Zur jüdischen Frage

Zur jüdischen Frage ist ein Essay von Thomas Mann, der 1921 auf Anregung Efraim Frischs geschrieben, zu Lebzeiten des Autors allerdings nicht veröffentlicht wurde. Wie andere frühe und mittlere Abhandlungen über dieses Thema zeigt der Text eine grundsätzlich philosemitische Tendenz, wenn es auch Vorbehalte und Klischees gibt, die eine ambivalente Einstellung zum Judentum verraten und weiterhin Gegenstand der Forschung sind.

Inhalt

Am Anfang des mit einer Briefanrede beginnenden Artikels kündigt der Autor an, sich nur auf Persönliches beschränken zu wollen, sei über den Gegenstand doch schon viel „Kluges“ und „Tiefdringendes“ gesagt worden und das Persönliche ohnehin die „Zuflucht derer“, welche die „Unerschöpfbarkeit der Dinge“ lebhaft empfinden würden. Die biographischen Tatsachen seines Lebens, an die er sich halten wolle, seien „judenfreundlich“.[1]

So habe er unbewusst den Umgang mit jüdischen Klassenkameraden bevorzugt, die er auf eine Weise darstellt, die für die Forschung später von Interesse sein wird. So beschreibt er Ephraim Carlebach, seinen Schulkameraden aus dem Katharineum zu Lübeck, als ein quickes, „wenn auch nicht sehr reinliches“ „Rabbinersöhnchen“, „dessen große, kluge, schwarze Augen“ ihn gefreut hätten. Schon der Name sei erfüllt von der „Wüstenpoesie eben jener Stunde, von der seine Besonderheit ausgeschlossen war […] markanter und farbiger […] als Hans und Jürgen“.[2] Ein anderer Freund namens Franz Fehér erscheint als „Typus, pronociert bis zur Häßlichkeit, mit platter Nase und früh dunkelndem Schnurrbartschatten“, dessen „fremdartig schleppende(r) Dialekt“ dem Autor interessanter erscheine als das gewöhnliche Waterkantische.

Mit dem „lustigen“ Sohn eines Schächters, der mit seinen Lächelfältchen „menschenfreundlich und ohne Arg“ gewesen sei, trat Thomas Mann der „Typus des durchaus vergnügten Juden“ entgegen. Diese Vergnügtheit sei als Grundverfassung unter Juden vermutlich häufiger als unter „Ur-Europäern“, ausgehend von einer beneidenswerten Fähigkeit zum Lebensgenuss, der sie für manche fortwirkende „äußere Benachteiligung wohl entschädigen“ möge.[3]

Friedrich Wilhelm Riemer habe Johann Wolfgang von Goethes Verhältnis zum Judentum positiv beschrieben: Die Gebildeten seien meist zuvorkommender und hätten ihn und sein Werk tiefer verehrt als andere. „Ihre schnelle Auffassungsgabe, ihr penetranter Verstand“ und „eigentümlicher Witz“ prädestiniere sie zu einem besseren Publikum als die manchmal langsamen und „schwer begreifenden Echt- und Ur-Deutschen“.[4]

Ebendies nun sei Thomas Manns Erfahrung, und wo sei der bedeutende Künstler und Schriftsteller, der sie nicht mit ihm teile? Unleugbar sei, dass Geistesprodukte, die nur „Echt- und Urdeutschen“ behagten, von Juden aber verschmäht würden, „kulturell nicht recht in Betracht kämen“. Das jüdische Publikum würde dabei nicht nur das ihm Verwandte stützen. An dieser Stelle setzt sich Thomas Mann von Adolf Bartels ab, einem völkischen Antisemiten, der behauptet hatte, dass ein Jude kein deutscher Dichter werden könne, während ein „Deutscher, der mit den Juden geht, sein Bestes“ verliere.[5] Die These, Heinrich und Thomas Mann seien Juden, habe er indessen fallengelassen. Der „völkische Bartels“ unterliege einem törichten Irrtum, denn als „höheres Deutschtum“ komme nur in Betracht, was auch Juden gefalle.

