Die Strahlenflosser (Actinopterygii) sind eine Klasse der Knochenfische (Osteichthyes).
Bis auf die Fleischflosser (Sarcopterygii) gehören alle Knochenfische zu diesem Taxon, das sind insgesamt annähernd die Hälfte aller Wirbeltierarten.[1]
Der wissenschaftliche Name „Actinopterygii“ ist zusammengesetzt aus den altgriechischen Wörtern ἀκτίς (aktís, ‚Strahl‘) und πτερύγιον (pterýgion, ‚Flügel‘ bzw. ‚Flosse‘), entspricht also dem deutschen Trivialnamen „Strahlenflosser“. Er bezieht sich auf die typische Anatomie der Flossen (siehe unten).
Morphologische Merkmale
Eines der charakteristischsten Merkmale der Strahlenflosser und namensgebend für das Taxon ist die Ausbildung der paarigen Flossen (Brust- und Bauchflossen) in Form sogenannter Strahlenflossen (Actinopterygia, Sg. Actinopterygium). Die Schwestergruppe der Strahlenflosser, die Fleischflosser (Sarcopterygii), besitzen hingegen sogenannte Fleischflossen (Sarcopterygia, Sg. Sarcopterygium). Der überwiegende Teil dieser Strahlenflossen besteht aus den knöchernen Flossenstrahlen (Radii, Sg. Radius) und der Schwimmhaut (Patagium), die von den Radien aufgespannt wird. Die relativ langen Radien sitzen auf einem vergleichsweise kurzen Flossenbasisskelett, wobei proximale (rumpfnahe) Basalia von distalen (rumpffernen), stabförmigen Radialia unterschieden werden. Bei fast allen heute lebenden Strahlenflosser-Taxa fehlen jedoch die Basalia. Die Muskeln für die Flossenbewegung sitzen bei allen Knochenfischen nur am Flossenbasisskelett an. Entsprechend ist die gesamte Flossenbasis, d. h. Flossenbasisskelett nebst Muskeln, bei Strahlenflossern eher unscheinbar. Bei den Fleischflossern ist die Flossenbasis, teilweise auch der unpaaren Flossen, im Vergleich zu den Flossenstrahlen wesentlich länger und kräftiger ausgebildet,[3] sodass ein relativ großer Teil der Flosse beim lebenden Tier „fleischig“ ist.
Die Zahnkronen der Actinopterygier zeichnen sich neben dem Überzug aus normalem Zahnschmelz (Ganoin) durch eine zusätzliche kleine Kappe oder „Warze“ aus Acrodin, einer sehr harten, transparenten, schmelzartigen Substanz, an der Spitze der Krone (Apex) aus.
Die vordere der beiden Rückenflossen im Grundbauplan der Knochenfische fehlt: Diese primär einzelne Rückenflosse der Strahlenflosser kann aber sekundär in mehrere Flossen geteilt sein.
Die Schuppen sind durch ein Hakensystem gelenkig miteinander verbunden. Sie sind ursprünglich stark mineralisiert, d. h. mit einer Schicht aus Ganoin überzogen (Ganoidschuppe).[1] Dieser Zustand ist bei fossilen Strahlenflossern des Paläozoikums und Mesozoikums weit verbreitet, findet sich heute aber nur noch bei Stören (Acipenseridae) und Knochenhechten (Lepisosteidae). Der mit Abstand häufigste Schuppentyp bei den heute lebenden Strahlenflossern ist jedoch die Elasmoidschuppe. Bei dieser ist das Ganoin bis auf mikroskopische Reste reduziert.
Entgegen der Ansicht von den „stummen Fischen“ ist die Erzeugung von Tönen und die zwischenartliche Kommunikation mittels Lauten unter den Strahlenflosser weit verbreitet. Dies wurde bisher bei 172 der 470 Familien der Strahlenflosser nachgewiesen.[4]
Erstes Auftreten im Fossilbericht
Die Lophosteiformes und Naxilepis, bruchstückhafte Funde aus dem späten Silur (etwa 420 mya) von Europa und Sibirien bzw. China, galten einst als die ältesten fossilen Überreste von Strahlenflossern. Mittlerweile stuft man diese Vertreter jedoch als basale Knochenfische ein.[5][6]Meemannia, ursprünglich als primitiver Fleischflosser eingeordnet, zeigt einen strahlenflosserartigen Schädel und ist etwa 415 Millionen Jahre alt (Unterdevon).[7] Die ältesten Skelettfunde, die man sicher Strahlenflossern zuordnen kann, stammen aus dem Mitteldevon (etwa 380 mya) von Europa und Kanada (Cheirolepis). Weitere europäische Skelettfunde aus dieser Zeit sind Stegotrachelus, Moythomasia und Orvikuina.[1]
Zu den Strahlenflossern (Actinopterygii) gehören die folgenden natürlichen Gruppen:
Cladistia (Flösselaal und Flösselhechte)
Chondrostei (Knorpelganoiden)
Holostei (Knochenganoiden)
Teleostei (Echte Knochenfische).
