Die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU; russischГлавное разведывательное управление (ГРУ),‚Hauptverwaltung für Aufklärung‘) ist das leitende Zentralorgan des Militärnachrichtendienstes (Военная разведка) des russischen Militärs.
Der offizielle Name lautet seit 2010 Главное управление Генерального штаба Вооружённых Сил Российской Федерации(Glawnoje uprawlenije Generalnowo schtaba Wooruschjonnych Sil Rossijskoj Federazii (GU GSch WS RF)), deutsch ‚Hauptverwaltung des Generalstabes der Streitkräfte der Russischen Föderation‘, wobei sowohl Volk als auch selbst PräsidentPutin diesen Wechsel im allgemeinen Sprachgebrauch nie nachvollzogen.[2] Das die Hauptaufgabe benennende Wort (Разведывательный‚für Aufklärung‘) kommt somit als Namensbestandteil offiziell nicht mehr vor.[3]
Die historisch jüngste Aufgabe der GRU ist nach Ansicht des bundesdeutschen Verfassungsschutzes die Wirtschaftsspionage. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erwähnt dabei nicht nur den zivilen Auslandsnachrichtendienst SWR, sondern auch die GRU und den Inlandsgeheimdienst FSB. Hans-Peter Uhl, ehemaliges Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagte, Putin habe 2007 „bei der Amtseinführung des Chefs des SWR die Anweisung gegeben, durch Wirtschaftsspionage im Ausland dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft der Russischen Föderation gestärkt wird“.[4]
Mordanschläge und politische Destabilisierung im Ausland
Die New York Times und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel benannten die GRU-Einheit 29155, mutmaßlich geführt von GeneralmajorAndrei Awerjanow, als wahrscheinlich verantwortlich für die meisten dieser Anschläge.[6] Dieser Einheit wird auch vorgeworfen, systematische Aktionen zur politischen Destabilisierung anderer Staaten durchzuführen. Dazu gehören etwa die Destabilisierung der Republik Moldau im Jahr 2014, die versuchte Vergiftung des bulgarischen Waffenhändlers Emilian Gebrew in Sofia 2015.[6] Im Jahr 2016 hielt Montenegro ein Referendum über den Beitritt zur NATO ab. Die GRU plante die Ermordung des Ministerpräsidenten Milo Đukanović und ihn durch einen anderen Politiker zu ersetzen. Der Putschversuch scheiterte und Montenegro trat 2017 der NATO bei. Zwei GRU-Agenten wurden verhaftet und strafrechtlich verfolgt.[6][7] Im folgenden Jahr versuchte die GRU, einen ehemaligen Oberst der GRU und Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, Sergei Skripal, im britischen Salisbury mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe zu vergiften. Die beiden beteiligten GRU-Offiziere wurden von den britischen Behörden identifiziert.[7]
Ende Juni 2020 veröffentlichte die New York Times US-Geheimdienstinformationen vom Frühjahr 2020, nach denen Einheit 29155 den Taliban Kopfgelder für die Tötung von US-Soldaten und anderen NATO-Soldaten in Afghanistan angeboten und teilweise auch gezahlt hatte.[12][13]
Die Sofacy Group genannte Einheit 26165 der GRU soll zudem als Hackerkollektiv gezielt für Cyberattacken auf westliche Einrichtungen verantwortlich sein.
Attentate, die in einen Zusammenhang mit der GRU gebracht werden, sind unter anderem:[6][14]
Die GRU wurde am 5. November 1918 offiziell innerhalb der Roten Armee gegründet. Erster Direktor der Behörde wurde der ehemalige zaristische Offizier und Mitglied des kaiserlich russischen Militärgeheimdienstes Semjon Aralow, der im Sommer 1919 in den diplomatischen Dienst wechselte.[19]
Zwischen den Weltkriegen war die GRU sehr erfolgreich mit seinem internationalen Agentennetz. Der als Journalist getarnte Richard Sorge meldete aus Japan den bevorstehenden Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion, ebenso der Ungar Alexander Rado aus der Schweiz.
