Die Baltische Corporation Estonia Dorpat (estn.: Korporatsioon Estonia) war eine deutsch-baltische Studentenverbindung an der deutschsprachigen Kaiserlichen Universität Dorpat.[1]
Dorpater Studenten hatten bereits 1810 eine Studentenverbindung mit dem Namen „Estonia“ gegründet. Diese bestand jedoch nur ein Jahr und verschmolz 1811 mit der bereits seit längerem bestehenden Allgemeinheit Dorpat. Deren Mitglieder gründeten am 7. September 1821 die Corporation Estonia. In ihr sammelten sich die vornehmlich in Tartu studierenden Deutsch-Balten aus dem Gouvernement Estland, dem nördlichen Teil des heutigen Estlands. Die dörptschen Studentenverbindungen waren von der Romantik bestimmt und nie so durchorganisiert wie die deutschen Corps.
„Unter dem linken Arm trug der Student eine sehr alte Mappe, aber er tat dies mit dem Anstande des Ministers, der sein Portfell (Aktentasche) trägt, nur mit viel höherem Selbstbewusstsein, da der echte deutsche Bursch fest überzeugt ist, in der Reihe von Gott erschaffener Wesen dicht auf den lieben Gott zu folgen. Jedenfalls gibt er mit Bescheidenheit zu, dass erst Gott kommt, dann der Kaiser von Russland und erst dann der Dörptsche Bursch.“
Die Estonia führte die Couleur Grün-violett-weiß und trug moosgrüne Deckel.[2] Der Wahlspruch der Estonia war Virtus decus Estonorum![3]
Verbindungshaus
1883 beschloss die Corporation den Bau eines eigenen Hauses am damaligen Stadtrand von Tartu. Im April 1885 wurde der Grundstein gelegt. Das Verbindungshaus nach den Plänen des deutschbaltischen Architekten Reinhold Guleke (1834–1927) konnte bereits im August 1886 feierlich eingeweiht werden. Während des Ersten Weltkriegs beschlagnahmte die Kaiserlich Russische Armee das Haus. Nach dem Estnischen Freiheitskrieg (1918–1920) gab die Studentenverbindung den Besitz an dem Gebäude ab, das sich in sehr schlechtem Zustand befand. In das Haus zog Anfang der 1930er Jahre die Studentenverbindung Rotalia zur Miete ein, die das Haus kurze Zeit später käuflich erwarb.[4]
1887 gelang es der Estonia, zusätzlich die Liegenschaft Wallgraben 9 (estnisch Vallikraavi 9) in Dorpat zu erwerben und zum Verbindungshaus umzugestalten. Heute befindet sich in dem Gebäude die Klinik für Hämatologie und Onkologie des Universitätskrankenhauses Dorpat.
Herbert von Blanckenhagen: Am Rande der Weltgeschichte »Erinnerungen aus Alt-Livland 1913–1923«. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1966.
Erich Donnert: Die Universität Dorpat-Jur'ev 1802–1918: ein Beitrag zur Geschichte des Hochschulwesens in den Ostseeprovinzen des Russischen Reiches: Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-631-56477-6.
Axel von Gernet: Geschichte der Estonia, Dorpat 1893.
Otto von Grünewaldt: Baltisches Burschenleben – Erinnerungen an die Studentenzeit in Dorpat. WJK-Verlag, Hilden 2003, ISBN 3-933892-60-0.
Dietrich G. Kraus: Baltisches Burschentum in Dorpat und Riga, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums, Band XLV (1998).
E. Kuehn: Jüdische Studenten – aktiv in einer deutsch-baltischen Korporation. Zirkel und Zionsstern, Bd. V, 1996.
Tiina Metso: German Influence on Estonian and Baltic German Corps Traditions in Tartu. Acta Historica Tallinnensia 8 (2004), S. 20–36.
Johannes von Raison: Erinnerungen an das Dorpater Burschenleben. In: Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 33 (1988), S. 67–91.