Blick auf Hartmannshain und Herchenhain von einer Anlage im benachbarten Windpark
Herchenhain ist ein Ortsteil der Gemeinde Grebenhain im mittelhessischenVogelsbergkreis. Das Dorf liegt auf offener Flur, knapp 5 km westlich von Grebenhain und unmittelbar südwestlich der Herchenhainer Höhe. Es ist der westlichste Ortsteil der Gemeinde und der höchstgelegene Ort in Hessen.
Die älteste bekannte urkundliche Erwähnung von Herchenhain erfolgte in einer Urkunde aus dem Jahr 1289 als „villa Herchenhain“.[1] Der Ortsname lässt sich auf einen Personennamen „Hericho“ oder „Haricho“ zurückführen.[4]
Erstmals wird eine Pfarrkirche in Herchenhain 1315 erwähnt: „... ad parochialem ecclesiam in Hergenheim ...“ (zur Pfarrkirche nach Herchenhain).[5]
Am 29. September 1358 beurkundete Graf Gottfried VII. von Ziegenhain, dass er dem Abt Heinrich VII. von Fulda die Hälfte von Herchenhain mit Ausnahme des Kirchensatzes überlassen habe und dass sie beide daselbst eine Burg und Stadt erbaut hätten, die als völlig gemeinsam angesehen werden und im Fall einer Fehde zwischen ihnen den Gerichten Burkhards und Crainfeld zum Schutz und Schirm dienen sollte. Kaiser Karl IV. verlieh am 9. April 1359 Herchenhain die Stadtrechte und somit auch das Recht, Märkte abzuhalten. Zur wirklichen Herausbildung einer Stadt ist es jedoch in den folgenden Jahrhunderten nicht gekommen. Auch gibt es bisher keine Hinweise auf die tatsächliche Errichtung einer Burg in Herchenhain.
Neuzeit
1536 wird der erste evangelische Seelsorger in Herchenhain erwähnt (ein Herr Henrius). Während des Dreißigjährigen Krieges wurde Herchenhain 1622 von Truppen des Herzogs Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel geplündert, 1634 von kroatischen Söldnern. 1635 herrschte die Beulenpest und raffte viele Bewohner dahin.
1841 bis 1843 herrschten Missernten und große Hungersnot in Herchenhain, weshalb viele Einwohner nach Nordamerika und später in die industriellen Ballungsgebiete auswanderten. 54 Höfe verschwanden völlig. im Zweiten Weltkrieg wurde Herchenhain in der Nacht vom 7. auf den 8. August 1941 durch britische Kampfflugzeuge bombardiert, wodurch mehrere Häuser und Höfe zerstört und zwei Menschen getötet wurden. Ziel des Angriffs war möglicherweise die nahegelegene Luftmunitionsanstalt Hartmannshain im Oberwald, umgangssprachlich Muna genannt.
Die Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogthums Hessen berichtet 1830 über Herchenhain:
„Herchenhain (L. Bez. Schotten) evangel. Pfarrdorf; liegt im Vogelsberg am Bilstein, in einer sehr kalten rauhen Gegend, und 2592 Hess. (1994 Par.) Fuß über der Meeresfläche erhaben, so wie 4 St. von Schotten entfernt. Der Ort hat eine Kirche, 91 Häuser und 508 evangelische Einwohner, unter welchen sich namentlich 12 Weber und 10 Schuhmacher befinden. Jährlich werden 2 Vieh- und Krämermärkte gehalten, von welchen jeder zwei Tage dauert, und welche sehr stark besucht werden. Auch treibt der Ort selbst eine starke Viehzucht, da die Gemarkung sehr viel Wiesen und Weiden, von erstern mehr als Ackerfeld, besitzt. Im Jahr 1785 lag der Schnee 12 Fuß hoch und höher. – Im 14. Jahrhundert wird die Kirche zu Herchenhain, als Pfarrkirche genannt, zu welcher Sichenhausen und Hartmannshain als Filiale gehörten. Den 29. September 1358 bekennt der Fuldische Abt Heinrich, daß ihm Graf Gottfried von Ziegenhain die Hälfte von Herchenhain, mit Ausnahme des Kirchsatzes überlassen, und daß sie beide daselbst eine Burg und eine Stadt gebauet, welche völlig als gemeinsam angesehen werden, und im Fall einer Fehde zwischen ihnen oder ihren Erben den Gerichten Burkhards und Crainfeld zu Schutz und Schirm dienen sollte. Wahrscheinlich bestand diese Burg und Stadt nicht lange, wohl aber mögen sich die Märkte aus jenen Zeiten herleiten.“[6]
In der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt wurde mit Ausführungsverordnung vom 9. Dezember 1803 das Gerichtswesen neu organisiert. Für das Fürstentum Oberhessen (ab 1815 Provinz Oberhessen) wurde das „Hofgericht Gießen“ eingerichtet. Es war für normale bürgerliche Streitsachen Gericht der zweiten Instanz, für standesherrliche Familienrechtssachen und Kriminalfälle die erste Instanz. Übergeordnet war das Oberappellationsgericht Darmstadt. Die Rechtsprechung der ersten Instanz wurde durch die Ämter bzw. Standesherren vorgenommen und somit war für Herchenhain das Amt Lißberg zuständig. Nach der Gründung des Großherzogtum Hessen 1806 wurden die Aufgaben der ersten Instanz 1821–1822 im Rahmen der Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung auf die neu geschaffenen Land- bzw. Stadtgerichte übergingen. Herchenhain viel in den Gerichtsbezirk des „Landgerichts Schotten“.
