Ein erster COVID-19-Fall in Brasilien wurde am 25. Februar 2020 berichtet,[1] ein erster Todesfall datiert vom 17. März 2020. Mit Stand 19. Mai 2020 hatte Brasilien rund 255.000 Infizierte und lag damit weltweit nach den USA und Russland auf Platz 3. Dabei gab es rund 17.000 Todesfälle. Einige Schätzungen im Mai 2020 gingen davon aus, dass aufgrund der geringen Zahl an Tests die tatsächliche Mortalität doppelt so hoch lag und die Zahl der Infizierten sogar 15 mal so hoch war wie die offiziellen Zahlen.[2] Mit Stand 4. Juli 2020 zählte Brasilien mehr als 1,5 Millionen registrierte Infizierte und mehr als 63.000 Tote.[3] Nur die Vereinigten Staaten hatten noch höhere Infiziertenzahlen.[4]
Am 8. August 2020 wurden vom brasilianischen Gesundheitsministerium 100.000 Corona-Tote gemeldet. Brasilien war nach den USA das zweite Land, das diese Schwelle überschritt.[5] Am 10. Oktober 2020 wurde die Marke von 150 000 Corona-Toten überschritten.[6] Mitte Dezember 2020 hatte das Land mehr als sieben Millionen Infizierte, rund 185.000 Menschen waren in Verbindung mit dem Virus gestorben.[7] Anfang März 2021 überstieg die Zahl der Toten 250.000[8], am 24. März 300.000.[9] Am 10. April 2021 überstieg die Zahl der Toten die Marke von 350.000.[10] Neben Erwachsenen starben in Brasilien zudem bis Mitte April 2021 1300 Babys an dem Virus.[11] Ende April waren mehr als 400.000 Menschen an dem Virus verstorben.[12] Die Marke von 500.000 Coronavirus-Toten wurde am 19. Juni 2021 überschritten.[13] Damit hatte Brasilien, wo ca. 2,7 % der Weltbevölkerung leben, rund 13 % der weltweiten Coronatoten zu verzeichnen, obwohl die Todeszahlen in Brasilien wahrscheinlich noch unterschätzt wird.[14] Gesundheitsexperten befürchteten noch eine deutliche Verschlimmerung der Lage spätestens im kommenden Winter, da zu diesem Zeitpunkt erst 15 Prozent der Bevölkerung voll geimpft waren.[13]
Im November 2020 wurde erstmals Lineage P.1 gefunden. Diese COVID-Mutation ähnelt der britischen Mutation B.1.1.7, die deutlich ansteckender und 60 % tödlicher als das ursprüngliche COVID-Virus ist. P.1 verbreitete sich rasant in Manaus und machte die Stadt (sie hat 2,2 Millionen Einwohner) und die Region bald zu einem COVID-Hotspot. Teilweise sind Patienten gleichzeitig mit den beiden Varianten P.1 als auch B.1.1.7. infiziert. Nicht zuletzt deshalb besteht die Gefahr, dass sich durch Kreuzung verschiedener Varianten weitere, potentiell noch gefährlichere Mutationen entstehen könnten, die unter Umständen auch resistent gegenüber den gegenwärtig vorhandenen SARS-CoV-2-Impfstoffen sein könnten.[15] Nachdem die Pandemie außer Kontrolle geraten und die Versorgung der Krankenhäuser mit Medikamenten zusammengebrochen war, baten Mitte April 2021 verschiedene Gouverneure die Vereinten Nationen um humanitäre Hilfe, um dringend benötigte Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und Sauerstoff sowie Impfstoffe zu besorgen.[16]
