Als althochdeutsche Sprache oder Althochdeutsch (abgekürzt Ahd.) bezeichnet man die älteste schriftlich überlieferte Sprachstufe des Deutschen, die etwa zwischen 750 und 1050 gesprochen wurde.[1] Ihr unmittelbarer Vorläufer war das Voralthochdeutsche, das sich vom Althochdeutschen vor allem durch die noch nicht durchgeführte Zweite Lautverschiebung unterscheidet und im 5. bis 7. Jahrhundert gesprochen wurde. Das Voralthochdeutsche wiederum ist die südliche Teilgruppe des Westgermanischen, zu dem auch die Vorläufer des Altsächsischen, Altfriesischen, Altniederländischen und Altenglischen gehören. Wie das Westgermanische insgesamt ist auch das Voralthochdeutsche nur durch wenige Runeninschriften und Eigennamen in lateinischen Texten belegt.
Das Wort „deutsch“ erscheint zum ersten Mal in einem Dokument aus dem Jahre 786 in der mittellateinischen Form theodiscus. In einer Kirchenversammlung in England seien die Beschlüsse „tam latine quam theodisce“ verlesen worden, also „sowohl lateinisch als auch in der Volkssprache“. (Mit dieser Volkssprache war freilich das Altenglische gemeint.)[2] Die althochdeutsche Form des Worts ist erst deutlich später belegt: In der Abschrift eines antiken Sprachlehrbuches in lateinischer Sprache, vermutlich im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts angefertigt, fand sich der Eintrag eines Mönches, der offenbar das lateinische Wort galeola (Geschirr in Helmform) nicht verstanden hatte. Er muss sich bei einem Mitbruder nach der Bedeutung dieses Wortes erkundigt und die Bedeutung in der Sprache des Volkes hinzugefügt haben. Für seine Notiz verwendete er die althochdeutsche Frühform „diutisce gellit“ („auf Deutsch ‚Schale‘“). Für Sprecher des modernen Hochdeutschen ist diese Sprachstufe nicht mehr oder wenn nur partiell verständlich.
Das Althochdeutsche war keine einheitliche Sprache, sondern eine Gruppe eng verwandter und wechselseitig gut verstehbarer westgermanischer Dialekte, die südlich der sogenannten „Benrather Linie“ (die heute von Düsseldorf-Benrath ungefähr in west-östlicher Richtung verläuft) gesprochen wurden. Diese Dialekte unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen vor allem durch die Durchführung der Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung. Die Dialekte nördlich der Benrather Linie, das heißt im Bereich der norddeutschen Tiefebene und im Gebiet der heutigen Niederlande, haben diese Lautverschiebung nicht durchgeführt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung Altsächsisch (auch: Altniederdeutsch) zusammengefasst. Aus dem Altsächsischen hat sich das Mittel- und Neuniederdeutsche entwickelt. Auch das Altniederfränkische, aus dem später das heutige Niederländisch entstanden ist, hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, so dass dieser Teil des Fränkischen ebenfalls nicht zum Althochdeutschen gehört.
Dagegen hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Langobardische im Norditalien des 7. bis 8. Jahrhunderts zu den althochdeutschen Dialekten gehört; die wenigen überlieferten oder aus italienischen Lehnwörtern erschließbaren langobardischen Wörter und Eigennamen lassen jedenfalls erkennen, dass auch im Langobardischen die Zweite Lautverschiebung durchgeführt worden ist.
Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache gab, lassen sich die überlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von (Alt-)Südrheinfränkisch, Altbairisch, Altalemannisch usw. spricht. Diese westgermanischen Varietäten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nähe zueinander auf, in der die späteren Unterschiede zwischen Ober- und Mitteldeutsch begründet sind. So schreibt etwa Stefan Sonderegger, in Bezug auf die räumlich-sprachgeographische Gliederung sei unter Althochdeutsch zu verstehen:
„Die ältesten Stufen der mittel- und hochfränkischen, d. h. westmitteldeutschen Mundarten einerseits und der alemannisch und bairischen, also oberdeutschen Mundarten andererseits, sowie die in ahd. Zeit erstmals faßbare, aber gleichzeitig schon absterbende Sprachstufe des Langobardischen in Oberitalien. Deutlich geschieden bleibt das Ahd. vom Altsächsischen im anschließenden Norden, während zum Altniederländisch-Altniederfränkischen und Westfränkischen im Nordwesten und Westen ein gestaffelter Übergang festzustellen ist.“
Althochdeutsche Überlieferungen und Schriftlichkeit
Das lateinische Alphabet wurde im Althochdeutschen für die deutsche Sprache übernommen. Hierbei kam es einerseits zu Überschüssen an Graphemen wie <v> und <f> und andererseits zu „ungedeckten“ deutschen Phonemen wie Diphthongen, Affrikaten (wie /pf/, /ts/, /tʃ/), und Konsonanten wie /ç/ <ch> und /ʃ/ <sch>, die es im Lateinischen nicht gab. Im Althochdeutschen wurde für das Phonem /f/ auch hauptsächlich das Graphem <f> verwendet, sodass es hier fihu (Vieh), filu (viel), fior (vier), firwizan (verweisen) und folch (Volk) heißt, während im Mittelhochdeutschen überwiegend für dasselbe Phonem das Graphem <v> verwendet wurde - hier heißt es beispielsweise vinsternis (Finsternis), vrouwe (Frau), vriunt (Freund) und vinden (finden). Diese Unsicherheiten, die sich bis heute in Schreibungen wie „Vogel“ oder „Vogt“ auswirken, sind auf die beschriebenen Graphemüberschüsse des Lateinischen zurückzuführen.
Der älteste erhaltene althochdeutsche Text ist der Abrogans, ein lateinisch-althochdeutsches Glossar. Generell besteht die althochdeutsche Überlieferung zu einem großen Teil aus geistlichen Texten (Gebeten, Taufgelöbnissen, Bibelübersetzung); nur vereinzelt finden sich weltliche Dichtungen (Hildebrandslied, Ludwigslied) oder sonstige Sprachzeugnisse (Inschriften, Zaubersprüche). Zum öffentlichen Recht gehören die Würzburger Markbeschreibung oder die Straßburger Eide von 842, die jedoch nur in der Abschrift eines romanischsprachigen Kopisten aus dem 10. und 11. Jahrhundert überliefert sind.
Der sogenannte „Althochdeutsche Tatian“ ist eine Übersetzung der Evangelienharmonie des syrisch-christlichen Apologeten Tatianus (2. Jahrhundert) in das Althochdeutsche. Er ist zweisprachig (lateinisch-deutsch); die einzige erhaltene Handschrift befindet sich heute in St. Gallen. Der Althochdeutsche Tatian ist neben dem Althochdeutschen Isidor die zweite große Übersetzungsleistung aus der Zeit Karls des Großen.
Im Zusammenhang mit der politischen Situation ging im 10. Jahrhundert die Schriftlichkeit im Allgemeinen und die Produktion deutschsprachiger Texte im Besonderen zurück; ein erneutes Einsetzen einer deutschsprachigen Schriftlichkeit und Literatur ist ab etwa 1050 zu beobachten. Da sich die schriftliche Überlieferung des 11. Jahrhunderts in lautlicher Hinsicht deutlich von der älteren Überlieferung unterscheidet, bezeichnet man die Sprache ab etwa 1050 als Mittelhochdeutsch. Als Endpunkt der althochdeutschen Textproduktion wird oft auch der Tod Notkers in St. Gallen 1022 definiert.
Typisch für das Althochdeutsche und wichtig für das Verständnis bestimmter Formen in späteren Sprachstufen des Deutschen (wie die rückumlautenden schwachen Verben) ist der althochdeutsche Primärumlaut. Hierbei bewirken die Laute /i/ und /j/ in der Folgesilbe, dass /a/ zu /e/ umgelautet wird.
