Ottrau ist die südlichste Gemeinde des Schwalm-Eder-Kreises. Sie liegt in den Südausläufern des Knüllgebirges etwa zehn Kilometer nordöstlich von Alsfeld. Durchflossen wird sie vom südlichen Grenff-Zufluss Otter.
Im Jahr 775 wird Ottrau erstmals als „Otraho“ in jener Urkunde genannt, mit der das Kloster Hersfeld zum Reichskloster erhoben wird. In den folgenden Jahrhunderten ist es als „Ottraha“ für 782 (in einer Fälschung aus dem 11. Jahrhundert), „Oteraha“ 1057, „Ottra“ 1232 und „Ottrauw“ um 1660 belegt.[3]
Kirche
Eine „aecclesia“ ist im Jahr 1057 belegt. Das ursprüngliche Patrozinium der Kirche ist unbekannt. Zur Mitte des 13. Jahrhunderts wechselte die Zentralfunktion, die der Ottrauer Kirche bisher für die Umgebung zugekommen war, nach Neukirchen. Mit der Reformation wurde ein neuer Pfarrbezirk errichtet, dessen Gebiet sich mit dem des Gerichtes Ottrau deckte. Die Pfarrei wird erstmals 1535 genannt, 1569 wurden Görzhain und Berfa als Filialen eingepfarrt. 1607 erfolgte der Wechsel zum reformierten Bekenntnis. 1747 war neben Berfa auch Kleinropperhausen nach Ottrau eingepfarrt. 1837 wurde im Tausch gegen Berfa das seit mindestens 1585 als Pfarrerei bezeichnete Görzhain nach Ottrau eingepfarrt. Heute gehört Ottrau zusammen mit Görzhain und Immichenhain zum evangelischen Kirchenkreis Schwalm-Eder in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
Einwohnerentwicklung
Die älteste Einwohnerzählung überliefert für 1585 45 Hausgesesse. 1750 sind 63 Wohnhäuser mit 350 Einwohnern belegt. 1861 zählte Ottrau 488 evangelisch-reformierte Einwohner, 7 wurden Sekten zugezählt, und 32 Juden. 1961 zählte Ottrau 733 evangelische und 23 römisch-katholische Einwohner.
Gemeindeentwicklung
Ottrau gehörte im 9. Jahrhundert zum Hessengau, ist seit 1343 als Gericht Ottrau belegt und gehörte ab 1585 mit dem Gericht Ottrau zum Amt Neukirchen, von 1807 bis 1813 zum Kanton Oberaula, von 1814 bis 1821 zum Amt Neukirchen, von 1821 bis 1848 und von 1851 bis 1973 zum Landkreis Ziegenhain. Die 1907 aus einer Bahnstation hervorgegangene Siedlung Bahnhof Ottrau liegt etwa 2 km nordöstlich auf der Gemarkung der Kerngemeinde, ist aber kein eigenständiger Ortsteil.
Am 1. April 1972 wurde die Großgemeinde Ottrau im Rahmen der hessischen Gebietsreform durch den Zusammenschluss der sechs bis dahin selbstständigen Gemeinden Ottrau, Görzhain, Immichenhain, Kleinropperhausen, Schorbach und Weißenborn gebildet.[4] Seit dem 1. Januar 1974 gehört Ottrau zum Schwalm-Eder-Kreis.
Nach der hessischen Kommunalverfassung wird der Bürgermeister für eine sechsjährige Amtszeit gewählt, seit dem Jahr 1993 in einer Direktwahl, und ist Vorsitzender des Gemeindevorstands, dem in der Gemeinde Ottrau neben dem Bürgermeister ehrenamtlich ein Erster Beigeordneter und fünf weitere Beigeordnete angehören.[9] Bürgermeister ist seit dem 10. Juli 2021 Jonas Korell (CDU). An diesem Tag fand die Amtseinführung mit Aushändigung der Ernennungsurkunde statt.[10] Der Amtsvorgänger Norbert Miltz hatte während seiner zweiten Amtszeit die Pensionierung beantragt und trat am 30. September 2020 in den Ruhestand. Danach leitete Erster Beigeordneter Burkhard Raatz die Gemeindeverwaltung kommissarisch und die Wahl eines neuen Bürgermeisters musste vorgezogen werden.[11] Jonas Korell erhielt am 14. März 2021 im ersten Wahlgang ohne Gegenkandidaten bei 68,02 Prozent Wahlbeteiligung 77,58 Prozent der Stimmen.[12]
Das Wappen wurde am 9. September 1981 durch das Hessische Ministerium des Innern genehmigt.