Auf der anderen Seite, so gesteht Mann ein, sei es zwischen seiner und „der jüdischen … Natur … zu schlimmen Konflikten gekommen und mußte wohl dazu kommen“. Man habe einander „böses Blut gemacht“, eine Aussage, die sich auf Alfred Kerr und Theodor Lessing bezieht. „Die boshaftesten Stilisierungen“ und die „giftig-witzigsten Negation“ seiner Existenz seien von dort gekommen. Andererseits hätten Juden ihn auch entdeckt, verlegt und unterstützt. So sei es Samuel Lublinski gewesen, der den Buddenbrooks, die zunächst kritisch und abwartend beurteilt worden waren, verheißen habe, das Buch werde mit der Zeit wachsen und noch von Generationen gelesen werden. Bereise Thomas Mann die Welt, seien es fast ausnahmslos Juden, die ihn empfangen und beherbergen.[6]

In seiner frühesten Stellungnahme zum Nationalsozialismus spricht er vom „Hakenkreuz-Unfug“, der, als plump-populärer Ausdruck einer kulturellen Reaktion, seiner Natur zuwider sei. In dem antisemitischen Treiben sei „keine Spur von Gerechtigkeit“. Frühe antisemitische Verschwörungstheorien zurückweisend hält Thomas Mann es für unmöglich, den „Ursprung des Weltelends“ zu datieren und zu sagen, „wo die Sackgasse begann“. Die Sündenbockgeschichte sei alt und tiefsinnig, so dass die Deutschen sie eigentlich verstehen sollten. Trage man die Sünde der Welt, zeuge es von wenig Stolz, „einen anderen in eine weitere Wüste schicken zu wollen“.[7]

Entstehung

Im August 1921 hatte der „Neue Merkur“ ein Heft mit Beiträgen über „die jüdische Frage“ herausgebracht. Efraim Frisch, der Herausgeber des Blattes, hatte am 27. Juli 1921 anlässlich eines Teegesprächs mit Thomas Mann „über das Judenproblem“ gesprochen. Später bat er ihn, einen Beitrag für ein weiteres Heft zu verfassen, wie Thomas Mann in einer Tagebuchnotiz vom 18. September 1921 festhielt.[8] So schrieb der Autor seinen Aufsatz vom 21. September bis Anfang Oktober 1921, korrigiert ihn und las ihn am 17. Oktober zu Hause vor. Nach Angabe Thomas Manns reagierte seine Frau mit „Einspruch, Verstimmung und Erregung“ auf die „Vorlesung des Juden-Artikels“. Es habe ein „Hin- und her“ zwischen Frisch und dem Autor gegeben, ob man den Artikel streichen oder vernichten solle, bis er sich für letzteres entschieden habe.[9]

Einzelnachweise

  1. Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 466.
  2. Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 466.
  3. Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 469.
  4. Zit. nach: Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 46.
  5. Zit. nach: Thomas Mann, Essays, Band 2, Für ein neues Deutschland, Kommentar Zur Jüdischen Frage, Fischer, Frankfurt, 1996 S. 329.
  6. Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 471.
  7. Thomas Mann: Zur Jüdischen Frage. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Band 13, Nachträge, Fischer, Frankfurt 1974, S. 475.
  8. Thomas Mann: Tagebücher 1918–1921. Hrsg. Peter de Mendelssohn, Fischer, Frankfurt 1979, S. 546.
  9. Thomas Mann: Tagebücher 1918–1921. Hrsg. Peter de Mendelssohn, Fischer, Frankfurt 1979, S. 551.

Read other articles:

Iksaka BanuLahir(1964-10-07)7 Oktober 1964Yogyakarta, IndonesiaPekerjaanSastrawan, komikus, praktisi periklananTahun aktif1989 - sekarang Iksaka Banu (lahir 7 Oktober 1964) adalah seniman berkebangsaan Indonesia. Namanya dikenal melalui karya-karyanya berupa komik dan prosa yang dipublikasikan ke berbagai media massa. Iksaka Banu merupakan salah satu penerima Penghargaan Kusala Sastra Khatulistiwa melalui karyanya, Semua Untuk Hindia, pada tahun 2014, dan Penghargaan Pena Kencana (2008 ...

 

Provincia Creta et CyreneἘπαρχία τῆς Κρήτης καὶ τῆς ΚυρηναϊκῆςProvinsi di Kekaisaran Romawi67 SM–s. 297 MRoman province of Creta et Cyrenaica highlighted.Ibu kotaGortynSejarahSejarah • Didirikan 67 SM• Dibubarkan s. 297 M Digantikan oleh Kreta Bizantium Sekarang bagian dari Greece Libya Kreta dan Kirenaika (Latin: Provincia Creta et Cyrenaicacode: la is deprecated ) adalah sebuah provinsi senatorial dari Kekaisaran Romawi, ya...

