Der Vater von Théophile de Bordeu hatte als Arzt in Izeste bei Pau in eine niedere Adelsfamilie eingeheiratet. Sein Name war Antoine Seigneur de Jurque de Bordeu (1695–1776) seit dem 30. März des Jahres 1721 mit Adriana Touya de Jurque (1698–1750) verheiratet.[1] Das Paar hatte insgesamt vierzehn Kinder, von denen einige früh starben. Anne (1734–1737), Catherine (1736–1814), François (1735–1781), Jean (1727–1748), Jean (1733–1734), Jean François (1724–1819), Jeanne (1730–1809), Louis (1729–1766), Magdeleine Jeanne Philippe (* 1737), Marie Anita (1726–1797), Marie Esther (1723–1725), Marie Esther (* 1725), Théophile (1722–1776), Ursule de Bordeu (1739–1819).
Dort, in Izeste, wurde auch Théophile geboren. Der Geburtsort liegt im Tal des Gebirgsflusses Aussau (Schreibweise auch: Ossau). Die Abgeschiedenheit der Natur lässt die Vorliebe Bordeus für natürliche Heilweisen verstehen. Er folgte damit jedoch auch einem Trend seiner Zeit, wobei er insbesondere die Anwendung von Bädern befürwortete. Ab 1750 wurde Spa zum Pendant des englischen Badeorts Bath.[2]
Bordeu studierte zunächst in Montpellier Medizin und wurde dort 1743 promoviert. Gemeinsam mit seinem Freund Arnulphe d’Aumont führte Bordeu während der Studienzeit in Montpellier zwischen 1742 und 1744 anatomische Studien in der FreimaurerlogeLa Liberté durch, an deren Gründung beide beteiligt waren. Diese Studien bildeten die Basis seiner vitalistischen Interessen, Doctrine médicale de l'École de Montpellier. Dort geriet er jedoch in Gegensatz zu dem anfänglich rein anatomischen Denken von Herman Boerhaave, das zu dieser Zeit noch überwog. Er hielt sich darauf für kurze Zeit in seiner Heimat in Pau auf, wo er Thermalquellen in den Pyrenäen entdeckte.
Das Verdienst von Bordeu besteht in der Entdeckung der spezifischen Leistungen der Organe und ihrer spezifischen Strukturen. Die spezifischen Organstrukturen wurden für Marie François Xavier Bichat Grundlage für eine histologisch und chemisch-physikalisch ausgerichtete Anatomie, die Frankreich eine Vorherrschaft in der Medizin sicherten. Man kann den vitalistischen Ansatz dieser Forscher daher auch als physiologisches Denken bezeichnen, das über eine rein mechanische Erklärung der Lebensvorgänge hinausgeht.[2] Das Blut betrachtete Bordeu neben dem Nervensystem als einen Weg, über den die Organe gesteuert werden (So erklärte er die Abhängigkeit des Auftretens der Geschlechtsreife bzw. des Ausbleíbens der Keimdrüsenfunktion durch gesteigertes bzw. fehlendes Eindringen von Keimdrüsensekret in den Säftestrom[5] des Blutes[6]). Diese Vorstellung nimmt vorweg, was heute als innere Sekretion und hormonelle Steuerung bezeichnet wird. Daher richtete sich die Aufmerksamkeit von Bordeu u. a. insbesondere auch auf die Drüsen. Ihre Tätigkeit bezeichnete er als „Emanationen“.[7][8] Bordeu hinterließ ein umfangreiches Werk. Darin kamen die seit Georg Ernst Stahl und Albrecht von Haller mit Robert Whytt, Francis Glisson und Luigi Galvani neu gewonnenen Erkenntnisse über das Nervensystem ebenso zum Ausdruck wie die älteren Humoraltheorien (in Form der Drüsentätigkeit) und die naturphilosophisch begründeten Lehren der Krise im Krankenprozess, der kritischen Tage und der Einflüsse von Mond und Gezeiten auf die Befindlichkeit.[2] Er trug jedoch auch zur Überwindung der Lehren des von Stahl geprägten Animismus bei, indem er den Gesichtspunkt vielfacher Organbeteiligung bei psychischen Prozessen nachwies und so die These der metaphysischen Bedingtheit seelischer Prozesse relativierte.[9] Der Animismus, die weitgehend als gültig anerkannte Lehre Stahls, wandelte sich eher zum Psychodynamismus, einer Lehre von den Grundkräften des Organismus und den Teilkräften der Organe, (siehe auch Sympathie).[2] Bordeu verfasste einen Artikel für die Enzyklopädie von Denis Diderot und wird daher zu den Enzyklopädisten gezählt. Einen weiteren Bezug zu Diderot besteht im Auftreten von de Bordeu als fiktionale Figur in dem zu seinen wichtigsten philosophischen Werken zu rechnende Trilogie Le Rêve de d’Alembert (1769).
Die Bedeutung von Bordeu in der Geschichte der Psychiatrie und damit auch der Medizin überhaupt ergibt sich aus der Betonung, die er auf die biologischen Grundlagen der Vernunft und damit auf die Eigengesetzlichkeit aller Organe legte, die keiner absolutistischen Auslegung von Herrschaftsinteressen bedürfen. Insofern entfaltete sich die von Bordeu auch verfolgte enzyklopädische Publikation zu einer nicht nur moralischen, sondern insbesondere politischen Intention im Zeitalter politischen Umbruchs.[2]
In seiner auf Francisco Solano de Luque († 1736) und James Nihell beruhenden Doctrine sur le pouls beschrieb er ausführlich die Methodik und Technik der Pulsuntersuchung.[10]
L’usage des eaux de Barèges et du mercure, pour les écrouelles : ou dissertation sur les tumeurs scrophuleuses, Paris, Debure, 1757
Lettres contenant des essais sur l’histoire des eaux minérales du Béarn sur leur nature, différence, proprieté ; sur les maladies ausquelles elles conviennent, & sur la façon dont on doit s’en servir.
