Im Nordosten und Südwesten sind die Grenzen des überlieferten „Kulturraums“ Strohgäu nicht klar umrissen. Obwohl es zu den rechts der Enz gelegenen Flächen von Bietigheim und zu den Markungen von Freiberg am Neckar, Ingersheim und Benningen am Neckar keine naturräumliche Grenze gibt, werden diese Lössebenen meist nicht und von Ludwigsburg oft nur die ehemaligen Markungen von Eglosheim und Pflugfelden einbezogen – unter Ausschluss der Markungen von Hoheneck und Oßweil sowie von Neckargröningen und Aldingen. Im Südwesten werden Höfingen und Gebersheim unbestritten hinzugezählt, bei der Leonberger Kernstadt, Eltingen und insbesondere bei Rutesheim scheiden sich wiederum die Geister (siehe Karte).
Aus physisch-geographischer Sicht zählen diese und weitere Orte im Norden hingegen allesamt zum Strohgäu. Folgende naturräumlichen Einheiten des Neckarbeckens (Nr. 123) bilden dessen Kernzone:[4][5]
123.13 Glems-Strudelbach-Platte
123.14 Langes Feld
123.15 Südlicher Strohgäurand
Zur nördlichen Randzone zählen:
123.16 Unteres Enztal (nur östlich Strudelbach, s. o.)[4]
123.18 Südliches Strombergvorland (umstritten, wird meist zum Stromberg gezählt)
Zusammen mit dem Teil des Heckengäus (nördlich der A 8), den das Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands nicht zu den Oberen Gäuen (oder auch Schwarzwald-Randplatten – 150) zählt (vgl. Heckengäu#Naturräumliche Systematik), bildet das Strohgäu also die Einheit 123.1 Südwestliches Neckarbecken.
Grünes Strohgäu
Im Februar 1999 haben sich die Kommunen Asperg, Ditzingen, Gerlingen, Hemmingen, Korntal-Münchingen, Leonberg, Markgröningen, Möglingen, Schwieberdingen und der Landkreis Ludwigsburg zur Arbeitsgemeinschaft „Grünes Strohgäu“ zusammengeschlossen, die sich im Dialog mit dem Bauernverband Heilbronn-Ludwigsburg für Belange des Naturschutzes, der Direktvermarktung und der Naherholung einsetzen will. Die Gemeinde Eberdingen ist im Oktober 2001 beigetreten.
Bisher wurden unter anderem der rund 40 km lange „Glemsmühlenweg“ und der rund 30 km lange „Keltenweg“ eingerichtet.[7] Mit Mostprämierungen sollte der Most wieder in aller Munde gebracht, die Direktvermarktung gefördert und gezeigt werden, „wie wichtig Streuobstwiesen für viele Tier- und Pflanzenarten sind“. Bei Hemmingen wurde ein Amphibientunnel erstellt. In jüngster Zeit war von dem Arbeitskreis nichts mehr zu hören.[8]
Geologie und Klima
Nach geologischen, klimatischen und geomorphologischen Gesichtspunkten sind die in der Karte heller ausgewiesenen Randbereiche ebenso hinzuzuzählen wie die Lössflächen auf Lettenkeuper und Muschelkalk zwischen Enztal und Stromberg, die nördlich bei Erligheim ins Zabergäu übergehen. Zu diesem Randbereich zählen aus naturräumlicher Sicht die Nussdorfer Lössplatte, die südlichen Teile der Vaihinger und der Sersheimer Markung, von Sachsenheim nur die ehemaligen Markungen von Groß- und Kleinsachsenheim sowie Metterzimmern, Löchgau und Teile Besigheims.
Das Plateau des Strohgäus liegt auf einer mittleren Höhe von rund 300 m und ist großteils von Löss bedeckt, der zur Bildung von ertragsstarken Schwarz- und Parabraunerden führte. Die Lössschichten sind besonders auf dem Langen Feld mächtig und nehmen in Richtung der Randzonen ab. Wo darunter Lettenkeuper ansteht, bilden die kleineren Fließgewässer wie der Leudelsbach Talmulden aus; wo der Muschelkalk ansteht, haben Strudelbach, Glems, Enz und Neckar steile und windungsreiche Täler geformt. Als Störer wirkt der 356 Meter hohe Hohenasperg, ein durch Reliefumkehr entstandener Zeugenberg des umliegenden Keuperberglands.
Das Strohgäu zeichnet sich klimatisch durch eine hohe Sonnenscheindauer, hohe Durchschnittstemperaturen und geringe Niederschlagsmengen aus. Die Entwässerung erfolgt über Strudelbach, Glems, Leudelsbach, Metter, Enz und Neckar. Die Glems durchzieht das Strohgäu von Süden nach Norden und teilt es in einen westlichen und östlichen Bereich. Die nicht von Tälern zerschnittene Ebene zwischen Glems- und Neckartal wird auch Langes Feld genannt.
Zusammen mit Hecken-, Korn- und Zabergäu bildet es das baden-württembergische Gäu.