Endsilben
Charakteristisch für die althochdeutsche Sprache sind die noch vokalisch volltönenden Endungen (siehe Latein).
Beispiel vokalisch volltönender Endungen
althochdeutsch
mittelhochdeutsch
neuhochdeutsch
mahhôn
machen
machen
taga
tage
Tage
dëmu/dëmo
dëm(e)
dem
perga
bërge
Berge
Die Abschwächung der Endsilben im Mittelhochdeutschen ab 1050 gilt als Hauptkriterium zur Abgrenzung der beiden Sprachstufen.
Substantive
Das Substantiv hat vier Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) und Reste eines fünften (Instrumental) sind noch vorhanden. Man unterscheidet zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen (konsonantischen) Deklination.
Deklination der schwachen Substantive
Numerus
Kasus
maskulin
feminin
neutral
Singular
Nom.
hano
zunga
hërza
Akk.
hanon, -un
zungūn
hërza
Dat.
hanen, -in
zungūn
hërzen, -in
Gen.
Plural
Nom.
hanon, -un
zungūn
hërzun, -on
Akk.
Dat.
hanōm, -ōn
zungōm, -ōn
hërzōm, -ōn
Gen.
hanōno
zungōno
hërzōno
Bedeutung
Hahn
Zunge
Herz
Weitere Beispiele für maskuline Substantive sind stërno (Stern), namo (Name), forasago (Prophet), für feminine Substantive quëna (Frau), sunna (Sonne) und für neutrale ouga (Auge), ōra (Ohr).
Personalpronomen
Deklination der Personalpronomina im Althochdeutschen
Neben unser und iuwer findet sich auch unsar und iuwar,[5] und neben iuwar und iuwih findet sich auch iwar und iwih.[6]
Bei Otfrid findet sich auch der Genitiv Dual der 1. Person: unker (oder uncher, auch als unkar oder unchar angeführt).[7][8]
Demonstrativpronomen
In der althochdeutschen Periode spricht man allerdings eher noch von dem Demonstrativpronomen, weil sich der bestimmte Artikel als ein grammatisches Phänomen erst im späten Althochdeutsch aus dem Demonstrativpronomen entwickelt hat.[9]
Bestimmte Artikel im Althochdeutschen
Kasus
Singular
Plural
männlich
sächlich
weiblich
männlich
sächlich
weiblich
Nominativ
dër
daȥ
diu
dē, dea, dia, die
diu, (dei?)
deo, dio
Akkusativ
dën
dea, dia (die)
Dativ
dëmu, -o
dëru, -o
dēm, dēn
Genitiv
dës
dëra, (dëru, -o)
dëru
dëra
Nominativ und Akkusativ sind im Plural recht willkürlich und von Dialekt zu Dialekt unterschiedlich, sodass eine explizite Trennung, welche dieser Formen ausdrücklich den Akkusativ und welche den Nominativ beschreibt, nicht möglich ist. Zudem kann man anhand dieser Aufstellung bereits einen langsamen Zusammenfall der verschiedenen Formen feststellen. Während es im Nominativ und Akkusativ Plural noch viele recht unregelmäßige Formen gibt, sind Dativ und Genitiv, sowohl im Singular als auch im Plural, relativ regelmäßig.
Verben
Auch bei den Verben wird zwischen einer starken (vokalischen) und einer schwachen Konjugation unterschieden. Die Zahl der schwachen Verben war zu jeder Zeit höher als die der starken Verben, aber die zweite Gruppe war im Althochdeutschen deutlich umfangreicher als heute. Neben diesen beiden Gruppen gibt es die Präteritopräsentien, Verben, welche mit ihrer ursprünglichen Präteritumsform eine Präsensbedeutung aufweisen.
Starke Verben
Bei den starken Verben kommt es im Althochdeutschen zur Veränderung des Vokals im Grundmorphem, welches die lexikalische Bedeutung des Wortes trägt. Die Flexion (Beugung) der Wörter wird durch Flexionsmorpheme (Endungen) gekennzeichnet. Man unterscheidet im Althochdeutschen sieben verschiedene Ablautreihen, wobei die siebte nicht auf einen Ablaut, sondern auf Reduplikation zurückgeht.
