Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C
Großtechnisch wird Dichlormethan in einer radikalischen Substitution durch direkte Reaktion von Methan oder Chlormethan mit Chlor bei einer Temperatur von 400–500 °C hergestellt. Bei dieser Temperatur findet eine schrittweise radikalische Substitution bis hin zu Tetrachlormethan statt:
Das Ergebnis des Prozesses ist eine Mischung der vier Chlormethane, die durch Destillation getrennt werden können.
Dichlormethan kann durch Rückflusskochen über Phosphorpentoxid (oder Phosphorpentoxid-haltigen Trocknungsmitteln) und anschließende Destillation getrocknet werden. Die Aufbewahrung von getrocknetem Dichlormethan erfolgt über ein Molekularsieb 3 Å = 0,3 nm.
Eigenschaften
Physikalische Eigenschaften
Dichlormethan ist eine farblose, nur schwer brennbare Flüssigkeit mit einem Schmelzpunkt von −96,7 °C. Der Siedepunkt bei Normaldruck liegt bei 39,8 °C. Die Verdampfungsenthalpie beträgt 28,82 kJ/mol.[10] Die Dampfdruckfunktion ergibt sich nach Antoine entsprechend log10(P) = A−(B/(T+C)) (P in bar, T in K) mit A = 4,53691, B = 1327,016 und C = −20,474 im Temperaturbereich von 233 bis 313 K.[11] Es riecht süßlich, ähnlich dem Chloroform. Die Mischbarkeit mit Wasser ist begrenzt. Mit steigender Temperatur sinkt die Löslichkeit von Dichlormethan in Wasser bzw. steigt die Löslichkeit von Wasser in Dichlormethan.[12]
Löslichkeiten zwischen Dichlormethan und Wasser[12]
In der laborchemischen Synthese ist Dichlormethan eines der gängigsten Lösungsmittel bei Reaktionen und Extraktionen und wird oft als Ersatz für das teurere und bereits an Luft und Licht zu Phosgenbildung neigende Chloroform genommen.
Im Modellbau (z. B. Architektur) wird es aufgrund seiner Fähigkeit, Acrylglas transparent und schnell zu verbinden, ohne die Finger zu verkleben, häufig als Klebstoff eingesetzt. Auch für Polystyrol kommt es im Modellbau zur Anwendung.
Aufgrund seines niedrigen Siedepunkts kann Dichlormethan in Wärmekraftmaschinen eingesetzt werden, um aus geringen Temperaturunterschieden Bewegungsenergie zu erzeugen. Ein Beispiel ist der Trinkvogel.
Dichlormethan-d2
Vollständig deuteriertes Dichlormethan (Dichlormethan-d2) – in dem beide Wasserstoffatome durch Deuterium ausgetauscht sind – wird als Lösungsmittel in der NMR-Spektroskopie benutzt.
Bei Aufnahme von flüssigem Dichlormethan – auch über die Haut – treten Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Gefühlslosigkeit, Reizungen der Atemwege und Augen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche und Ermüdung bis hin zu narkoseähnlichen Zuständen und Asphyxie auf.
Die Inhalation kann zur Schädigung des Sehnervs führen[22] und Hepatitis auslösen.[23] Längerer Hautkontakt führt zur Auflösung des Fettgewebes in der Haut und verursacht Juckreiz sowie Verätzung.[24]
Die Dämpfe sind schwerer als Luft. Bei der Verbrennung von Dichlormethan kann das gasförmige, hochgiftige Phosgen entstehen. In Wasser gelöst schädigt es Kleinorganismen wie Daphnien.
Bei bestehenden Herzproblemen können Herzrhythmusstörungen und Herzinfarkte ausgelöst werden.[27]
Beim Umgang mit Dichlormethan sollte Schutzkleidung einschließlich Handschuhen getragen werden. Latex- oder Nitrilhandschuhe sind nicht ausreichend. Stattdessen sollten Handschuhe aus Viton oder PVA verwendet werden. Butylhandschuhe sollten jedoch nur als Spritzschutz eingesetzt werden, da die Durchbruchzeit bei 8 Minuten liegt. Geeignete Handschuhe sollten nach der EN 374 geprüft sein.[29] Die Lagerung dieser Verbindung sollte in einem Temperaturbereich von 15 bis 25 °C erfolgen. Dichlormethan darf keinesfalls mit metallischem Natrium oder anderen Alkalimetallen in Kontakt kommen, weil dies zu Explosionen führen kann.[2]
Rechtliche Situation
Farbabbeizer
Abbeizmittel, die Dichlormethan zu 0,1 % Gewichtsanteil oder mehr enthalten, wurden durch Beschluss[30] des Europäischen Parlamentes vom 6. Mai 2009 in die Liste der beschränkten Chemikalien der EU, also in Anhang XVII der REACH-Verordnung aufgenommen. Dem war die Richtlinie 76/769/EWG zur Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Regeln für Gefahrstoffe vorausgegangen; so in Deutschland die von 2006 bis 2013 geltenden Technischen Regeln „Ersatzstoffe, Ersatzverfahren und Verwendungsbeschränkungen für dichlormethanhaltige Abbeizmittel“[31].
