Seit den 1930er Jahren benutzten verschiedene Armeen zur Verschlüsselung ihres geheimen Nachrichtenverkehrs verschiedene Rotor-Schlüsselmaschinen der Enigma-Baureihe. Das Herzstück der Enigma-Maschinen stellt ein Walzensatz dar, der aus einer Eintrittswalze (ETW), modellabhängig drei oder vier während des Verschlüsselungsvorgangs weitergedrehten Walzen (Rotoren) sowie einer Umkehrwalze (UKW) besteht. Walzen und Umkehrwalze wurden in der Regel nach Vorgabe einer „Schlüsseltafel“ aus einem Sortiment von bis zu elf verschiedenen Walzen ausgewählt und in die Maschine eingesetzt.
Jede Walze dient zum Aufbau von 26 verschiedenen Schaltkreisen. Die rotierenden Walzen haben auf der rechten Seite 26 gefederte Kontaktestifte und auf der linken Seite voneinander isolierte Kontaktflächen. Die Kontakte waren innerhalb der Walze mit Drähten unterschiedlich verbunden.
Die 26 verschiedenen Positionen waren ursprünglich aufsteigend mit den Buchstaben A-Z beschriftet. Die Wehrmacht bevorzugte eine aufsteigend Nummerierung der Positionen von 01 bis 26.
Walzenverdrahtung
Die folgende Tabelle listet die interne Verdrahtung der Walzen, im damaligen Jargon als „Walzenschaltung“ bezeichnet, für die unterschiedlichen Modelle der Schlüsselmaschine Enigma auf (Abkürzungen: ETW = Eintrittswalze, UKW = Umkehrwalze).
Die angegebenen Walzenverdrahtungen wurden, unter Verzicht auf eine erhebliche Menge kryptographischer Komplikationen, nur in wenigen Ausnahmen verändert. Diese wenigen Ausnahmen waren beispielsweise Maschinen für Kunden, welche ausdrücklich exklusiv verdrahtete Walzen wünschten.[2] Auch für spezielle Anwendungsfelder der Maschine, wie beispielsweise im diplomatischen Dienst, insbesondere für deutsche Militärattachés in verbündeten oder neutralen Staaten, wurden Walzensätze mit eigenen Walzenverdahtungen gefertigt, genannt „Sonderschaltungen“. In der Regel betraf dies nur die Verdrahtung der Rotoren (I bis III oder I bis V) und nicht die UKW, die ihre bekannte Verdrahtung (siehe UKW B) behielt. Jedoch gab es auch Ausnahmen, wie beispielsweise bei der in den 1980er-Jahren im Haus eines ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters gefundenen Sondermaschine mit der Typbezeichnung 17401S/jla/43.[3] Dabei ist „17401“ die Seriennummer der Maschine, ergänzt um „S“ (vermutlich für „Sonder“), „jla“ das codierte Fertigungskennzeichen für das Herstellerwerk Heimsoeth & Rinke, und „43“ das Herstelljahr, also 1943.
Walzenverdrahtung der Sonder-Maschine 17401S/jla/43
Walze
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ
Einführungsdatum
Modell
UKW (S)
CIAGSNDRBYTPZFULVHEKOQXWJM
1943
I
I (S)
VEOSIRZUJDQCKGWYPNXAFLTHMB
1943
I
II (S)
UEMOATQLSHPKCYFWJZBGVXIDNR
1943
I
III (S)
TZHXMBSIPNURJFDKEQVCWGLAOY
1943
I
Häufig wurden diese besonderen Walzensätze mit Namen aus dem damaligen deutschen Buchstabieralphabet, also Anton, Berta, Cäsar, Dora, Emil oder Friedrich gekennzeichnet oder mithilfe von griechischen Buchstaben wie α (Alpha), β (Beta), γ (Gamma) oder δ (Delta). Zu den bekannten Enigma-Maschinen mit Sonderschaltung gehören die dreißig sogenannten „Delta-Maschinen“ mit den Seriennummern A 16081 bis A 16110. Im Juli 1945 gelang es einer Gruppe des amerikanischen Target Intelligence Committee (TICOM) eine solche Delta-Maschine in Zagreb zu finden, die im Krieg vom dortigen deutschen Militärattaché benutzt worden war, um mit Berlin (Attachéabteilung im OKH) zu kommunizieren.[4]
Zu den Enigma mit Sonderschaltungen gehören die Exemplare mit den Seriennummern B201 bis B224, wie die im Bild, die vermutlich für den Einsatz im Führerhauptquartier bestimmt waren.[5]
Übertragskerben
Linke Seite einer Walze. Links am Rand ist die Übertragskerbe zu erkennen.
Rechte Seite einer Walze. Die römische Zahl „V“ kennzeichnet diese Walze.
Abhängig von der Position der Übertragskerbe, die sich bei den verschiedenen Walzen an unterschiedlichen Stellen befindet, dreht sich die im Walzensatz jeweils links benachbarte Walze genau dann um eine Position weiter (Walzenübertrag), wenn im Walzenfenster der rechts davon befindlichen Walze ein ganz bestimmter Buchstabe erscheint. Für die Walzen I bis V hatten sich die Codeknacker in Bletchley Park den (sprachlich unsinnigen) Merkspruch „Royal Flags Wave Kings Above“ gebildet, der in dieser Reihenfolge den jeweiligen Buchstaben nennt, der stets im Sichtfenster erscheint, nachdem ein Übertrag auf die nächste Walze erfolgt ist.
