Betastrahlung oder β-Strahlung ist eine ionisierende Strahlung, die bei einem radioaktiven Zerfall, dem Betazerfall oder Betaübergang, auftritt. Der Atomkern eines Betastrahlers wandelt sich dabei in einen Atomkern eines anderen chemischen Elements um. Bei einem β−-Zerfall (gesprochen: Beta-Minus) ist dies das Element mit der nächsthöheren Ordnungszahl, bei einem β+-Zerfall (gesprochen: Beta-Plus) das mit der nächstniedrigeren. Der strahlende Atomkern heißt Mutternuklid, der entstehende Tochternuklid.
Betastrahlung ist eine Teilchenstrahlung und besteht aus sogenannten Betateilchen. Bei der β−-Strahlung sind dies negativ geladene Elektronen, bei der β+-Strahlung positiv geladene Positronen. Neben dem Betateilchen wird bei einem β−-Zerfall ein Elektron-Antineutrino und bei einem β+-Zerfall ein Elektron-Neutrino freigesetzt. Diese Teilchen können im Regelfall nicht detektiert werden und werden auch nicht zur Betastrahlung gezählt. Zusätzlich wird bei jedem Betazerfall niederenergetische elektromagnetische Strahlung freigesetzt.[1]
Die kinetische Energie der emittierten Betateilchen kann, im Gegensatz zur Alphastrahlung, von nahezu Null bis zu einer maximalen Energie jeden beliebigen Wert annehmen. Die typische maximale Energie von Betastrahlung liegt in der Größenordnung von hunderten Kiloelektronenvolt bis wenigen Megaelektronenvolt und hängt vom konkreten Zerfall ab.
Der Name stammt von der ersten Einteilung der ionisierenden Strahlen aus radioaktivem Zerfall in Alphastrahlen, Betastrahlen und Gammastrahlen, die in dieser Reihenfolge steigende Durchdringungsfähigkeit von Materie zeigen.
Der Betazerfall ist Typ des radioaktiven Zerfalls von Atomkernen. Bei einem β−-Zerfall wandelt sich im Atomkern ein neutrales Neutron in ein positiv geladenes Proton um. Entsprechend der Ladungserhaltung entsteht bei diesem Prozess ein negativ geladenes Elektron und entsprechend der Leptonenzahlerhaltung zusätzlich ein Elektron-Antineutrino. Beim β+-Zerfall wandelt sich ein Proton in ein Neutron um und es entstehen ein Positron und ein Elektron-Neutrino. Bei beiden Zerfallsvorgängen wandelt sich der Kern in einen Atomkern mit derselben Massenzahl, aber um Eins geänderter Ordnungszahl um. Der entstehende Kern (Tochterkern) ist nahezu gleich schwer wie der Mutterkern, denn Proton und Neutron haben ähnliche Massen und auch der Massendefekt beider Kerne ist ähnlich. Der Tochterkern gehört aber zu einem anderen chemischen Element. Solche Atomkerne nennt man Isobare.
Ein Betazerfall ist möglich, wenn die Atommasse des Mutternuklids größer ist als die Summe aus der Atommasse des Tochternuklids und der Masse des Betateilchens, da dann die Differenz der Massen nach Einsteins Äquivalenz von Masse und Energie als kinetische Energie der Teilchen freigesetzt werden kann. Wenn die Isobare in beide Richtungen des Periodensystems leichter sind, dann kann ein Teilchen sowohl β− als auch β+ zerfallen. Dies tritt zum Beispiel bei Kalium-40 auf, das sowohl zu Calcium-40 als auch zu Argon-40 zerfallen kann. Wegen der Erhaltung von Energie und Impuls (siehe Kinematik (Teilchenprozesse)) erhalten das leichte Betateilchen und das fast masselose (Anti-)Neutrino den weitaus größten Teil der Energie. Beim schweren Tochterkern verbleibt nur ein sehr kleiner Anteil von einigen eV.
In der Anfangszeit der Kernphysik führte die Beobachtung von Beta-Elektronen vorübergehend zu dem Fehlschluss, Elektronen seien Bestandteile des Atomkerns.[2] Nach heutigem Wissen werden jedoch die beiden emittierten Teilchen erst zum Zeitpunkt der Kernumwandlung erzeugt.