Während des Zweiten Weltkrieges betrieben die GRU und ihr Agentennetz vor allem traditionelle militärstrategische Aufklärung von Polen bis zum Pazifik für die Rote Armee. Zu den Operationen der GRU gehörte auch die Rote Kapelle u. a. mit Leopold Trepper.[20] Ein weiterer bekannter Spion war der deutsche Physiker Klaus Fuchs. Er sorgte dafür, dass auch die Sowjetunion zur Nuklearmacht wurde.
Die GRU war in der Zeit des Kalten Krieges für Militärspionage, später auch für Waffenlieferungen an Rebellengruppen und Regime in Afrika, Asien und Lateinamerika zuständig, in denen die Sowjetunion eine kommunistische Regierung anstrebte. Das Prinzip des Dienstes war seit den 1960er-Jahren (unter der Leitung von General Iwaschutin) „keine Öffentlichkeit“. Erst als das KGB den Diebstahl der Geheimnisse zur Atombombe ganz für sich beanspruchte, deklassifizierte die GRU einige Archivmaterialien, mit welchen Wladimir Lota im Jahr 2002 das Buch The GRU and the Atom Bomb erstellte.[21]
Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1990 blieb das GRU-Netzwerk intakt und ist nun für die Russische Föderation tätig. In den 1990er-Jahren wurden offizielle Waffenverkäufe über eine staatliche Exportagentur abgewickelt, nur für heikle Situationen wurden die inoffiziellen Kanäle der GRU benutzt, wie beispielsweise bei Lieferungen an Palästina, um die Beziehungen zu Israel nicht zu gefährden.[22]
Als Nachfolger von Walentin Korabelnikow wurde Ende April 2009 Generalleutnant Alexander Schljachturow zum Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (der sog. 2. Hauptverwaltung des Generalstabs) und zum stellvertretenden Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte ernannt. Zwischen der Leitung der GRU und dem russischen Verteidigungsministerium soll es zu Differenzen über die Konzeption der Militärreformen – besonders in dem Teil, der die GRU unmittelbar betraf – gekommen sein, berichtete RIA Nowosti 2009.[23] Im Jahr 2011 entschied sich Putin, die Konkurrenzsituation bestehen zu lassen, als der FSB die Kontrolle über die GRU zu übernehmen versucht hatte.[24]
Im Jahr 2014 hatten Sicherheitsexperten bei Google Kenntnis von offensichtlich staatlich entwickelten Schadprogrammen. Russland wurde in deren technischem Bericht zwar nicht erwähnt, dessen Titel lautete jedoch „Blick ins Aquarium“,[25] eine Anspielung auf das Hauptquartier der GRU in Moskau, welches diesen Übernamen trägt.[26] 2014 übernahm der ausgeschiedene Oberstleutnant der GRU Dmitri Utkin das Kommando über die Söldnertruppe Gruppe Wagner.[27]
Im Januar 2016 starb der Leiter der GRU Igor Dmitrijewitsch Sergun je nach Quelle überraschend oder mysteriös – nach verschiedenen Angaben zu Ort und Zeitpunkt gemäß offiziellen Angaben an einem Herzinfarkt in einem Sanatorium des FSB.[24]
US-Geheimdienste schreiben der GRU nach einem Artikel in der Washington Post vom Dezember 2017 verschiedene Destabilisierungsaktionen während des Euromaidans in der Ukraine 2013/2014 zu, bei der sich GRU-Agenten in sozialen Medien als russischsprachige Ukrainer ausgaben, die in ihren Textnachrichten vorgaben, ihr Leben werde von „Brigaden“ aggressiver „Westler“ bedroht.[29]
