Erwin Baur wuchs im ländlichen Ichenheim bei Lahr in Baden als Sohn des Apothekers Wilhelm Baur (Salem 29. September 1839 – 11. Februar 1921 Donaueschingen) auf. Da die Apotheke gleichzeitig mit einem landwirtschaftlichen Betrieb verbunden war, konnte der junge Baur schon früh die damaligen Probleme der Landwirtschaft kennenlernen.
1901/1902 leistete er Militärdienst als Arzt bei der Marine, wurde 1902 Assistenzarzt in einer psychiatrischen Klinik in Kiel, um dann 1903 in der gleichen Funktion in der Landesirrenanstalt (heute Zentrum für Psychiatrie) in Emmendingen zu arbeiten.
Im Oktober 1903 wechselte er seinen Neigungen entsprechend das Fach und wurde 1. Assistent am Botanischen Institut der Universität Berlin. 1903 wurde er an der Universität Freiburg im Fach Botanik zum Dr. phil. promoviert. Das Thema seiner Dissertation war: Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte einiger Flechtenapothecien.
1904 habilitierte sich Baur in Berlin für das Fach Botanik mit einer Arbeit zum Thema Myxobakterienstudien, in der er sich mit der bakteriellen Physiologie beschäftigt. 1905 wurde er Mitglied der neu gegründeten Gesellschaft für Rassenhygiene.[2] Als Privatdozent hielt Baur ab 1907 erste genetische Vorlesungen an der Universität Berlin.
1911 wurde er auf den ersten deutschen Lehrstuhl für Genetik an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin berufen. 1914 wurde er Leiter des ersten Instituts für Vererbungswissenschaft in Berlin – das erste Institut in Deutschland, in dem genetische Erkenntnisse systematisch für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wurden.
Mit der Einrichtung des Instituts wollte Baur erreichen, dass neben der privatwirtschaftlichen Züchtung auch der Staat ertragreiche Pflanzensorten schafft, um dadurch unter anderem die Einfuhren zu verringern. Das heutige Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln arbeitet in direkter Nachfolge des von Baur seinerzeit gegründeten Instituts. 1921 publizierte er zusammen mit Eugen Fischer und Fritz Lenz das Lehrbuch Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, das damals als Standardwerk der Rassenhygiene galt.[2] Baur war Mitherausgeber der Zeitschriften Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie und Volk und Rasse.[2]
1933 begrüßte er die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und versicherte, „daß von niemand sonst die Sterilisationsgesetze der Reichsregierung mehr gebilligt werden als von mir, aber damit ist, wie ich immer betonen muß, nur erst ein Anfang gemacht“.[3] Ab 1928 war der Pflanzenzüchter und Vererbungswissenschaftler Max Ufer (1900–1983)[4] bei Baur als Leiter der Abteilung für Futterpflanzen tätig, wo er bitterstofffreieSteinkleepflanzen entwickelte, musste aber im Oktober 1933 das KWI verlassen, da er sich nicht von seiner jüdischen Ehefrau Margot Ufer geborene Holzheim scheiden lassen wollte.[5] Ebenfalls 1933 vertrat Baur in Die Bedeutung der natürlichen Zuchtwahl bei Tieren und Pflanzen anhand des Beispiels eines Kaninchenbestandes einer (fiktiven) Insel, auf der aufgrund der Auslese durch Greifvögel nach und nach ein optimal angepasstes Kaninchenvolk entstehe, die Ansicht, bei Menschen entfalle aufgrund humanitärer Gesichtspunkte diese von ihm für notwendig erachtete natürliche Zuchtwahl und Auslese, daher müsse der Staat die Funktion der Greifvögel übernehmen.[6] Baur starb noch im selben Jahr.
Forschung
Baur konnte in seinen frühen Arbeiten nachweisen, dass Viren die Ursache für die „infektiöse Chlorose“ von Pflanzen sind und kann damit als einer der Begründer der pflanzlichen Virologie gelten.
Sein wohl wichtigster Beitrag zur Genetik war der Nachweis, dass Gene nicht nur in Chromosomen innerhalb des Zellkerns vorkommen, sondern auch Plastiden (z. B. Chloroplasten) Träger genetischer Information sind und damit den Phänotyp von Pflanzen mitbestimmen.
Seine genetischen Versuche mit Löwenmäulchen (Antirrhinum) sind nicht nur in die Lehrbücher der Genetik, sondern auch in Schulbücher eingegangen. An diesem Objekt studierte er Farbvererbung, multiple Allelie, Interaktion der Gene sowie künstliche Mutationen.