Blasonierung: „Unter schwarzem Schildhaupt mit vier goldenen Sternen im silbernen Feld einen schwarzen Fischotter über einem blauen Wellenbalken.“
Wappenbegründung:In Anlehnung an den Namen der Gemeinde wurde ein Fischotter als Wappentier auserkoren, auf die historische Zugehörigkeit zur alten Grafschaft Ziegenhain wird durch das Schildhaupt hingewiesen, das – mit der Vermehrung auf vier Sterne – dem Wappen der Grafschaft Ziegenhain entnommen ist.
Die Gestaltung des Wappens lag in den Händen des Bad Nauheimer Heraldikers Heinz Ritt.
Gemeindepartnerschaften
Die Gemeinde Ottrau unterhält eine Partnerschaft mit dem ungarischen Drávafok.
Die evangelische Kirche steht vermutlich an Stelle eines vor dem Jahr 800 anzunehmenden Bauwerks, von dem keine Spuren bekannt sind. Eine um 1200 entstandene Kirche wurde im Dreißigjährigen Krieg beschädigt und verändert aufgebaut. An einen Chor, der außen fünfseitig, innen aber rund geschlossenen ist, schließt sich ein hälftig unterteiltes Langhaus an, dessen älterer, östlicher Teil im 13. Jahrhundert, dessen neuere, westliche Teile im 15. und 17. Jahrhundert entstanden. Chor und östlicher Langhausteil waren ehemals gewölbt; die einstigen Schlusssteine finden sich als Spolien in West- und Nordfassade vermauert. Die Kanzel ist auf das Jahr 1544 datiert und zeigt neben den Wappen der Adeligen von Rückershausen und Schleyer zu Schiffelbach auch das erfundene Wappen des Bildschnitzers, wozu dieser als Helmzier eine Eule nach einer Vorlage von Albrecht Dürer verwendete.[15] Die heutige Flachdecke stammt aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Kirche liegt in einem fast vollständig ummauerten Kirchhof.
Nördlich der Kirche ist mit dem „Alte Burg“ genannten, spätmittelalterlichen Steinhaus, das heute zu einem Gehöft gehört (Burggasse 12), ein weiteres Zeugnis von Ottraus jahrhundertealter Geschichte erhalten geblieben.
Der Dichter und Schriftsteller Wilhelm Schäfer wurde 1938 anlässlich seines 70. Geburtstages Ehrenbürger. Nach ihm war auch die Grundschule in Ottrau benannt; der Name wurde 2020 wegen seines völkisch-rassischen Gedankenguts aberkannt.[16]
Literatur
Dehio-Handbuch, Hessen I, Berlin/München, 2008, S. 739–740.
Götz J. Pfeiffer: Albrecht Dürer in der Schwalm. Die Kanzel von 1544 in Ottrau, in: Schwälmer Jahrbuch 2022, S. 70–74.
Fritz Volze: Ottrau. Ein kirchliches Zentrum im Mittelalter, in: Jahrbuch des Schwalm-Eder-Kreises, Band 11, 1985, S. 61–64.
Wilhelm Wagner: Geschichte von Ottrau und Kleinropperhausen, Ottrau 1914, Neuauflage, Verlag Waldemar Stumpf, 1984
1200 Jahre Ottrau, Plag-Druck, Schwalmstadt, 1982
Bernd Jäckel: Ortssippenbuch der Gemeinde Ottrau 1830–1934, o. D.