Als wichtiger Faktor für den Verlauf der Pandemie im Land gilt PräsidentJair Bolsonaro. Bolsonaro steht wegen seines Umgangs mit der Pandemie in der Kritik, weil er sie immer wieder verharmlost, ihre Gefahren leugnet, Falschinformationen verbreitet und keine Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung initiiert. Unter anderem stellte er die COVID-Impfungen in Frage und erklärte, sich nicht impfen zu lassen.[7] Auch mit Stand März 2021 leugnet Bolsonaro weiterhin die Gefährlichkeit des Virus[17], untergräbt die von Gouverneuren der Bundesstaaten angeordnete Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie, ruft zum Boykott der Lockdowns auf und sabotiert die Impfkampagne gegen das Virus.[18]
Im Oktober 2021 antwortete Bolsonaro auf die Frage eines Journalisten nach der Zahl der Toten in Brasilien, er sei nicht hergekommen, um sich zu langweilen. Zu diesem Zeitpunkt waren in Brasilien mehr als 600.000 Menschen an COVID-19 gestorben, die zweithöchste Zahl weltweit. Zugleich betonte er mehrfach, dass er nicht gegen COVID-19 geimpft sei. Bereits zuvor hatte er immer wieder den Sinn von Impfungen bezweifelt.[19] Noch im selben Monat veröffentlichte ein Ausschuss des Bundessenats einen 1200 Seiten umfassenden Bericht, dessen Ausarbeitung sechs Monate in Anspruch nahm. Darin empfiehlt der Ausschuss der Abgeordnetenkammer, gegen Bolsonaro sowie etwa 60 weitere Menschen (darunter fünf Minister oder Ex-Minister sowie drei Söhne Bolsonaros) wegen Verfehlungen des Präsidenten und seiner Regierung im Corona-Krisenmanagement ein gerichtliches Verfahren zu eröffnen. Als einer von 10 vorgeschlagenen Anklagepunkten ist in dem Bericht auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit genannt worden.[20]
Als vorbeugende Maßnahme hatte der damalige Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta am 31. Januar 2020 eine Interministerielle Arbeitsgruppe für Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit von nationaler und internationaler Bedeutung reaktiviert, die bereits früher bei anderen Epidemien zusammengetreten war.[21]
Februar 2020
Am 3. Februar 2020 erließ Gesundheitsminister Mandetta die Verordnung Nr. 188 (veröffentlicht im Amtsblatt vom 4. Februar 2020),[22] die die Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite (portugiesisch: ESPIN, Emergência em Saúde Pública de importância Nacional) anerkennt und geeignete Maßnahmen ermöglicht,[23] so auch ein operatives Notfallzentrum (Centro de Operações de Emergências em Saúde Pública (COE-nCoV)) auf Ministeriumsebene.
Ende Februar war ein 61-jähriger brasilianischer Geschäftsmann aus São Paulo, der von einem Italien-Aufenthalt zurückgekehrt war, der erste bestätigte Fall einer Coronavirus-Infektion in Südamerika. Bis zum 28. Februar zählten die Gesundheitsbehörden in Brasilien etwa 300 Verdachtsfälle. Der damalige brasilianische Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta erklärte, man bereite sich auf eine Epidemie vor, sei jedoch auf Grund der Erfahrungen mit früheren schweren Epidemien von Atemwegserkrankungen darauf vorbereitet, auch wenn man noch nicht viel speziell über dieses neue Virus wisse.[25] Mandetta wurde am 16. April 2020 entlassen.