Altsiedelland
Wegen seiner sehr fruchtbaren Lössböden und seiner Klimagunst wurde das Lange Feld bereits in der Jungsteinzeit ackerbaulich genutzt, fast komplett gerodet und im Mittelalter als Paradies auf Erden bezeichnet.[9] Die sonnexponierten steilen Talhänge von Glems, Leudelsbach, Enz, Metter und Neckar wurden wie der Südhang des Aspergs schon früh für den Weinbau kultiviert.
Bis nach der alemannischen Landnahme herrschte Streusiedlung für ortsnahe Bewirtschaftung vor. Bedingt durch politische Faktoren und Seuchen unterlag die Besiedlung ab dem Hochmittelalter einem fortschreitenden Konzentrationsprozess, der zahlreiche Wüstungen zur Folge hatte.
Zentraler Ort war vom frühen Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert die ehemalige Reichsstadt und württembergische AmtsstadtGrüningen (heute Markgröningen), deren Amtsbezirk zeitweise mit der Kernzone des Strohgäus und dem historischen Herrschaftsbezirk des Glemsgaus weitgehend übereinstimmte und deren Kirchensprengel[10] erst die westliche und dann die östliche Hälfte abdeckte. Deshalb wurde die doppeltürmige Bartholomäuskirche in Grüningen als geistliches Zentrum im SpeyrerLandkapitel Grüningen auch als „Strohgäu-Dom“ bezeichnet.
Das Strohgäu hatte von Alters her gute Verkehrsverbindungen. Hier kreuzten sich drei wichtige Fernstraßen, die über weite Strecken bereits seit römischer Zeit bestanden:
Die heutige Bundesstraße 10 führte von Flandern bis ans Schwarze Meer und zweigte bei Augsburg nach Italien ab, erlangte im Spätmittelalter große Bedeutung als Handelsweg und zählte im 16. Jahrhundert zu den ersten Postrouten.
Die heutige Bundesstraße 27 führte als Süd-Nord-Verbindung von der Schweiz nach Heilbronn und darüber hinaus.
Die dritte historische Fernstraße verlief im Remstal entlang des Limes und führte dann von Waiblingen über Markgröningen weiter nach Straßburg.
In jüngerer Zeit kamen die heutige Bundesstraße 295 von Calw über Leonberg nach Stuttgart und im Dritten Reich schließlich die beiden Autobahnen A 8 und A 81 hinzu.
Die 9,3 km lange Städtische Straßenbahn Feuerbach (SSF) war eine Überlandstraßenbahn in Württemberg, die in den Jahren 1926 bis 1933 von Feuerbach über Weilimdorf nach Gerlingen verkehrte. Nach der Übernahme durch die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) am 1. Januar 1934 wurde die Strecke in deren Netz integriert. Heute folgen die Stadtbahnlinien U6, U13 und U16 im oberirdischen Bereich größtenteils dem ehemaligen SSF-Linienverlauf.
Aufgrund seiner fruchtbaren Böden (Parabraunerden aus Löss) und dem milden Klima ist das Strohgäu bekannt für seine ertragreiche Landwirtschaft, insbesondere für Getreide- und Zuckerrübenanbau. Dennoch ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den letzten fünfzig Jahren drastisch zurückgegangen. Zum einen bedingt durch den landwirtschaftlichen Strukturwandel, zum anderen durch die zunehmende Flächenkonkurrenz im Verdichtungsraum Stuttgart. Wegen der unmittelbaren Nähe eines großen Absatzmarktes haben sich auf dem Langen Feld viele Landwirte auf Sonderkulturen bzw. Gemüse- und Obstbau spezialisiert und sich zahlreiche Gärtnereien und Baumschulen niedergelassen.[11] Auffällig ist auch die starke Zunahme von Mais, der nicht nur zur Viehfütterung, sondern zunehmend auch für Biogasanlagen genutzt wird. Auf dem Grünen Heiner bei Korntal-Münchingen und bei Ingersheim wurden weithin sichtbare Windkraftanlagen installiert.
Im Strohgäu haben sich seit der im 19. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung viele Unternehmen angesiedelt. Anfangs war die Textilbranche stark vertreten. Inzwischen wurde diese fast restlos ersetzt – insbesondere von Maschinenbauern und Autozulieferern. Flächenknappheit und steigende Bodenpreise in Stuttgart haben viele Unternehmen zur Verlagerung von Produktionsstätten oder zur kompletten Umsiedlung ins Strohgäu bewogen. Bevorzugte Standorte waren vor allem die in der Nähe der Bundesautobahnen 81 und 8 sowie der Bundesstraßen 10, 27 und 295 gelegenen Gemeinden. Neben der Industrie zog es auch viele Stadtflüchtige ins Strohgäu, die zu wachsenden Pendlerströmen führten. Die hohe Stauhäufigkeit machte die Stuttgarter S-Bahn zu einem bedeutenden Standortfaktor, der auch maßgeblichen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung der angeschlossenen Kommunen hat. So verzeichneten ehemalige „Amtsflecken“ wie Ditzingen oder Tamm seit den siebziger Jahren ein stürmisches Wachstum, während die einstige „Strohgäu-Kapitale“ Markgröningen ohne Bahnanschluss eher stagniert.