Der Beta-Zerfall ist ein Prozess der schwachen Wechselwirkung. Beim β−-Zerfall wandelt sich auf der Ebene der Elementarteilchen eines der beiden d-Quarks des Neutrons (Quarkzusammensetzung: ddu), vermittelt durch ein virtuellesW−-Boson, in ein u-Quark um, wodurch aus dem Neutron ein Proton (duu) wird. Dabei entstehen ein Elektron und ein Antineutrino. Beim β+-Zerfall wird umgekehrt eines der u-Quarks eines Protons mittels eines W+-Bosons in ein d-Quark umgewandelt.
Dass Beta-Minus-Strahlen tatsächlich dieselbe Teilchenart sind wie die Elektronen der Atomhülle, zeigt sich in ihrer Wechselwirkung mit Materie. Das Pauli-Prinzip, das nur für identische Teilchen gilt, verhindert, dass das Elektron nach dem Abbremsen in bereits besetzte Zustände eines neutralen Atoms eingefangen wird. Mit Beta-Minus-Strahlen ist dieser Einfang tatsächlich nie beobachtet worden, während für andere negativ geladene Teilchen, beispielsweise Myonen, dieser Einfang nicht verboten ist und auch beobachtet wird.[4]
Beta-Minus-Zerfall (β−)
Nuklide mit einem Überschuss an Neutronen zerfallen über den β−-Prozess. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein Proton um und sendet dabei ein Elektron () sowie ein Elektron-Antineutrino () aus. Elektron und Antineutrino verlassen den Atomkern, da sie Leptonen sind und nicht der starken Wechselwirkung unterliegen. Da sich nach dem Zerfallsprozess ein Neutron weniger, aber ein Proton mehr im Kern befindet, bleibt die Massenzahl unverändert, während sich die Kernladungszahl um 1 erhöht. Das Element geht also in seinen Nachfolger im Periodensystem über.
Schreibt man wie üblich Massenzahlen oben und Kernladungszahlen unten an die Symbole, kann demnach der Zerfall des Neutrons durch folgende Reaktionsgleichung beschrieben werden:
Bezeichnet X das Mutter- und Y das Tochternuklid, so gilt für den β−-Zerfall allgemein:
Ein typischer β−-Strahler ist 198Au. Hier lautet die Reaktionsgleichung:
Die meist hohe Energie des erzeugten Elektrons verhindert einen sofortigen Einfang in einen der hoch liegenden freien Zustände desselben Atoms. Besonders bei hochgeladenen schweren Ionen kann jedoch direkt ein Übergang in einen solchen gebundenen Zustand stattfinden, dieser Prozess wird gebundener Betazerfall genannt[5].
Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist:
In der Literatur zur Betazerfallsspektroskopie wurde dieser Zerfall früher auch Negatronenzerfall genannt („Negatron“ für Elektron).[6]
Beta-Plus-Zerfall (β+)
Der β+-Zerfall tritt bei protonenreichen Nukliden auf. Hierbei wird ein Proton des Kerns in ein Neutron umgewandelt. Dabei wird zusammen mit einem Positron (Positronenstrahlung) ein Elektron-Neutrino ausgesendet. Wie beim β−-Zerfall bleibt die Massenzahl unverändert, jedoch verringert sich die Kernladungszahl um 1, das Element geht also in seinen Vorgänger im Periodensystem über.
Die Umwandlung des Protons in ein Neutron lässt sich darstellen als:
Mit den gleichen Bezeichnungen wie oben lässt sich der allgemeine β+-Zerfall beschreiben als:
Der Beta-Plus-Zerfall kann nur auftreten, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs mindestens 1022 keV[7] beträgt. Dies ist die doppelte Ruheenergie eines Elektrons oder Positrons, denn das Positron muss erzeugt werden, und außerdem ist die Umwandlungsenergie als Massendifferenz zwischen Ausgangsatom (Ordnungszahl Z) und Endatom (Ordnungszahl Z-1) definiert, die jeweils als neutral angenommen werden; das Endatom hat ein Elektron weniger als das Ausgangsatom.[8] Die Umwandlungs- bzw. Zerfallsenergie ist:
mit der Elektronenmasse.
