Die Toponomastik, auch Toponymie oder Toponymik (von altgriechischτόποςtópos ‚Ort‘ und attischὄνομαónoma bzw. äolisch-dorischὄνυμαónyma ‚Name‘), deutsch Ortsnamenkunde oder Ortsnamenforschung, beschäftigt sich als Teilgebiet der allgemeinen Namenforschung und der Sprachgeographie mit allen Toponymen, also Örtlichkeitsnamen oder auch Ortsnamen im allgemeinen Sinne des Wortes.
Toponyme sind zentrale Datentypen in der Geoinformatik und Bestandteile der Kartographie und Topographie. Sie sind die Basiskategorie der Geographie und der Topographie anderer Himmelskörper.
Choronyme (von altgriechischχώρᾱchṓrā, deutsch ‚Land, Raum‘) oder Raumnamen benennen bestimmte Regionen und Gebiete, insbesondere der politischen Gebilde,[2] die im Hinblick auf Siedlungsgeographie, Kulturgeschichte und andere Humanwissenschaften dargestellt werden können.[3] Insbesondere sind das:
Oronyme für Geländeformationen wie kleinere isolierte Berge (z. B. Zeugenberge und Klippen) und Hügel sowie deren Teile, etwa Gipfel, Felsen und Steine[10] und andere Landschaftselemente mehr, die naturgemäß weitgehend mit der Gruppe der Flurnamen im engeren Sinne zusammenfallen;
Namen für Wälder (Kamianets gibt den Begriff Drymonyme, von griechisch δρῡμόςdrӯmós ‚Wald, Hain‘, als „separaten Typ der Propria“ neben den Oronymika),[11]Auen, Wiesen und Äcker, Parks, und andere biogene wie land- und forstwirtschaftlich überprägte Formen (Primär- und Sekundärnatur).
im weiteren Sinne auch die Übergangszonen zwischen Land und Meer wie Litorale, Gestade und Ufer, fluviale Landschaftsformen und Ähnliches sowie auch die Namen der rezenten Hydrologie wie Bezeichnungen für Trockentäler und glazialmorphologische Formen (Inseln und Halbinseln werden allgemein zu den Choronymen gerechnet).
Auch die beiden Sondertypen der Dromonyme (von griechisch δρόμοςdrómos ‚Weg‘) sowie der Hodonyme (griechisch ὁδόςhodós ‚Straße‘)[14] für Verkehrswege und Orte im urbanen Freiraum sind neue Vorschläge von Kunze und Kamianets und beziehen sich im Besonderen auf:
Astrotoponyme[14] (von altgriechischἄστρονástron, deutsch ‚Stern‘) sind Namen für die Topographie der Objekte außerhalb der Erde, bezieht sich also auf die extraterrestrische Toponymie, d. h. Oberflächengestalten von Himmelskörpern, etwa anderer Planeten, darunter solche, die sich auch auf der Erde finden (wie Berge, Täler, Krater usf.), aber auch autochthone Formen.[15] Nicht zu dieser Kategorie gehören allerdings die Astronyme (Namen der Himmelskörper selbst) und Kosmonyme (Namen für Weltallzonen, Himmelssphären).
Geschichtliche und soziologische Bedeutung
Die Toponomastik ist eine wichtige Hilfswissenschaft der Geschichtswissenschaften und der Historischen Geografie. Toponyme sind zeitbezogen oft sehr stabil und hohen Alters und dokumentieren insofern die Siedlungsgeschichte. Hier sind die Endonyme (Eigenbezeichnungen) genauso aufschlussreich wie die Exonyme (Fremdbezeichnungen). Gewässernamen (Hydronyme) spielen eine zentrale Rolle für die Sprach- und Geschichtswissenschaft, weil sie in vielen Fällen die ältesten überlieferten Toponyme sind.
Auch für die Migrationsbewegungen der Individuen sind die Herkunftsnamen – die auf Toponyme bezogenen Anthroponyme – besonders aufschlussreich. Hier sind insbesondere die Wohnstättennamen zu erwähnen, die den Bezug der allgemeinen Toponyme zu den Ortsnamen im engeren Sinne darstellen.
Politische Bedeutung
Die Toponomastik kann unter Umständen auch eine bedeutende politische Rolle spielen, insbesondere bei nationalen oder ethnischen Konflikten. Häufig wird die Toponomastik instrumentalisiert, um den Beweis zu führen, dass ein gewisser Landstrich einer bestimmten nationalen oder ethnischen Gruppe zustehe. Beispiele im deutschen Sprachraum sind die Toponomastik während der deutschen Besetzung Polens 1939–1945, der ehemaligen deutschen Ostgebiete nach 1945, die Toponomastik Elsass-Lothringens und die ToponomastikSüdtirols (Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige von Ettore Tolomei). Gerade der Streit um letztere, auch aus österreichischer Sicht, ist auch heute noch von großer Aktualität.