Übertragskerben
Walze
Übertragskerbe
Übertrag
I
Q
Der Übertrag erfolgt, wenn diese Walze sich von Q auf R fortdreht
II
E
Der Übertrag erfolgt, wenn diese Walze sich von E auf F fortdreht
III
V
Der Übertrag erfolgt, wenn diese Walze sich von V auf W fortdreht
IV
J
Der Übertrag erfolgt, wenn diese Walze sich von J auf K fortdreht
V
Z
Der Übertrag erfolgt, wenn diese Walze sich von Z auf A fortdreht
VI, VII, VIII
Z+M
Der Übertrag geschieht beim Übergang von Z auf A und von M auf N
Enigma-Z
Der Übertrag erfolgt bei allen drei Walzen beim Übergang von 9 auf 0[6]
Enigma-T („Tirpitz“)
Der Übertrag erfolgt beim Übergang vom angegebenen auf den alphabetisch darauf folgenden Buchstaben
I (T)
E,K,Q,W,Z
5 Übertragskerben
II (T)
F,L,R,W,Z
5 Übertragskerben
III (T)
E,K,Q,W,Z
5 Übertragskerben
IV (T)
F,L,R,W,Z
5 Übertragskerben
V (T)
C,F,K,R,Y
5 Übertragskerben
VI (T)
E,I,M,Q,X
5 Übertragskerben
VII (T)
C,F,K,R,Y
5 Übertragskerben
VIII (T)
E,I,M,Q,X
5 Übertragskerben
Abwehr-Enigma (G)
Der Übertrag erfolgt beim Übergang vom angegebenen auf den alphabetisch darauf folgenden Buchstaben
Bei der Umkehrwalze D (auch: Umkehrwalze Dora, Abkürzung: UKW D, von den Briten „Uncle Dick“ genannt) handelt es sich um eine spezielle UKW, die sich dadurch auszeichnet, dass ihre Verdrahtung – im Gegensatz zu allen anderen Walzen der Enigma – durch den Benutzer schlüsselabhängig geändert werden konnte. Sie wurde ab dem 1. Januar 1944 von der deutschen Luftwaffe für die Enigma I in einigen Schlüsselkreisen in Frankreich und Norwegen eingesetzt.
Lückenfüllerwalzen
Eine bedeutende Innovation, die die kryptographische Sicherheit der Enigma erheblich verbessert hätte, die aber zu spät kam, um während des Krieges noch eingesetzt werden zu können, waren die sogenannten „Lückenfüllerwalzen“ (Foto siehe unter Weblinks). Diese neuartigen Rotoren erlaubten es „an jeder Walze Schaltlücken beliebig nach Art und Zahl einzustellen“.[7] Die Einstellungen hätten schlüsselabhängig verändert werden können und so wesentlich zur kryptographischen Stärkung der Maschine beigetragen. Das amerikanische Target Intelligence Committee(TICOM) konfiszierte gegen Ende des Krieges sämtliche Informationen über die Lückenfüllerwalze und hielt sie für viele Jahre sorgsam unter Verschluss. Falls sie in ausreichender Stückzahl hätte gefertigt und eingesetzt werden können, so wären die britischen Codeknacker vermutlich aus dem Rennen gewesen, insbesondere, wenn es, wie geplant, gelungen wäre, die Lückenfüllerwalze in Kombination mit der Umkehrwalze D einzusetzen.[8]
Literatur
Friedrich L. Bauer: Entzifferte Geheimnisse. Methoden und Maximen der Kryptologie. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2000, ISBN 3-540-67931-6.
David H. Hamer et al.: Enigma Variations: An Extended Family of Machines. Cryptologia. Rose-Hulman Institute of Technology. Taylor & Francis, Philadelphia PA 22.1998,1 (Juli). ISSN0161-1194PDF; 0,1 MB (Memento vom 1. September 2007 im Internet Archive)
Interrogation of Dr. Otto Buggisch of OKW/Chi.TICOM-Dokument, 1945 cryptomuseum.com (englisch, PDF; 3,6 MB) S. 4, abgerufen am 13. September 2018.
Fuensanta, Espiau und Weierud: Spanish Enigma: A History of the Enigma in Spain.cryptocellar.org (englisch, PDF; 650 kB) abgerufen am 17. Oktober 2018.
↑José Ramón Soler Fuensanta, Francisco Javier López-Brea Espiau und Frode Weierud: Spanish Enigma: A History of the Enigma in Spain. Cryptologia. Rose-Hulman Institute of Technology. Taylor & Francis, Philadelphia PA 34.2010,4 (Oktober), S. 310. ISSN0161-1194.
↑José Ramón Soler Fuensanta, Francisco Javier López-Brea Espiau und Frode Weierud: Spanish Enigma: A History of the Enigma in Spain. Cryptologia. Rose-Hulman Institute of Technology. Taylor & Francis, Philadelphia PA 34.2010,4 (Oktober), S. 313. ISSN0161-1194.
↑Michael Pröse: Chiffriermaschinen und Entzifferungsgeräte im Zweiten Weltkrieg – Technikgeschichte und informatikhistorische Aspekte. Dissertation Technische Universität Chemnitz, Leipzig 2004, S. 43f.
↑Army Security Agency: Notes on German High Level Cryptography and Cryptanalysis. European Axis Signal Intelligence in World War II, Vol 2, Washington (D.C.), 1946 (Mai), S. 2. Abgerufen: 24. August 2018. PDF; 7,5 MB (Memento vom 11. Juni 2014 im Internet Archive)