Das am häufigsten vorkommende primordiale Nuklid, bei dem (unter anderem) β+-Zerfall auftritt, ist Kalium-40 (40K), allerdings ist der Zerfall sehr selten. Die Zerfallsgleichung ist:
Elektroneneinfang (ε)
Ein Konkurrenzprozess zum β+-Zerfall ist der Elektroneneinfang (auch ε-(Epsilon)Zerfall oder K-Einfang genannt). Er wird zu den Betazerfällen gezählt, obwohl keine Betastrahlung entsteht. Auch hier wandelt sich ein Proton des Kerns in ein Neutron um, während ein Elektron aus einer kernnahen Schale der Atomhülle vernichtet und ein Neutrino erzeugt und emittiert wird:
Die in der Atomhülle entstehende „Lücke“ führt zur Emission eines charakteristischen Röntgenphotons oder zur Emission von Auger-Elektronen.[9]
Elektroneneinfang tritt bei jedem β+-Strahler als weiterer Zerfallskanal auf. Alleiniger Zerfallskanal ist er dann, wenn die Umwandlungsenergie des Übergangs kleiner als 1022 keV ist. Der Elektroneneinfang erfordert keine Mindestenergie, es muss nur die Ruheenergie des Radionuklidatoms größer als die des Tochteratoms sein.
Auch der Elektroneneinfang beweist, dass Hüllenelektronen und Beta-Elektronen dieselbe Teilchenart sind.
Der Name K-Einfang kommt daher, dass meist ein Elektron aus der innersten Schale der Atomhülle, der K-Schale eingefangen wird.
Die Lebensdauer für diesen Zerfall beträgt 880,3 ± 1,1 Sekunden,[10] das sind knapp 15 Minuten. Dies entspricht einer Halbwertszeit von rund 10 Minuten. In normaler Umgebung auf der Erde (z. B. in Luft) wird jedes frei werdende Neutron in viel kürzerer Zeit durch einen Atomkern eingefangen; deshalb spielt dieser Zerfall hier keine praktische Rolle.
Inverser Betazerfall
Beim inversen Betazerfall (IBD, inverse beta decay) wird ein Proton durch Reaktion mit einem Neutrino in ein Neutron umgewandelt:[11]
Mit diesem Prozess gelang 1956 der erste Neutrinonachweis (Cowan-Reines-Neutrinoexperiment). Er wird auch in späteren Neutrinodetektoren (insbesondere bei Experimenten mit Neutrinos niedriger Energie wie bei Experimenten mit Reaktor- und Geoneutrinos, zu Neutrinooszillationen und für die Suche nach sterilen Neutrinos) beobachtet. Für diesen Prozess ist eine Energiezufuhr von mindestens 1,806 MeV nötig, entsprechend dem Unterschied vorher/nachher bei den Massen der jeweiligen zwei Teilchen. Das Positron wird in typischen Neutrinoexperimenten im umgebenden Detektormaterial abgebremst und annihiliert mit einem Elektron, was zu einem Detektorsignal mit Energie führt; das Neutron wird nach einer kurzen Zeit der Moderation (z. B. in Wasser) durch einen geeigneten Atomkern (wie Cadmium-113) eingefangen und erzeugt dabei eine Gammastrahlung charakteristischer Energie (um 8 MeV).[12]
Als inverser Betazerfall wird aber auch der dem Elektroneneinfang entsprechende Reaktionsprozess bezeichnet:[13][14]
Er spielt eine Rolle in der Astrophysik bei Materie hoher Dichte (Neutronensterne, weiße Zwerge).
Energiespektrum
Die Energieverteilung von Beta-Strahlung (Beta-Spektrum) ist im Gegensatz zu Alpha-Strahlung kontinuierlich, da sich die beim Zerfall frei werdende Energie nicht auf zwei, sondern auf drei Teilchen – Atomkern, Elektron/Positron sowie Antineutrino/Neutrino – verteilt.
Unter Erhaltung des Gesamtimpulses sind dadurch die Energien der einzelnen Teilchen nicht festgelegt (siehe Kinematik (Teilchenprozesse)).
