Die Hirschberg- und Tiefenbachwiesen liegen in den nordhessischen Landkreisen Werra-Meißner und Kassel am Fuße des Hirschbergs, der mit einer Höhe von 643 Metern die höchste Erhebung im Kaufunger Wald ist. Sie bestehen aus extensiv genutzten Bergwiesen, Borstgrasrasen, Gebüschen und Waldbereichen. In der durch Hecken reich strukturierten Wiesenlandschaft haben sich auch Sumpfbereiche mit Feuchtwiesen und Kleinseggensümpfen ausgebildet. Als Standort seltener und stark gefährdeter Pflanzenarten und Lebensraum bedrohter Tierarten wurden bereits im März 1989 rund 39 Hektar der Flächen als Naturschutzgebiet „Tiefenbachwiesen bei Rommerode“ ausgewiesen.
Im Rahmen der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ist im Juli 2001 das Naturschutzgebiet mit angrenzenden Wiesenbereichen vom Land Hessen der EU für das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ gemeldet worden. Nach der rechtlichen Sicherung im Jahr 2008 wurden sie als ein Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Gebiet in das europaweite Netz integriert, das die Förderung der biologischen Vielfalt zum Ziel hat. Das FFH-Gebiet besitzt eine Größe von 141,59 Hektar, hat die Gebietsnummer 4724-310 und den WDPA-Code 555520063.[1] Die Wiesen gelten im Verbund mit den benachbarten FFH-Gebieten „Lichtenauer Hochland“, „Rösberg bei Rommerode“ und „Hohekopf bei Großalmerode“ auch landesweit als sehr bedeutsam, da sie die Vielfalt der Lebensraumtypen des Grünlands im Naturraum Fulda-Werra-Bergland repräsentieren.[2]
Der geologische Untergrund im Gebiet wird von dem Mittleren Buntsandstein des Fulda-Werra-Berglandes gebildet, der von tertiärenTonen und Sanden sowie Braunkohleschichten überdeckt wird, denen am Hirschberg noch die Basaltdecke eines ehemaligen Schildvulkanes aufgelagert ist. An den Ost- und Westhängen des Hirschbergs dominieren tiefgründige Braunerden, die im Südwesten in die lehmig-tonigen Pseudogleye- und Gleyeböden übergehen. Sie gelten wegen des Basaltschutts und der Lössvorkommen als gut mit Basen versorgt. Zu ihnen gehören die Böden der Tiefenbachwiesen, die im Südosten des Hirschbergs liegen. Die weiter vom Hirschberg entfernten Wiesen weisen mit Borstgrasrasen und Heiden Vegetationseinheiten auf, die eher auf sauren, basenarmen Substraten verbreitet sind.[4]
Die ausgedehnten Vorkommen der tertiären Tone im Raum um Großalmerode wurden schon im Mittelalter zur Herstellung von Glas und Keramik abgebaut und gewannen nach dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert an Bedeutung. Großalmerode wurde mit der Produktion von Schmelztiegeln, Pfeifenköpfen, Dachziegeln und anderen Erzeugnissen zu einem der wichtigsten keramischen Zentren in Mitteldeutschland. Die Braunkohleflöze der Region wurden seit dem 17. Jahrhundert erschlossen und genutzt und boten mit der Keramikindustrie der Bevölkerung Arbeitsplätze. Landwirtschaft wurde oft nur im Nebenerwerb betrieben.
Weil die meist dürftigen Böden der gebirgigen Landschaft eine großflächige intensive Bewirtschaftung verhinderten, wurden die Flächen traditionell als Mähgrünland und zur Heugewinnung genutzt. Die Mahd wurde an Kühe und Ziegen verfüttert, die das ganze Jahr über im häuslichen Stall oder auf Weiden in Dorfnähe standen. Die teilweise kleinen, im Familienbesitz befindlichen Parzellen wurden durch Hecken abgegrenzt und über Generationen gepflegt. Durch diese früheren Nutzungsformen entstand eine grenzlinienreiche, kleinteilig genutzte Kulturlandschaft, deren Überbleibsel heute noch vorhanden sind. Nach der schrittweisen Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung wurden die ortsfernen Bereiche großflächig mit Fichten aufgeforstet, die das FFH-Gebiet im Südwesten, Süden und Südosten begrenzen.[4]
FFH-Lebensraumtypen
Der Standarddatenbogen nennt sieben im Gebiet vorkommende Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen.[5] Den naturschutzfachlichen Wert begründen vor allem die Lebensraumtypen der Borstgrasrasen, Berg- und Flachlandmähwiesen mit ihren artenreichen Übergängen. Die beiden kalkreichen Niedermoore besitzen wegen ihrer bemerkenswerten Vegetationsausstattung und der Vernetzung mit dem umliegenden Feuchtgrünland eine große regionale Bedeutung. Da Kalkquellsümpfe in Hessen als vom Aussterben bedroht angesehen werden, sind die Vorkommen hier auch von überregionaler, hessenweiter Wichtigkeit.[4]
Dieser prioritäre Lebensraumtyp kommt ausschließlich in den Tiefenbachwiesen vor und wird den Pflanzengesellschaften „Kreuzblumen-Borstgrasrasen“ und „Borstgras-Torfbinsenrasen“ zugeordnet. Charakteristische Arten sind neben der namengebenden Torfbinse, Wald-Läusekraut und Quendel-Kreuzblümchen. Die Kreuzblumen-Borstgrasrasen beherbergen noch relativ große Populationen von Arnika und kleinere Vorkommen des Pyrenäen-Leinkrauts.