Anlässlich der Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Oktober 1879, infolge derer die bisherigen großherzoglichen Landgerichte durch Amtsgerichte an gleicher Stelle ersetzt wurden, während die neu geschaffenen Landgerichte nun als Obergerichte fungierten, kam es zur Umbenennung in „Amtsgericht Schotten“ und Zuteilung zum Bezirk des Landgerichts Gießen.[21] Am 1. November 1907 wurde Herchenhain dem Bezirk des Amtsgerichts Ortenberg zugeteilt. Mit Wirkung vom 1. November 1949 wurde Herchenhain dem Bezirk des Amtsgerichts Herbstein zugewiesen. Am 1. Juli 1957 verlor das Amtsgericht Herbstein seine Selbständigkeit und wurde endgültig – nachdem es dies schon zu Ende des Zweiten Weltkrieges war – zur Zweigstelle des Amtsgerichts Lauterbach. Am 1. Juli 1968 wurde auch diese Zweigstelle aufgehoben. Am 1. Januar 2005 wurde das Amtsgericht Lauterbach als Vollgericht aufgehoben und zur Zweigstelle des Amtsgerichts Alsfeld. Zum 1. Januar 2012 wurde auch diese Zweigstelle geschlossen.
Bevölkerung
Einwohnerstruktur 2011
Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Herchenhain 411 Einwohner. Darunter waren 6 (1,5 %) Ausländer. Nach dem Lebensalter waren 63 Einwohner unter 18 Jahren, 120 zwischen 18 und 49, 96 zwischen 50 und 64 und 129 Einwohner waren älter.[22] Die Einwohner lebten in 225 Haushalten. Davon waren 63 Singlehaushalte, 87 Paare ohne Kinder und 51 Paare mit Kindern, sowie 18 Alleinerziehende und 3 Wohngemeinschaften. In 78 Haushalten lebten ausschließlich Senioren und in 99 Haushaltungen lebten keine Senioren.[22]
Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967. Wiesbaden: Hessisches Statistisches Landesamt, 1968. Weitere Quellen: LAGIS[1]; 1791[15]; 1800[25]; nach 1970 Gemeinde Grebenhain: webarchiv; Zensus 2011[22]
Blasonierung: „Schild gespalten. Links in Silber ein schwarzes Kreuz, rechts in schwarz-goldener Teilung oben ein sechsstrahliger silberner Stern.“[26]
Das Recht zur Führung eines Wappens wurde der ehemaligen Gemeinde Herchenhain im Landkreis Lauterbach am 14. Juni 1951 durch den Hessischen Innenminister verliehen.
Gestaltet wurde es durch den Darmstädter Heraldiker Georg Massoth.
Das gespaltene Schild zeigt im linken Feld das Wappen der Grafen von Ziegenhain und im rechten Feld das Wappen der Fürstabtei Fulda. Es erinnert damit an die 1358 von beiden Territorialherrschaften geschlossene Übereinkunft zur Gründung einer gemeinsamen Burg und Stadt in Herchenhain.[27]
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Johanismarkt
Herchenhain feierte 2009 seinen 650. Johannismarkt. Eine Bestückung dieses traditionellen Marktes lässt sich aus einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1846 verfolgen, als der Markt in Herchenhain als viel besucht, mit 151 Wirten, 306 großen und 449 kleinen Krämern, 2 Karussells, 1 Wachsfigurenkabinett, 12 Zirkusse, sowie der Auftrieb von 1356 Stück Rindvieh und 501 Schweinen, beschrieben wird. Der Herchenhainer Johannismarkt galt als wichtigster Markt in der gesamten Region, zumal bis ins 19. Jahrhundert die regional wichtige Straßenverbindung Frankfurter Straße den Ort durchquerte.
Vereine
Durch die Nähe zum Ortsteil Hartmannshain haben sich Vereine gebildet, denen Bewohner beider Ortschaften als Mitglieder angehören. Dazu gehören:
Herchenhain war ursprünglich ein vorwiegend von der Landwirtschaft geprägter Ort. Versuche zur Ansiedlung von Industrie scheiterten. Nach der Anbindung an die Bahnstrecke Bad Vilbel–Lauterbach 1906 entwickelte sich der Fremdenverkehr. Herchenhain gilt als Naherholungsgebiet für die Rhein-Main-Region. Es gibt Wanderwege, gespurte Loipen und einen Skilift.