März 2020
Während Brasiliens Präsident Bolsonaro die Pandemie lange als Erfindung der Medien abgetan und spöttisch kommentiert hatte, wurde am 13. März bekannt, dass er sich bei einem Staatsbesuch bei dem US-amerikanischen Präsidenten Trump über seinen Kommunikationssekretär Fábio Wajngarten selbst angesteckt haben könnte. Daraufhin trat Bolsonaro bei einer Rede im Fernsehen mit Schutzmaske auf und mahnte zunächst Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus an.[26][27]
Später verharmloste er das Virus jedoch wieder und nannte es eine „Phantasie“ und eine medial geschürte „Hysterie“. Strenge Eindämmungsmaßnahmen gegen das Virus lehnt er mit Stand Ende März 2020 ab; stattdessen startete er eine Kampagne „Brasilien darf nicht stillstehen“, bei der er der Bevölkerung gegen den Rat der Gesundheitsbehörden empfahl, gegen die Ausgangsbeschränkungen zu verstoßen. Daraufhin urteilte ein Gericht, dass er die Kampagne einstellen müsse. Zudem zwang das Gericht die Regierung, binnen 24 Stunden offiziell zu erklären, dass die Kampagne keinen wissenschaftlichen Kriterien genüge, und untersagte ihr, wissenschaftlich nicht fundierte Informationen zu verbreiten oder für agitative Zwecke einzusetzen. Twitter löschte zwei Tweets, in denen Bolsonaro den Sinn von Isolationsmaßnahmen bezweifelt hatte, da sie den Aussagen der Gesundheitsbehörden widersprochen hätten und die Verbreitung des Virus fördern könnten[28], ebenso reagierte Facebook mit der Löschung eines Videos.[29] Ein weiteres Gericht erklärte ein von Bolsonaro erlassenes Dekret für unwirksam, das Kirchen trotz Ausgangsbeschränkungen die Öffnung erlaubte.[28] Zum 31. März hingegen erklärte der Präsident in seiner vierten Fernsehansprache zum Volk: „Das Virus ist eine Realität. Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen unserer Generation“.[30][31] Einen Tag darauf griff er jedoch wieder seinen Gesundheitsminister an, der für strenge Isolationsmaßnahmen eintritt, und verkündete im Radio, dass er die Wiederherstellung der Normalität auch per Dekret anordnen könne.[32]
Am 15. März sah Gesundheitsminister Mandetta einen breiten Ausbruch der COVID-19-Pandemie auch in Brasilien unmittelbar bevorstehen. Am 17. März waren den brasilianischen Behörden bereits 120 Fälle und etwa 1.400 Verdachtsfälle in 13 Bundesstaaten Brasiliens bekannt.[33]
Die Agência Nacional de Vigilância Sanitária, die brasilianische Nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung, genehmigte am 19. März 2020 acht Schnelltestverfahren, deren Auswertung 15 Minuten bis sieben Tage dauern soll.[34] Bereits am 6. März hatten Wissenschaftler mitgeteilt, dass ihnen die Kultivierung des Virus im Labor gelungen sei.[35]
Zum 22. März 2020 waren alle Bundesstaaten betroffen. Ab 23. März 2020 wurde die Einreise nach Brasilien aus COVID-Risikogebieten (darunter aus der EU einschließlich Deutschland) untersagt. Für den innerstaatlichen Flugverkehr handelten brasilianische Fluggesellschaften mit der Luftfahrtbehörde Agência Nacional de Aviação Civil (ANAC) einen vorläufigen Notflugplan aus, um sicherzustellen, dass zunächst bis Ende April die Hauptstädte aller 26 Bundesstaaten sowie 19 weitere wichtiger Städte mit regelmäßigen Flugverbindungen versorgt sind.[36]
Zu den etwa 20 bis Ende März an COVID-19 erkrankten hochrangigen Politikern Brasiliens gehören der Senatspräsident Davi Alcolumbre, der Bergbau- und Energieminister Admiral Bento Albuquerque, die Senatoren Nelson Trad Filho (Mato Grosso do Sul) und Prisco Bezerra (Ceará), der Bundesabgeordnete und evangelikalische Pastor Eurico da Silva und Bolsonaros persönlicher Kommunikationsstaatssekretär Fábio Wajngarten.
