Die Osiandersche Buchhandlung ist ein von Erhard Cellius gegründetes und später nach Christian Friedrich Osiander benanntes süddeutsches Buchhandelsunternehmen. Der Hauptsitz befindet sich in Tübingen. Das Unternehmen betreibt in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern über 60 Buchhandlungen und beschäftigt über 600 Angestellte. Osiander ist die älteste und größte Buchhandlung Baden-Württembergs,[1] die zweitälteste Buchhandlung Deutschlands[2] (nach Korn & Berg, Nürnberg) und gehört zu den zehn größten deutschsprachigen Buchhandlungen.[3][4]
Die Vorgängerin der heutigen Buchhandlung wurde am 4. Juni 1596 von Erhard Cellius († 1606) in der Langen Gasse in Tübingen als Druckerei mit Verlag und Buchhandlung gegründet.[4] Cellius’ erster Titel war Imagines Professorum Tubingensium (1601).[5]
Nach dem Tod seines Vaters übernahm Johann Alexander Cellius († 1623) das Unternehmen und baute es zum bedeutendsten süddeutschen Verlag aus.
1625 heiratete der Geschäftsführer die Witwe Cellius’. Nach seinem Tod übernahm 1657 Brunn II. den Betrieb. Nach dessen Tod 1658 folgte als Geschäftsführer der Buchhandlung Johann Georg Cotta, der 1659 die Witwe Brunns II. heiratete. 1681 übernahm der Stiefsohn Brunn III. von Cotta die Firma. Cotta führte seinen eigenen, 1659 gegründeten Verlag Cotta’sche Verlagsbuchhandlung weiter, der zum bekanntesten deutschen Verlag des 19. Jahrhunderts wurde und 1810 nach Stuttgart übersiedelte.
1704 heiratete die Witwe von Brunn III. († 1696) den Buchhändler Stoll, der das Unternehmen 1721 an Theodor Metzler abgab. Seine Frau Susanne führte das Geschäft weiter und heiratete 1727 Karl-Gottlieb Ebert († 1732).
1734 bis 1778 Heinrich Berger
Die kinderlose Susanne Ebert-Metzler verkaufte 1743 das Unternehmen an Heinrich Berger, einen Angestellten der Buchhandlung. Er wurde der Verleger von Johann Albrecht Bengel, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und dem Mediziner Autenrieth.
1769 wurde Berger auf Veranlassung der Zensur zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er unter dem Druckort Esslingen die Lieder Zinzendorfs herausbrachte, ein Buch, das „ein verrücktes Gehirn, das nie durch Vernunft regiert noch durch einen gründlichen Verstand der Heiligen Schrift geläutert wurde“, verfasst habe.
1778 bis 1920 Dynastie Heerbrandt, Osiander, Köhler
Da auch Heinrich Berger kinderlos war, veräußerte er 1778 die Buchhandlung an Jacob Friedrich Heerbrandt, einen Buchhandlungsbediensteten in seinem Unternehmen. Daraufhin zog die Buchhandlung in die Münzgasse 9, die damals schönste Straße Tübingens.
In den folgenden Jahren zog die Karlsakademie Stuttgart immer mehr Studenten von Tübingen ab, so dass die Studentenzahl 1781 auf 188 sank. Heerbrandt verlegte in dieser Zeit ein Buch von Schelling und veröffentlichte den Deutschen Dichterwald, das wichtigste Werk der Schwäbischen Romantik.
Christian Friedrich Osiander, 1789 geboren, heiratete 1813 Heerbrandts Tochter und übernahm die Buchhandlung, die bis heute seinen Namen trägt. Wichtige Titel aus seinem Verlag waren Osiander: Handbuch der Entbindungskunde und Osiander: Hebammenkunde. Nach dem Tode Osianders 1839 führte seine Frau das Geschäft fort, bis 1843 der Sohn Franz Osiander die Firma übernahm. Er übergab wiederum die Buchhandlung 1861 an seine Frau Louise.
