Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C
Kohlenstoffdisulfid (TrivialnameSchwefelkohlenstoff, Summenformel CS2) ist ein Sulfid des Kohlenstoffs. Es handelt sich hierbei um eine farblose, stark lichtbrechende, entzündliche, giftige Flüssigkeit, die in reiner Form eigentlich etherartig aromatisch riecht, aufgrund von Verunreinigungen jedoch einen fauligen Geruch besitzt, der Schwefelwasserstoff ähnelt.[8] Die Struktur des Moleküls ist analog zu Kohlenstoffdioxid, nur dass hier zwei Schwefelatome anstatt zwei Sauerstoffatome an das Kohlenstoffatom gebunden sind. Kohlenstoffdisulfid wird hauptsächlich als Lösungsmittel verwendet, ansonsten findet es noch Anwendung in der Infrarotspektroskopie sowie bei der Herstellung anderer Stoffe wie Tetrachlormethan oder Thioharnstoff.[8] Kohlenstoffdisulfid verbrennt mit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid und Schwefeldioxid. Es kann durch die reinen Elementen Kohlenstoff und Schwefel erzeugt werden, heutzutage ist die Herstellung aus Methan und Schwefel allerdings prominenter.
Kohlenstoffdisulfid wurde 1796 von Wilhelm August Lampadius als Alcool sulfuris bei der Umsetzung von Schwefelkies mit Kohle entdeckt.[9] Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gab es mehrere erfolglose Versuche, Kohlenstoffdisulfid als Arbeitsflüssigkeit für Dampfmaschinen einzusetzen.[10] Schwefelkohlenstoff wurde auf Grund seiner hohen Toxizität auch zur Vernichtung von Ratten[11] und Wühlmäusen[12] eingesetzt. Die toxische Wirkung wurde 1866 beschrieben.[13]
Wegen seiner guten Lösungsmitteleigenschaften wurde Schwefelkohlenstoff z. B. als Lösemittel für weißen Phosphor in Phosphorbomben oder bei der Vulkanisation von Kautschuk nach dem Kaltvulkanisationsverfahren verwendet. Dieses Verfahren wurde jedoch durch die Heißvulkanisation verdrängt.[14]
Hauptanwendungsgebiet ist jedoch die Herstellung von Viskosefasern und Thiocarbamaten.
Die Bodeninjektion mit Schwefelkohlenstoff war eine wirksame, arbeitsaufwendige und teure Methode zur Bekämpfung der Reblaus. Man brachte den flüssigen, leicht verdunstenden, giftigen Schwefelkohlenstoff mit Handinjektoren in den Hauptwurzelbereich von befallenen Rebstöcken. Durch die Veredlung der Edelsorte mit einer widerstandsfähigen Unterlagsrebe wurde diese Möglichkeit überflüssig und ist seit 1997 verboten.[1]
Gewinnung und Darstellung
Kohlenstoffdisulfid besitzt eine positive Standardbildungsenthalpie (für flüssiges CS2: ΔHf = +89,7 kJ/mol), die Synthese aus den Elementen ist damit eine endotherme Reaktion. Beim Zerfall in die Elemente Schwefel und Kohlenstoff kann die Verbindung den entsprechenden Energiebetrag wieder abgeben. Der Zerfall erfolgt jedoch nicht spontan, da es sich um eine metastabile Verbindung handelt.