Am 31. März 2020 trafen 500.000 Schnelltestkits der chinesischen Firma Wondfo in São Paulo ein, die von dem Bergbaugroßunternehmen Vale gespendet wurden. Vale stellte weitere 4,5 Millionen Schnelltestkits in Aussicht.[37]
Am gleichen Tag kündigte Gesundheitsminister Mandetta an, dass die Regierung ein Monitoring für die Brasilianer einrichten wird, welches circa 125 Millionen Menschen erreichen wird. Die Plattform, die auf künstlicher Intelligenz basiert, wird Brasilianer, welche sich in der Datenbank der Regierung befinden, kontaktieren und Informationen über den Gesundheitszustand erhalten. „Die Menge dieser Informationen wird genutzt werden, damit wir vorhersehen können, wer gefährdet ist, wo sich derjenige befindet, und das sollte ein großartiges Instrument für das Management der Menschen sein“, informierte der Minister. Die Regierung veröffentlichte die Daten über den Vormarsch von Covid-19 auf einer Pressekonferenz im Planalto-Palast, an welcher der neu ernannte Stabschef (Casa Civil) Walter Braga Netto, der Minister für Wirtschaft Paulo Guedes, der Minister für Gesundheit Luiz Henrique Mandetta sowie der Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit, Sergio Moro, teilnahmen.[38]
April 2020
Am 2. April 2020 wurde bekannt, dass durch einen Präsidentenerlass (Medida Provisória) 9,4 Milliarden R$, umgerechnet etwa 1,652 Milliarden Euro, den Bundesstaaten im Verhältnis zur Einwohnerzahl sowie den Kommunen zur Verfügung gestellt würden.[39]
Die Zehntausendermarke wurde am 4. April 2020 überschritten, die Zahl der Verdachtsfälle wird weiterhin von den offiziellen Stellen nicht genannt.
Das Gesundheitsministerium gab am 7. April 2020 bekannt, es hätte an die Bundesländer 53,1 Millionen Infektionsschutzkleidungseinheiten für die in der Gesundsheitssorge Tätigen verteilt, darunter 15,8 Millionen Masken, 23,9 Millionen Paar Handschuhe, 12,4 Millionen Turnschuhe und Mützen, 742.000 Schürzen, 60.000 Schutzbrillen, zudem 183.000 Einheiten Desinfektionsgel.[40]
Am 8. April 2020 wurden sieben bestätigte Fälle unter den indigenen Yanomamis im Bundesstaat Roraima bekannt,[41] tags darauf starb ein 15-jähriger Yanomani im Krankenhaus.[42] Aus einer der größten Favelas in Rio de Janeiro, dem Ortsteil Rocinha, wurden am 8. April 2020 sechs COVID-19-Todesfälle vermeldet.[43]
Die NGOOpen Knowledge Brasil veröffentlichte am 9. April 2020 eine Bewertung der bundes- und einzelstaatlichen Informationspolitik, sieben Staaten waren in einer Skala von 0 bis 100 undurchsichtig, sechs, darunter der Bundesdistrikt, betrieben eine niedriggewertete Informationspolitik über das Coronavirus, neun, darunter die Bundesregierung, wurden als mittelmäßig eingestuft, fünf als gut, darunter die stark von der Pandemie betroffenen Staaten Ceará, Rio de Janeiro und São Paulo. Am besten schnitt der Bundesstaat Pernambuco ab mit hoher Transparenz und Glaubwürdigkeit.[44]
Am 10. April 2020 wurde veröffentlicht, dass bisher auf eine Million Einwohner nur 296 Tests durchgeführt seien.[45] Die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete am 13. April, dass die Corona-Fälle möglicherweise 12-mal höher lägen, als die offiziellen Stellen bekannt gegeben hätten. Ein Konsortium aus brasilianischen Forschern an Universitäten und Instituten hätten die Daten vom 10. April mit denen der Weltgesundheitsbehörde in Bezug auf die Sterberate verglichen.[46] Rund 63.000 Tests seien ausgewertet worden, 93.000 noch nicht. Der Reuters-Bericht unterstützt frühere Berichte, so von Edmar Santos, Gesundheitsstaatssekretär von Rio de Janeiro, der für seinen Staat am 31. März 2020 von einer Dunkelziffer von 50 bis 100 nicht gemeldeter Fälle pro bestätigten Fall ausging und eine hohe Anzahl von Menschen zwischen 30 und 39 Jahren anmerkte,[47] auch The Guardian äußerte am 4. März 2020 Zweifel an der Korrektheit offizieller Angaben.[48]
Am 16. April 2020 enthob Präsident Bolsonaro aufgrund anhaltender Meinungsverschiedenheiten Gesundheitsminister Mandetta seines Amtes, da sich der Minister für einen strikten Kurs mit umfangreichen Kontaktsperren ausgesprochen hatte.[49][50] Nachfolger wurde am selben Tag Nelson Teich.
