Walter Jockisch war das einzige Kind des Oberregierungs-Medizinalrats und Königlich PreußischenStabsarztes Franz Max Louis Paul Jockisch (* 27. März 1865 in Breslau; † 2. Januar 1947 in Bad Nauheim) und dessen erster Ehefrau Harriet Edeline Eugenie Melanie (* 1878 in Potsdam; † 7. November 1929 in Frankfurt am Main), geborene von Schlicht.[3][4][5] Beide Eltern waren evangelisch.
Am 16. August 1933 heiratete Walter Jockisch in Berlin-Wilmersdorf die Schriftstellerin Gisela Günther (* 4. Dezember 1905 in Wien;[6] † 1985), geborene Schoenfeld.[7][8] Als Trauzeugen fungierten die Schriftstellerin Paula Ludwig aus Ehrwald in Tirol, deren Sohn Karl Siegfried „Friedel“ ein Schüler Jockischs auf der Nordseeinsel Juist gewesen war, und Gretha Schaettler aus Berlin. Aus dieser Ehe ging nominell eine Tochter, Michaela „Michele“ (* 10. November 1933 in Ehrwald, Tirol; ab 1957 verheiratet mit Richard Schenkirz) hervor.[9][10][11]
Gisela Günther, geborene Schoenfeld, war zuvor bereits verheiratet gewesen, unter der Berufsangabe Schauspielerin erstmals ab Februar 1924 mit dem aus Stolp in Pommern stammenden Kaufmann Heinrich Max Franz Westphal (* 1. August 1900), der in Charlottenburgs Schlüterstraße 12 wohnte.[12]
Jockisch ging durch die kurzfristig angesetzte Heirat mit Gisela „Gi“ bzw. „Gisi“ Günther, geborene Schoenfeld, eine Scheinehe ein. Seine Braut stand kurz vor der Geburt eines unehelichen Kindes, das sie mit einem Ausländer gezeugt hatte. Jockisch wollte dem Ungeborenen während der Zeit des Nationalsozialismus ermöglichen, als vermeintlich „arisches“ Kind geboren und entsprechend klassifiziert zu werden.[13] Seine Schein-Ehefrau hatte er an der Schule am Meer kennengelernt, wo diese später mit dem dort wirkenden Chor- und Orchesterleiter Eduard Zuckmayer, dem älteren Bruder des Schriftstellers Carl Zuckmayer, liiert war.
Nach der schon 1934 vollzogenen Scheidung folgten Gisela Jockisch, geborene Schoenfeld, und ihre Tochter Michaela „Michele“ im Jahr 1938 Eduard Zuckmayer ins türkische Exil nach Ankara, wo dieser – vermittelt durch Paul Hindemith und auf Einladung von Staatspräsident Kemal Atatürk – in der Folge die gesamte türkische Musiklehrer-Ausbildung im Sinne der deutschen Jugendmusikbewegung bis heute prägen sollte. Zuckmayer konnte Gisela Jockisch jedoch erst 1947 heiraten, weil die NS-Behörden den expatriiertenEmigranten eine Ehefähigkeitsbescheinigung verweigert hatten,[14] und adoptierte in der Folge Jockischs nominelle Tochter Michaela „Michele“.[15]
Im Jahr 1946 kam Jockischs Jugendfreundin Grete Weil, geborene Dispeker, die mit seinem 1941 im Konzentrationslager Mauthausen ermordeten Freund Edgar Weil verheiratet gewesen war,[16][17] aus ihrem niederländischen Exil zu Besuch. Wie es beide nach der Todesmitteilung Edgar Weils anlässlich Jockischs Besuch im Herbst 1941 in den Niederlanden miteinander vereinbart hatten,[18][19] lebte Grete Weil ab 1947 zunächst in Darmstadt mit Jockisch zusammen; erst am 13. Februar 1961 heirateten sie in Frankfurt am Main.[20][21][22][16][23][24][25]
„Ich ging in keine Einsamkeit, ich ging zu einem Mann, der mich erwartete, meinem Jugendfreund Walter Jockisch. Da er, der Opernregisseur geworden war, Deutschland nie verlassen hatte, besaß er einen großen Freundeskreis, der bald auch der meine wurde.“
