am Rockford Female Seminary, dem späteren Rockford College in Rockford. Hier lernte sie Ellen Gates Starr kennen, mit der sie eine intensive Freundschaft verband. Nach ihrem Abschluss in Rockford studierte Addams Medizin, brach das Studium jedoch ab, weil sie aus der schweren Arbeit wenig Inspiration nahm. Wie in ihrer Zeit für unverheiratete Frauen üblich, kehrte sie in ihr Elternhaus zurück, um betagte Familienangehörige zu pflegen.
1881 starb ihr Vater, und sie verfiel in eine tiefe Depression. Zwei Jahre später bereiste sie gemeinsam mit ihrer Stiefmutter England und Deutschland, später außerdem Spanien, Italien und Frankreich. Nach ihrer Rückkehr aus Europa nahm Addams ihre Freundschaft mit Starr wieder auf, und die beiden reisten gemeinsam nach London, um die Toynbee Hall zu besuchen.
1890 lernte Jane Addams Mary Rozet Smith kennen und führte mit ihr eine Partnerschaft, die bis zu Smiths Tod 1933 andauerte. Sie bezeichnete die Beziehung als „Ehe“, auch wenn diese weder gesetzliche noch kirchliche Anerkennung hatte. Smith war die Tochter eines wohlhabenden Papierfabrikanten und leitenden Angestellten der Illinois Central Railroad. Sie pflegte Addams, wenn sie krank war, und führte ihren Briefwechsel, sogar mit engen Verwandten wie Neffen und Nichten. Zwar hat Addams den Großteil der Briefe zerstört, die sie auf Reisen von Smith erhielt, aber aus den Briefen, die von Addams an Smith gingen, ist eine tiefe Zuneigung erkennbar.[1] Die beiden erwarben 1904 zusammen ein Ferienhaus in Bar Harbor an der Küste von Maine.
In ihrer Kindheit wurde Jane Addams in der Society of Friends, bekannt als die Quäker, erzogen, obwohl ihr Vater allen vier örtlich anwesenden Kirchengemeinden Spenden zukommen ließ. In Chicago war sie Mitglied einer presbyterianischen Gemeinde, besuchte auch häufig unitarische Versammlungen, wo sie Vorträge hielt. Am 21. Mai 1935 starb sie an Krebs.
Soziale Arbeit und politisches Wirken
Nach ihrer Rückkehr aus Europa 1885 begann Jane Addams mit ihrer sozialen Arbeit. Sie betreute afroamerikanische Waisenkinder in Baltimore und war in mehreren karitativen Organisationen tätig. Am 18. September 1889 eröffnete sie mit Ellen Gates Starr zusammen das Hull House in Chicago, eines der ersten so genannten „Siedlungshäuser“ der USA, und wurde somit bedeutendste Vertreterin der amerikanischen Settlement-Bewegung. Diese war inspiriert durch die Toynbee Hall im südlichen London, welche von Samuel Augustus Barnett 1884 gegründet worden war. Die Settlementbewegung war eine grundlegende Bewegung innerhalb des anglikanischen Sozialwesens und der Gemeinwesenarbeit. Jane Addams kaufte das Haus von dem Erbe, welches ihr Vater hinterlassen hatte.
Settlements waren Zentren, die der armen Bevölkerung des jeweiligen Viertels Bildungs- und Sozialleistungen anboten und soziale Reformen vorantrieben. Hull House wurde jede Woche von etwa 2.000 Menschen besucht. Hull House konnte Einrichtungen anbieten wie eine Abendschule für Erwachsene, einen Kindergarten, Vereine für ältere Kinder, eine öffentliche Küche, eine Kunstgalerie, ein Kaffeehaus, eine Turnhalle, ein Schwimmbad, eine Buchbinderei, eine Musikschule, eine Schauspieltruppe, eine Bibliothek und verschiedene Arbeitsmaßnahmen.
