Das ehemalige Kirch-, Bauern- und Gutsdorf Karścino liegt in Hinterpommern, nördlich einer Nebenstraße, die Karlino (Körlin, 7 km) mit Gościno (Groß Jestin, 10 km) verbindet und von der bei Lisiny (Fuchsmühle) eine Straße nach Karścino und weiter bis Włościbórz (Lustebuhr) abzweigt. Die frühere Kreisstadt Kołobrzeg (Kolberg) ist 30 Straßen-Kilometer entfernt, und die Entfernung zur jetzigen Kreismetropole Białogard (Belgard) beträgt 17 Kilometer.
Als Namensformen sind überliefert: Karstino (1276), Kestine (1618), Kerstin (bis 1945). Die Bezeichnung geht wohl auf das wendische „Karczuje“ = „roden“ zurück.
Geschichte
Kerstin war im Mittelalter von deutschen Bauern in der Form eines Hufeisendorfes angelegt und im 19. Jahrhundert ausgebaut und verdichtet worden. Der Gutshof lag am östlichen Ortsrand.
Im Jahre 1276 wurde der Ort erwähnt, als der CamminerBischofHermann von Gleichen der Kolberger Domkirche ihre Besitzungen bestätigte, darunter Einkünfte in Karstino. 1545 erschien das Dorf wieder namentlich bei einer Visitation der Rügenwalder Kirche mit der Feststellung, dass Henninck Manduwel zu Kerstin Geld schuldete. Im Jahre 1565 saßen die Brüder Lorentz und Hanns Manduwel auf Kerstin, 1572 wurden Hans und Hennigs Erben genannt. Kerstin erweist sich demnach als ein altes Manteuffelsches Lehen, das auch noch 1666 im Besitz dieser Familie war. Von 1764 bis 1945 gehörte Kerstin in ununterbrochener Folge der aus Ostpreußen stammenden Familie von Gaudecker.
Um 1784 gab es in Kerstin einen Prediger, einen Küster, acht Bauern, einen Predigercolonus, zwei Kossäten und eine Schmiede bei 31 Feuerstellen.[1] Nach der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgeführten Separation wurden Bauerndorf und Rittergut politisch getrennt. Im Jahre 1928 wurden die Gutsbezirke Kerstin und Krühne (polnisch: Skronie) mit der Landgemeinde Kerstin vereinigt.
Im Jahre 1780 zählte Kerstin 217 Einwohner. Ihre Zahl stieg bis 1864 auf 386 in 61 Familien[2], betrug 1871 bereits 406 und sank bis 1910 auf 361. 1933 wurden 409 Einwohner registriert, 1939 waren es 405.
Die Kirche von Kerstin stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde 1830 grundlegend renoviert, aber in ihrer Form nicht verändert. Der alte Holzturm wurde 1886 durch einen massiven Turm mit achteckigem Helm ersetzt.
Von der reichhaltigen alten Ausstattung war bis 1945 noch fast alles erhalten geblieben.
Der Altar, ein barockes, hölzernes Schnitzwerk aus dem Jahre 1696 zeigte im Mittelfeld den gekreuzigten Christus mit Maria, Johannes und Maria Magdalena vor dem Kreuz. Die Predella enthielt eine geschnitzte Darstellung des Abendmahls. Der Altar hat bis heute eine Vereinfachung erfahren, das Altarbild zeigt Maria mit dem Kind.
Ähnlich verhält es sich bei der Kanzel, die älter als der Altar ist und auf einem noch älteren Kanzelfuß steht. Der Taufstein aus dem Jahre 1697 hat eine noch erhaltene Bekrönung mit der Abbildung der Taufe Jesu.
An der Ostwand der Kirche sind die Sandsteingrabsteine des Hanns Manteuffel (Kruckenbeck, † 1594) und Henning Manteuffel in Ritterrüstung aufgestellt. Zwei Epitaphe sind dem 1704 gefallenen Antonius Bogislaus von Manteuffel und der Sophie Charlotte von Manteuffel gewidmet. Als Besonderheit zeigt das Epitaph der Sophie eine alte Dorfansicht (rechts). Links ist eine Rodung dargestellt, mit dem Hinweis der Hofgründung.