Danach studierte er an der Universität zu Frankfurt am Main und an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin Germanistik, Geschichte und Englisch,[35] und schloss sein Studium im Jahr 1929 in Berlin mit einer Inauguraldissertation zum Thema Andreas Gryphius und das literarische Barock und seiner Promotion zum Doctor philosophiae (Dr. phil.) ab.[36][37]
Zwischen 1935 und 1937 wirkte Jockisch als Hilfsspielleiter bei Walter Felsenstein und Oskar Wälterlin an der Oper der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main.[43] Von 1937 bis 1940 wirkte er unter Karl Bauer an Oper und Operette des Stadttheaters in Göttingen, zunächst als Spielleiter, ab 1938 als Oberspielleiter. Bauer nahm Jockisch mit zu den Städtischen Bühnen nach Essen, wo er von 1940 bis 1944 zunächst als Spielleiter, Dramaturg und Leiter des künstlerischen Betriebsbüros, ab 1941 als Oberspielleiter der Oper tätig war. Als er 1941 La dama boba von Ermanno Wolf-Ferrari leitete, sprach die Presse von einer „Kostbarkeit in Essen“ aufgrund der „ungemein stilvollen und musikalischen Inszenierung von Doktor Walter Jockisch“.[44]
Zwischen 1960 und 1963 wirkte Jockisch unter Intendant Hermann Christian Mettin (1910–1980) als Oberspielleiter der Oper und als künstlerischer Beirat an den Städtischen Bühnen in Oberhausen, bevor er 1964/65 als Oberspielleiter der Oper und Operette an die Städtischen Bühnen nach Heidelberg wechselte.[30]
als Walther Jockisch: Andreas Gryphius und das literarische Barock, Phil. Diss. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1929. Erschienen in: Germanische Studien, Heft 89, Emil Ebering, Berlin 1930, OCLC459626118, Umschlagseite 1 )
ders.: Die Glückskinder. Steyer Verlag, Wiesbaden / München OCLC1145279663
Aufgrund der Namensähnlichkeit wird Walter Jockisch häufig mit dem Schauspieler Walter Jokisch verwechselt, der auch als Theaterregisseur wirkte. Walter Jockisch ist teilweise auch in der Schreibweise Walther Jockisch verzeichnet, beispielsweise in seiner eigenen Dissertation von 1929, veröffentlicht 1930. Zusätzlich verwirrend erscheint der Umstand, dass sich sein Vater Dr. med. Franz Max Louis Paul Jockisch in den zeitgenössischen Adressbüchern für Danzig und Frankfurt am Main in der Schreibweise Jokisch, Max, eintragen ließ, abweichend von den standesamtlichen Registereinträgen.
Einzelnachweise
↑Geburtsurkunde Walter Max Guido Jockisch, Standesamt Arolsen, Nr. 9/1907, 25. Februar 1907; Faksimile übermittelt durch den Fachbereich Bürgerservice, Öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Bad Arolsen, Siegfried Butterweck, 12. August 2020
↑Sterberegister Walter Max Guido Jockisch, Standesamt München, Nr. 962/1970
↑Sterbeurkunde Franz Max Louis Paul Jockisch, Standesamt Bad Nauheim, Nr. 2/1947, 2. Januar 1947
↑Sterbeurkunde Harriet Edeline Eugenie Melanie Jockisch, geboren von Schlicht, Standesamt IV Frankfurt am Main, Nr. 1618/1929, Seite 430, 8. November 1929, verheiratet mit dem Oberregierungsmedizinalrat, Doktor der Medizin Franz Max Louis Paul Jockisch zu Frankfurt am Main, Holbeinstraße 19
↑In den zeitgenössischen Adressbüchern für Danzig und Frankfurt am Main war Dr. med. Franz Max Louis Paul Jockisch in der Schreibweise Jokisch, Max verzeichnet.