Die erste Filiale der Buchhandlung eröffnete 1862 in Rottenburg, sie wurde allerdings nach einem halben Jahr wieder aufgegeben und an einen Buchhändler aus Schwäbisch Gmünd verkauft, der Wilhelm Bader als Geschäftsführer einsetzte. Die Tübinger Buchhandlung zog derweil von der Münzgasse in die Neue Straße, und das Unternehmen verkaufte seine Verlagsrechte.
1880 wurde Karl Köhler, ein Enkel Osianders, Nachfolger seiner Tante Louise Osiander. Es wurden nun Geschäftsbücher speziell für den Buchhandel verlegt. Köhler wurde 1901 zum Königlichen Hofbuchhändler ernannt.
Seit 1920 Familie Jordan / Riethmüller
1920 kauften die beiden ehemaligen Marineoffiziere Richard Jordan (1891–1955) und Gustav Pezold die Buchhandlung von Köhler. Beide waren in verschiedenen rechtsnationalen Freikorps aktiv, unter anderem in der Marine-Brigade Ehrhardt. Das betriebswirtschaftliche Überleben der Buchhandlung in den krisengeschüttelten 1920er Jahren sicherte vor allem die Veröffentlichung von Max Bauers deutschnationaler und antisemitischer Schrift Der große Krieg in Feld und Heimat. 1925 übernahmen Jordan und Pezold auch die Buchhandlung Fischer in der Wilhelmstraße 12, wodurch Osiander näher an die Universität rückte.[6] Pezold wechselte 1930 zum Georg Müller Verlag, Jordan war fortan alleiniger Inhaber. Nach seinem Tod 1955 ging die Buchhandlung zunächst auf seine Frau Eva Jordan geb. Wischhusen, dann auf seine Tochter Brigitte Riethmüller über.[7] Geschäftsführer wurde sein Schwiegersohn Konrad-Dietrich Riethmüller, der Osiander nach dem Eintritt der Söhne Hermann-Arndt (1973) und Heinrich (1977) 1979 in eine GmbH mit 26 Zweigstellen umwandelte. Unter Konrad-Dietrich Riethmüller wurden moderne betriebswirtschaftliche Methoden eingeführt, das Stammhaus in der Wilhelmstraße mehrfach umgebaut, nach dem Eintritt der Söhne die ersten Buchhandlungen gegründet, eine fahrende Buchhandlung („Buchmobil“ 1979–1981) ins Leben gerufen und ein Einkaufsbüro in den USA eröffnet („Osiander Booktrade“ zuerst in New York, dann in Baltimore, 1985–2002).
1995 wurden die Verwaltung und der Wareneingang in das neue Logistikzentrum am Rande Tübingens ausgelagert. Im Jahr des 400-jährigen Jubiläums 1996 starb Konrad-Dietrich Riethmüller. Er erlebte noch den Online-Auftritt von Osiander im Internet.
Die Geschäftsleitung von Osiander, Heinrich und Hermann-Arndt Riethmüller und Claudia Zürcher-Riethmüller, wurde 2002 durch Christian Riethmüller verstärkt, der 2004 Gesellschafter des Unternehmens wurde. Damit übernahm die vierte Generation der Familie Jordan / Riethmüller unternehmerische Verantwortung. Ab 2010 gehörten mit Kathrin von Papp-Riethmüller und Ulrike Sander zwei weitere Familienmitglieder der Geschäftsleitung des Unternehmens an. Zum 31. Dezember 2015 schied Hermann-Arndt Riethmüller aus der Geschäftsführung aus und wechselte in den Aufsichtsrat einer zum 1. Januar 2016 gegründeten Familienstiftung, in die das gesamte Betriebsvermögen eingebracht wurde, den er leitet.[8] Auch Claudia Zürcher-Riethmüller, Kathrin von Papp-Riethmüller und Ulrike Sander schieden zum 1. Januar 2016 aus der Geschäftsführung aus, die ab dann aus Christian und Heinrich Riethmüller bestand.[9] Beide sind neben Hermann-Arndt Riethmüller auch Vorstände der Stiftung.[10] Zum 1. Januar 2019 wurde Heinrich Riethmüller zum Vorsitzenden des Stiftungsvorstands bestimmt. Ebenfalls zum 1. Januar 2019 wurden Karin Goldstein in die Geschäftsführung aufgenommen und Christian Riethmüller zum Vorsitzenden der Geschäftsführung berufen. Hermann-Arndt Riethmüller gehört der Geschäftsführung ebenfalls wieder an.[11]
