Die Universität wurde am 4. und 5. Oktober 1875 eröffnet. Die Feierlichkeiten waren von der Wiener Landsmannschaft Bukowina ausgerichtet worden.[2] Die Chargierten zogen von der Siebenbürgerstraße zum Universitätsgebäude. Richard Strele von Bärwangen leitete den Kommers im Circus. Die Festrede hielt Eduard Reiss, der jüdische Bürgermeister von Czernowitz.[3] Erstmals erklang Joseph Victor von Scheffels neues Lied Verwundert hebt der Pruth im Schilf sein Haupt.[4] Die „hohe Fremde“ in der 1. Strophe war die Alma Mater Czernowiciensis; denn „viel Gefolg“ – fast alle Professoren – musste von österreichischen und deutschen Universitäten in die Bukowina delegiert werden.[5]
Wiener Landsmannschaft Bukowina
Nach der Polonisierung der Universität Lemberg sammelten sich die buchenländischen Studenten fast ausschließlich an der Universität Wien. So wurde im Herbst 1868 der Bukowiner Studentenverein gegründet, der sich später zur „progressistischen deutsch-akademischen Landsmannschaft“ wandelte. Als Couleur wählte man blau–rot–gold, die Farben Siebenbürgens. Auf den hellblauen Mützen verlief die Perkussion in umgekehrter Reihenfolge. Die Fuchsbänder waren blau–rot. Mit der Farbenwahl geriet die junge Verbindung in einen siebenjährigen Konflikt mit dem Corps Saxonia Wien, das die gleichen Farben zu dunkelblauen Mützen trug. 1881 legte die Saxonia für sich dunkelblau–scharlachrot fest, während die Bukowina am hellblau–karminrot festhielt.[1]
Für die Mitglieder der Bukowina bewirkte die Gründung der Czernowitzer Universität zunächst eine gewaltige Motivation. Die Gründungsfeierlichkeiten wurden im Wesentlichen von ihr vorbereitet. Die Einladungen anderer Universitäten und Korporationen führte 350 auswärtige Ehrengäste in Österreichs äußersten Osten. Scheffel wurde gebeten, das offizielle Festlied zu schreiben. Als Komponisten wählte man Rudolf Weinwurm. Der Text des Bundesliedes ist von Josef Wiedmann, ein deutschnationaler Politiker aus der Bukowina. Eusebius Mandyczewski schrieb die Melodie wohl während des 1875 in Wien begonnenen Studiums.[1]
Während in „Klein Wien“ das Korporationsleben rasch aufblühte und in den ersten Jahren von den Corps dominiert war, kam die Landsmannschaft Bukowina in Nöte – sie „verwienerte“.[1] Nachwuchsmangel und Identitätszweifel äußerten sich in mehreren Namensänderungen. 1876 wurde der Bund Mitglied des Wiener Landsmannschafter Conventes und wie die anderen Wiener Landsmannschaften Mitglied des Lesevereins deutscher Studenten. Indem die Bukowina schon drei Monate später zum Deutsch-österreichischen Leseverein wechselte, geriet sie in offenen Konflikt mit den Burschenschaften, die Österreichs deutschnationale Bewegung vorantrieben.
Die Beziehungen nach Czernowitz bestanden vor allem in engen Kontakten zur dortigen Akademischen Lesehalle und zum Klub deutscher Studenten. Als der 1879 zur Landsmannschaft Arminia wurde, schlossen die beiden Bünde ein Kartell. Es zerbrach aber schon 1880, als die Arminia Burschenschaft wurde. Zwar hatte die Landsmannschaft Bukowina im Wintersemester 1878/79 noch 26 Aktive, jedoch war das Ende absehbar. Der burschenschaftliche Gedanke setzte sich durch und wurde selbst für den spärlichen Nachwuchs aus der Bukowina attraktiver. Der aktive Betrieb konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Hatte sie mit der Gründung der Franz-Josephs-Universität schon ihre angestammte Nachwuchsquelle verloren, scheiterte sie als „deutsch-österreichische“ Verbindung schließlich an der zunehmenden Dominanz der Burschenschaften. Der Convent zog am 8. Dezember 1882 die Konsequenz und beschloss die Vertagung.[1] Sie wurde niemals mehr aufgehoben.[6][7][8] Eine Mitgliederliste ist nicht erhalten, jedoch ist bekannt, dass der Gründungsrektor der Franz-Josephs-Universität Constantin Tomaszczuk (1840–1889) und der Bürgermeister von Czernowitz Eduard Reiss (1850–1907) Mitglieder waren.