↑Geburtsregister Nr. 460 des evangelischen Pfarramts Wien-Landstraße
↑Heiratsurkunde des Standesamts Berlin-Wilmersdorf Nr. 788 vom 16. August 1933, Aufgebotsverzeichnis Nr. 859
↑Schreiben von Walter Jockisch an den Studenten Heinz-Günther Knolle (ehemaliger Schüler der Schule am Meer auf Juist) vom 19. November 1933, maschinenschriftlich, unveröffentlicht; Zitiert nach: Faksimile aus dem Privatbesitz von Dr. med. dent. Achim Knolle, Löhne
↑Irene Nawrocka (Hrsg.): Carl Zuckmayer: Briefwechsel, Bd. 1: Briefe 1935–1977. Wallstein-Verlag, Göttingen 2004, ISBN 978-3-89244-627-9, S. 122
↑Heiratsregister Heinrich Max Franz Westphal und Gisela Schoenfeld, Standesamt Charlottenburg I, Nr. 9/1924, Aufgebotsverzeichnis Nr. 75, 20. Februar 1924
↑Judith Hélène Stadler: Grete Weil – Der Brautpreis. Masterarbeit, Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern, Luzern 2010, S. 55 (209)
↑Eduard Zuckmayer. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen des NS-Zeit (LexM), hrsg. v. Institut für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg, auf: uni-hamburg.de
↑Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben (Autobiographie). Nagel + Kimche, Zürich u. a. 1998, ISBN 3-596-14342-X, S. 77, 160–162, 178
↑Waldemar Fromm, Wolfram Göbel, Gabriele Förg, Kristina Kargl, Elisabeth Tworek: Freunde der Monacensia e. V. – Jahrbuch 2009. Allitera Verlag, München 2009, ISBN 978-3-86906-038-5, S. 96
↑Heiratsurkunde beim Standesamt Frankfurt am Main-Mitte, Nr. 470/1961
↑ abGrete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben (Autobiographie). Nagel + Kimche, Zürich u. a. 1998. ISBN 3-596-14342-X, S. 236–238,241–244
↑ abcMaria Frisé: Von Flucht und Rettung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 98, 28. April 1998, S. 42, auf: faz.net
↑Waldemar Fromm, Wolfram Göbel, Gabriele Förg, Kristina Kargl, Elisabeth Tworek: Freunde der Monacensia e. V. – Jahrbuch 2009. Allitera Verlag, München 2009. ISBN 978-3-86906-038-5, S. 101
↑Grete Weil-Jockisch: Vielleicht, irgendwie… In: Marielouise Janssen-Jurreit (Hrsg.): Lieben Sie Deutschland? Gefühle zur Lage der Nation. Piper Verlag, München 1985, ISBN 3-4920-0668-X, S. 56
↑Adreßbuch für Frankfurt am Main und Umgebung, Ausgabe 1921 (PDF-Datei; 529,62 Megabyte). August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m.b.H. Frankfurt a. M., S. 264 (Jokisch, Max, Arzt)
↑Adreßbuch für Frankfurt am Main und Umgebung, Ausgabe 1924 (PDF-Datei; 276,54 Megabyte). August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m.b.H. Frankfurt a. M., S. 250 (Jokisch, Max, Ob. Reg. Med. Rat)
↑ abcdefThomas Blubacher: Walter Jockisch. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz, Bd. 2. Chronos Verlag, Zürich 2005. ISBN 978-3-0340-0715-3, S. 932
↑Adreßbuch für Frankfurt am Main und Umgebung 1924 (PDF-Datei; 276,54 Megabyte). August Scherl Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft m.b.H. Frankfurt a. M., S. 586 (Dr. R. u. Dr. O. Weil, chem. Präparate; Weil, Richard, Dr., Fabrik.)