Osiander ging 2020 eine strategische Partnerschaft mit der ebenfalls familiengeführten Thalia Bücher GmbH ein. Ziel dieser Partnerschaft ist die gemeinsame Weiterentwicklung in den Bereichen eCommerce, Beschaffung und Logistik.[15] Zu diesem Zweck wurde die Osiander-Vertriebs-Gesellschaft (OVG) gegründet, an der Thalia Bücher mehrheitlich beteiligt ist.[16] Das Bundeskartellamt gab am 19. November 2020 die Genehmigung.[17]
2021 Fusion mit RavensBuch
1992 gründeten Margarete und Michael Riethmüller, Sohn von Konrad-Dietrich Riethmüller, in Ravensburg die Buchhandlung RavensBuch. 2006 wurde eine Filiale in Friedrichshafen, 2018 eine in Tettnang und 2019 eine in Markdorf eröffnet. 2019 übergab Margarete Riethmüller die Geschäftsführung an ihren Sohn Martin Riethmüller, der das Unternehmen von da an gemeinsam mit seinem Vater Michael Riethmüller führte. 2021 fusionierten die beiden von den Familien Riethmüller geführten Buchhandlungen RavensBuch und Osiander. Michael und Martin Riethmüller wurden damit Mitgesellschafter der bisher von Hermann-Arndt, Heinrich und Christian Riethmüller geführten Osianderschen Buchhandlung.[18][19] Heinrich Riethmüller gab seine Geschäftsführertätigkeit an Martin Riethmüller ab.
Logo
Das Logo des Unternehmens basiert auf einem schwarzen Scherenschnitt, der den Tübinger Dichter Ludwig Uhland darstellt. Der Original-Scherenschnitt wurde 1817 von der Künstlerin Luise Duttenhofer kreiert und trägt den Titel Ludwig Uhland als Advokat. Aus diesem Kunstwerk wurde der Kopf des Dichters extrahiert und in das Logo eingearbeitet.
Filialentwicklung und Standorte
Ab Mitte der 1970er bis Mitte der 2000er Jahre filialisierte Osiander ausschließlich in Baden-Württemberg, 2005 wurde erstmals eine Buchhandlung in Rheinland-Pfalz (Speyer), 2011 eine in Bayern (Memmingen) und 2013 eine in Hessen (Frankfurt) eröffnet.[20]
Im firmeneigenen Logistikzentrum in Tübingen, das 1.200 m² für Aktionsware und Material sowie 3.000 m² für den Umschlag von Büchern umfasst, sind 60 Mitarbeiter beschäftigt.[29]
2011: Großer Preis des Mittelstandes: Finalist des Jahres 2011 im 17. bundesweiten Wettbewerb aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Thüringen aufgrund der hervorragenden Gesamtentwicklung des Unternehmens, der Schaffung sowie Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie vorbildlicher Leistungen in den Wettbewerbskriterien Innovation/Modernisierung, Engagement in der Region und Service/Kundennähe/Marketing.[33]
2012: Entrepreneur des Jahres: Finalist beim 16. Unternehmerwettbewerb Entrepreneur des Jahres der besten mittelständischen Unternehmen Deutschlands.[34]
2015: Händler des Jahres in den Kategorien Bücher und Zeitschriften, Service und Innovation.[36]
2017: Händler des Jahres in der Kategorie Bester Service[37]
Literatur
Konrad-Dietrich Riethmüller, Brigitte Riethmüller (Hrsg.): Osiander 1596–1971. Buchhandel in Tübingen, Osiandersche Buchhandlung, Tübingen 1971, ISBN 3-9800011-0-5 (Inhaltsverzeichnis, PDF-Datei 107 kB)
Günther Fetzer: Osiander. 425 Jahre Buchhandel in Deutschland, Molino, Leonberg/Schwäbisch Hall 2021, ISBN 978-3-948696-04-7 (Inhaltsverzeichnis, PDF-Datei 189 kB; Rezension von Reinhold Fülle, PDF-Datei 122 kB)