Verbindungen in Czernowitz
„Czernowitz, die einstige Hauptstadt des jüngsten österreichischen Kronlandes Bukowina, war dem europäischen Bewusstsein jahrzehntelang entzogen. Nachdem sie zwischen den Weltkriegen Teil des großrumänischen Reiches gewesen war, verschwand sie als sowjetische Provinz weit hinter dem Eisernen Vorgang. Von Joseph II. für die österreichische Krone gewonnen, erlebte die Stadt, die auf einem Hügel oberhalb des Karpatenstromes Pruth liegt, in franzisko-josephinischer Zeit ihre Blüte. Planmäßiger Ausbau ließ eine Metropole entstehen, die zwar gut 800 Kilometer östlich der Reichshauptstadt lag, aber mehr und den Vergleich herausforderte: Czernowitz – das kleine Wien. Der geschichtliche Verlauf von der spätmittelalterlichen moldavischen Zollstation zur habsburgischen Vorhut zwischen Galizien und Siebenbürgen ließ hier eine Fülle von Völkern zusammenströmen und seßhaft werden, die bei gleichzeitiger Betonung ihrer nationalen Eigenheiten einen Zustand friedlicher Koexistenz schufen. Während in den späten Jahren der Donaumonarchie ihre Völkervielfalt zum bedrohlichen Spannungsherd wurde, erwies sich Czernowitz als kreative Antithese. Höhepunkt der Stadtgeschichte war zweifellos die Errichtung einer Universität im Herbst 1875. Mit dem Einzug von Forschung und Lehre entwickelte sich hier auch eine studentische Subkultur, die sich nach westlicher Tradition in vielfältigen Gemeinschaftsbildungen äußerte: Korporationen, Verbindungen, Vereine, Lesehallen, Corps, Burschenschaften, Kosakenschaften oder wie immer die selbstgewählte Typisierung lauten mochte. Sie entstanden innerhalb der stärksten Ethnien, also der deutschen Volksgruppe, der Rumänen, der Polen, der Ruthenen und der Juden, in unterschiedlichen ideologischen Ausprägungen und nach österreichischem Vorbild in akademischen und pennalen Varianten. Und obwohl ihrer Entfaltung gerade einmal 65 Jahre Zeit blieben, sind innerhalb dieser Epoche mehr als 60 dieser vielgestaltigen Bünde nachzuweisen. So wurde die bukowinische Kapitale um ein weiteres Prädikat reicher: Czernowitz – das Heidelberg des Ostens.“
– WJK-Verlag: Studentenverbindungen in Czernowitz
Zwölf Tage nach der Universitätseröffnung stiftete Strele das Corps Austria.[9] Er begründete damit den unvergleichlichen Verbindungsreichtum von „Klein-Wien“.[1] Sein Lied Im Buchwald fängt’s zu rauschen an gehörte zu den Morgengaben der Alma Mater. In seiner kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt übertraf das „Heidelberg des Ostens“ wohl alle anderen Universitäten.
Nach ihrer Ausrichtung ließen sich unterscheiden: fünf „österreichische“, national indifferente (drei Corps und zwei Vereine), zwei deutschnationale (Burschenschaften), eine/zwei katholische (römisch, griechisch, armenisch), sechs rumänische (fünf schlagende), fünf ukrainische (drei schlagende), zwei polnische (ein katholischer Verein, eine Burschenschaft), neun jüdische (drei schlagende) und acht sonstige Korporationen.