Verboten ist somit
das Inverkehrbringen an private oder gewerbliche Verwender nach dem 6. Dezember 2011 und
die Verwendung durch gewerbliche Nutzer nach dem 6. Juni 2012,
sofern die gewerblichen Verwender (und ihr Personal) die Abbeizarbeiten nicht innerhalb einer Industrieanlage durchführen. Unter strengen Voraussetzungen wie Sachkundenachweis und Lüftungssystemen gestattete das EU-Recht nationale Ausnahmeregelungen.
Seit 6. Dezember 2012 müssen diese Abbeizer zudem mit unverwischbarer Aufschrift gekennzeichnet sein „Nur für industrielle Verwendung und für gewerbliche Verwender, die über eine Zulassung...“[32]
Verbotsgründe
Die Regulierung dient vor allem dem Arbeitsschutz.
Durch seinen niedrigen Siedepunkt und die hohe Dichte des Gases kann sich Dichlormethan in Bodennähe als narkotisierend wirkendes Gas anreichern, das vom ohnmächtigen Verwender eingeatmet im menschlichen Körper zu Kohlenmonoxid abgebaut wird und zum Erstickungstod führen kann[33]. Auf diese Weise kamen nach Angaben der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) in Europa 30 Menschen durch dichlormethanhaltige Abbeizer ums Leben.
Ein wirksamer Atemschutz kann nur durch umgebungsluftunabhängige Atemschutzgeräte erreicht werden, die in privatem Bereich nicht und bei gewerblicher Abbeizarbeit bloß selten zum Einsatz kommen.
Bei Messungen wurde unter schlechten Bedingungen im Freien eine fünffache, in Räumen sogar eine zehnfache Überschreitung gesetzlicher Grenzwerte festgestellt.
Dichlormethan steht zudem unter Verdacht, das Erbgut zu schädigen und Krebs auszulösen.
Kritik
Bei Verwendung von Dichlormethan-freien Abbeizern muss der Arbeitsablauf angepasst werden. Sie wirken oft langsamer und nicht universell, problematisch insbesondere auf Zweikomponenten- oder Kunstharzlacke.[34] Die Wahl der Alternative richtet sich nach der Art des Lackes. Ersatzstoffe enthalten manchmal selbst bedenkliche Lösungsmittel wie N-Methyl-2-pyrrolidon.[35]
Mittel zur Entkoffeinierung von Kaffee
Oft wird aus Kostengründen Dichlormethan als Extraktionsmittel bei Kaffee verwendet.[36][37] Als Verarbeitungshilfsstoff ist es ist in Deutschland nach der Technische Hilfsstoffe-Verordnung von 1991, 2018 neu bekanntgemacht als Verordnung über die Verwendung von Extraktionslösungsmitteln bei der Herstellung von Lebensmitteln (Extraktionslösungsmittelverordnung - ElmV) als beschränkt verwendbares Mittel zugelassen, nämlich zum Lösen von Koffein, Reiz- und Bitterstoffen aus Kaffee und Tee, sofern der Restgehalt im extrahierten Stoff nicht mehr als 2 mg/kg gerösteter Kaffee und 5 mg/kg Tee beträgt[38]; der Grenzwert bei der außerdem zulässigen Verwendung zur Herstellung von Aromen aus natürlichen Aromaträgern ist 0,2 mg/kg im verzehrfertigen aromatisierten Lebensmittel.[39]
Umweltschutz
Dichlormethan ist ein CKW und daher in vielen EU-Mitgliedstaaten für bestimmte Anwendungen komplett verboten und in Deutschland stark eingeschränkt (etwa bei der Verwendung in Textilwaschmitteln und in Reinigungsmitteln).[40] Dies wird unter anderem in der Reach-Verordnung von 2010 geregelt.[41] Umweltaspekte von Dichlormethan und CKWs werden in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) geregelt.
