Im sozialistischen Albanien galt die Familie von Lea Ypi aufgrund ihrer bürgerlichen und feudalen Vorfahren – ihr Urgroßvater war der Ministerpräsident Xhafer Ypi – als Klassenfeind und wurde durch die regierende Partei der Arbeit bekämpft. Großeltern und Vater waren politische Häftlinge.
In Durrës, wo sie aufwuchs, besuchte sie nach dem Umbruch die Mittelschule, während ihre Mutter eine nationale Frauenorganisation leitete und ihr Vater zum Direktor des größten Hafens des Landes wurde. 1997 verlor die Familie in Pyramidensystemen ihre ganzen Ersparnisse, der Lotterieaufstand riss die Familie auseinander.[3][4][5]
Ypis Forschungsgebiet sind die Grundlagen der politischen Philosophie wie Demokratie, Rechtstheorien, Fragen der Migration sowie Fragen von Territorialrechten, politische Ideen der Aufklärung (insbesondere Kant), der Marxismus und die Kritische Theorie. Einen weiteren Fokus legt sie auf die Geistesgeschichte des Balkans und dort insbesondere Albaniens.[9]
2021 erschien ihr in englischer Sprache geschriebenes autobiographisches Buch Free: Coming of Age at the End of History (deutsch: Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte), in dem sie über ihre Jugend im sozialistischen Albanien und während der Transformationszeit nach 1991 erzählt. Das Buch wurde gut aufgenommen und kam auf die Shortlist zum Baillie Gifford Prize für Sachbücher[10] und zum Costa Prize für Biographien.[11] 2022 gewann das Buch den Ondaatje Prize der Royal Society of Literature.[12] Die Sunday Times erklärte es zu den Memoiren des Jahres, mehrere andere wichtige Zeitungen und Zeitschriften zum Buch des Jahres.[13] Auf BBC Radio 4 wurde es als Buch der Woche vorgestellt.[14]
„Die aussergewöhnliche Lebensgeschichte hat ihr das Rüstzeug gegeben, zu einer der prominentesten politischen Philosophinnen im englischsprachigen Raum zu werden.“
Im Jahr 2024 wurde das Buch am Theater Bremen unter der Regie von Armin Petras für die Bühne adaptiert. Die Inszenierung konzentrierte sich auf Ypis Kindheit im spätstalinistischen Albanien; die Rolle der jungen Lea Ypi wurde von Sofia Iordanskaya gespielt, die laut Rezensionen die Gratwanderung zwischen kindlicher Naivität, Aufbegehren und Indoktrination durch das stalinistische Schulsystem meisterte.[16] Die Bühnenfassung wurde jedoch auch dafür kritisiert, die Schärfe des Buches abzumildern, indem Schlüsselszenen verkürzt oder verfremdet dargestellt wurden, wie etwa der Streit um eine Cola-Dose, die im Buch als Symbol für den Einfluss des Westens dient.[17]
Schriften
Ypi schreibt regelmäßig Artikel für den Guardian über gesellschaftspolitische Themen.[18]
Global Justice and Avant-Garde Political Agency. Oxford University Press, Oxford 2012, ISBN 978-0-19-879866-8.
“Brought to Life by the Idealists, Preserved by Blind Circumstance, Killed by Politicians”: Dilemmas of Nation-Building in Albanian Political Thought, 1920–1928. In: East Central Europe. Nr.39. Leiden 2012, S.304–330, doi:10.1163/18763308-03903013.
mit Katrin Flikschuh (Hrsg.): Kant and Colonialism: Historical and Critical Perspectives. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-966962-2.
mit Sarah Fine (Hrsg.): Migration in Political Theory: The Ethics of Movement and Membership. Oxford University Press, Oxford 2016, ISBN 978-0-19-884308-5.
The Architectonic of Reason: Purposiveness and Systematic Unity in Kant's Critique of Pure Reason. Oxford University Press, Oxford 2021, ISBN 978-0-19-874852-6.
Die Architektonik der Vernunft. Zweckmäßigkeit und systematische Einheit in Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Suhrkamp, Berlin 2024, ISBN 978-3-518-30038-1 (übersetzt von Antonia Grunert).
↑ abMareen Linnartz: Philosophin Lea Ypi: „Wir sind nicht so frei, wie wir immer glauben“. In: Süddeutsche Zeitung. 21. Mai 2022, S.54 (sueddeutsche.de [abgerufen am 1. Juni 2022]).
↑Lea Ypi. About Me. In: personal.lse.ac.uk. Abgerufen am 12. April 2022 (englisch).
↑Jan-Paul Koopmann: „Frei“ von Lea Ypi am Theater Bremen: Über die Nuancen gebügelt. In: Der Freitag. ISSN0945-2095 (freitag.de [abgerufen am 8. Oktober 2024]).
↑Matthias Meisner: Theateradaption von Lea Ypis Buch „Frei“: Systemkritik ohne Schärfe. In: Die Tageszeitung: taz. 14. Oktober 2024, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Oktober 2024]).