Flexionsformen starker Verben am Beispiel werfan (Infinitiv)
Modus
Numerus
Person
Pronomen
Präsens
Präteritum
Indikativ
Singular
1.
ih
wirfu
warf
2.
dū
wirfis/wirfist
wurfi
3.
er, siu, iz
wirfit
warf
Plural
1.
wir
werfemēs (werfēn)
wurfum (wurfumēs)
2.
ir
werfet
wurfut
3.
sie, siu
werfent
wurfun
Konjunktiv
Singular
1.
ih
werfe
wurfi
2.
dū
werfēs/werfēst
wurfīs/wurfīst
3.
er, siu, iz
werfe
wurfi
Plural
1.
wir
werfēm (werfemēs)
wurfīm (wurfīmēs)
2.
ir
werfēt
wurfīt
3.
sie, siu
werfēn
wurfīn
Imperativ
Singular
2.
wirf
Plural
werfet
Partizip
werfanti / werfenti
giworfan
Beispiel: werfan – wirfu – warf – wurfun – giworfan (nhd. werfen) nach der Ablautreihe III. b
Schwache Verben
Die schwachen Verben des Althochdeutschen lassen sich morphologisch und semantisch über ihre Endungen in drei Gruppen einteilen:
Verben mit der Endung -jan- mit kausativer Bedeutung (etwas machen, bewirken) sind für das Verständnis der im Mittelhochdeutschen sehr häufig und auch heute noch teilweise vorhandenen schwachen Verben mit Rückumlaut elementar, da hier das /j/ in der Endung den oben beschriebenen Primärumlaut im Präsens bewirkt.
Formen schwacher Verben mit der Endung -jan- mit kausativer Bedeutung und für denominative Bildungen am Beispiel *taljan → ahd. zellen ‚(auf-, er-, zu-)zählen, (aus-)sagen, sprechen‘.
Modus
Numerus
Person
Pronomen
Präsens
Präteritum
Indikativ
Singular
1.
ih
zellu
zellita
2.
dū
zellis
zellitos
3.
er, siu, iz
zellit
zellita
Plural
1.
wir
zellumēs
zellitum
2.
ir
zellet
zellitut
3.
sie, siu
zellent
zellitun
Konjunktiv
Singular
1.
ih
zele
zeliti
2.
dū
zellēst
zelitīs
3.
er, siu, iz
zele
zeliti
Plural
1.
wir
zelēm
zelitīm
2.
ir
zelēt
zelitīt
3.
sie, siu
zelēn
zelitīn
Imperativ
Singular
2.
zel
Plural
zellet
Formen schwacher Verben mit der Endung -ōn mit instrumentaler Bedeutung (etwas benutzen) am Beispiel mahhōn ‚machen‘
Modus
Numerus
Person
Pronomen
Präsens
Präteritum
Indikativ
Singular
1.
ih
mahhо̄m
mahhо̄ta
2.
dū
mahhо̄s
mahhо̄tо̄s
3.
er, siu, iz
mahhо̄t
mahhо̄ta
Plural
1.
wir
mahhо̄mēs
mahhо̄tum
2.
ir
mahhо̄t
mahhо̄tut
3.
sie, siu
mahhо̄nt
mahhо̄tun
Konjunktiv
Singular
1.
ih
mahho
mahhо̄ti
2.
dū
mahhо̄s
mahhо̄tīs
3.
er, siu, iz
mahho
mahhо̄ti
Plural
1.
wir
mahhо̄m
mahhо̄tīm
2.
ir
mahhо̄t
mahhо̄tīt
3.
sie, siu
mahhо̄n
mahhо̄tīn
Imperativ
Singular
2.