Hull House diente auch als soziale Institution für Frauen. Addams war befreundet mit ihren Kollegen von der Chicagoer Schule der Soziologie und hatte durch ihre Arbeit in angewandter Soziologie auf diese Einfluss. Obwohl die wissenschaftlichen Soziologen jener Zeit die angewandte Soziologie als Sozialarbeit definierten, betrachtete sich Addams selbst nicht als Sozialarbeiterin. Sie war eine Mitautorin der Hull-House Maps and Papers in 1893, welche die Arbeitsgebiete und Methoden der Chicagoer Soziologie-Schule definierten. Mit George Herbert Mead zusammen arbeitete sie zu verschiedenen Themen der Sozialreform, wie z. B. den Rechten der Frauen oder dem Arbeitsstreik der Textilgewerkschaft 1910. Addams verband die zentralen Ideen des symbolischen Interaktionismus mit den Theorien des kulturellen Feminismus und des Pragmatismus, um ihre sozialarbeiterischen und soziologischen Ideen zu bilden.
Im Jahr 1910 wurde Jane Addams als erster Frau ein Ehrendoktortitel (Honorary Degree) der Universität Yale verliehen.[2]
1929 wurde sie Ehrenpräsidentin der Women’s International League for Peace and Freedom und zwei Jahre später erhielt sie als erste Amerikanerin und zweite Frau den Friedensnobelpreis für ihr soziales Engagement.[3] 1935, kurz vor ihrem Tod, nahm sie an der Feier zum 20-jährigen Bestehen der Women’s International League for Peace and Freedom teil.
Theorie
Jane Addams lebte in Chicago zur Zeit der Industrialisierung. Diese brachte eine Reihe von sozialen Problemen mit sich, auf die die amerikanische Gesellschaft nicht vorbereitet war. Sie lebte in dem so genannten Hull-House in einem Chicagoer Armenviertel, denn sie wollte am Leben der Armen teilnehmen und deren Lebensbedingungen verbessern. Ihre Theorie entstand aus der Reflexion ihrer dortigen Tätigkeit.
1. Soziale und industrielle Probleme als Gegenstandsbereich
Sie sah soziale und industrielle Probleme als Gegenstandsbereich ihrer Sozialarbeitstheorie. Dabei waren ihr vor allem zwei Gesichtspunkte wichtig:
Erforschung der Bedingungen und Auslöser, die zu sozialen Problemen führen
Entwicklung von Methoden, um diese nachhaltig zu beseitigen.
Hunger und Krieg bezeichnete sie als größte Bedrohungen für die Menschheit und zählte daher deren Bekämpfung zur zentralen Aufgabe von sozialem Handeln.
2. Drei große Erklärungslinien
a. Die ökologisch-territoriale Aufspaltung der Klassen
unterschiedliche Bevölkerungsschichten leben getrennt in unterschiedlichen Distrikten
auch in den Fabriken als einzigem Berührungspunkt nach Positionen und Funktionen getrennt
b. Die männlich-militaristische Organisation der Städte
männliche Elite herrscht in der Stadt
deren defensiv-militärisches Leitbild verhindert soziale Verbesserungen für die Armen und die Erledigung sozialer städtischer Haushaltsaufgaben
die Festung Stadt muss gegen innere und äußere Feinde verteidigt werden
c. Das Geschäftsinteresse internationaler Wirtschaftskonzerne
Soziale Empathie als Bedingungen einer ‚Kosmopolitischen Liebe‘
5. Die Bedeutung und Rechte der Frauen
Frauen sollen nicht mehr benachteiligt werden. Verpflichtung der Frauen für ‚Brot und Frieden’ ernst nehmen und sich gegen die Männer und ihre Interessen durchsetzen.
Jane Addams’ Theorie ist auch heute noch aktuell. Auch heute noch gilt die Verbindung von sozialer Gerechtigkeit, Sozialbewusstsein und Frieden genauso wie Verknüpfung mit politischem Handeln.
