Die Bibel berichtet mehrfach von Tempelprostitution in antiken Kulten. Die Königsbücher berichten mehrfach davon, dass diese Praxis in anderen Kulten üblich war, so zum Beispiel in 1 Kön 14,24 EU oder 2 Kön 23,7 EU. Dem Volk Israel wird diese Tradition nach Dtn 23,18 EU explizit verboten.
Von der Religionswissenschaft wurde die Existenz der Tempelprostitution vorausgesetzt und das Augenmerk vor allem auf ihre Deutung gelegt. So schreibt Alfred Bertholet in seinem Wörterbuch der Religionen, die hl. Prostitution sei namentlich in semitischen und kleinasiatischen Kulturen „üblich“ gewesen, und erklärt sie danach als „Ausdruck opfernder Selbsthingabe an die Gottheit“.[1]Kurt Goldammer behauptet in seinem Werk Die Formenwelt des Religiösen: „Die Tempel vieler orientalischer Kulte waren im Rahmen regulärer sakraler Prostitution mit Gottesdienerinnen verschiedenen Ranges gefüllt.“[2]. Dies sei eine vermittelnde Funktion der priesterlichen Frau gewesen. Noch 2019 ging der katholische Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer hinsichtlich der Diskussion um eine Frauenordination von der traditionellen Deutung aus. In der Antike sei das weibliche Priestertum durchaus bekannt gewesen: „Ihr Dienst war oft verbunden mit der Tempelprostitution als Darstellung der Fruchtbarkeit der Erde.“[3]
Renate Jost meint dagegen, dass solche Texte „in polemischem oder erzählerisch-unterhaltendem Interesse auch an der Exotik anderer Völker geschrieben wurden“ und dass deshalb „nur bedingt davon die Rede sein kann, dass Tempelprostitution hier als Phänomen historisch verbürgt sei“.[4]
Nach einer jüngeren Untersuchung sei die Existenz der Tempelprostitution im Altertum durch zahlreiche Zirkelschlüsse etabliert worden, in denen die jeweils als gesichert geltende Annahme einer Tempelprostitution in anderen Gebieten die lokale Existenz dieser Einrichtung absicherte.[5] Nur in Indien lässt sich eine Art von Tempelprostitution nachweisen, die allerdings nicht mit wechselnden Partnern stattfand, sondern mit jeweils einem Partner über längere Zeit, und die damit eher ein Mätressentum darstellte.[6]
Literatur
Robert Rollinger: Herodots babylonischer Logos. Eine kritische Untersuchung der Glaubwürdigkeitsdiskussion an Hand ausgewählter Beispiele. Historische Parallelüberlieferung – Argumentation – Archäologischer Befund – Konsequenzen für eine Geschichte Babylons in persischer Zeit. Verlag des Instituts für Sprachwissenschaften der Universität Innsbruck, Innsbruck 1993, ISBN 3-85124-165-7.
Julia Assante: The kar.kid/„harimtu“. Prostitute or Single Woman? A Critical Review of the Evidence. In: Ugarit-Forschungen 30 (1998), S. 5–96.
Julia Assante: From Whores to Hierodules. The Historiographic Invention of Mesopotamian Female Sex Professionals. In: Alice A. Donohue and Mark D.Fullerton (Hrsg.): Ancient Art and Its Historiography. Cambridge 2003, ISBN 0-521-81567-3, S. 13–47.
Julia Assante: The Lead Inlays of Tukulti-Ninurta I. Pornography as Imperial Strategy. In: Jack Cheng and Marian H. Feldman, Brill (Herausgeber): Ancient Near Eastern Art in Context, Studies in Honor of Irene J. Winter. Brill, Leiden u. a. 2007, S. 369–407 (Inhaltsverzeichnis).
Tanja Scheer, Martin Lindner (Hrsg.): Tempelprostitution im Altertum. Fakten und Fiktionen (= Oikumene. Studien zur antiken Weltgeschichte. Band 6). Verlag Antike, Berlin 2009, ISBN 978-3-938032-26-8.
Christine Stark: „Kultprostitution“ im Alten Testament. Die Qedeschen der Hebräischen Bibel und das Motiv der Hurerei (= Orbis biblicus et orientalis, Band 221). Academic Press/Vandenhoeck & Ruprecht, Fribourg und Göttingen 2006.
Rebecca Anne Strong: The Most Shameful Practice. Temple Prostitution in the Ancient Greek World. Dissertation, University of California 1997.
↑Tanja S. Scheer, unter Mitarbeit von Martin Lindner: Tempelprostitution im Altertum. Verlag Antike, Berlin 2009, ISBN 978-3-938032-26-8 (hsozkult.de [abgerufen am 3. Februar 2023]).
↑Renate Syed: Devadasis, Dienerinnen der Götter. „Tempelprostitution“ in Indien. In: Tanja S. Scheer unter Mitarbeit von Martin Lindner (Hrsg.): Tempelprostitution im Altertum. Fakten und Fiktionen. Berlin 2009, S. 377–401, hier: S. 399.