Die Synthese aus den Elementen erfolgte bis in die 1950er Jahre unter Luftausschluss durch Überleitung von Schwefeldämpfen über glühende Holzkohle bei 800–1000 °C.[14]
Heutzutage wird Kohlenstoffdisulfid aus meist ungereinigtem Erdgas (oder anderen Quellen für Alkane wie z. B. Methan) und Schwefel bei 600 °C in Gegenwart von Katalysatoren synthetisiert. Bei dieser Reaktion entsteht außerdem Schwefelwasserstoff, der industriell weiterverarbeitet wird.[15]
Oftmals entsteht Schwefelkohlenstoff auch auf natürliche Art und Weise, zum Beispiel bei Fäulnisprozessen oder bei geologischen Prozessen.[16] Global gesehen hat Kohlenstoffdisulfid jedoch nur einen geringen Anteil an der gesamten Schwefelemission in die Atmosphäre.[17]
Eigenschaften
Physikalische Eigenschaften
Kohlenstoffdisulfid ist eine farblose, stark lichtbrechende Flüssigkeit. In reinem Zustand riecht Schwefelkohlenstoff angenehm wie Ether; durch Verunreinigungen ist dieser etherische Geruch meist nicht mehr wahrnehmbar. Meist sind geringe Mengen von anderen Schwefelverbindungen die Ursache für einen teilweise widerlichen Geruch.[18]
Die Verbindung siedet unter Normaldruck bei 46,2 °C.[19][20] Die Dampfdruckfunktion ergibt sich nach Antoine entsprechend log10(P) = A−(B/(T+C)) (P in bar, T in K) mit A = 4,06683, B = 1168,62 und C = −31,616 im Temperaturbereich von 277 bis 353 K.[21] Die Verdampfungsenthalpie am Siedepunkt beträgt 26,7 kJ·mol−1.[22][21] Die Temperaturabhängigkeit der Verdampfungsenthalpie lässt sich entsprechend der Gleichung ΔVH0=Aexp(−βTr)(1−Tr)β (ΔVH0 in kJ/mol, Tr =(T/Tc) reduzierte Temperatur) mit A = 37,07 kJ/mol, β = 0,2264 und Tc = 552 K im Temperaturbereich zwischen 282 K und 319 K beschreiben.[22]
Kohlenstoffdisulfid ist mit Wasser nur sehr begrenzt mischbar. Mit zunehmender Temperatur ändern sich die Löslichkeiten von Kohlenstoffdisulfid in Wasser und von Wasser in Kohlenstoffdisulfid nur geringfügig.[20]
Löslichkeiten zwischen Kohlenstoffdisulfid und Wasser[20]
CS2 verbrennt mit einer sehr niedrigen Temperatur (Flammentemperatur unter 200 °C) zu Kohlendioxid und Schwefeldioxid.
Die Verbindung reagiert mit Alkalilaugen, Sulfiden, Alkoholen, Ammoniak und Aminen sowie Chlor. Mit wässriger Alkalilauge werden die entsprechenden Trithiocarbonate und Carbonate gebildet.
Die Trithiocarbonate können auch durch die Umsetzung mit Alkalisulfiden erhalten werden.
Die Umsetzung mit Alkoholaten führt zu Xanthaten bzw. Dithiocarbonaten.
Mit primären und sekundären Aminen werden die entsprechenden Dithiocarbamatsalze gebildet, wobei in Gegenwart von Alkalilauge die Alkalisalze erhalten werden.
Die Chlorierung kann verschiedene Chlorierungsprodukte, wie Tetrachlorkohlenstoff, Dischwefeldichlorid und Thiophosgen ergeben. Im Temperaturbereich zwischen 5 °C und 30 °C bildet sich mit guter Ausbeute in Abwesenheit einer Eisenkatalyse Trichlormethansulfenylchlorid.
Bei Temperaturen zwischen 70 °C und 100 °C und katalytisch wirkenden Eisensalzen wird Tetrachlorkohlenstoff zum Hauptprodukt. Primär gebildetes Dischwefeldichlorid reagiert mit Kohlenstoffdisulfid weiter zu Tetrachlorkohlenstoff und Schwefel.[20]
Kohlenstoffdisulfid bildet leicht entzündliche Dampf-Luft-Gemische. Die Verbindung hat einen Flammpunkt unterhalb von −20 °C. Der Explosionsbereich liegt zwischen 0,6 Vol.‑% (19 g/m3) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 60,0 Vol.‑% (1900 g/m3) als obere Explosionsgrenze (OEG).[2][25] Der maximale Explosionsdruck beträgt 8,7 bar und die Sauerstoffgrenzkonzentration 4,6 Vol.‑%.[25] Die Grenzspaltweite wurde mit 0,37 mm bestimmt.[25] Es resultiert damit eine Zuordnung in die Explosionsgruppe IIC.[2][25] Mit einer Mindestzündenergie von 0,009 mJ sind Dampf-Luft-Gemische extrem zündfähig.[2] Die Zündtemperatur beträgt 95 °C.[25] Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T6 und ist der einzige, bisher bekannte Vertreter in dieser Temperaturklasse.
