Das Gebiet des Kreises Flatow gehörte ursprünglich zum Kreis Kamin im Netzedistrikt, der durch die erste polnische Teilung 1772 zu Preußen gekommen war.[1] Im Rahmen der preußischen Provinzialbehörden-Verordnung vom 30. April 1815 und ihren Ausführungsbestimmungen kam der Raum um Flatow zum neuen Regierungsbezirk Marienwerder der neuen Provinz Westpreußen. Im Rahmen der Kreisreform im Regierungsbezirk Marienwerder vom 1. April 1818 wurde der Kreis Flatow gegründet. Er setzte sich zusammen aus den fünf Städten Flatow, Kamin, Krojanke, Vandsburg und Zempelburg, dem Amt Kamin sowie 98 adligen Gütern.[2] Sitz des Landratsamtes war die Stadt Flatow.
Vom 3. Dezember 1829 bis zum 1. April 1878 waren Westpreußen und Ostpreußen zur Provinz Preußen vereinigt, die seit dem 1. Juli 1867 zum Norddeutschen Bund und seit dem 1. Januar 1871 zum Deutschen Reich gehörte.
Nach dem Ersten Weltkrieg musste mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags am 10. Januar 1920 der östliche Teil des Kreises Flatow mit den Städten Vandsburg, Zempelburg und Kamin i. Wpr. zum Zweck der Einrichtung des Polnischen Korridors ohne Volksabstimmung an Polen abgetreten werden. Dort lebten 30.516 Menschen, von denen 8.600 Personen Polen waren.[3] Dieser östliche Teil bildete bis zum Überfall auf Polen 1939 den polnischen Powiat Sępoleński.
Am 20. November 1919 wurde der Kreis dem neuen Verwaltungsbezirk Grenzmark Westpreußen-Posen mit Sitz in Schneidemühl unterstellt. Zum 11. Januar 1921 wurde der Verwaltungsbezirk „Grenzmark Westpreußen-Posen“ in „Grenzmark Posen-Westpreußen“ umbenannt. Am 1. Juli 1922 wurde aus dem Verwaltungsbezirk die neue Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen gebildet. Gleichzeitig wurde der Kreis um den nördlichen Zipfel des ehemaligen Kreises Kolmar mit der Gemeinde Schönfeld vergrößert. Deckungsgleich mit der Provinz wurde am 1. August 1922 der neue Regierungsbezirk Schneidemühl gebildet.
Zum 30. September 1929 fand im Kreis Flatow wie im übrigen Freistaat Preußen eine Gebietsreform statt, bei der alle Gutsbezirke bis auf einen aufgelöst und benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden. Im Jahr 1934 kündigte die polnische Staatsregierung den Minderheitenschutzvertrag zwischen den Alliierten und Assoziierten Hauptmächten und Polen von 1919 auf, wovon die deutsche Bevölkerung in demjenigen Teil des Kreisgebiets betroffen war, der 1920 an Polen gefallen war. Am 1. Oktober 1938 wurde der Kreis Flatow nach der Auflösung der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen in die Provinz Pommern eingegliedert. Der Regierungsbezirk Schneidemühl erhielt aus Traditionsgründen die Bezeichnung „Grenzmark Posen-Westpreußen“.
Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 wurde der 1920 abgetretene Teil des Kreisgebiets vom Deutschen Reich annektiert. Im Frühjahr 1945 wurde das Gebiet des Kreises Flatow von der Roten Armee besetzt. Nach Einstellung der Kampfhandlungen wurde das Kreisgebiet 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht der Volksrepublik Polen zur Verwaltung überlassen. Im Kreisgebiet begann danach die Zuwanderung von Polen, die zunächst vorwiegend aus den Gebieten östlich der Curzon-Linie kamen. In der Folgezeit wurde die einheimische deutsche Bevölkerung von der polnischen Administration aus dem Kreis vertrieben.