Die 50.000er-Marke, zudem bei über 3300 Toten wurde am 24. April 2020 überschritten, Brasilien steht somit weltweit an 11. Stelle der Länderstatistiken.
Im Bundesstaat Santa Catarina sollen die Schulen bis Ende Mai geschlossen bleiben.[51] Eine Maskenpflicht gilt hier seit dem 18. April 2020,[51] am 23. April 2020 zog der Stadtpräfekt von Rio de Janeiro nach, ebenso die Städte Duque de Caxias, Magé und Niterói der Metropolregion Rio de Janeiro. Aus Manaus, Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas wird der zunehmende Zusammenbruch des Gesundheits- und Bestattungswesens berichtet.[52][53]
Am 29. April verkündete die Regierung, dass ausländischen Staatsbürgern weitere 30 Tage, somit bis mindestens Ende Mai, die Einreise nach Brasilien untersagt wird.[54]
Mai 2020
Am 15. Mai 2020 wurde die 200.000er-Marke an Infizierten überschritten mit rund 14.000 Toten. Am gleichen Tag trat der Gesundheitsminister Nelson Teich nach nicht mal einem Monat Amtszeit zurück, da er sich gegenüber Jair Bolsonaro weigerte, die Vorschriften für die Anwendung von Chloroquin zu lockern, um eine Behandlung von Corona-Patienten mit dem (bei SARS-CoV-2 unwirksamen) Wirkstoff zu ermöglichen.[49] Am 21. Mai wurden erstmals fast 20.000 Neuinfektionen binnen eines Tages gezählt. Das Gesundheitsministerium in Brasília meldete 19.951 neue Corona-Infektionen und 888 Tote innerhalb von 24 Stunden.[55]
Zum 1. Juni 2020 wurde die 500.000er-Marke an Infizierten und annähernd 30.000 Toten überschritten. Seit dem 15. Mai, erneuert am 2. Juni 2020,[57] wird das Gesundheitsministerium durch die fachfremde Militärperson Eduardo Pazuello kommissarisch geleitet. Nachdem das Gesundheitsministerium seit Anfang Juni nicht mehr die Gesamtzahl der Infizierten im Internet veröffentlichte, wies das oberste Brasilianische Bundesgericht das Gesundheitsministerium an, keine Informationen zurückzuhalten.[58]
Juli 2020
Die Abgeordnetenkammer Brasiliens ermöglichte am 1. Juli 2020 durch einen Verfassungszusatz wegen der COVID-19-Pandemie die Verschiebung der Kommunalwahlen in Brasilien 2020 auf den 15. November 2020 (Stichwahl 29. November 2020), bei der je 5570 Bürgermeister und Stellvertreter und rund 57.000 Stadträte gewählt werden sollen.[59]
Zum 2. Juli meldete Brasilien mehr 1,5 Millionen registrierte Infizierte.[60]
Am 7. Juli 2020 wurde der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro positiv auf COVID-19 getestet. Seit Ausbruch der Pandemie hatte Bolsonaro die gesundheitlichen Folgen einer Erkrankung verharmlost. In den Tagen vor der Erkrankung war er vermehrt ohne Maske und Abstand einzuhalten in der Öffentlichkeit und in Menschenmengen aufgetreten.[61] Weitere vier Minister aus dem Kabinett Bolsonaro wurden einige Tage später positiv auf COVID-19 getestet: Augusto Heleno, Chef des Kabinetts für institutionelle Sicherheit, Bento Albuquerque, Minister für Energie, Onyx Lorenzoni, Minister für Soziales, und Milton Ribeiro, Minister für Bildung.[62][63]
Januar 2021
Am 7. Januar 2021 wurde die Marke von 200.000 Toten überschritten, an Infizierten wird die Zahl von 8 Millionen Brasilianern gemeldet. Im Januar 2021 sind in Manaus die Fallzahlen einer mutierten COVID-19-Variante („P.1“) auffällig gestiegen und Sauerstoff ist knapp geworden.[64][65]
März/April 2021