Adolf Bach: Deutsche Namenkunde. Band II, Teilbände 1 und 2: Die deutschen Ortsnamen. Heidelberg 1953/54.
Dieter Berger: Duden. Geographische Namen in Deutschland. Herkunft und Bedeutung der Namen von Ländern, Städten, Bergen und Gewässern. Zweite Auflage. Mannheim 1999. ISBN 3-411-06252-5.
Henning Kaufmann: Bildungsweise und Betonung der deutschen Ortsnamen (= Grundfragen der Namenkunde, Band 1). Zweite Auflage. Fink, München 1977 (Erstausgabe Winter, Heidelberg 1959), ISBN 3-7705-1523-4.
Ernst Schwarz: Deutsche Namenforschung. Band 2: Orts- und Flurnamen. Göttingen 1950.
Paul Zinsli: Ortsnamen. Strukturen und Schichten in den Siedlungs- und Flurnamen der deutschen Schweiz (= Schriften des deutschschweizerischen Sprachvereins. Band 7). Huber, Frauenfeld 1971, 2. Auflage 1975.
Ernst Eichler u. a. (Hrsg.): Namenforschung: Ein internationales Handbuch zur Onomastik. / Name Studies: An International Handbook of Onomastics. / Les noms propres: Manuel international d’onomastique. Erste Auflage. Teilband 2 (= S. 980–1890). de Gruyter, Berlin und New York 1996, ISBN 3-11-014879-X (Beiträge teilweise deutsch, englisch und französisch; gebundene Ausgabe). – Darin vor allem: Frederic G. Cassidy: Place Name Study: Getting Started. Kap. 219, S.1426–1429 (englisch).
Wolodymyr Kamianets: Zur Einteilung der deutschen Eigennamen. In: Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz (Hrsg.): Grazer Linguistische Studien. Band54 (Herbst), 2000, ISSN1015-0498, S.41–58, besonders S. 47 f. (uni-graz.at [PDF; 124kB; abgerufen am 29. Juni 2015]).
Rosa Kohlheim, Volker Kohlheim: Duden Lexikon der Familiennamen. Herkunft und Bedeutung von 20.000 Nachnamen. Dudenverlag, Mannheim 2008, ISBN 978-3-411-73111-4, Kap. Die 200 häufigsten deutschen Familiennamen und deren Herkunft., S.48f.
↑Otto Back: Name Studies / Namenforschung / Les noms propres. 1996, 205. Typologie der Ländernamen: Staaten-, Länder-, Landschaftsnamen, S.1348–1356.
↑Kamianets, S. 47, merkt an: „Hier sei betont, dass die Choronyme eine Zwischenstelle zwischen den EN [Eigennamen] der natürlichen und künstlich geschaffenen Objekte einnehmen.“
↑Flurnamen haben mit das reichste Namensgut sowohl an Toponymen wie an Personennamen hervorgebracht, da sie sowohl toponymisch wie anthroponymisch ausstrahlen: So bezeichnet Schönwieskogel den ‚Berg mit den schönen Wiesen‘, Schönwiesmahd die Wiese selbst, Schönwiesen die Ortslage, nach welcher der zugehörige Bauer Schönwieser heißt. Nach dem Berg heißt dann auch der Bach, der von ihm kommt, Schönwiesbach usf.
↑Hans Tyroller: Name Studies / Namenforschung / Les noms propres. 1996, 221. Typologie der Flurnamen (Mikrotoponomastik): Germanisch, S.1434–1441.
↑Diese können auch zu den Flurnamen im weiteren Sinne gerechnet werden.
↑Hans Ramge: Name Studies / Namenforschung / Les noms propres. 1996, 176. Flurnamengeographie, S.1169–1175.
↑Analog dem Begriff Orographie, der ursprünglich auf reine Bergformen beschränkt war, heute aber die Lehre von den Höhenstrukturen allgemein bezeichnet: vgl. Kamianets 2000, S. 47.
↑Diese Landschaftselemente fallen auch unter den Begriff Oronym, Kamianets 2000, S. 47, bzw. Riednamen, Fuhrmann/BEV 2008
↑Kamianets 2000, S. 45 f., stellt diese Kategorie als „Objekte des außerirdischen Raums“ explizit eigenständig neben die „Objekte des irdischen Raums“ im Sinne der Geographie (d. i. ‚Lehre von der Erde‘): „Der ganze Bestand der EN [Eigennamen] im Deutschen lässt sich in drei große Gruppen einteilen“ (S. 45). Die dritte Großgruppe wären die Eigennamen der Lebewesen (Anthroponyme, Zoonyme und Phytonyme).