→ Frankonia (seit 1891), heute in Erlangen, weiß-schwarz-gold
Mittelschülerverbindungen
Die Vielfalt der Hochschulkorporationen spiegelte sich mit Ausnahme rumänischer Vereinigungen auch auf Ebene der Mittelschulen, an denen ebenfalls Verbindungen entstanden. Da diese bis 1918 von den österreichischen Schulbehörden untersagt waren, entwickelten sie sich unter besonderer Patronanz der akademischen Bünde, denen sie vorgebildete Mitglieder zuführen sollten ("Profuxias").
CORPS
Aria (1920–1937), Vorverbindung des Corps Alemannia, schwarz-weiß-hellblau
UKRAINISCHE VERBINDUNGEN
Pohore (1912–?), Vorverbindung der Zaporoshe, himbeerrot-grün-gold
Kubany (1914–?), Vorverbindung der Czornomore, blau-gold-rosa
Chemdat Zion (nach 1897–?), Vorverbindung der Zephira
Herzlia (nach 1897–?), Vorverbindung der Zephira
Davidia (1905–?), Vorverbindung der Hasmonäa, grün-violett-gold
Bar Kochba (?–1936), Vorverbindung der Zephira, vermutlich schwarz-grün-gold
Libanonia (?–?), Vorverbindung der Hebronia, hellblau-lichtgrün-gold
Zukunft (1916–1918), umgewandelt in Hochschulverbindung Heatid, grün-schwarz-gold
Hasmonäa (?–?), hellblau-weiß-gold
Kadimah (1927–?), autonome Gründung
Hatikwah (?–?), technische Verbindung an der Staatsgewerbeschule, nahm 1935 die technische Verbindung Hajarden auf
Moriah (1919–?), Verbindung zionistischer Handelsschüler[18]
KATHOLISCHE VERBINDUNGEN
Buchengau (seit 1922), Vorverbindung von Frankonia, besteht als Altherrenverband, weiß-orange-hellblau
Borussia (seit 1927), Technikerverbindung an der Staatsgewerbeschule, Altherrenverband in Linz, rot-weiß-grün
Nach Ende der Sowjetunion
Schon mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam der Vorlesungsbetrieb und das akademische Leben zum Ende. Einige Verbindungen bestanden jedoch weiter, darunter die damals schlagende ukrainische Verbindung Zaporoshe. 1940, mit der Besetzung durch die Sowjetunion, wurde auch diese aufgelöst. 1990 wurde die UAV Zaporoshe als einzige Verbindung in Czernowitz reaktiviert, allerdings nichtschlagend[19]. Zurzeit ist sie nicht mehr aktiv.
1997 wurde die Akademische Verbindung „Bukowina“ zu Czernowitz (ukrainischАкадемічне Товариство “Буковина” в Чернівцях, AV Bukowina zu Czernowitz) von Doktoranden der historischen Fakultät an der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz als farbentragende akademische Korporation gegründet. Zur Zeit der Gründung war sie die einzige Studentenverbindung in der Ukraine, welche der alten europäischen Studententradition nach dem Comment folgt.[21] Sitz der Verbindung ist das Deutsche Haus in der Olha-Kobyljanska-Straße. Die Verbindungsfarben werden mit Verstandskraft, Ehre und Edel (dunkelblau), Energie und Handlung (rot) sowie ewige Jugend des bukowinischen Geistes (grün) erklärt.
Gregor Gatscher-Riedl: Studentisches Leben in "Jerusalem am Pruth". Die jüdischen Hochschulverbindungen in Czernowitz. In: DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift, 29. Jg., Nr. 114, Rosch Haschanah 5778 (Wien, September 2017), 72–76.