In das aus vorreformatorischer Zeit stammende Gotteshaus zog mit der Reformation 1539 die lutherische Predigt ein. Nach mehr als 400 Jahren wurde das Gebäude 1945 zugunsten der katholischen Kirche enteignet. Diese weihte es am 13. April 1953 neu, verbunden mit der Namensgebung als Kościół pw. Matki Boskiej Częstochowskiej („Kirche der Gottesmutter von Tschenstochau“).
Kirchspiel/Pfarrei
Kerstin war ein altes Kirchdorf. Zu seinem bis 1945 evangelischenKirchspiel gehörten die Orte Krühne und Groß Pobloth (Pobłocie Wielkie), außerdem die Filialkirchengemeinde Kruckenbeck. Das Kirchenpatronat hatten die Besitzer der Rittergüter Kerstin und Kruckenbeck inne, zuletzt Hans von Gaudecker auf Kerstin und Leo von Gaudecker auf Kruckenbeck.
Im Jahre 1940 zählte das Kirchspiel Kerstin insgesamt 869 Gemeindemitglieder, von denen 649 zur Muttergemeinde Kerstin und 22 zur Tochtergemeinde Kruckenbeck gehörten. Bis 1945 war Kerstin in den KirchenkreisBelgard im Ostsprengel der Kirchenprovinz Pommern der Kirche der Altpreußischen Union eingegliedert.
Von der Einführung der Reformation bis 1945 amtierten in Kerstin 16 evangelische Pfarrer:
Peter Flemming, 1539–1572
Joachim Willich, 1579–1602
Jakob Eichmann, 1604–1648
Tobias Tibbe, 1650–1698
Georg Becker (Pistorius), 1699–1713
Christian Strempel, 1714–1725
Joachim Balthasar Wagenseil, 1726–1754
Johann Gottlieb Ramler, 1754–1779
Johann Andreas Tesmar, 1778–1797
Karl Friedrich Wilhelm Plath, 1798–1810
Christian Gottlieb Ludwig Steinbrück, 1810–1848
Karl Ludwig Heidler, 1849–1874
Karl Paul Kleophas Bauer, 1874–1882 (danach Vakanzvertretung durch den Pfarrer in Karvin (polnisch: Karwin))
Max Johannes Richard Bienengräber, 1889–1892
Richard Ferdinand Heinrich Franke, 1892–1928
Wolfgang Krössin, 1938–1945
Schule
In Kerstin war nach dem Ersten Weltkrieg ein neues Schulhaus errichtet worden mit einem Klassenraum und einer Lehrerwohnung. 1939 wurden hier 57 Kinder unterrichtet. Seit 1930 besuchten auch die Kinder aus Krühne (polnisch: Skronie) die Schule in Kerstin. Der letzte deutsche Lehrer war Gustav Erdmann.
Söhne und Töchter des Ortes
Jakob von Manteuffel (1607–1661), brandenburgischer Obrist und Kommandeur über die pommersche Reiterei und die des Stifts Cammin
Manfred Vollack (Hrsg.): Das Kolberger Land. Seine Städte und Dörfer. Ein pommersches Heimatbuch. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 1999, ISBN 3-88042-784-4, S. 326–337.
Ernst Müller: Die Evangelischen Geistlichen Pommerns von der Reformation bis zur Gegenwart. Teil 2. Stettin 1912.
Hans Glaeser-Swantow: Das Evangelische Pommern. Teil 2. Stettin 1940.
Heinrich Schulz: Pommersche Dorfkirchen östlich der Oder. Herford 1963.
↑Ludwig Wilhelm Brüggemann: Ausführliche Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes des Königl. Preußischen Herzogtums Vor- und Hinterpommern. Teil II, Band 2, Stettin 1784, S. 567–568, Nr. 46.
↑Heinrich Berghaus: Landbuch des Herzogtums Pommern und des Fürstentums Rügen. Teil III, Band 1, Anklam 1867, S. 354–355.