Jan Philipp Reemtsma![]() Jan Philipp Reemtsma (* 26. November 1952 in Bonn) ist ein deutscher Literatur- und Sozialwissenschaftler, Publizist und Mäzen. Er ist der Gründer und war bis 2015 Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 1996 wurde Reemtsma entführt und erst nach einer Zahlung von etwa 30 Millionen DM Lösegeld wieder freigelassen. Leben und Wirken![]() Jan Philipp Reemtsma stammt aus der Familie Reemtsma und ist der Sohn des Zigarettenfabrikanten Philipp Fürchtegott Reemtsma und dessen zweiter Ehefrau Gertrud, geb. Zülch (1916–1996), einer Tochter des früheren Oberbürgermeisters von Allenstein, Georg Zülch. Er wuchs im Hamburger Stadtteil Blankenese auf und besuchte das Gymnasium Christianeum in Othmarschen. Nach dem Abitur studierte Reemtsma Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Hamburg. Dort wurde er 1993 zum Dr. phil. promoviert.[1] In seiner Dissertation „Das Buch vom Ich“ befasste er sich mit Christoph Martin Wielands Briefroman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen.[2] Nach Vollendung des 26. Lebensjahres durfte Reemtsma laut Testament seines Vaters über sein Erbe verfügen. Seine Anteile an den Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH verkaufte er 1980 an Tchibo; seither hat er keine Verbindungen mehr zur Firma. Mit einem Vermögen von 700 Millionen Euro zählt ihn das Manager Magazin zu den 150 reichsten Deutschen. Reemtsma widmet sich persönlich der Literatur und Wissenschaft und ist ein Mäzen für kulturelle, wissenschaftliche und politische Initiativen. EntführungAm 25. März 1996[3] wurde Reemtsma Opfer einer Entführung, an der vier Männer beteiligt waren. Gegen Zahlung von 30 Millionen DM Lösegeld ließen sie ihn am 26. April frei. Seine Verschleppung, Gefangenschaft und Befreiung schildert und reflektiert er in einem Buch mit dem Titel Im Keller, erschienen 1997. Von ihm beauftragte Ermittler halfen entscheidend dabei, den Drahtzieher der Entführung in Südamerika ausfindig zu machen und so der deutschen Strafjustiz zuzuführen.[4] Auch die drei Mittäter wurden gestellt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Arno SchmidtUm dem herzkranken Dichter Arno Schmidt Unabhängigkeit zu gewährleisten, bot Reemtsma ihm 1977 den damaligen Wert eines Nobelpreises in Höhe von 350.000 DM als Unterstützung an. Zwei Jahre nach dessen Tod ermöglichte er 1981 die Gründung der „Arno Schmidt Stiftung“, deren alleiniger Vorstand er seit 1983 ist. Er ist zudem Mitherausgeber der „Bargfelder Ausgabe“ des Gesamtwerks von Arno Schmidt und liest in öffentlichen Lesungen daraus. Hamburger Institut für Sozialforschung1984 gründete er das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS), das er von 1990 bis 2015 leitete. Dieses Institut hat etwa 60 Mitarbeiter, gibt die Zeitschrift Mittelweg 36 heraus und finanziert sich aus dem Stiftungsvermögen. In der breiten Öffentlichkeit wurde es nicht zuletzt durch zwei kontrovers diskutierte Wehrmachtsausstellungen bekannt, welche die Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion und auf dem Balkan zum Gegenstand hatten. Der polnische Historiker Bogdan Musiał und der ungarische Historiker Krisztián Ungváry wiesen Fehler bei der Zuordnung mehrerer Fotos nach, die bei der ersten Wehrmachtsausstellung (1995–1999) zu sehen waren. Das Institut kam durch gegen Musiał und andere angestrengte Prozesse in den Verdacht, Kritiker mundtot machen zu wollen.[5] Die Ausstellung wurde nach dem Nachweis, dass etwa 20 der mehr als 1400 Fotos nicht Verbrechen der Wehrmacht, sondern Opfer anderer zeigten, im November 1999 zurückgezogen und neu konzipiert.[6] Die zweite Wehrmachtsausstellung fand in den Jahren 2001 bis 2004 statt. 2006 erschien Michael Verhoevens Dokumentarfilm Der unbekannte Soldat über die Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung.[7] Mitte Januar 2024 wurde bekanntgegeben, dass das Institut 2028 geschlossen wird.