Die Abbildung zeigt ein einfaches gemessenes Elektronenspektrum. Komplexere Spektren treten auf, wenn Betaübergänge zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns sich überlagern.
Niedrigste bekannte β−-Höchstenergie, soll im Experiment MARE verwendet werden
210Bi
1162,2
β−
Anmerkung:
In Tabellenwerken wird oft die gesamte Übergangsenergie in den Grundzustand des Tochternuklids angegeben. Diese enthält gegebenenfalls nachfolgende Gammastrahlung und/oder die Ruheenergie eines Elektron-Positron-Paars.
Konversionselektronen
Messungen der Energieverteilung der Elektronen von Betastrahlung ergeben oft Spektren, die neben dem breiten Kontinuum auch scharfe Linien (Peaks) enthalten. Dabei handelt es sich um Elektronen, die durch Innere Konversion eines angeregten Kernzustands aus der Hülle emittiert wurden. Dieser Anteil des Spektrums wurde früher[15], obwohl er mit dem eigentlichen Betazerfall nichts zu tun hat, als diskretes Betaspektrum bezeichnet.
Neutrinomasse
Die Form des Spektrums in der Nähe der maximalen Elektronen- oder Positronenenergie gibt Auskunft über die noch unbekannte Masse des Elektron-Neutrinos bzw. -Antineutrinos. Dazu muss das hochenergetische Ende (die letzten 1 bis 2 eV) eines Betaspektrums mit sehr hoher Genauigkeit vermessen werden. Ein abruptes Ende im Gegensatz zu einem kontinuierlichen Abfall bei der Höchstenergie würde eine von Null verschiedene Neutrinomasse zeigen – wie sie auf Grund der Neutrinooszillationen erwartet wird – und ihr Wert könnte bestimmt werden. Vorzugsweise erfolgt die Messung beim Beta-Zerfall von Nukliden mit geringer Zerfallsenergie wie Tritium (Experiment KATRIN) oder Rhenium-187 (Experiment MARE).
Innere Bremsstrahlung
Bei einem Betazerfall werden elektrisch geladene Teilchen beschleunigt, daher tritt elektromagnetische Strahlung in Form von Bremsstrahlung auf. Zur Unterscheidung von der Bremsstrahlung, die beim Abbremsen der Betateilchen in Materie entsteht, heißt diese Form innere Bremsstrahlung. Sie wurde erstmals von Aston im Jahr 1927 beschrieben.[16] Eine theoretische Behandlung erfolgte 1949 durch Wang Chang und Falkoff.[17] Die Intensität der inneren Bremsstrahlung ist frequenzunabhängig bis zu einer maximalen Frequenz, die aus dem Energieerhaltungssatz folgt. Ihre Polarisation liegt in der Ebene von Flugrichtung des Betateilchens und der Beobachtungsrichtung, ihre Energie ist in klassischer Näherung
mit der Feinstrukturkonstanten, der Lichtgeschwindigkeit, der Elektronenmasse und der Geschwindigkeit des Betateilchens . Die Größe wird auch Rapidität genannt. Für langsame Betateilchen, , ist dieser Energieverlust vernachlässigbar. Für hochenergetische Betateilchen kann die Beziehung durch
mit der Energie des Betateilchens genähert werden. Selbst für hochenergetische Teilchen mit einer Energie von 5 MeV liegt der Verlust durch Strahlung nur in der Größenordnung von einem Prozent.
Die Winkelverteilung dieser inneren Bremsstrahlung ist durch
gegeben und ist identisch zur Winkelverteilung von äußerer Bremsstrahlung.
Auch beim Elektroneneinfang wird durch das Verschwinden der elektrischen Ladung und des magnetischen Moments des Elektrons Strahlung freigesetzt. Dies kann nicht in einer klassischen Theorie beschrieben werden. Eine Erklärung lieferten Martin und Glauber 1957.[18] Die semiklassische Behandlung des Problems ergibt für die differentielle Intensitätsverteilung
mit der reduzierten Planck-Konstante, der Kernladungszahl, der charakteristischen Frequenz des -Übergangs mit der Rydberg-Energie und der gesamten freiwerdenden Energie des Elektroneneinfangs . Der erste Term stammt dabei von der elektrischen Ladung, der zweite vom magnetischen Moment.