Britische und niederländische Behörden gaben im Oktober 2018 bekannt, dass eine Abteilung der GRU mit der Bezeichnung „Einheit 26165“ als Hackergruppe in Erscheinung trat, die zuvor unter verschiedenen Bezeichnungen wie ATP 28, Fancy Bear oder Sofacy Group Bekanntheit erlangt hatte. Auch seien es Agenten dieser Abteilung gewesen, die 2018 versucht hatten, in das WLAN-Netz der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag einzudringen. Die beteiligten russischen Agenten, welche zuvor auch schon die Welt-Anti-Doping-Agentur in Lausanne als Ziel hatten, wurden von den niederländischen Behörden festgenommen, konnten aber wegen ihrer Diplomatenpässe nicht festgehalten werden und wurden ausgewiesen.[30] Im Juli 2020 verhängte die Europäische Union (EU) diesbezüglich Sanktionen in Form von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen vier beteiligte Agenten, sowie gegen das GRU-Hauptzentrum für Spezialtechnologien.[31]
Nach dem Anschlag mit Nervengift auf Sergei Skripal und der Ausweisung von Agenten aus den Niederlanden gelangte eine ungewöhnliche Menge von Informationen über die GRU an die Öffentlichkeit,[32] wofür der damalige Direktor der GRU, Igor Korobow, verantwortlich gemacht wurde.[33] Korobow starb am 21. November 2018 „nach langer und schwerer Krankheit“.[34] Sein interimistischer Nachfolger wurde Vizeadmiral Igor Kostjukow, der schon bei der 100-Jahr-Feier des Geheimdienstes als Stellvertreter des erkrankten Korobow aufgetreten war.[34]
Wegen der Hackerangriffe auf den deutschen Bundestag verhängte die EU im Oktober 2020 Sanktionen in Form von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen Dmitri Badin, den GRU-Direktor Igor Kostjukow und die gesamte für Cyberangriffe zuständige Abteilung der GRU.[35] Nach Ansicht deutscher Sicherheitsbehörden versuchte die GRU in den Monaten vor der Bundestagswahl 2021 abermals mehrmals, sich mit Phishing-Mails Zugang zu privaten E-Mail-Konten von Bundestags- und Landtagsabgeordneten zu verschaffen. Daraufhin begann der Generalbundesanwalt mit Ermittlungen diesbezüglich und das Auswärtige Amt forderte Russland auf, Cyberaktivitäten einzustellen.[36]
2022 veröffentlichte OpenFacto Ergebnisse einer Recherche, die mehr als 1300 Online-Nachrichtenportale der von der GRU gesteuerten Nachrichtenagentur InfoRos zuordnen konnte.[37]
Im Herbst 2024 warnte der Chef des britischen Geheimdienst MI5, dass der GRU zunehmend Russen in Europa für Sabotageakte auf europäische Infrastruktur zu gewinnen versuche. Zwar habe die Ausweisung hunderter russischer Diplomaten aus europäischen Staaten wegen Verdachts auf Spionage die Fähigkeiten Russlands geschwächt, Schaden anzurichten, doch setzte Russland wie auch Iran zunehmend Kriminelle für seine Zwecke ein; Drahtzieher sei vor allem der GRU.
Beispielsweise seien sieben Menschen angeklagt, im März im russischen Auftrag einen Brandanschlag auf ein ukrainisches Unternehmen in London verübt zu haben.[38]
Organisation
Im Gegensatz zum KGB war und ist die GRU nur wenig bekannt. Die GRU war und ist eine Hauptverwaltung des sowjetischen bzw. heute russischen Generalstabs. Anders als das aufgelöste KGB hat die GRU den Zusammenbruch der Sowjetunion als Struktur überstanden. Sie ist direkt dem Chef des Generalstabs untergeordnet.
Die Hauptverwaltung des Dienstes gliedert sich in zwölf operative Verwaltungen und zahlreiche sonstige Verwaltungen, Abteilungen und Verbände.
Die GRU unterhält eine eigene SpezialeinheitPodrasdelenije spezialnowo nasnatschenija (Speznas) und weitere Spezialkräfte wie für die elektronische Aufklärung, auch im Feldeinsatz. Die vermutliche Gesamtstärke der GRU wird auf 25.000 Soldaten geschätzt.[40] Andere Speznas gehören zu anderen staatlichen Organisationen wie auch dem russischen Finanzministerium.