Noch bis heute nachwirkend sind seine Züchtungserfolge an Getreide oder die erstmalige Züchtung bitterstofffreier Futterlupinen.
In einer Zeit, als Reblaus sowie Echter und Falscher Mehltau gravierende Probleme im europäischen Weinbau darstellten, erkannte Baur, dass diese mit einer konsequenten Anwendung genetischer Erkenntnisse, etwa durch die Kreuzung pilzresistenter amerikanischer Wildreben mit der europäischen Kulturrebe, zu lösen seien.
erstes deutsches Lehrbuch für Rassenhygiene und Standardwerk der Zeit als sogenannter Baur-Fischer-Lenz
In späteren Auflagen bis 1936: Menschliche Erblehre und Rassenhygiene
Band II: Menschliche Auslese und Rassenhygiene – von Fritz Lenz 1. Auflage München : Lehmann 1921
Untersuchungen über das Wesen, die Entstehung und Vererbung von Rassenunterschieden bei Antirrhinum maius. Berlin 1924
mit Max Hartmann (als Hrsg.): Handbuch der Vererbungswissenschaft. Borntraeger, Berlin 1929 ff. (Band 1-32)
Die Bedeutung der natürlichen Zuchtwahl bei Tieren und Pflanzen. Berlin 1936 (Erstausg. 1933)
Untergang der Kulturvölker im Lichte der Biologie. Lehmanns, München 1934 (Neuaufl.)
Die wissenschaftlichen Grundlagen der Pflanzenzüchtung. Borntraeger, Berlin 1921 Archive
Vererbungs- und Bastardisierungsversuche mit Antirrhinum. In: Zeitschrift für Induktive Abstammungs- und Vererbungslehre 3, S. 34–98, 1910 (Digitalisat)
ab 1929 der Zeitschrift Der Züchter (seit 1968 unter dem Titel Theoretical and Applied Genetics, ISSN0040-5752).
Literatur
Elisabeth Schiemann: Erwin Baur. In: Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft. Bd. 52, 1934, 2. Generalversammlungs-Heft, ISSN0011-9970, S. 51–114 (m. Bild u. Schriftenverzeichnis).
Hans Stubbe: Gedächtnisrede auf Erwin Baur gehalten am 25. Todestag (2. Dezember 1958). In: Der Züchter. Bd. 29, 1959, ISSN0514-0641, S. 1–6 (m. Bild).
Wilhelm Rudorf (Hrsg.): Dreissig Jahre Züchtungsforschung. Zum Gedenken an Erwin Baur. Fischer-Verlag, Stuttgart 1959.
Emil Ell: Vor 50 Jahren starb Züchtungsforscher Erwin Baur. Der Altvater. – 41:90-91. 1983.
Hans-Peter Kröner, Richard Toellner, Karin Weisemann: Erwin Baur. Naturwissenschaft und Politik. Max-Planck-Gesellschaft, München 1994 (Gutachten zur Frage einer möglichen geistigen Urheberschaft Baurs von die Verbrechen des Nationalsozialismus).
Hans-Peter Kröner: Erwin Baur. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 156.
Heiner Fangerau: Das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921–1941. Diss. Univ. Bochum 2000 (PDF).
Rudolf Hagemann: Erwin Baur 1875–1933. Pionier der Genetik und Züchtungsforschung. Kovar, Eichenau 2000, ISBN 3-925845-86-0 (darin wird auch ausführlich auf umstrittene Stellung Baurs zum Thema Eugenik während der 1920er-Jahre eingegangen).
Rolf Knippers: Erwin Baur. Eine wissenschaftliche Biographie. In: Biospektrum. Jg. 7, Nr. 1, 2001, ISSN0947-0867, S. 43–45 (Rezension des Buchs von Hagemann, PDF).
Heiner Fangerau und Irmgard Müller: Das Standardwerk der Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Urteil der Psychiatrie und Neurologie 1921–1940. In: Der Nervenarzt. – 73:1039-1046. 2002.
Heiner Fangerau: Der "Baur-Fischer-Lenz" in der Buchkritik 1921–1940: Eine quantifizierende Untersuchung zur zeitgenössischen Rezeption rassenhygienischer Theorien = Reviews of the "Baur-Fischer-Lenz". Medizinhistorisches Journal. – 38:57-81. 2003.