Im März 2021 geriet die Pandemie in Brasilien nach einem starken Anstieg der Infektionszahlen und der Toten außer Kontrolle. Die Krankenhäuser sind infolge der hohen Patientenzahlen völlig überlastet.[66] Darüber hinaus zudem mangelt es an Sauerstoff und Medikamenten für die Beatmung, wodurch auch viele nicht von der Pandemie herrührenden Erkrankungen tödlich enden.[17] Seit dem 11. März 2021 sterben täglich über 2000 Menschen an oder mit COVID-19 (siehe #Statistiken). Vor vielen Krankenhäusern gibt es lange Warteschlangen; dort sterben auch Infizierte.[67] Am 23. März 2021 überstieg die Zahl der Toten mit 3251 erstmals die Schwelle von 3000 binnen 24 Stunden; dies hatte es zuvor nur in den USA gegeben.[68] Insgesamt starben in diesem Monat mehr als 66.500 Menschen an COVID-19; der höchste Tageswert wurde dabei am 31. März mit 3869 Toten erreicht.[66] Zugleich stieg die Zahl der von der Pandemie betroffenen jüngeren Menschen immer weiter an. So war mehr als die Hälfte der Menschen, die im März auf den Intensivstationen behandelt wurden, jünger als 40 Jahre.[69]
Am 6. April 2021 stieg die Zahl der Toten mit 4195 erstmals über 4000 binnen 24 Stunden. Zu diesem Zeitpunkt starben täglich Hunderte Menschen, während sie auf medizinische Behandlung oder Sauerstoff warteten. Parallel lehnt Präsident Jair Bolsonaro weiterhin die Einführung eines Lockdowns strikt ab.[70][71] Besonders betroffen sind in Rio de Janeiro nach Aussage des Infektiologen David Sufiate Menschen im Alter von 40 bis 60 Jahren, während viele der Menschen über 80 Jahren durch die erfolgte Impfung vor schweren Verläufen geschützt seien. In der von Sufiate geleiteten Intensivstation des Fiocruz-Krankenhauses in Rio de Janeiro wurde Anfang April 2021 bei 90 % der Patienten die Variante P.1 festgestellt. Zudem kritisierte er, dass kein Lockdown erlassen würde. So habe beispielsweise die Stadt Araraquara im Unterschied zum Rest des Landes einen Lockdown verhängt und habe so die Kranken- und Totenzahlen deutlich verringern können.[71]
Anfang April 2021 ordnete das oberste Gericht an, dass der Senat den Umgang von Präsidenten Bolsonaro mit der Pandemie zu untersuchen habe.[72] Der Präsident des Senats willigte in die Untersuchung ein.[73]
Mitte April gingen in mehreren Krankenhäusern die Medikamentenreserven zur Neige, während in anderen Krankenhäuser die Vorräte auf wenige Tage schrumpften. Dies betraf unter anderem Beruhigungsmittel, sodass teilweise Menschen ohne Betäubung bei Bewusstsein intubiert werden mussten. Zuvor hatten Ärzte teils versucht, knappe Medikamente zu strecken.[74] Im Bundesstaat São Paulo fehlten gemäß einem Brandbrief von Ärzten zu diesem Zeitpunkt in 68 Prozent der öffentlichen Gesundheitszentren Mittel zu Nervenblockade bei Intubation, zudem hätten 61 Prozent der Kliniken keine Narkosemittel mehr. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Brasilien bei 13,75 Millionen Infizierten mehr als 365.000 Tote. Ärzte ohne Grenzen nannte die Lage in Brasilien eine „humanitäre Katastrophe“ und kritisierte insbesondere den fehlenden politischen Willen der Regierung, angemessen auf die Pandemie zu reagieren. Diese sei daher „für den Tod Tausender Brasilianer verantwortlich“.[75]
Ende April stieg die Zahl der Toten auf mehr als 400.000 an. Alleine in diesem Monat starben mehr als 80.000 Menschen an dem Virus.[12]
Juni 2021
Im Juni 2021 lag die Zahl der Toten nach einem zwischenzeitlichen Rückgang nach dem Frühjahr bei mehr als 2000 pro Tag, die Fallzahlen stiegen damals erneut an.[14]
Dezember 2021 und Januar 2022
Nachdem die Gesundheitsüberwachungsbehörde ANVISA (Agência Nacional de Vigilância Sanitária) den Impfstoff für Kinder von Biontech/Pfizer zugelassen hatte, drohte der brasilianische Präsident Bolsonaro, ein Corona-Verharmloser und Impfskeptiker, er könne die Namen der dafür Verantwortlichen veröffentlichen. Die Regierung wollte zunächst eine ärztliche Verschreibung der Impfung zur Pflicht machen.[76]
Nach wochenlangen öffentlichen Diskussionen teilte die ANVISA am 5. Januar 2022 mit, dass das Gesundheitsministerium davon ausgehe, dass diese Kinder (etwa 20 Millionen) ab Januar geimpft werden.