In den späten 1960er Jahren entstand am Ortsrand ein ausgedehntes Wochenendhausgebiet. 1970 belief sich die Wohnbevölkerung Herchenhains auf 412 Einwohner. Damals existierten im Dorf 50 Wochenend bzw. Ferienhaus-Bauten bei gleichzeitig 80 Wohnungen für die seinerzeit im Dorf ansässige Bevölkerung. Zugleich gab es damals 53 noch nicht bebaute Wochenendparzellen. 30 Eigentümer der Wochenend- bzw. Ferienhäuser stammten aus der Region Untermain, 20 kamen aus dem Raum Gießen.[28]
1926 wurde auf der Herchenhainer Höhe eine Jugendherberge erbaut und unter dem Namen Vater-Bender-Heim vom Vogelsberger Höhen-Club (VHC) betrieben. Sie wurde bei dem Bombenangriff 1941 zerstört und nie wieder aufgebaut. Heute trägt ein Wanderheim des VHC auf dem Hoherodskopf den Namen Vater-Bender-Heim. Auf dem Gelände der früheren Jugendherberge wurde 1961 das inzwischen geschlossene Hotel-Restaurant Bergrasthaus Herchenhainer Höhe eröffnet.
↑ abEinwohner HWS. In: Webauftritt. Gemeinde Grebenhain, abgerufen im November 2020.
↑Willi Görich: Ortesweg, Antsanvia und Fulda in neuerer Sicht. Zur Heimführung des Bonifacius vor 1200 Jahren. In: Germania, Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts 33 (1955). Beilage 2. S. 68–88. S. 80, doi:10.11588/ger.1955.43631.
↑Lutz Reichardt: Die Siedlungsnamen der Kreise Gießen, Alsfeld und Lauterbach. Namensbuch. Göppingen 1973. S. 178.
↑Ludwig Baur: Hessische Urkunden aus dem Großherzoglich Hessischen Haus- und Staatsarchiv I. Darmstadt 1860. Nr. 480, S. 334
↑Gemeindegebietsreform Hessen; Zusammenschlüsse und Eingliederung von Gemeinden vom 29. Dezember 1971. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1972 Nr.3, S.89, Punkt 94, Abs. 30 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 6,0MB]).
↑Hauptsatzung. (PDF; 2 MB) § 5. In: Webauftritt. Gemeinde Grebenhain, abgerufen im November 2020.
↑Michael Rademacher: Land Hessen. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 1. Januar 1900
↑Grossherzogliche Centralstelle für die Landesstatistik (Hrsg.): Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band13. G. Jonghause’s Hofbuchhandlung, Darmstadt 1872, OCLC162730471, S.12ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Martin Röhling: Niddaer Geschichtsblätter. Heft 9. Die Geschichte der Grafen von Nidda und der Grafen von Ziegenhain. Hrsg.: Niddaer Heimatmuseum e. V. Im Selbstverlag, 2005, ISBN 3-9803915-9-0, S.75, 115.
↑Grossherzogliche Centralstelle für die Landesstatistik (Hrsg.): Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band13. G. Jonghause’s Hofbuchhandlung, Darmstadt 1872, OCLC162730471, S.13ff., § 26 Punkt d) IX. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Wilhelm von der Nahmer: Handbuch des Rheinischen Particular-Rechts: Entwickelung der Territorial- und Verfassungsverhältnisse der deutschen Staaten an beiden Ufern des Rheins : vom ersten Beginnen der französischen Revolution bis in die neueste Zeit. Band3. Sauerländer, Frankfurt am Main 1832, OCLC165696316, S.9 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
Neuste Länder und Völkerkunde. Ein geographisches Lesebuch für alle Stände. Kur-Hessen, Hessen-Darmstadt und die freien Städte. Band22. Weimar 1821, S.420 (online bei Google Books).
↑
Georg W. Wagner: Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogthums Hessen: Provinz Oberhessen. Band3. Carl Wilhelm Leske, Darmstadt 1830, S.262ff. (online bei Google Books).
↑
Gesetz über die Aufhebung der Provinzen Starkenburg, Oberhessen und Rheinhessen vom 1. April 1937. In: Der Reichsstatthalter in Hessen Sprengler (Hrsg.): Hessisches Regierungsblatt. 1937 Nr.8, S.121ff. (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF]).
↑Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze vom 14. Mai 1879. In: Großherzog von Hessen und bei Rhein (Hrsg.): Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt. 1879 Nr.15, S.197–211 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 17,8MB]).
↑Wohnplätze 1867. In: Grossherzogliche Centralstelle für die Landesstatistik (Hrsg.): Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band13. G. Jonghause’s Hofbuchhandlung, Darmstadt 1877, OCLC162730484, S.122 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Wohnplätze 1875. In: Grossherzogliche Centralstelle für die Landesstatistik (Hrsg.): Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band15. G. Jonghause’s Hofbuchhandlung, Darmstadt 1877, OCLC162730484, S.18 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Verleihung des Rechts zur Führung eines Wappens an die Gemeinde Herchenhain Landkreis Lauterbach, Reg.-Bez. Darmstadt vom 14. Juni 1951. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1951 Nr.26, S.350, Punkt 572 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 3,8MB]).
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