Die 3. Garde-Spezialaufklärungsbrigade (russisch 3-я отдельная гвардейская Варшавско-Берлинская Краснознамённая ордена Суворова III степени бригада специального назначения (3-я огбрСпН)) ist der wichtigste russische Großverband, der dem Militärnachrichtendienst GRU unterstellt ist.
Juri Puschkin: GRU in Deutschland. Aktivitäten des sowjetischen Geheimdiensts nach der deutschen Wende. BARETT Verlag, 1992, ISBN 3-924753-56-3.
Hans Schafranek: „Angehörigen von Volksfeinden können wir nicht helfen.“ Das Schicksal der Familie Nebenführ. In: Hans Schafranek (Hrsg.): Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion. Wien 1991, S. 75–100 (betr. einen hochrangigen österreichischen GRU-Offizier, der 1939 in Moskau ermordet wurde).
Matthias Uhl: „Und deshalb besteht die Aufgabe darin, die Aufklärung wieder auf die Füße zu stellen“ – Zu den Großen Säuberungen in der sowjetischen Militäraufklärung 1937/38. In: Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hrsg.): Verbrechen im Namen der Idee: Terror im Kommunismus 1936–1938. Berlin 2007, ISBN 978-3-7466-8152-8, S. 124–141.
Matthias Uhl: GRU. Die unbekannte Geschichte des sowjetisch-russischen Militärgeheimdienstes von 1918 bis heute. wbg Theiss, Freiburg 2024, ISBN 978-3-534-61012-9.
Viktor Suworow: GRU – Die Speerspitze: Was der KGB für die Polit-Führung, ist die GRU für die Rote Armee. 3., korr. Auflage, Barett, Solingen 1995, ISBN 3-924753-18-0.
↑Russlands Militärgeheimdienst ist fürs Grobe zuständig, NZZ, 25. September 2018; „Was es mit der Änderung auf sich hat, ist auch Fachleuten nicht wirklich klar – und offenbar auch Präsident Putin nicht, der ebenfalls weiterhin vom GRU spricht.“
↑Иван Петров: Новым начальником ГРУ стал генерал Игорь Коробов. Генерал-лейтенант Игорь Коробов назначен новым начальником Главного разведывательного управления (ГРУ) Генерального штаба Вооруженных сил России. 2. Februar 2016, abgerufen am 19. Dezember 2018 (russisch, Webseite der offiziellen Zeitung der Regierung der Russischen Föderation).
↑ abcdSchattenkrieger des Kreml. In: Der Spiegel. Nr.50, 7. Dezember 2019, S.40–45 (spiegel.de).
↑ abCalder Walton: Spies. The Epic Intelligence War Between East and West. Abacus Books, London 2023, ISBN 978-1-4087-1494-2, S.465 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Michael Schwirtz: Top Secret Russian Unit Seeks to Destabilize Europe, Security Officials Say. In: The New York Times. 8. Oktober 2019 (englisch, nytimes.com).
↑Matthias Uhl: GRU. Die unbekannte Geschichte des sowjetisch-russischen Militärgeheimdienstes von 1918 bis heute. wbg Theiss, Freiburg 2024, ISBN 978-3-534-61012-9, S.63–64 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Christopher Nehring: GRU – russischer Militärgeheimdienst. In: DEKODER – Russland und Belarus entschlüsseln. 26. Oktober 2018, abgerufen am 31. Juli 2023.
↑ abA Mysterious Death Raises Questions in Russia. In: Stratfor. 6. Januar 2016; “Putin has tried to keep a balance among the various services — a difficult feat in a world of intrigue and espionage.”
↑ abJutta Sommerbauer: Der Tod des russischen Geheimdienstchefs. In: Die Presse online. 22. November 2018, Print-Ausgabe vom 23. November 2018, abgerufen am 29. November 2018.
↑Вице-адмирал Игорь Костюков назначен начальником ГРУ. После смерти своего предшественника Игоря Коробова он временно исполнял обязанности главы военной разведки. 10. Dezember 2018, abgerufen am 19. Dezember 2018 (russisch).