Gregor Gatscher-Riedl: Czernowitz – Klein-Wien am Ostrand der Monarchie. Kral-Verlag, Wien 2017, ISBN 978-3-99024-690-0.
Raimund Lang: Czernowitzer Pasticcio, Texte – Fakten – Anekdoten. Czernowitzer Kleine Schriften, Schriftenreihe des Traditionsverbandes „Kath. Czernowitzer Pennäler“, Heft 15, Innsbruck 2004, ISBN 3-902368-07-1.
Harald Lönnecker: „… harmonische und tolerante Zusammenarbeit“? Das Czernowitzer Studentenvereinswesen 1875–1914. In: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. 21 (2013), S. 269–317.
N.N.: Das Corpsleben auf der Universität Czernowitz im Buchenland. Erinnerungen eines Czernowitzer Corpsstudenten (aktiv 1920–1923). Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 8 (1963), S. 151–157.
Hans Prelitsch: Student in Czernowitz – die Korporationen an der Czernowitzer Universität. Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen, München 1961, S. 64 ff.
Fritz Ranzi: Die SC-Verbände der vorkösener Zeit in Österreich. Einst und Jetzt, Bd. 1 (1956), S. 61–76.
Fritz Roubicek: Von Basel bis Czernowitz − die jüdisch-akademischen Studentenverbindungen in Europa. Wien 1986.
Harald Seewann: „Für Volkes Ehr´ und Wohl!“ Die jüdisch-nationale akademische Verbindung Hasmonaea Czernowitz (1891–1940) und der Kampf um die Anerkennung der jüdischen Nationalität. Einst und Jetzt, Bd. 52 (2007) S. 163–198, ISSN0420-8870.
Harald Seewann: Erloschenes Burschentum in der Bukowina. Streiflichter auf das Leben und Wirken der jüdisch-nationalen akademischen Verbindung Hebronia Czernowitz (1900–1936). Historia Academica Judaica, Bd. 8 (Graz 2016).
Harald Seewann: Korporatives Leben der Czernowitzer jüd.-akad. Verbindungen Hasmonaea, Hebronia und Zephira in den Jahren 1897–1914 im Spiegel der Presse. Historia Academia Judaica, Bd. 9 (Graz 2016).
Rudolf Wagner: Die corpsstudentische Wurzel des Czernowitzer Korporationslebens, in: Deutsches Pennälertum in Czernowitz. Regensburg 1991.
Anmerkungen
↑Als Vorbild dienten die Farben des Corps Stauffia; denn vermittelt wurde Austrias Stiftung durch einen Professor, der in den 1870er Jahren bei Stauffia verkehrte (Carl Heydt: Chronik des Corps Stauffia zu Stuttgart, 1960, S. 41).
↑Arminia war aus dem 1877 gegründeten Klub Deutscher Studenten hervorgegangen. Sie vertrat die deutschnationale Idee und nahm nur Deutsche auf, was ihr 1883 die behördliche Auflösung eintrug. Bald folgte die Neugründung.
↑ abcN.N., Einst und Jetzt, Bd. 8 (1963), S. 151–159.
↑Robert Spulak von Bahnwehr: Geschichte der Wiener Couleurs. Wien 1914.
↑Festschrift der Frankonia Czernowitz zum 110. Stiftungsfest. Erlangen 2001.
↑Raimund Lang: Die Wiener Landsmannschaft Bukowina – Wurzel des Czernowitzer Korporationslebens. Einst und Jetzt, Bd. 56 (2011), S. 249–256.
↑ abcEmanuel Turczynski: Czernowitz, eine vom Bildungsbürgertum errungene Universität im Dienst staatlicher Bildungs- und Wissenschaftsförderung. In: Peter Wörster (Hg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation - Sozialgeschichtliche und politische Entwicklungen. München 2008, S. 215 ff.
↑ abcdDeutscher Universitätskalender für das Wintersemester 1889/90, Berlin