Bis weit in die bürgerliche Mitte hinein dachte man, dass Koalitionsregierungen zu schwach waren, der Probleme Herr zu werden.[1] Zumindest hatte dies das Kabinett Müller II so gezeigt. Hindenburg ernannte Brüning zum Kanzler „mit dem Vermerk, daß sein Kabinett ohne koalitionsmäßige Bindung zusammenzustellen sei.“[1]
Der Reichskanzler bedurfte nach Artikel 54 der Verfassung jedoch zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstages und musste zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzog. Nur eine Formalität war die Ernennung des Kanzlers durch den Reichspräsidenten im Artikel 53.[2]
Artikel 48, Abs. 1 der Verfassung sprach jedoch von dem Recht des Präsidenten, ein Land mit Hilfe der bewaffneten Macht dazu anzuhalten, die gesetzlich aufgetragenen Pflichten zu erfüllen. Absatz 2 des Artikels sprach von Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; Absatz 3 des Artikels davon, dass diese Maßnahmen auf Verlangen des Reichstags außer Kraft zu setzen sind.
Brüning gedachte nun, „mit dem Parlament zu regieren, wenn es zur Mitarbeit bereit war […]; oder aber auf Grund des ausdeutbaren Artikels ohne Parlament zu regieren“:[3] durch (Not-)Verordnungen des Präsidenten, die das Parlament, wenn es denn wünschte, außer Kraft setzten konnte mit der Aussicht auf Neuwahlen. Damit sollte der scheinbar unbeschreitbare Weg einer parlamentarischen Regierung verlassen und auf dem Weg einer präsidialen Regierung weitergeschritten werden.
Regierungshandeln
Brüning war christlicher Gewerkschafter, aber es mussten die Finanzen saniert werden, was der Schritt zur Währungsreform im Jahr 1923 gelehrt hatte: schmerzliche Herabsetzung der Sozialleistungen, Erhöhung der Steuern, Drosselung der Importe. „Die Löhne würden folgen, dann auch die Preise.“[3] (Austeritätspolitik)
Brüning brachte ein erstes Bündel von entsprechenden Maßnahmen mit Hilfe der Konservativen und der SPD durch den Reichstag. Dann aber lehnte der Reichstag den von Brüning vorgelegten Reichshaushalt für 1930 (Deckungsmaßnahmen) ab. Nun folgte der scheinbar verfassungsrechtlich mögliche Schlagabtausch:
Reichspräsident Hindenburg wandelte auf Brünings Bitte den Gesetzentwurf am 16. Juli in eine Notverordnung zur „Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ um.
Daraufhin machte der Reichstag auf Antrag der SPD mit 256 Stimmen von SPD, KPD, NSDAP und DNVP von seinem in Artikel 48 der Weimarer Verfassung festgelegten Recht Gebrauch, eine Notverordnung abzulehnen.
Weil die Reichstagskonstellation damit auch die Minderheitsregierung von Brüning scheitern ließ, bat Kanzler Brüning daraufhin Präsident Hindenburg, den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen.
Um weitere Parlamentsauflösungen zu verhindern, beschloss die SPD, die Regierung Brüning künftig zu tolerieren, nachdem Brüning intensive Gespräche mit der SPD geführt hatte mit dem Hinweis, die nächsten Neuwahlen würden noch verheerender für die Demokratie in Deutschland ausfallen. (Eben hatte die NSDAP 18,3 % der Wählerstimmen erreicht, bei der nächsten Wahl im Juli 1932 sollte sie 37,3 % erzielen.)
Die Sozialdemokraten mussten Notverordnungen parlamentarisch passieren lassen, die viel härter für die Arbeiterschaft waren „als jene, um derentwillen sie im Frühjahr die letzte parlamentarische Koalition gesprengt hatten.“[4] Kommunisten oder Nationalsozialisten stellten immer einen Antrag auf Aufhebung einer Notverordnung. Jedes Mal wurde dies mit den Stimmen der Regierungsparteien und der SPD abgelehnt.
Ende des Kabinetts Brüning I
Nachdem am 5. September 1931 die Bestrebung gescheitert war, eine deutsch-österreichische Zollunion zu gründen und Außenminister Curtius deswegen zurückgetreten war, war Brüning außer Schleicher und Hindenburg auch dafür, eine rechtsgerichtetere Politik zu gestalten. Nachdem Brüning Hindenburg versprochen hatte, deutlich konservativere Minister zu berufen, die parteipolitisch nicht so gebunden und weder katholisch noch links sein sollten, nahm Hindenburg den Rücktritt der Regierung Brüning an und beauftragte Brüning gleichzeitig mit der Regierungsneubildung.
Kabinettsliste
Kabinett Brüning I 31. März 1930 bis 9. Oktober 1931
Herbert Hömig: Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Schöningh, Paderborn 2000, ISBN 3-506-73949-2.
Gerhard Schulz: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933 (= Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Band 3); Walter de Gruyter, Berlin / New York 1992, ISBN 3-11-013525-6.
Peer Oliver Volkmann: Heinrich Brüning (1885–1970). Nationalist ohne Heimat. Droste, Düsseldorf 2007.