In dieser Näherung tritt eine (nicht integrierbare) Polstelle bei auf. Dies ist durch die halbklassische Betrachtungsweise, das Elektron befände sich auf einer Kreisbahn um den Atomkern, zu erklären: Klassisch würde das Elektron auf dieser Kreisbahn ständig Synchrotronstrahlung emittieren.
Polarisation
Betastrahlung ist in ihrer Emissionsrichtung longitudinal spinpolarisiert, das heißt, schnelle β−-Teilchen haben eine Polarisation entgegen der Flugrichtung (anschaulich: bewegen sich wie eine Linksschraube), schnelle β+-Teilchen eine Polarisation in Flugrichtung. Dies ist eine grundlagenphysikalisch interessante Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung, da sie die Nichterhaltung der Parität beweist. Für Wirkungen und Anwendungen der Strahlung spielt sie jedoch praktisch keine Rolle.
Wechselwirkung mit Materie
Wenn ein Betateilchen in Material eindringt, findet durch Stöße mit den Elektronen Energieübertragung auf das Material und Ionisierung statt, wodurch das Betateilchen in einer oberflächennahen Schicht vielfach abgelenkt und abgebremst wird.
Ist das eindringende Teilchen ein Positron (β+-Teilchen), reagiert es sehr bald nach dem Abbremsen mit einem Elektron, also seinem Antiteilchen. Dabei kommt es, möglicherweise nach einer kurzen Phase als Positronium, zur Annihilation. Ergebnis dieser Annihilation sind (meist) zwei Photonen im Gammabereich.[19]
Biologische Wirkung
Ist der menschliche Körper von außen kommenden Betastrahlen ausgesetzt, werden nur Hautschichten geschädigt. Dort kann es aber zu intensiven Verbrennungen und Spätfolgen wie Hautkrebs kommen. Sind die Augen der Strahlung ausgesetzt, kann es zur Linsentrübung kommen.
Werden Betastrahler in den Körper aufgenommen (inkorporiert), können hohe Strahlenbelastungen in der Umgebung des Strahlers die Folge sein. Gut dokumentiert ist Schilddrüsenkrebs als Folge von radioaktivem Iod-131 (131I), das sich in der Schilddrüse sammelt. In der Literatur findet man auch Befürchtungen, dass Strontium-90 (90Sr) zu Knochenkrebs und Leukämie führen kann, da sich Strontium in den Knochen anreichert wie Calcium.
Strahlenschutz
Betastrahlen lassen sich mit einem einige Millimeter dicken Absorber (beispielsweise Aluminiumblech) gut abschirmen. Allerdings wird dabei ein Teil der Energie der Betateilchen in Röntgen-Bremsstrahlung umgewandelt. Um diesen Anteil zu verringern, sollte das Abschirmmaterial möglichst leichte Atome aufweisen, also von geringer Ordnungszahl sein. Dahinter kann dann ein zweiter Absorber aus Schwermetall die Bremsstrahlung abschirmen.
Max. Reichweite von β-Teilchen verschiedener Energien in verschiedenen Materialien
Für β-Strahler lässt sich eine materialabhängige maximale Reichweite feststellen, denn β-Teilchen geben ihre Energie (so wie Alphateilchen) in vielen Einzelstößen an Atomelektronen ab; die Strahlung wird also nicht exponentiell abgeschwächt wie monoenergetische Gammastrahlung. Aus dieser Erkenntnis resultiert die Auswahl abschirmender Materialien. Für einige der in der Forschung verbreiteten β-Strahler sind in der nebenstehenden Tabelle die maximalen Reichweiten in Luft, Plexiglas und Glas berechnet. Eine 1 cm dicke Plexiglasabschirmung kann bei den angegebenen Energien eine sichere Abschirmung ergeben.