[8] Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur1984 gründete Reemtsma die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und förderte als ihr Vorstand zahlreiche Editionen, unter anderem von Theodor W. Adorno, Jean Améry und Walter Benjamin. Auch Forschungsvorhaben wurden von der Stiftung finanziert, so die Erarbeitung des Film-Kurier Index durch CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung und Stiftung Deutsche Kinemathek. Christoph Martin WielandAls Mitherausgeber zahlreicher Werkausgaben Christoph Martin Wielands war Reemtsma maßgeblich an der Wiederherstellung von Wielands bei Weimar gelegenem und lange vernachlässigtem Gut Oßmannstedt beteiligt, das am 25. Juni 2005 als Museum und Forschungsdomizil neu eröffnet wurde. Anlässlich von Wielands 275. Geburtstag am 5. September 2008 ermöglichte Reemtsma die durch den Kölner Künstler Cornel Wachter initiierte Uraufführung des Stabat mater von Giovanni Battista Pergolesi in der deutschen Fassung, die Wieland 1781 schuf. Im März 2023 veröffentlichte Reemtsma seine umfassende Wieland-Biographie. Hierfür erhielt er im gleichen Monat eine Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch und Essayistik.[9] Weiteres Mäzenatentum1986 trug er mit zur Finanzierung der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte bei, die auf Initiative des einstigen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi gegründet wurde. Jan Philipp Reemtsma gehört zum Stiftungsrat[10] der internationalen gemeinnützigen Stiftung Luwian Studies, deren Zweck „die Erforschung des zweiten Jahrtausends vor Christus im Westen Kleinasiens sowie die Verbreitung des Wissens darüber“ ist.[11] Im Mai 2016 trat die Stiftung mit einer Website an die Öffentlichkeit. Gleichzeitig erschien Eberhard Zanggers Buch The Luwian Civilization – The Missing Link in the Aegean Bronze Age.[12] ProfessurenReemtsma ist seit 1997 Honorarprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Hamburg.[13] Im Jahr 1999 hatte er die Mercator-Professur an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg (heute: Universität Duisburg-Essen) inne. 2009 war Reemtsma als Gast an der Friedrich-Schiller-Universität Jena tätig (Schiller-Professur 2009).[14] Weitere LebensstationenFür Jürgen Habermas hielt Reemtsma 2001 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die Laudatio, desgleichen am 25. Oktober 2003 die Laudatio für Alexander Kluge anlässlich der Darmstädter Verleihung des Georg-Büchner-Preises. Von 2003 bis 2006 war er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt und von 2013 bis 2016 Mitglied im Wissenschaftsrat. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Von 2012 bis Ende 2015 war er als Honorarkonsul der Republik Slowenien für Hamburg und Schleswig-Holstein tätig. PrivatesReemtsma ist mit der Psychoanalytikerin Ann Kathrin Scheerer verheiratet, ihr gemeinsamer Sohn ist der Musiker und Musikproduzent Johann Scheerer[15], der die Entführung seines Vaters in zwei Büchern verarbeitete.[16] Wir sind dann wohl die Angehörigen. Die Geschichte einer Entführung aus dem Jahr 2018 wurde von Hans-Christian Schmid verfilmt. In dem gleichnamigen Film, der am 3. November 2022 ins Kino kam, wird Reemtsma von Philipp Hauß gespielt. ArchivIm November 2017 übergab Jan Philipp Reemtsma sein literarisches und wissenschaftliches Archiv dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Es enthält neben Korrespondenzen mit zeitgenössischen Schriftstellern und Gelehrten, etwa Hans Magnus Enzensberger und Marcel Reich-Ranicki, auch Vorarbeiten zu Publikationen und Dokumente zu von ihm unterstützten wissenschaftlichen, künstlerischen und sozialen Projekten, Verlagen und Zeitschriften. Der Bestand wird über mehrere Jahre schrittweise nach Marbach überführt und erschlossen.[17] Auszeichnungen
Nach hanseatischer Tradition lehnte Reemtsma die Annahme des ihm angetragenen Bundesverdienstkreuzes ab. Werke
Artikel in Zeitungen
Herausgeberschaften
Hörbuchaufnahmen von Werken Arno Schmidts
Hörspiele
Literatur
WeblinksCommons: Jan Philipp Reemtsma – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Jan Philipp Reemtsma – Zitate
Einzelnachweise
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