Etliche Firmen, Parteien und andere Körperschaften haben die Bezeichnung „Strohgäu“ aus Verbundenheit zur Gegend in ihren Namen aufgenommen.
Das Strohgäu wurde im 16. Jahrhundert protestantisch; die mittelalterlichen Kirchen wurden der neuen Konfession angepasst. Sie gehören heute alle zur Evangelischen Landeskirche Württemberg. Der Großteil der hier ansässigen Katholiken kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Strohgäu. Vielfältig sind auch die zahlreichen anderen Religionsgemeinden, unter anderem die evangelisch-methodistische, die Neuapostolische Kirche und die Freikirchen.
Die Glems war gesäumt von zahlreichen Mühlen. Neben Getreidemühlen wurden zeitweise Lohmühlen, Walkmühlen, Ölmühlen, Hanfreiben, Sägmühlen, eine Hammerschmiede, eine Papiermühle und eine Pulvermühle mit Wasserkraft betrieben. Der ausgeschilderte Glemsmühlen-Radwanderweg führt 40 Kilometer lang durchs Tal. An 19 berührten Mühlen informieren Tafeln über Geschichtliches und das ehedem sehr bedeutsame Müllerhandwerk.
Horst Brunner: Erläuterungen zu Blatt 7120 Stuttgart-NW der Geologischen Karte 1:25.000 von Baden-Württemberg. Hrsg. v. Geologischen Landesamt Baden-Württemberg. 3. neubearb. Aufl., Stuttgart 1992.
Christoph Borcherdt und Klaus Kulinat: Der Mittlere Neckarraum. In: Geographische Landeskunde von Baden-Württemberg (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Band 8), 1. Aufl., S. 256 ff., Stuttgart 1983.
Herbert Fauser, Theo Müller: Heckengäu, Strohgäu, Glemswald. Theiss, Stuttgart 1999, ISBN 3-8062-0871-9 (Wanderführer).
Heinz Fischer: Strohgäu, Langes Feld und Schmidener Feld, die Gäulandschaften am Südrand des Neckarbeckens. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, Nr. 27, 1961, S. 37–62.
Stefan Kriz: Das Strohgäu – eine landeskundliche Skizze. In: Band 2 der Reihe Durch die Stadtbrille, hrsg. v. Arbeitskreis Geschichtsforschung und Denkmalpflege Markgröningen, S. 13–22, Markgröningen 1986.
Oscar Paret: Ludwigsburg und das Land um den Asperg: Ein Heimatbuch für den Bezirk Ludwigsburg. Ludwigsburg 1934.
Karl Eduard Paulus u. a.: Beschreibung des Oberamts Ludwigsburg. Hrsg.: Königlich Statistisch-Topographisches Bureau. Stuttgart 1859. Reprint: Bissinger, Magstadt, ISBN 3-7644-0038-2.
Eugen Schübelin: Durchs Strohgäu. In: Blätter des Schwäbischen Albvereins, Nr. 38, 1926, S. 208–215.
↑Im geographischen Standardwerk Süddeutschland von Robert Gradmann (Stuttgart 1931) heißt es im Abschnitt über das Neckarland: „Innerhalb Württembergs [...] wendet der wissenschaftliche Sprachgebrauch den im Volksmund ziemlich unbestimmten und verschieden angewendeten Ausdruck Unterland seit langem auf das Neckarland in unserem Sinne an und stellt ihn dem Schwarzwald, der Alb und Oberschwaben gegenüber.“
↑Stefan Kriz: Das Strohgäu – eine landeskundliche Skizze, in: Band 2 der Reihe Durch die Stadtbrille, hrsg. v. Arbeitskreis Geschichtsforschung und Denkmalpflege Markgröningen, S. 13–22, Markgröningen 1986
↑ abFriedrich Huttenlocher, Hansjörg Dongus: Geographische Landesaufnahme: Die naturräumlichen Einheiten auf Blatt 170 Stuttgart. Bundesanstalt für Landeskunde, Bad Godesberg 1952, überarbeitet 1967. → Online-Karte (PDF; 4,0 MB)
↑Der Keltenweg verbindet neun keltische Denkmale und führt von Asperg (Kleinaspergle) über Möglingen, Schwieberdingen, Markgröningen, Hochdorf (Keltenmuseum und Grabhügel), Hemmingen, Schöckingen und Hirschlanden nach Ditzingen.
↑Laut Hermann Römer, Markgröningen im Rahmen der Landesgeschichte I., Urgeschichte und Mittelalter, Markgröningen 1933, S. 30, wurde das Lange Feld in der Überlieferung als „Paradies“ bezeichnet.