Bevölkerungsentwicklung
Im Folgenden eine Übersicht nach Einwohnerzahl, Konfessionen und Sprachgruppen:[4][5][6]
Jahr
1821
1831
1852
1861
1871
1890
1900
1910
1925
1933
1939
Einwohner
28.854
36.066
52.761
58.695
63.303
65.156
65.752
69.186
41.241
40.567
39.211
Evangelische Katholiken Juden
14.630 11.842 2.282
19.378 14.063 2.625
30.578 19.076 3.107
34.511 21.205 2.971
37.084 23.511 2.538
37.482 25.584 2.079
37.573 26.450 1.692
38.578 29.364 1.221
26.676 13.585 603
25.973 14.016 449
25.197 13.380 83
deutschsprachig zweisprachig polnischsprachig
22.012 - 14.054
38.139 - 14.622
43.758 - 14.937
47.990 825 16.328
48.081 921 16.738
50.648 1.510 17.021
Der Historiker Joachim Zdrenka zeichnete mit Hilfe umfangreicher statistischer Analysen am Beispiel des Kreises Flatow die Bevölkerungsentwicklung sowie die Verschiebungen zwischen Deutschen und Polen als ethnischen Hauptgruppen bzw. Protestanten, Katholiken und Juden als Religionsgemeinschaften von der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nach. Hiernach fielen von rund 30.000 Angehörigen der Wehrmacht ca. 10.000 Personen, darunter auch Reichsdeutsche polnischer Sprache, allein im Zweiten Weltkrieg. Das entsprach knapp neun Prozent der örtlichen Bevölkerung. In den Konzentrationslagern der Nazis verstarben gleichzeitig aus dem Kreis Flatow 546 namentlich bekannte Juden, 64 namentlich nachgewiesene Roma, 28 namentlich belegte Polen und acht namentlich aufgefundene Deutsche. Von 2960 Personen jüdischer Abstammung, die in den Standesamtsregistern des Kreises Flatow aufgeführt sind, fielen insgesamt zwei Drittel dem Holocaust zum Opfer.[7]
Politik
Landräte
1818–1825: Ferdinand August de l’Homme de Courbière (1786–1825)
1827–1832: Wilhelm Schirmeister
1832–1833: Wilkens
1833–1851: Bernhard Otto Curt von Beneckendorff und von Hindenburg († 1861)
1916–1929: Kurd Janssen (1881–1953) (von 1919 bis 1920 Generalkommissar für die Übergabe der Zivilverwaltung der an Polen abzutretenden Teile des Kreises)
Der Kreis Flatow gliederte sich in Städte, in Landgemeinden und – bis zu deren nahezu vollständiger Auflösung im Jahre 1929 – in selbstständige Gutsbezirke. Mit Einführung des preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes vom 15. Dezember 1933 gab es ab dem 1. Januar 1934 eine einheitliche Kommunalverfassung für alle preußischen Gemeinden. Mit Einführung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 wurde zum 1. April 1935 das Führerprinzip auf Gemeindeebene durchgesetzt. Eine neue Kreisverfassung wurde nicht mehr geschaffen; es galt weiterhin die Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 19. März 1881.
Die Landgemeinden des Kreises waren in den 1930er Jahren in 20 Amtsbezirke gegliedert.[11] Die Städte des Kreises waren amtsfrei.
Adlig Landeck
Battrow
Glumen
Groß Butzig
Grunau
Gursen
Kujan
Kölpin
Lanken
Linde
Lugetal
Petzin
Pottlitz
Radawnitz
Sakollnow
Schwente
Seefelde
Steinau
Stewnitz
Tarnowke
Namensänderungen
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden in mehreren Fällen Ortsnamen als „nicht deutsch“ genug angesehen und erhielten eine lautliche Angleichung oder Übersetzung:
Augustowo → Augustendorf, 1914
Cziskowo → Ziskau, 1912
Dollnik → Wittenburg, 1926
Glubschin → Steinau, 1926
Hüttenbusch → Wilhelmsbruch, 1928
Klukowo → Blankenfelde, 1928
Leßnick → Lessendorf, 1928
Obodowo → Obendorf, 1908
Ossowke → Espenhagen, 1926
Ossowo → Aspenau, 1926
Paruschke → Treuenheide, 1926
Petzewo → Deutsch Fier, 1926
Podrusen → Preußenfeld, 1927
Polnisch Wisniewke → Lugetal, 1913
Skietz → Kietz, 1926
Slawianowo → Steinmark, 1933
Smirdoro bei Flatow → Schmirdau, 1909
Smirdoro bei Krojanke → Schmirtenau, 1909
Wersk → Seedorf, 1926
Zakrzewke → Seemark, 1907
Zakrzewo → Buschdorf, 1935
Patenschaft
Eine Patenschaft für den Heimatkreis Flatow hat der niedersächsische Landkreis Gifhorn übernommen. Unter anderem befindet sich im dortigen Historischen Museum, gelegen im Gifhorner Schloss, eine Flatower Heimatstube mit kleinem Archiv und Büchersammlung.[12] Neue Entwicklungen führten in den letzten Jahren zum Aufbau freundschaftlicher Kontakte Gifhorner Gruppen zu polnischen Partnern in Stadt und Kreis (powiat) Zlotow, den Nachfolgern der früheren deutschen Gebietskörperschaften.
Verkehr
Den Kreis Flatow durchzog seit 1871 die Strecke Schneidemühl – Dirschau der Preußischen Ostbahn >115.0<. Erst 35 Jahre später wurde Flatow zum Ausgangspunkt einer Nebenbahn der Preußischen Staatsbahn nach Vandsburg >115.c<. Es folgte 1914 noch eine weitere Verbindung von der Kreisstadt nach Deutsch Krone mit einer Abzweigung in Wengerz nach Jastrow >115.f+f²<.
