In der asketischen Tradition des Hinduismus spielt die durch den Vānaprastha („Waldmönch“) freiwillig aufgesuchte Waldeinsamkeit eine maßgebliche Rolle, ebenso wie im Buddhismus[1][2] bis in dessen Gegenwart heute etwa in Thailand als Tudong in der buddhistischen Waldtradition oder auch im Westen[3].
Im europäischen christlichen Mönchtum suchten bis ins späte Mittelalter Einsiedler und Eremiten ihre Zuflucht in die Abgeschiedenheit im Wald einerseits vor dem Treiben in der Stadt (siehe Lebensformen des Mönchtums), andererseits vor verweltlichenden Tendenzen im Kloster (wie die Vallombrosaner), wo sie durch das Volk vielfach hohe Wertschätzung erfuhren.[4] Beispiele für Eremiten, deren ehemalige Waldklausen bis heute beliebte Wallfahrtsorte sind:
In der deutschen Romantik wird die Waldeinsamkeit zu einem Schlüsselbegriff. Der Wald wird als idyllisches und ewiges Ideal mit der Einsamkeit des introvertierten romantischen Dichtertypus verknüpft.[6] In der romantischen Bewegung tauchte der Begriff erstmals 1796 im KunstmärchenDer blonde Eckbert von Ludwig Tieck auf, der den Begriff als Symbol für die heile Welt im inneren und äußeren Erleben der Protagonistin Bertha verwendet. In Form des Gedichts wird der Ausdruck von einem Vogel eingeführt, wobei sich der Inhalt des Gedichts mit der Verstrickung Berthas in Untaten verändert.
Waldeinsamkeit,
Die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ewger Zeit,
O wie mich freut
Waldeinsamkeit.
Waldeinsamkeit
Wie liegst du weit!
O Dir gereut
Einst mit der Zeit.
Ach einzge Freud
Waldeinsamkeit!
Waldeinsamkeit
Mich wieder freut,
Mir geschieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid
Von neuem mich freut
Waldeinsamkeit.
Joseph von Eichendorff verwendet den Begriff zur Verklärung des Waldes als zeitlose Idylle, die dem vergänglichen Menschsein gegenübersteht. Im gesamten literarischen Werk dieses Dichters nimmt das Motiv eine entscheidende Stellung ein. Neben einem Gedicht mit dem Titel Waldeinsamkeit im ZyklusDer Umkehrende tritt das Motiv in vielen berühmten Gedichten wie Abschied vom Walde, In der Fremde oder Komm, Trost der Welt auf. Nicht minder bedeutend ist es in seinen Prosawerken, wie etwa in der ErzählungDas Schloß Dürande.
Der Begriff fand als unübersetzter Germanismus Eingang in die amerikanische Literatur wie in Ralph Waldo Emersons (1803–1882) Poem Waldeinsamkeit (1858). Sein Freund Henry David Thoreau, wie er ein Transzendentalist schrieb 1854 das Buch Walden. Life in the Woods, in dem er von seinem Experiment berichtet, zurückgezogen in einer selbst erbauten Blockhütte im Wald zu leben.
Nachromantische Literatur
Rudyard Kiplings Erzählungen im Jungle Book von 1894/95 handeln vom Waisenkind Mowgli, das allein im indischen Regenwald lebt, aufgezogen von Wölfen.
In der Fantasy-Literatur findet sich das Motiv etwa bei J. R. R. Tolkien in einigen typischen Figuren: Das einsam im Alten Wald lebende Paar Tom Bombadil und Goldbeere, der am Rand des Grünwaldes lebende Gestaltwandler Beorn, der ebenfalls im Grünwald beheimatete Zauberer Radagast der Braune, oder im weiteren Sinne auch die vereinsamten baumgestaltigen Waldhirten der Ents zeigen verschiedene Varietäten des Waldeinsamkeits-Motivs.
In Marlen Haushofers Roman Die Wand von 1963, wird die Protagonistin durch eine unsichtbare Wand in einem Waldgebiet eingesperrt und muss lernen, sich alleine im Wald durchzuschlagen.
Malerei
Sehr früh lässt sich das Motiv der Waldeinsamkeit beim Renaissance-Maler Gillis van Coninxloo ausmachen. In der Malerei vor der Romantik (etwa im Barock, im Rokoko und im Klassizismus) dominierten aber Landschaftsgemälde mit größeren Figurengruppen als Staffage, die meist eher als Reisende oder Ausflügler zu erkennen sind.
Im Naturalismus wurde die Staffage, wie teilweise bereits in der Romantik, ganz weggelassen. Der Betrachter wird direkt in die unberührte Natur der Waldeinsamkeit hineinversetzt. Die drei Schweizer Alexandre Calame, François Diday und Robert Zünd sind Beispiele für diesen neuen Stil. Als Spezialisten für Bilder der Waldeinsamkeit galten Eduard Leonhardi und Fritz Ebel. Julius Mařáks Wald-Darstellungen boten die Grundlage für Scheffels Gedichtzyklus Waldeinsamkeit. Das Motiv stellte später der Maler und Hans Thoma dar.
Ma Lin (1180–1265): Dem Wind in den Kiefern lauschend.
Einige der Gedichte zu diesem Motiv wurden vertont, so etwa Leutholds Waldeinsamkeit durch Robert Cantieni.
Auch das Album Waldeinsamkeit der finnischen Blackmetal-Band Kalmankantaja behandelt das Thema. Der IsländerSvavar Knutur benannte ein 2015 veröffentlichtes Album nach von der Romantik geprägten Germanismen im englischen Sprachraum: Songs Of Weltschmerz, Waldeinsamkeit und Wanderlust.
↑Fairy v. Lilienfeld: Mönchtum II 3.3.2.1. Verweltlichung des Mönchtums, in: Gerhard Müller (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Band 23 Berlin, New York, 1994, S. 170
↑Hans Leibundgut: Der Wald in der Kulturlandschaft. Bedeutung, Funktion und Wirkungen des Waldes auf die Umwelt der Menschen. Bern, Stuttgart 1985. S. 114
↑Ludwig Richter. Der Maler. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2004. Seite 216.
Literatur
Tieck, Ludwig: Der gestiefelte Kater – Märchen aus dem „Phantasus“ . Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008.
Eichendorff, Joseph von: Gedichte. Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1997.
Ludwig Richter. Der Maler. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2004.
Wolf, Norbert: Caspar David Friedrich. Taschen GmbH, Köln 2007.
Hammes, Michael Paul: "Waldeinsamkeit". Eine Motiv- und Stiluntersuchung zur Deutschen Frühromantik, insbesondere zu Ludwig Tieck, Limburg 1933