Bei β+-Strahlung ist zu beachten, dass sich die β+-Teilchen mit Elektronen annihilieren (siehe oben), wobei meist zwei Photonen mit 511 keV Energie (entsprechend der Masse des Elektrons bzw. Positrons) frei werden. Diese Vernichtungsstrahlung liegt damit im Bereich der Gamma-Strahlung.[19]
Anwendungen
In der Nuklearmedizin werden Betastrahler (z. B. 131I, 90Y) in der Radionuklidtherapie verwendet. In der nuklearmedizinischen Diagnostik werden die β+-Strahler 18F, 11C, 13N und 15O bei der Positronen-Emissions-Tomographie als radioaktive Markierung der Tracer eingesetzt. Ausgewertet wird dabei die durch Paarvernichtung entstehende Strahlung.
Die Radiometrische Staubmessung, ein Verfahren zur Messung von gasgetragenen Stäuben, nutzt die Absorption von Betastrahlen.[20] Als Strahlungsquellen werden beispielsweise 14C und 85Kr verwendet.[21]
Betastrahlen aus dem Zerfall von Tritium werden für Tritiumgaslichtquellen genutzt und sind prinzipiell auch für Betavoltaik nutzbar.
Betazerfallsübergänge in Kernen
Man unterscheidet bei Betazerfällen in Kernen Fermi-Zerfälle, bei denen die Spins der emittierten Teilchen (Elektron und Antineutrino bzw. Positron und Neutrino) antiparallel und zu gekoppelt sind, und Gamow-Teller-Übergänge, bei denen die Spins zu gekoppelt sind. Die Gesamtdrehimpulse der Kerne ändern sich bei Fermiübergängen nicht (), bei Gamow-Teller-Übergängen um . Dabei ist ein Übergang beim Kernspin von zu beim Gamow-Teller-Übergang verboten. Solche Übergänge (bei denen nur der Fermi-Übergang beiträgt) werden auch als supererlaubt bezeichnet.[22]
Den beiden Übergangstypen entsprechen Terme im Hamiltonoperator von[23]
beim Fermi-Übergang und
beim Gamow-Teller-Übergang
Dabei sind die Pauli-Matrizen des Spinoperators und des Isospinoperators (er bewirkt den Übergang von Proton zu Neutron und umgekehrt) und ist der Einheitsoperator im Spinraum. ist die Vektorkopplungskonstante der schwachen Wechselwirkung (auch Fermi-Kopplungskonstante), die Axialvektorkopplungskonstante (auch Gamow-Teller-Kopplungskonstante).[24] Die Fermi-Zerfälle wurden in den 1930er Jahren durch eine effektive Theorie der schwachen Wechselwirkung von Enrico Fermi beschrieben, einige Jahre später ergänzten George Gamow und Edward Teller einen Axialvektor-Term.
Bei Betazerfällen in Kernen können auch Mischungen aus Fermi- und Gamow-Teller-Übergang auftreten, wenn der Ausgangskern etwa einmal in den Grundzustand und ein anderes Mal in einen angeregten Zustand zerfallen kann.
Übergänge mit von Null verschiedenem Bahndrehimpuls der emittierten Teilchen sind unwahrscheinlicher und werden als behindert bezeichnet[24] (mit unterschiedlichen Graden je nach Bahndrehimpuls). Je nach dem Wert von ändert sich die Parität () oder nicht. Bei einfachen Fermi- und Gamow-Teller-Übergängen mit ändert sich die Parität nicht. Das unterscheidet Gamow-Teller-Übergänge von ihren Analoga bei elektromagnetischen Dipolübergängen (der Operator ist dort ein polarer Vektor und kein axialer, die Parität ändert sich).[23]
Forschungsgeschichte
Ernest Rutherford und Frederick Soddy entwickelten 1903 eine Hypothese, nach der die bereits 1896 von Antoine Henri Becquerel entdeckte Radioaktivität mit der Umwandlung von Elementen verknüpft ist. Der Betazerfall wurde demnach als Quelle der Betastrahlung ausgemacht. Davon ausgehend formulierten 1913 Kasimir Fajans und Soddy die sogenannten radioaktiven Verschiebungssätze, mit denen die natürlichen Zerfallsreihen durch aufeinanderfolgende Alpha- und Betazerfälle erklärt werden. Die Vorstellung, dass die Betaelektronen selbst wie die Alphateilchen aus dem Kern stammten, verfestigte sich 1913 im Kreis von Ernest Rutherford.