Weitere Aspekte
Religiöse Konflikte
Dom Odilo Scherer, Erzbischof von São Paulo, hatte zunächst verteidigt, dass Kirchen nicht geschlossen werden sollten, und argumentierte, dass es mehr tägliche Gottesdienste geben sollte. Später entschied er, die Feierlichkeiten mit dem Volk auszusetzen.[77][78]
Im Zuge der Krise stieg die Vernichtung des brasilianischen Regenwaldes stark an, in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 um 55 % gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden zwischen Januar und April 2020 etwa 1200 km² Fläche abgeholzt. Als Ursache gilt, dass illegale Abholzungen weitergeführt würden, während Behörden durch die Krise in ihrer Arbeit eingeschränkt seien. Eine Studie ergab, dass durch die Rodungsaktivitäten die brasilianischen Kohlenstoffdioxid-Emissionen 2020 um 10 bis 20 % steigen könnten, statt wie in vielen anderen Staaten wegen der reduzierten Industrieproduktion zu fallen.[81] Im Mai 2020 kamen weitere 829 km² hinzu. Schätzungen gehen davon aus, dass bis Juli ca. 12.000 km² Regenwald binnen eines Jahres gerodet werden sein könnten.[82]
Im Mai 2020 wurde durch eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichts ein Video publik, in dem der Umweltminister Ricardo de Aquino Salles sich dafür aussprach, die Coronakrise zu nutzen, um Umweltschutzbestimmungen abzuschaffen. Demnach sagte er: „Wir müssen uns bemühen, während wir uns in diesem ruhigen Moment in der Presseberichterstattung befinden, weil sie nur über COVID sprechen, und alle Regeln durchsetzen und ändern und die Normen vereinfachen.“ Zudem beschwerte sich Salles darüber, dass es juristische Schwierigkeiten bei den vorgeschlagenen Gesetzentwürfen gebe und dass man dafür juristische „Artillerie“ für die Durchführung benötige. Ebenfalls soll der Kongress umgangen werden, denn die Regierung würde es nicht schaffen, diese Gesetze durch den Kongress zu bringen. Umweltschutzorganisationen erklärten, die Ausführungen zeigten, dass die Regierung Bolsonaro systematisch Umweltschutzgesetze abschaffen wolle. Bolsonaro hatte sich zuvor für die (wirtschaftliche) Entwicklung des Amazonasgebietes ausgesprochen.[83]
Tourismus
Die Regierung der Vereinigten Staaten verkündete am 24. Mai 2020 Einreiseverbote für Flüge aus Brasilien. Brasilien hatte zu dem Zeitpunkt 347.000 bekannte COVID-19-Fälle und hatte 22.013 Todesfälle gemeldet. Es rangierte damit auf dem zweiten Platz an Infektionsfällen, nur übertroffen von den Vereinigten Staaten selbst. Die Einreisebeschränkungen für Nicht-Amerikaner sollten am 28. Mai gegen Mittag in Kraft treten.[84]
Mindestens 282.000 brasilianische Minderjährige haben Vater, Mutter oder beide Eltern verloren.[86]
Datenerhebung und Weitergabe
Angaben des brasilianischen Gesundheitsministerium und der obersten landesstaatlichen Gesundheitsbehörden können voneinander abweichen; so meldete das Ministerium am 19. März 2020 621 bestätigte Erkrankungen und vier Todesfälle, andere Stellen meldeten dagegen bereits 647 Erkrankungen und sieben Todesfälle.[87]