Davalls Segge, Breitblättriges Wollgras und Sumpf-Stendelwurz gehören zu den typischen Arten der beiden Quellsümpfe im Gebiet. Die arten- und orchideenreiche Vegetation besitzt einen ausgeprägten früh- bis hochsommerlichen Blütenhorizont und weist örtlich individuenreiche Bestände der stark gefährdeten Floh-Segge auf.
Mit ausschlaggebend für die Einrichtung des FFH-Gebiets waren die Vorkommen des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings, der zu den in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgelisteten Arten von gemeinschaftlichem Interesse gehört. Er zählt zu den Schmetterlingen, die so schwerwiegend bedroht sind, dass sie voraussichtlich aussterben, wenn sich die Zerstörung ihrer Lebensräume fortsetzt. In seinem komplexen Entwicklungszyklus ist der Bläuling auf das Vorhandensein von Beständen des Großen Wiesenknopfes und eine ausreichende Anzahl von Nestern der Wirtsameisen angewiesen, die in den Wiesen noch zu finden sind. Da er europaweit gefährdet ist und als Schlüsselart gilt, wird er als besonders schützenswert angesehen und für seine Erhaltung müssen besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden.
Im Rahmen der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie wurde das Wiesengebiet im Juli 2001 der EU-Kommission für das länderübergreifende ökologische Schutzgebietssystem „Natura 2000“ zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten vorgeschlagen. Der Standarddatenbogen vom April 2001 begründete die Schutzwürdigkeit der vielfältig strukturierten Bergwiesenlandschaft mit den extensiv genutzten Wiesen und Borstgrasrasen sowie mit der hessenweiten Bedeutung als einzig bekannter Fundort der Scheinameise (Methocha ichneumonides).[5] (Der Hautflügler aus der Familie der Rollwespen konnte allerdings bei den Untersuchungen für die Grunddatenerhebung nicht nachgewiesen werden.[4]) Nach der Bestätigung als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung im Dezember 2004 forderte die EU neben dem Gebietsmanagement und dem damit verbundenen Monitoring eine förmliche Schutzerklärung, die im Januar 2008 mit der „Verordnung über Natura 2000-Gebiete in Hessen“ erfolgte.[7]
Besucherhinweis
Die Wiesen sind von Wander- und Wirtschaftswegen, für die die nahegelegenen Dörfer Rommerode, Wickenrode und Friedrichsbrück geeignete Ausgangsorte sind, gut einzusehen. Durch das Schutzgebiet führt eine Etappe des mehr als 80 km langen Rundwanderwegs „Grimmsteig“.[8] Wanderer finden am Weg im Gebiet eine Schutzhütte, Sitzbänke und Tische sowie Schautafeln, die über die Schutzwürdigkeit der Wiesen informieren.
Lothar und Sieglinde Nitsche, Marcus Schmidt: Naturschutzgebiete in Hessen, schützen-erleben-pflegen. Band 3, Werra-Meißner-Kreis und Kreis Hersfeld-Rotenburg. cognitio Verlag, Niedenstein 2005, ISBN 3-932583-13-2.
↑Torsten Rapp: Maßnahmenplan für das FFH-Gebiet „Hirschberg- und Tiefenbachwiesen“ vom Januar 2010.
↑Hans-Jürgen Klink: Blatt 112 Kassel. In: Naturräumliche Gliederung nach der Geographischen Landesaufnahme des Instituts für Landeskunde Bad Godesberg.
↑ abcdeNeckermann & Achterholt: Endbericht zur Grunddatenerhebung FFH-Gebiet „Hirschberg und Tiefenbachwiesen“.
↑ abRegierungspräsidium Kassel: „Hirschberg- und Tiefenbachwiesen“. In: Standard-Datenbogen für besondere Schutzgebiete, erstellt im April 2001 und im Januar 2015 aktualisiert.
↑Verordnung über die Natura 2000-Gebiete in Hessen vom 16. Januar 2008. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I, Nr. 4 vom 7. März 2008.