Toxikologie
Da Schwefelkohlenstoff gut fettlöslich ist, wird es über Lunge und Haut leicht aufgenommen. Eine längere Exposition führt zu Vergiftungserscheinungen: Die akute Schwefelkohlenstoffvergiftung äußert sich in Gesichtsrötung, euphorischen Erregungszuständen, dann Bewusstlosigkeit, Koma und Atemlähmung; die chronische Schwefelkohlenstoffvergiftung durch wiederholtes längeres Einatmen äußert sich in Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Gedächtnis-, Seh- und Hörstörungen, Nervenentzündungen sowie Gefäßschäden im Herzen und Gehirn.[26][27]
Verwendung und Reaktionen
Schwefelkohlenstoff wird in großen Mengen zur Herstellung von Cellulosefasern aus Zellstoff eingesetzt, wobei der Zellstoff zuerst mit Natronlauge zu Alkalicellulose umgesetzt und diese nach dem oxidativen Abbau mit Schwefelkohlenstoff zu dem in Natronlauge löslichen Xanthogenat verarbeitet wird. Die so entstandene Celluloselösung, auch Viskose genannt, wird in schwefelsauren Spinnbädern zu Regeneratcellulose versponnen.[28][29][30]
Spuren von Schwefelkohlenstoff (ca. 1 mg/l) werden dem Elektrolytbad bei der galvanischenSilberabscheidung als Glanzbildner hinzugegeben. Es verursacht einen sofortigen, vorübergehenden Abfall der kathodischen Polarisation. Dadurch ist es möglich, nahezu spiegelglänzende Silberschichten abzuscheiden.[36] Diese Wirkung als sogenannter Glanzbildner ist bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt.[37]
Kohlenstoffdisulfid hat den gleichen Brechungsindex wie Glas, daher ist in Kohlenstoffdisulfid eingetauchtes Glas praktisch unsichtbar. Dies wird beispielsweise zum Erkennen von gefälschten Diamanten verwendet. Echte Diamanten bleiben, anders als Glas, auch beim Eintauchen gut sichtbar. Es kann auch zur Synthese von künstlichen Diamanten eingesetzt werden.[38]
Dieser Komplex wird auch zum Nachweis von Dämpfen mittels Prüfröhrchen genutzt.[1]
Andere Nachweisverfahren, wie die Bildung von roten Kristallen durch Reaktion mit Triethylphosphin, sind ebenfalls bekannt.[40]
In Abgasen und in der Luft
Kohlenstoffdisulfid-Emissionen können mit einem iodometrischenTitrationsverfahren ermittelt werden, bei dem ein Teilstrom des zu beprobenden Abgases zunächst durch eine Cadmiumacetat-Lösung geleitet wird, um etwaigen Schwefelwasserstoff zu absorbieren. Die Bindung des Kohlenstoffdisulfids erfolgt in ethanolischer Kalilauge. Das so gewonnene Kaliumethylxanthogenat wird im Anschluss mit einer eingestellten Iodlösung titriert.[41] Dieses Verfahren wird erfolgreich in der Viskose verarbeitenden Industrie angewendet.
Kohlenstoffdisulfid wurde 2012 von der EU gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) im Rahmen der Stoffbewertung in den fortlaufenden Aktionsplan der Gemeinschaft (CoRAP) aufgenommen. Hierbei werden die Auswirkungen des Stoffs auf die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt neu bewertet und ggf. Folgemaßnahmen eingeleitet. Ursächlich für die Aufnahme von Kohlenstoffdisulfid waren die Besorgnisse bezüglich der Einstufung als CMR-Stoff, Umweltexposition, Exposition von Arbeitnehmern und hoher (aggregierter) Tonnage sowie als potentieller endokriner Disruptor. Die Neubewertung fand ab 2013 statt und wurde von Frankreich durchgeführt. Anschließend wurde ein Abschlussbericht veröffentlicht.[43][44]
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