Mit über 30.000 Arten sind die Teleostei die mit Abstand artenreichste Fischgruppe (96 %).[8] Ihre Diversität macht etwa 50 % der der Artenvielfalt aller heute lebenden Wirbeltiere aus. Insgesamt 15.150 Arten sind Süßwasserfische, 14.740 Arten kommen im Meer vor und 720 Arten sind in beiden Biotopen und im Brackwasser beheimatet.[9]
Das nachfolgende Kladogramm gibt eine Übersicht über die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Kladen von rezenten Strahlenflossern untereinander, sowie zwischen den Strahlenflossern und anderen rezenten Gruppen von Fischen und den Tetrapoden (Vierfüßer):
Zurzeit (2023) stuft die IUCN von 23.995 gelisteten Arten, 81 Arten bereits als ausgestorben (Extinct) ein. 11 Arten gelten als in der Natur ausgestorben (Extinct in the Wild), 697 Arten (Critically Endangered) vom Aussterben bedroht, 1.089 Arten als stark gefährdet (Endangered) und 1.348 Arten als gefährdet (Vulnerable), insgesamt 3.145 Arten. 4.786 Arten können aktuell nicht bewertet werden (data deficient).[11]
Literatur
Kurt Fiedler: Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Band II, Teil 2: Fische, Gustav Fischer Verlag, Jena, 1991, ISBN 3-334-00339-6
Gerhard Mickoleit: Phylogenetische Systematik der Wirbeltiere, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München, 2004, 671 S., ISBN 3-89937-044-9
Joseph S. Nelson, Terry C. Grande, Mark V. H. Wilson: Fishes of the World. Wiley, Hoboken, New Jersey, 2016, ISBN 978-1-118-34233-6
Wilfried Westheide & Reinhard Rieger: Spezielle Zoologie Teil 2: Wirbel und Schädeltiere, 2. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg • Berlin, 2010, ISBN 978-3-8274-2039-8
Einzelnachweise
↑ abcdGuillaume Lecointre, Hervé Le Guyader: Biosystematik. Springer, Berlin/Heidelberg 2006. S. 437 f.
↑Paul H. Yanceya, Mackenzie E. Gerringera, Jeffrey C. Drazen, Ashley A. Rowden, Alan Jamieson: Marine fish may be biochemically constrained from inhabiting the deepest ocean depths. In: PNAS (Early Edition), doi:10.1073/pnas.1322003111 und darin zitierte Literatur
↑Milton Hildebrand, George E. Goslow: Vergleichende und funktionelle Anatomie der Wirbeltiere. Springer, Heidelberg/Berlin 2004. S. 183 u. 673
↑Aaron N. Rice, Stacy C. Farina, Andrea J. Makowski, Ingrid M. Kaatz, Phillip S. Lobel, William E. Bemis, Andrew H. Bass: Evolutionary Patterns in Sound Production across Fishes. Ichthyology & Herpetology, Januar 2022, 110(1):1-12 (2022). doi:10.1643/i2020172
↑Hector Botella, Henning Blom, Markus Dorka, Per Erik Ahlberg, Philippe Janvier: Jaws and teeth of the earliest bony fishes. In: Nature. Band448, 2007, S.583–586, doi:10.1038/nature05989.
↑Zhu Min, Zhao Wenjin, Jia Liantao, Lu Jing, Qiao Tuo, Qu Qingming: The oldest articulated osteichthyan reveals mosaic gnathostome characters. In: Nature. Band458, 2009, S.469–474, doi:10.1038/nature07855.
↑Jing Lu, Sam Giles, Matt Friedman, Jan L. den Blaauwen and Min Zhucor. 2016. The Oldest Actinopterygian Highlights the Cryptic Early History of the Hyperdiverse Ray-Finned Fishes. Current Biology. DOI:10.1016/j.cub.2016.04.045
↑Joseph S. Nelson, Terry C. Grande, Mark V. H. Wilson: Fishes of the World. Wiley, Hoboken, New Jersey, 2016, ISBN 978-1-118-34233-6
↑Greta Carrete Vega, John J. Wiens: Why there are so few fish in the sea? In: Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences. 279, 2012, S. 2323–2329, doi:10.1098/rspb.2012.0075
↑Joseph S. Nelson, Terry C. Grande, Mark V. H. Wilson: Fishes of the World. Wiley, Hoboken, New Jersey, 2016, ISBN 978-1-118-34233-6