Literatur
Königlich Preußisches Statistisches Landesamt: Gemeindelexikon der Regierungsbezirke Allenstein, Danzig, Marienwerder, Posen, Bromberg und Oppeln. Auf Grund der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und anderer amtlicher Quellen. Berlin 1912, Heft III: Regierungsbezirk Marienwerder, S. 18–25, Kreis Flatow.
Gustav Neumann: Geographie des Preußischen Staats. 2. Auflage, Band 2, Berlin 1874, S. 56–57, Ziffer 12 books.google.de
Königliches Statistisches Bureau: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Preussen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 bearbeitet und zusammengestellt. Berlin 1874, S. 490–499.
Emil Jacobson: Topographisch-statistisches Handbuch für den Regierungsbezirk Marienwerder. Danzig 1868, Ortschafts-Verzeichnis, S. 2–17, books.google.de.
Friedrich Wilhelm Ferdinand Schmitt: Der Kreis Flatow. In seinen gesammten Beziehungen. Thorm 1867 (books.google.de).
A. C. A. Friedrich: Historisch-geographische Darstellung Alt- und Neu-Polens. Berlin 1839, S. 616 (books.google.de).
Otto Goerke: Der Kreis Flatow. In geographischer, naturkundlicher und geschichtlicher Beziehung dargestellt. Lach & Co, Flatow 1918. Hrsg. vom Kreisausschuss des Kreises Flatow. (urn:nbn:de:gbv:9-g-5187729). 2. Aufl., Gifhorn 1981, mit einem Nachtrag über die Zeit von 1918 bis 1945 von Manfred Vollack.
Joh. Heise: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Westpreußen, Band I: Pommerellen mit Ausnahme der Stadt Danzig, Danzig 1881–87, S. 411–430 (books.google.de)
Heimatbuch für den Kreis Flatow – Grenzmark Posen-Westpreußen – Provinz Pommern. Herausgegeben vom Heimatkreisausschuss für den Kreis Flatow mit Unterstützung des Patenschaftskreises Gifhorn. Druck: Karl Neef oHG (Wittingen), Gifhorn 1971.
Joachim Zdrenka: Mieszkancy Ziemi Złotowskiej polegli w II wojnie światowej 1939–1945. Die Gefallenen des Kreises Flatow im Zweiten Weltkrieg 1939–1945. In: Biblioteka Muzeum Ziemi Złotowskiej 8. Złotów 2011.
Joachim Zdrenka: Ofiary obozów koncentracyjnych z powiatu złotowskiego. KZ-Opfer aus dem Kreis Flatow. In: Biblioteka Muzeum Ziemi Złotowskiej 9. Złotów 2012.
Joachim Zdrenka: Żydzi powiatu złotowskiego (1859–)1874–1945. Juden des Kreises Flatow (1859–)1874–1945. In: Biblioteka Muzeum Ziemi Złotowskiej 10. Złotów 2013.
Joachim Zdrenka: Cmentarz Wojenny w Złotowie. Historia i fakty. In: Biblioteka Muzeum Ziemi Złotowskiej 11. Zielona Góra, Złotów 2014.
Mathias Niendorf: Minderheiten an der Grenze: Deutsche und Polen in den Kreisen Flatow (Złotów) und Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) 1900–1939. Harrassowitz, Wiesbaden 1997 (eingeschränkte Vorschau)
Weblinks
Landkreis Flatow Verwaltungsgeschichte und die Landräte auf der Website territorial.de (Rolf Jehke), Stand 9. August 2013.
↑Friedrich Herzberg: Kurzer Abriss der Geographie der Königlich-Preussischen Staaten. Verlag der Buchhandlung der Königlichen Realschule, Berlin 1790, S.93 (Digitalisat).
↑Wolfgang Bahr: Kurze Geschichte des Flatower Landes. In: Heimatbuch für den Kreis Flatow – Grenzmark Posen-Westpreußen – Provinz Pommern. Herausgegeben vom Heimatkreisausschuss für den Kreis Flatow mit Unterstützung des Patenschaftskreises Gifhorn. Druck: Karl Neef oHG (Wittingen), Gifhorn 1971, S. 37–42.
↑Leszek Belzyt: Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815–1914. Marburg 1998. S. 105.
↑Der Große Brockhaus. 15. Auflage, Sechzehnter Band, Leipzig 1933, S. 745.
↑ abMichael Rademacher: Flatow. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Mathias Niendorf: Minderheiten an der Grenze. Deutsche und Polen in den Kreisen Flatow (Złotów) und Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) 1900–1939. S. 91; (eingeschränkte Vorschau bei Google Book Search).