↑Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben (Autobiographie). Nagel + Kimche, Zürich u. a. 1998. ISBN 3-596-14342-X, S. 68–72
↑Waldemar Fromm, Wolfram Göbel, Gabriele Förg, Kristina Kargl, Elisabeth Tworek: Freunde der Monacensia e. V. – Jahrbuch 2009. Allitera Verlag, München 2009. ISBN 978-3-86906-038-5, S. 87
↑ abcLehrerbuch der Schule am Meer, Juist, Blatt 31. In: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Handschriftenabteilung, Nachlass Luserke, Martin, Signatur: Cb 37 (Die handschriftlich ausgefüllte Seite des Lehrerbuches verzeichnet seinen Namen in der Schreibweise Walter Jockisch)
↑Dr. Walther Jockisch: Andreas Gryphius und das literarische Barock (= Germanische Studien, H. 89), hrsg. v. Dr. Emil Ebering. Verlag von Emil Ebering, Berlin 1930, OCLC459626118
↑Nicola Kaminski, Robert Schütze: Gryphius-Handbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2016. ISBN 978-3-1102-2944-8, S. 908
↑Stiftung Schule am Meer: Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist, 5. Rundbrief, Juli 1930, S. 15
↑Stiftung Schule am Meer: Blätter der Außengemeinde der Schule am Meer Juist, o. Nr., November 1934, S. 6
↑Walter Killy: Dictionary of German Biography, Band 10: Thiebaut – Zycha. Walter de Gruyter, Berlin 2006. ISBN 3-598-23290-X, S. 731
↑Luserke, Martin. In: Bruno Jahn: Deutsche biographische Enzyklopädie der Musik, Band 2: S – Z. K. G. Saur, München 2003. ISBN 3-598-11586-5, S. 963
↑Reichstheaterkammer, Fachschaft Bühne (Hrsg.): Deutsches Bühnen-Jahrbuch – Theatergeschichtliches Jahr- und Adressbuch, 47. Jahrg. 1936, S. 342, 748, OCLC839415890
↑Zwischen Düsseldorf und Essen. In: Völkischer Beobachter. Kampfblatt der national(-)sozialistischen Bewegung Großdeutschlands. Wiener Ausgabe / Wiener Beobachter. Tägliches Beiblatt zum „Völkischen Beobachter“, 5. Juli 1941, S. 4 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/vob
↑Hedwig Mueller von Asow, Erich Herrmann Mueller von Asow (Hrsg.): Kürschners Deutscher Musiker-Kalender 1954. Walter de Gruyter, Berlin 2019. ISBN 978-3-1117-2167-5, S. 560
↑Ian Pace: The Reconstruction of Post-War West German New Music during the early Allied Occupation (1945–46), and its Roots in the Weimar Republic and Third Reich (1918–45). PhD Thesis, Cardiff University, Cardiff 2018, S. 210, 220
↑Hans Werner Henze: Reiselieder mit böhmischen Quinten – Autobiographische Mitteilungen 1926–1995. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. ISBN 978-3-596-31053-1, S. 113
↑Ferdinand Kösters: Als Orpheus wieder sang… – Der Wiederbeginn des Opernlebens in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Monsenstein und Vannerdat, Münster 2009. ISBN 978-3-86582-832-3, S. 350
↑Nach dem Stand vom Januar 1970 war Dr. Walter Jockisch im Amtlichen Fernsprechbuch 14, Ausgabe 1970/71, hrsg. v. d. Oberpostdirektion Frankfurt am Main, für das Ortsnetz Frankfurt am Main unter der Anschrift Ostendstraße 1 verzeichnet, S. 282
↑Judith Hélène Stadler: Grete Weil – Der Brautpreis. Masterarbeit, Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Luzern, Luzern 2010, S. 27