Ozonschicht
Mit dem Montreal-Protokoll vom September 1987 wurden die Ozonschicht zerstörende FCKW eingeschränkt. 2014 wurde erkannt, dass das Ozonloch über der Antarktis seit über 10 Jahren nicht mehr größer geworden ist. 2017 zeigen Ryan Hossaini et al. in Nature auf, dass die bisher bis 2050 erwartete Erholung der Ozonschicht – bis auf den Stand von 1980 – doch bis 2080 dauern könnte. Dichlormethan ist zwar kurzlebig und damit weniger stark ozonschädigend, da es aber in seiner (bodennahen) Konzentration von 2004 bis 2014 auf etwa das Doppelte zugenommen hat, wird dies als ursächlich für die langsame Erholung der Ozonschicht angenommen.[42][43]
Risikobewertung
Dichlormethan wurde 2016 von der EU gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) im Rahmen der Stoffbewertung in den fortlaufenden Aktionsplan der Gemeinschaft (CoRAP) aufgenommen. Hierbei werden die Auswirkungen des Stoffs auf die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt neu bewertet und ggf. Folgemaßnahmen eingeleitet. Ursächlich für die Aufnahme von Dichlormethan waren die Besorgnisse bezüglich hoher (aggregierter) Tonnage sowie der vermuteten Gefahren durch krebserregende Eigenschaften, der möglichen Gefahren durch mutagene, reproduktionstoxische und sensibilisierende Eigenschaften sowie als potentieller endokriner Disruptor. Die Neubewertung fand ab 2016 statt und wurde von Italien durchgeführt. Anschließend wurde ein Abschlussbericht veröffentlicht.[44][45]
↑G. Myhre, D. Shindell u. a.: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Working Group I contribution to the IPCC Fifth Assessment Report. Hrsg.: Intergovernmental Panel on Climate Change. 2013, Chapter 8: Anthropogenic and Natural Radiative Forcing, S.24–39; Table 8.SM.16 (ipcc.ch [PDF]).
↑ abW. M. Haynes (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 97. Auflage. (Internet-Version: 2016), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-14.
↑ abR. M. Stephenson: Mutual Solubilities: Water-Ketones, Water-Ethers, and Water-Gasoline-Alcohols. In: J. Chem. Eng. Data. Band 37, 1992, S. 80–95, doi:10.1021/je00005a024.
↑ abE. Brandes, W. Möller: Sicherheitstechnische Kenngrößen. Band 1: Brennbare Flüssigkeiten und Gase. Wirtschaftsverlag NW – Verlag für neue Wissenschaft, Bremerhaven 2003.
↑E. Brandes, M. Mitu, D. Pawel: The lower explosion point — A good measure for explosion prevention: Experiment and calculation for pure compounds and some mixtures. In: J. Loss Prev. Proc. Ind. Band 20, 2007, S. 536–540, doi:10.1016/j.jlp.2007.04.028.
↑ abTechnische Regel für Betriebssicherheit – TRBS 2153, BG RCI Merkblatt T033 Vermeidung von Zündgefahren infolge elektrostatischer Aufladungen. Stand April 2009. Jedermann-Verlag, Heidelberg.
↑D. Kong, D. am Ende, S. J. Breneck, N. P. Weston: Determination of flash point in air and pure oxygen using an equilibrium closed bomb apparatus. In: J. Hazard. Mat. Band 102, 2003, S. 155–165, doi:10.1016/S0304-3894(03)00212-7.
↑A. Kobayashi, A. Ando, N. Tagami, M. Kitagawa, E. Kawai, M. Akioka, E. Arai, T. Nakatani, S. Nakano, Y. Matsui, M. Matsumura: Severe optic neuropathy caused by dichloromethane inhalation. In: J Ocul Pharmacol and Ther. Band24, Nr.6, 2008, S.607–612, doi:10.1089/jop.2007.0100, PMID 19049266.
↑D. H. Cordes, W. D. Brown, K. M. Quinn: Chemically induced hepatitis after inhaling organic solvents. In: West J Med. Band148, Nr.4, 1988, S.458–460, PMID 3388849, PMC 1026148 (freier Volltext).
↑ abRonald M. Hall: Dangers of Bathtub Refinishing. National Institute for Occupational Safety and Health, 4. Februar 2013, abgerufen am 21. Januar 2015.
↑Verbote Eintrag 59 Ziff.1 Anh.XVII zu Art.67 der REACH-VO; Ziff. 3 zur Kennzeichnungspflicht. Strafbarkeit bei Verstoß gegen die Verbote in Deutschland nach §27 Abs.1 Nr. 3 ChemG i. V. m. §5 Ziff. 39 ChemSanktionsV
↑Dr. Raimund Weiß: REACH:Info Beschränkungen und Verbote unter REACH, S.28, herausgegeben 2021 durch BAuA
↑Verordnung (EU) Nr. 260/2014 (PDF) der Kommission vom 24. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 440/2008 zur Festlegung von Prüfmethoden gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) zwecks Anpassung an den technischen Fortschritt.