In der Anfangszeit galt lange als allgemeiner Konsens, dass Beta-Teilchen wie Alphateilchen ein für jedes radioaktive Element charakteristisches diskretes Spektrum haben. Experimente von Lise Meitner, Otto Hahn und Otto von Baeyer mit Photoplatten als Detektoren, die 1911[25] und den Folgejahren veröffentlicht wurden, sowie verbesserte Experimente von Jean Danysz in Paris 1913 zeigten aber ein komplexeres Spektrum mit einigen Anomalien (besonders bei Radium E, also 210Bi), die auf ein kontinuierliches Spektrum der Beta-Teilchen hinwiesen. Meitner hielt dies wie die meisten ihrer Kollegen zunächst für einen sekundären Effekt, also kein Kennzeichen der ursprünglich emittierten Elektronen. Erst die Experimente von James Chadwick im Labor von Hans Geiger in Berlin 1914 mit einem magnetischen Spektrometer und Zählrohren als Detektoren zeigten, dass das kontinuierliche Spektrum ein Kennzeichen der Betaelektronen selbst war.[26]
Um diese scheinbare Nichterhaltung der Energie (und eine ebenfalls auftretende Verletzung von Impuls- und Drehimpulserhaltung) zu erklären, schlug Wolfgang Pauli 1930 in einem Brief die Beteiligung eines neutralen, extrem leichten Elementarteilchens am Zerfallsprozess vor, welches er „Neutron“ taufte. Enrico Fermi änderte diese Bezeichnung 1931 in Neutrino (italienisch für „kleines Neutrales“), zur Unterscheidung von dem nahezu zeitgleich entdeckten wesentlich schwereren Neutron. 1933 publizierte Fermi die theoretische Beschreibung des Betazerfalls als Vier-Teilchen-Wechselwirkung (Fermi-Wechselwirkung). Der erste experimentelle Nachweis des Neutrinos gelang erst 1956 an einem der ersten großen Kernreaktoren (siehe Cowan-Reines-Neutrinoexperiment).
Gelegentlich werden freie Elektronen, die künstlich (z. B. von einer Glühkathode) erzeugt und in einem Teilchenbeschleuniger auf hohe Energie gebracht wurden, ungenau ebenfalls als Betastrahlung bezeichnet. Auch der Name des Elektronenbeschleuniger-Typs Betatron weist darauf hin.
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↑John David Jackson: Klassische Elektrodynamik. 3. Auflage. de Gruyter, Berlin • New York 2002, S.843–850.
↑siehe z. B. Max Planck: Das Weltbild der neuen Physik. Leipzig: Barth, 1929, S. 17/18.
↑Bei protonenreichen Nukliden Beta-Plus-Zerfall (β+). Eselsbrücke: protonenreiche Kerne = Plus-Zerfall; beides beginnt mit p, ebenso das Positron, das emittiert wird. β-Plus → Protonenüberschuss, d. h. Proton wandelt sich zu Neutron
↑Sexl, Sexl, Weiße Zwerge- schwarze Löcher, Vieweg 1977, S. 55
↑z. B. Ch. Gerthsen: Physik. 6. Auflage, Springer 1960, S. 329.
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↑ abHanno Krieger: Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes. 2. Auflage. S. 109.
↑Heinrich Dresia, Franz Spohr: Anwendungs- und Fehlermöglichkeiten der radiometrischen Staubmessung zur Überwachung der Emission, Immission und von Arbeitsplätzen. In: Staub – Reinhalt. Luft. 38, Nr. 11, 1978, ISSN0949-8036, S. 431–435.
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↑ abZum Beispiel Enrico Fermi, Nuclear Physics, 1953, S. 81f
↑ abBethge, Walter, Wiedemann, Kernphysik, Springer 2008, S. 252
↑O. v. Baeyer, L. Meitner, O. Hahn: Magnetische Spektren der Beta-Strahlen des Radiums. In: Physikalische Zeitschrift. Band 12, 1911, S. 1099–1101 (Archivierte Kopie (Memento vom 8. Januar 2015 im Internet Archive) PDF).
↑Chadwick: Intensitätsverteilung im magnetischen Spektrum der Betastrahlen von Radium B+C. In: Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Band 16, 1914, S. 383–391.