mahho
Plural
mahhot
Formen schwacher Verben mit der Endung -ēn mit durativer Bedeutung (vollziehen, werden) am Beispiel sagēn ‚sagen‘
Modus
Numerus
Person
Pronomen
Präsens
Präteritum
Indikativ
Singular
1.
ih
sagēm
sagēta
2.
dū
sagēs
sagētо̄s
3.
er, siu, iz
sagēt
sagēta
Plural
1.
wir
sagēmēs
sagētum
2.
ir
sagēt
sagētut
3.
sie, siu
sagēnt
sagētun
Konjunktiv
Singular
1.
ih
sage
sagēti
2.
dū
sagēs
sagētīs
3.
er, siu, iz
sage
sagēti
Plural
1.
wir
sagēm
sagētīm
2.
ir
sagēt
sagētīt
3.
sie, siu
sagēn
sagētīn
Imperativ
Singular
2.
sage
Plural
sagēt
Besondere Verben
Das althochdeutsche Verb sīn ‚sein‘ wird als Verbum substantivum bezeichnet, weil es für sich allein stehen kann und ein Dasein von etwas beschreibt. Es zählt zu den Wurzelverben, welche zwischen Stamm- und Flexionsmorphem keinen Bindevokal aufweisen. Diese Verben werden auch als athematisch (ohne Binde- oder Themavokal) bezeichnet. Das Besondere an sīn ist, dass sein Paradigma suppletiv ist, also aus verschiedenen Verbstämmen gebildet wird (idg. *h₁es- ‚existieren‘, *bʰueh₂- ‚wachsen, gedeihen‘ und *h₂ues- ‚verweilen, wohnen, übernachten‘). Im Konjunktiv Präsens besteht weiterhin das auf *h₁es- zurückgehende sīn (die mit b-anlautenden Indikativformen gehen hingegen auf *bʰeh₂u- zurück), im Präteritum jedoch wird es durch das starke Verb wesan (nhd. war, wäre; vgl. auch nhd. Wesen) ersetzt, welches nach der fünften Ablautreihe gebildet wird.
Präsensformen des verbum substantivum: sīn ‚sein‘
Numerus
Person
Pronomen
Indikativ
Konjunktiv
Singular
1.
ih
bim, bin
sī
2.
dū
bist
sīs, sīst
3.
er, siu, ez
ist
sī
Plural
1.
wir
birum, birun
sīn
2.
ir
birut
sīt
3.
sie, sio, siu
sint
sīn
Tempus
Im Germanischen gab es lediglich zwei Tempora: Das Präteritum für die Vergangenheit und das Präsens für die Nicht-Vergangenheit (Gegenwart, Zukunft). Mit Einsetzen der Verschriftlichung und Übersetzungen aus dem Latein ins Deutsche begann man, deutsche Entsprechungen für die lateinischen Tempora wie Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II im Althochdeutschen zu entwickeln. Zumindest Ansätze für das haben- und sein-Perfekt lassen sich schon im Althochdeutschen ausmachen. Die Entwicklung wurde im Mittelhochdeutschen fortgeführt.
Aussprache
Die Rekonstruktion der Aussprache des Althochdeutschen basiert auf dem Vergleich der überlieferten Texte mit der Aussprache des heutigen Deutschen, deutscher Dialekte und verwandter Sprachen. Daraus ergeben sich folgende Ausspracheregeln:[10]
Vokale sind grundsätzlich kurz zu lesen, es sei denn, sie sind durch einen Überstrich oder Zirkumflex ausdrücklich als Langvokale gekennzeichnet. Erst im Neuhochdeutschen werden Vokale in offenen Silben lang gesprochen.
Die Diphthonge ei, ou, uo, ua, ie, ia, io und iu werden als Diphthonge gesprochen und auf dem ersten Bestandteil betont. Dabei ist zu beachten, dass auch der Buchstabe <v> gelegentlich den Lautwert u hat.
Die Betonung liegt immer auf der Wurzel, selbst wenn eine der folgenden Silben einen Langvokal enthält.