Lettres contenant des essais sur l'histoire des eaux minérales du Béarn et de quelques-unes des provinces voisines, Amsterdam, Poppé libraires, 1746; seconde édition revue et augmentée en 1748.
Nouvelles observations sur le pouls intermittent : qui indique l’usage des purgatifs, Paris, Vincent, 1761
Œuvres complètes précédées d’une notice sur sa vie et sur ses ouvrages, Paris, Caille et Ravier, 1818. Band I (Digitalisat). Band II (Digitalisat)
Précis d’observations sur les eaux de Barèges et les autres eaux minérales du Bigorre et du Béarn, Paris, 1769
Recherches anatomiques sur la position des glandes et sur leur action, Paris, Quillau, 1751
Recherches anatomiques sur les articulations des os de la face, Paris, Imprimerie Royale, 1755
Recherches sur l’histoire de la médecine, 1764, verbesserte Neuauflage: Paris, G. Masson, 1882
Recherches sur le pouls par rapport aux crises contenant les décisions de plusieurs savans médecins sur la doctrine du pouls ; ... on y a joint un dissertation nouvelle sur les sueurs critiques & leurs pouls. Paris 1756; 3. Auflage: P. Fr. Didot le jeune, Paris 1779–1786.
Recherches sur le pouls par rapport aux crises. Didot le jeune, Paris 1772.
Recherches sur le tissu muqueux : ou, L’organe cellulaire, et sur quelques maladies de la poitrine, Paris, Didot le jeune, 1767
Recherches sur le tissu muqueux, ou l’organe cellulaire, et sur quelques maladies de la poitrine, Paris, Didot le jeune, 1790
Recherches sur les maladies chroniques : leurs rapports avec les maladies aiguës, leurs périodes, leur nature, et sur la manière dont on les traite aux eaux minérales de Barèges, et des autres sources de l’Aquitaine, Paris, Gabon : 1775
Recherches sur quelques points d’histoire de la medecine : qui peuvent avoir rapport à l’arrêt de la Grand’ Chambre du Parlement de Paris, concernant l’inoculation, et qui paroissent favorables à la tolérence de cette opération, Liège : [s.n.], 1764
Recherches sur quelques points d’histoire de la médicine qui peuvent avoir rapport à l’arrêt de la grand’ chambre du Parlement de Paris, concernant l’inoculation, et qui paroissent favorables à la tolérence de cette opération.., Paris, Rémont, 1764
Traité de médecine théorique & pratique, Paris, Ruault, 1774
Literatur
Joseph Jaques de Gardane: Eloge historique de M. Théophile de Bordeu. – Paris 1777 (Digitalisat)
Roussel. Eloge historique de M. Théophile de Bordeu. – Paris 1778 (Digitalisat)
Dictionnaire des sciences médicales. Biographie médicale. Tome 2. Paris, Panckoucke, 1820, S. 387–402 (Digitalisat)
Jean Baptiste Isidore Bourdon, Illustres médecins et naturalistes des temps modernes, Paris, Comptoir des Imprimeurs-Unis, 1844.
Max Neuburger. Théophile de Bordeu (1722–1776) als Vorläufer der Lehre von der inneren Sekretion. In: Wiener klinische Wochenschrift 24. Jg. (1911), Nr. 39 (Digitalisat)
Barbara I. Tshisuaka: Bordeu, Théophile de. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 200.
↑ abcdefgKlaus Dörner: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; (a) zu Stw. „Badeleben“; (b) zu Stw. „Lehrer Pinels nach 1773“ Seite 152; (c-d) zu Stw. „Vitalismus der Schule von Montpellier“ Seiten 121 f., 152; (e) zu Stw. „naturphilosophische und insbesondere humoraltheoretische Ansätze“ Seiten 122, 134; (f) zu Stw. „Grundkräfte“ Seite 122; (g) zu Stw. „Enzyklopädische Tätigkeit“ Seite 121
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 30.
↑Otto Westphal, Theodor Wieland, Heinrich Huebschmann: Lebensregler. Von Hormonen, Vitaminen, Fermenten und anderen Wirkstoffen. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1941 (= Frankfurter Bücher. Forschung und Leben. Band 1), insbesondere S. 9–35 (Geschichte der Hormonforschung), hier: S. 10.
↑Théophile de Bordeu: Analyse medicinale du sang. Montpellier 1775.
↑Bodamer, Joachim: Zur Phänomenologie des geschichtlichen Geistes in der Psychiatrie. Nervenarzt 19:303 (1948)
↑Gerhard Rudolph: Leitgedanken der Diagnostik und Semeiotik in der französischen Medizin des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Christa Habrich, Frank Marguth, Jörn Henning Wolf (Hrsg.) unter Mitarbeit von Renate Wittern: Medizinische Diagnostik in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Heinz Goerke zum sechzigsten Geburtstag. München 1978 (= Neue Münchner Beiträge zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften: Medizinhistorische Reihe. Band 7/8), ISBN 3-87239-046-5, S. 269–282, hier: S. 275–276.