 

Ari Dono Sukmanto Kepala Kepolisian Negara Republik Indonesia pelaksana tugasMasa jabatan23 Oktober 2019 – 1 November 2019PresidenJoko Widodo PendahuluTito KarnavianPenggantiIdham AzisWakil Kepala Kepolisian Negara Republik IndonesiaMasa jabatan17 Agustus 2018 – 7 Januari 2020PresidenJoko WidodoKapolriTito Karnavian (2016–19)Idham Azis (2019) PendahuluKomjen. Pol. SyafruddinPenggantiIrjen. Pol. Gatot Eddy PramonoKepala Badan Reserse Kriminal PolriMasa jabatan31 Mei 201...

This article needs additional citations for verification. Please help improve this article by adding citations to reliable sources. Unsourced material may be challenged and removed.Find sources: Leamon King – news · newspapers · books · scholar · JSTOR (September 2014) (Learn how and when to remove this template message) Leamon King Medal record Men's athletics Representing the  United States Olympic Games 1956 Melbourne 4x100 metres relay Leamon ...

 

Untuk kegunaan lain dari Life, lihat Life. Logo majalah Life Sampul majalah Life tahun 1911 Life adalah majalah Amerika Serikat yang pernah terbit dalam tiga format berbeda: majalah umum dan humor yang diterbitkan antara 1883 dan 1936 (hak atas nama majalah ini dibeli oleh Henry R. Luce) majalah mingguan jurnalisme foto yang diterbitkan Henry Luce dari 1936 hingga 1972, diterbitkan sebagai edisi khusus tidak teratur hingga tahun 1978, dan sebagai majalah bulanan dari 1978 hingga 2000[1 ...

 

Historic ruins in Minnesota, United States United States historic placeJoseph Brown House RuinsU.S. National Register of Historic Places Ruins of Joseph R. Brown's house, burned in 1862Show map of MinnesotaShow map of the United StatesLocationSacred Heart Township, Renville County, Minnesota, USANearest citySacred Heart, MinnesotaCoordinates44°41′47″N 95°19′22″W / 44.69639°N 95.32278°W / 44.69639; -95.32278Built1861ArchitectLeopold WohlerNRHP reference...

Polish postage stamp and banknote engraver Portrait of Czesław Słania A Faroese stamp depicting a ram engraved by Słania (1979) Czesław Słania (22 October 1921 Czeladź; 17 March 2005 Kraków)[1] was a Polish postage stamp and banknote engraver, living in Sweden from 1956. According to the Guinness Book of World Records, Słania was the most skilled and prolific of all stamp engravers, with over 1000 stamps to his credit. His 1000th engraved stamp, based on the 17th-century paint...

 

Streets acting as radio markets, best known in New York City New York City's Radio Row with the Cortlandt Street station in the background, in a 1936 photograph by Berenice Abbott A crowd gathers near an electronics shop at Greenwich and Dey streets after John F. Kennedy's assassination on November 22, 1963 Sidewalk bins of a defunct shop at 393 Canal Street Radio Row is a nickname for an urban street or district specializing in the sale of radio and electronic equipment and parts. Radio Rows...

 

Della letteratura statunitense (o più genericamente letteratura americana o letteratura nordamericana) fanno parte gli scritti e le opere letterarie prodotte nell'America coloniale, prima, e negli Stati Uniti d'America, dalla loro formazione a oggi. La storia della letteratura americana è tradizionalmente distinta nei seguenti periodi[1]: il periodo coloniale (1607-1810); il periodo romantico (1810-1865); il periodo realista (1865-1945 circa); il dopoguerra (dal 1945 circa ad oggi)....

Merger of PNC and National City Banks The transitional logo used by PNC Financial Services after it finalized the purchase of National City Corp., January 2009 –June 2010. The National City acquisition by PNC was the deal by PNC Financial Services to acquire National City Corp. on October 24, 2008 following National City's untenable loan losses during the subprime mortgage crisis. The deal received much controversy due to PNC using TARP funds to buy National City only hours after accepting ...

 

Statistical measure For the bioinformatics concept, see Root mean square deviation of atomic positions. Statistics Outline Statisticians Glossary Notation Journals Lists of topics Articles Category Mathematics portal vte The root mean square deviation (RMSD) or root mean square error (RMSE) is either one of two closely related and frequently used measures of the differences between true or predicted values on the one hand and observed values or an estimator on the other. RMSD of a sample ...

 

Attorney General of Wisconsin Josh Kaul45th Attorney General of WisconsinIncumbentAssumed office January 7, 2019GovernorTony EversPreceded byBrad Schimel Personal detailsBornJoshua Lautenschlager Kaul (1981-02-02) February 2, 1981 (age 43)Pittsburgh, Pennsylvania, U.S.Political partyDemocraticRelativesPeg Lautenschlager (mother)EducationYale University (BA)Stanford University (JD) Joshua Lautenschlager Kaul (born February 2, 1981) is an American lawyer, politician and member of the D...

