Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägte Begriff Lungenheilstätte bezeichnet eine Heilstätte für Tuberkulosekranke, an der die Luftkur durchgeführt wurde, insbesondere in Form von Höhenkliniken. Der Übergang zu Sanatorium und Fachklinik ist fließend.
Im Jahr 1854 hatte Hermann Brehmer die Lungenheilstättenbehandlung eingeführt.[1] Der von Ernst von Leyden gegründete Deutsche Zentralverein zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke bewirkte einen deutlichen Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit. Carl Dorno und Alexander Spengler untersuchten den therapeutischen Wert von Klima und Ultraviolettstrahlung. Höhenkliniken kamen in Mode.[E 1]Der Zauberberg (1924) hat ein verzerrtes („schönes“) Bild der Lungenheilstätten entstehen lassen. Wirklichkeitsnäher ist die sarkastische Bezeichnung „Mottenbunker“ – wobei mit Motten die Tuberkelbazillen gemeint sind. Der Infektiosität entsprechend befanden sich die Krankenanstalten isoliert von Städten und Dörfern, wenn möglich in Höhenlage. Frauen, Männer und Kinder wurden getrennt untergebracht. Die meisten Häuser hatten große Sonnenterrassen und Gärten, weil die Ultraviolettstrahlung und frische Luft die Heilung fördern. Die abgeschiedene und gesunde Lage begünstigte seit den 1970er Jahren die Umwidmung für Kur und Rehabilitation. Viele Häuser wurden Fachkliniken für Orthopädie oder Psychiatrie.
Von 1916 bis 1925 starben in der Schweiz über 50'000 Menschen an der Lungentuberkulose. Neben den Privatkliniken gab es auch Volksheilstätten. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in der Schweiz die ersten Volksheilstätten für Lungenkranke eröffnet: 1895 Heiligenschwendi, 1896 die Basler Volksheilstätte in Davos-Dorf, 1897 die Glarner Volksheilstätte in Braunwald und 1898 die Zürcher Heilstätte Wald. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten Sanatorien in Clermont-sur-Sierre, Leysin, Malvilliers, Knoblisbühl, Unterägeri, Allerheiligenberg und 1912 die Barmelweid. In Davos gab es 1918 zwölf kantonale und einige ausländische Volkssanatorien (Niederlande, Deutschland, England usw.). Ende der 1920er-Jahre gab es in der Schweiz 88 Sanatorien als Lungenheilstätten.[5][6]
Carl Credé: Ueber Heilstätten-Wesen. Dissertation Universität Leipzig 1907.
Andreas Jüttemann: Die preußischen Lungenheilstätten 1863–1934. Dissertation Charité Berlin 2015.
Ingeborg Langerbeins: Lungenheilanstalten in Deutschland (1854–1945). Dissertation Universität Köln 1979.
Wilhelm Roloff: Tuberkulose-Lexikon. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1949.
Erich Stern: Zur Frage der Psychotherapie im Lungensanatorium. In: Allgemeine ärztliche Zeitschrift für Psychotherapie und psychische Hygiene. Band 2, 1929, S. 299–314.
Erich Stern: Bemerkungen zu Thomas Manns „Zauberberg“. In: Medizinische Klinik. Band 21, 1925, S. 254–257.
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 38.
↑Thaddäus Zajaczkowski: The Tuberculosis Hospital in Hohenkrug, Stettin, Department of Genitourinary Tuberculosis. Annales Academiae Medicae Stetinensis 58 (2012), S. 66–76.