Da nicht genügend getestet wird und es aufgrund der Bürokratie zu Verzögerungen kommt, wird davon ausgegangen, dass zumindest in Teilen des Landes die meisten der durch das Virus verursachten Todesfälle in den offiziellen Statistiken gar nicht als COVID-19-Tote registriert werden. Darauf deuten unter anderem überlastete Krankenhäuser und Bestattungsunternehmen hin. In Manaus wurde u. a. per Bagger ein Massengrab ausgehoben, um die anfallenden Toten bestatten zu können.[88] Insgesamt werden nur 1600 Menschen pro Mio. Einwohner getestet (Stand Mai 2020). Zum Vergleich: In den USA lag die Zahl der Tests im gleichen Zeitraum bei ca. 20.000 pro Mio. Einwohner.[89]
Im Juni 2020, nachdem 4 Tage hintereinander mehr als 1000 Todesfälle binnen 24 Stunden auftraten, stoppte Brasilien die Veröffentlichung der Fallzahlen zu den COVID-19-bedingten Erkrankungen und Todesfällen im Internet. Zur Begründung äußerte Bolsonaro, dass diese Zahlen nicht die wahre Situation widerspiegelten, in der sich das Land befinde. Zuletzt hatte Brasilien mehr als 672.000 Fälle gemeldet. Damit lag Brasilien an zweiter Stelle weltweit nach den Vereinigten Staaten. Die Zahl der Toten war zuletzt mit fast 36.000 beziffert worden. Die nicht erfassten Fälle werden wesentlich höher angenommen.[90] Wenige Tage darauf erklärte das Oberste Bundesgericht Brasiliens diese Praxis für unwirksam und verfügte, dass das Gesundheitsministerium die zuvor gelöschten Daten unverzüglich wieder veröffentlichen müsse. Parallel wurde bekannt, dass Bolsonaro zuvor Druck auf die Gesundheitsbehörden ausgeübt und von diesen verlangt hatte, dass die Zahl der publizierten COVID-19-Todesfälle die Marke von 1000 pro Tag nicht überschreiten dürfe.[91]
Als Reaktion auf die Nicht-Veröffentlichung der Fallzahlen im größten Land Südamerikas, gründeten mehrere der führenden Medienunternehmen (UOL, O Estado de S. Paulo, Folha de S. Paulo, O Globo, G1 und Extra) am 8. Juni 2020 eine Allianz, um ihre Informationen direkt von den Behörden in den 26 Bundesstaaten und im Bundesdistrikt zu erhalten.[92]
Statistiken
Die Fallzahlen entwickelten sich während der COVID-19-Pandemie in Brasilien nach täglichen Angaben der WHO wie in folgenden Grafiken dargestellt:
↑Transparência Covid-19. In: transparenciacovid19.ok.org.br. Open Knowledge Brasil (OKBR), 9. April 2020, abgerufen am 13. April 2020 (brasilianisches Portugiesisch).
↑Jake Spring, Pedro Fonseca: Brazil likely has 12 times more coronavirus cases than official count, study finds. In: Reuters. 13. April 2020 (englisch, reuters.com).
↑Dom Phillips: Brazil coronavirus: medics fear official tally ignores ‘a mountain of deaths’. In: The Guardian. 4. April 2020, ISSN0261-3077 (englisch, theguardian.com).
↑Nicola Abé: Corona-Krise in Brasilien: Der Lockdown ist vorbei, das Hungern geht weiter. In: Der Spiegel. 17. Oktober 2021, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. Oktober 2021]).
↑Nicola Abé: Kinder, die ihre Mütter nie kannten: Das Schicksal der Coronawaisen in Brasilien. In: Der Spiegel. 9. Mai 2022, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 9. Mai 2022]).