العلاقات الأمريكية الكازاخستانية الولايات المتحدة كازاخستان   الولايات المتحدة   كازاخستان تعديل مصدري - تعديل   العلاقات الأمريكية الكازاخستانية هي العلاقات الثنائية التي تجمع بين الولايات المتحدة وكازاخستان.[1][2][3][4][5] مقارنة بين البل�...

 

American soccer player Jeff Attinella Personal informationDate of birth (1988-09-29) September 29, 1988 (age 35)Place of birth Clearwater, Florida, United StatesHeight 6 ft 2 in (1.88 m)Position(s) GoalkeeperCollege careerYears Team Apps (Gls)2007–2010 South Florida Bulls 61 (0)Senior career*Years Team Apps (Gls)2009–2010 Bradenton Academics 2 (0)2011–2012 Tampa Bay Rowdies 52 (0)2013–2016 Real Salt Lake 29 (0)2013 → Fort Lauderdale Strikers (loan) 4 (0)2016 → ...

 

Narrow-body jet airliner family A220 redirects here. For other uses, see A220 (disambiguation). CSeries redirects here. For other uses, see C series (disambiguation). Airbus A220 An A220-300, the largest and most common variant, shown in Airbus liveryGeneral informationOther name(s)Bombardier CSeriesRoleNarrow-body airlinerNational origin CanadaManufacturerBombardier Aviation (until 2018)Airbus (2018–present)Management and usageDelta Air Lines airBalticAir FranceAir Canada Number built...

耶尔德勒姆·阿克布卢特Yıldırım Akbulut土耳其总理任期1989年11月9日—1991年6月23日 总统图尔古特·厄扎尔副职阿里·博泽尔 (1989-90)前任图尔古特·厄扎尔继任梅苏特·耶尔马兹 第十五任 土耳其大国民议会议长(英语:Speaker of the Grand National Assembly)任期20 May 1999—30 September 2000 总统苏莱曼·德米雷尔,阿赫迈特·内吉代特·塞泽尔前任希克马特·切廷(英语:Hikmet Çetin)继任欧梅�...

 

PouillécomunePouillé – Veduta LocalizzazioneStato Francia Regione Paesi della Loira Dipartimento Vandea ArrondissementFontenay-le-Comte CantoneLuçon TerritorioCoordinate46°31′N 0°57′W46°31′N, 0°57′W (Pouillé) Altitudine19 e 62 m s.l.m. Superficie17,41 km² Abitanti635[1] (2009) Densità36,47 ab./km² Altre informazioniCod. postale85570 Fuso orarioUTC+1 Codice INSEE85181 CartografiaPouillé Sito istituzionaleModifica dati su Wikidata ...

 

قصر القرار أو دار القرار ويسمى كذلك قصر زبيدة، وهو أحد قصور الدولة العباسية، الذي قامت الأميرة زبيدة بنت جعفر العباسية ببنائه وسكنه الخليفة العباسي الأمين. التسمية لقد جاءت تسمية هذا القصر، القرار، تيمناً بما جاء به القرآن الكريم بالآية 39 من سورة غافر «وأن الآخرة هي دار ال...

Protestant Reformation leader in Switzerland, Swiss Reformed Church founder (1484–1531) Zwingli redirects here. For the skier, see Werner Zwingli. For the main-belt asteroid, see 7908 Zwingli. Huldrych ZwingliPortrait by Hans Asper, 1531 (Kunstmuseum Winterthur)Born1 January 1484Wildhaus, Protectorate of the Princely Abbey of Saint GallDied11 October 1531(1531-10-11) (aged 47)Kappel, Canton of Zürich, Swiss ConfederationEducationUniversity of ViennaUniversity of BaselOccupat...

 

Raimondo MarinoNazionalità Italia Altezza188[1] cm Peso76[1] kg Calcio RuoloAllenatore (ex difensore) Termine carriera1996 - giocatore CarrieraGiovanili  Napoli Squadre di club1 1979-1983 Napoli65 (4)1983-1984→  Catanzaro35 (5)1984-1986 Napoli38 (0)1986-1989 Lazio93 (5)[2]1989-1991 Lecce46 (2)1991-1993 Messina45 (2)1993-1996 L'Aquila28 (0) Nazionale 1980 Italia U-212 (0) Carriera da allenatore 1995-1996 L'Aquila1997-...