Die Lautwerte der meisten Konsonantenbuchstaben entsprechen denen des heutigen Deutsch. Da die Auslautverhärtung erst im Mittelhochdeutschen erfolgte, werden <b>, <d> und <g> im Auslaut anders als im heutigen Deutsch stimmhaft gesprochen.
Der Graph <th> wurde im frühen Althochdeutsch als stimmhafter dentaler Frikativ [ð] (wie <th> in Englisch the) gesprochen, ab etwa 830 aber kann man [d] lesen.
<c> wird – ebenso wie das häufiger auftretende <k> – als [k] gesprochen, und zwar auch dann, wenn es in Verbindung mit <s> – also als <sc> – erscheint.
<z> ist zweideutig und steht teils für [ts], teils für das stimmlose [s]. Letzteres ist durch die zweite Lautverschiebung aus t hervorgegangen (wie z. B. ahd. ezzan < voralthochdeutsch *etan, wazzar < vahd. *watar).
<s> wurde geringfügig anders als heute ausgesprochen, nämlich wie im Niederländischen also mit leichter Tendenz zum [ʃ]; nur deswegen wurde es auch in der Schreibung von <z> (< vahd. t) unterschieden. Diese Differenzierung bestand noch in mittelhochdeutscher Zeit.
<h> wird im Anlaut als [h] gesprochen, im In- und Auslaut als [x].
<st> wird auch im Wortanlaut [st] gesprochen (nicht wie heute [ʃt]). Auch in dieser Verbindung wurde s wie im Niederländischen mit Tendenz zum [ʃ] ausgesprochen und auf dieser Grundlage entwickelte sich <st> später phonologisch zu [ʃt] (dies erst im späten Mittelalter, im Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Frühneuhochdeutschen; in Südwestdeutschland bereits im 11. Jahrhundert und dort in allen Stellungen).
<ng> wird [ŋg] gesprochen (nicht [ŋ]).
<qu> wird geringfügig anders als im heutigen Deutsch (dort: [kv]) ausgesprochen, nämlich noch mit Lippenrundung wie im Italienischen (z. B. in acqua Wasser oder quando wann).
<uu> (das oft als <w> transkribiert wird) wird wie der englische Halbvokal [w] (water) gesprochen.[11]
Wörter und Namen. Forschungsgeschichte. Winter, Heidelberg 1987, ISBN 3-533-03940-4.
Rolf Bergmann, Peter Pauly, Claudine Moulin: Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. 7. Auflage, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-20836-6; 8. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8252-3534-5.
Wilhelm Braune: Althochdeutsche Grammatik. Halle/Saale 1886; 3. Auflage ebenda 1925 (Auflage letzter Hand; Fortführung unter Karl Helm, Walther Mitzka, Hans Eggers und Ingo Reiffenstein) (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A, 5.1). Viele später von anderen fortgeführte Auflagen. Die neueste: 17. Auflage, bearbeitet von Frank Heidermanns, Berlin/Boston 2023, ISBN 978-3-11-120327-0.
Euler, Wolfram: Das Westgermanische – von der Herausbildung im 3. bis zur Aufgliederung im 7. Jahrhundert – Analyse und Rekonstruktion. 268 S., Verlag Inspiration Unlimited, 2. Auflage, Berlin 2022, ISBN 978-3-945127-41-4 (1. Auflage 2013).
Eberhard Gottlieb Graff: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. I–VI. Berlin 1834–1842, Neudruck Hildesheim 1963.
Axel Lindqvist: Studien über Wortbildung und Wortwahl im Althochdeutschen mit besonderer Rücksicht auf die nominia actionis. In: [Paul und Braunes] Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. Band 60, 1936, S. 1–132.
Rosemarie Lühr: Die Anfänge des Althochdeutschen. In: NOWELE. 66, 1 (2013), S. 101–125. (dwee.eu [PDF; 422 kB; Volltext])
Hans Ferdinand Massmann: Vollständiger alphabetischer Index zu dem althochdeutschen Sprachschatze von E. G. Graff. Berlin 1846, Neudruck Hildesheim 1963.
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