Viele von ihr als Ursachen für soziale Ungleichheit erkannte Probleme gibt es weiterhin. So kritisierte sie, dass die Geschäftsinteressen internationaler Wirtschaftskonzerne mit ihren riesigen Kapitalansammlungen politische Veränderungen zu blockieren versuchen.
Auch ihre Kritik an der Begründung von Kriegen als Mittel, Zivilisationen zu entwickeln, ist gerade in den letzten Jahren wieder aktuell geworden.
Zwar wurden die von Addams geschilderten sozialen und industriellen Probleme in einigen Staaten entschärft, international gelöst sind sie jedoch nicht. So wurden zwar erhebliche Schritte hin zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter unternommen, erreicht ist diese jedoch nur in wenigen westlichen Staaten.
Rita Braches-Chyrek: Jane Addams, Mary Richmond und Alice Salomon. Professionalisierung und Disziplinbildung Sozialer Arbeit. Budrich, Opladen (u. a.) 2013, ISBN 978-3-8474-0015-8.
Victoria Bissell Brown: The Education of Jane Addams. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2003, ISBN 978-0-8122-3747-4.
Mary Jo Deegan: Jane Addams and the Men of the Chicago School, 1892–1918. Transaction Books, New Brunswick 1988, ISBN 0-88738-077-8.
Cathy Eberhart, Peter Herrmann, Ming-Fang Chen (Hrsg.): Jane Addams (1860–1935). Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Reformpolitik. Europäischer Hochschulverlag, Bremen 2009, ISBN 978-3-941482-32-6. (Studien zur vergleichender Sozialpädagogik und internationaler Sozialarbeit und Sozialpolitik, Bd. 6)
Dorothy Ross: Jane Addams (1860–1935), Häuslicher Feminismus und die Möglichkeiten der Sozialwissenschaften. In: Claudia Honegger, Theresa Wobbe (Hrsg.): Frauen in der Soziologie. Neun Porträts. C.H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-39298-9.
Anja Schüler: Frauenbewegung und soziale Reform. Jane Addams und Alice Salomon im transatlantischen Dialog, 1889–1933. Franz Steiner Verlag, 2004, ISBN 3-515-08411-8.
Shields, Patricia M. 2011. Jane Addams’ Theory of Democracy and Social Ethics: Incorporating a Feminist Perspective. In Women in Public Administration: Theory and Practice. Edited by Maria D’Agostiono and Helisse Levine, Sudbury, MA: Jones and Bartlet.
Shields, Patricia M. 2017. Jane Addams: Progressive Pioneer of Peace, Philosophy, Sociology, Social Work and Public Administration. New York, NY: Springer.
Silvia Staub-Bernasconi: Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Kap. 2: Jane Adams (1860–1935) – Systemtheoretikerin der ersten Stunde. Haupt UTB, Weinheim/Basel 2007, ISBN 3-8252-2786-3, S. 49–74.
Irene Stratenwerth: Das Gefühl, die Welt ein Stück weiterbringen zu müssen. In: Charlotte Kerner (Hrsg.): Nicht nur Madame Curie – Frauen, die den Nobelpreis bekamen. Beltz Verlag, Weinheim / Basel 1999, ISBN 3-407-80862-3.
Mary Jo Deegan: Abra, in: Mary Jo Deegan (Hrsg.): Women in sociology : a bio-bibliographical sourcebook. New York : Greenwood Press, 1991, S. 37–45
Jane Addams (1860–1935). In: Harvard University Library Open Collections Program. Women Working, 1870–1930. 25. Oktober 2005, archiviert vom Original am 27. April 2007; abgerufen am 6. September 2020 (englisch, Eine Volltext-Suche-Database mit Zugang zu sämtlichen Veröffentlichungen von Jane Addams).
Maya Halatcheva-Trapp und Angelika Poferl: Jane Addams (1860–1935). Engagierte Sozialforscherin der ersten Stunde und politisch aktive Reformerin, veröffentlicht am 20. November 2023 auf soziopolis.de.