Ricardo Piglia stammte aus einer aus Italien einwanderten Familie.[2] Als 16-Jähriger begann er, ein als Lebenswerk angelegtes Tagebuch zu führen, das bis zu seinem Tode auf 327 Hefte anwuchs.[3] Er studierte u. a. Geschichte an der Universidad Nacional de La Plata. Sein Promotionsstudium musste er ohne Abschluss abbrechen, als sich General Juan Carlos Onganía 1966 an die Macht geputscht hatte. Er fand zunächst eine Anstellung im Verlag Tiempo Contemporáneo. Von 1971 bis 1975 war er Herausgeber der Zeitschriften Literatura y Sociedad und Los Libros. Neben seiner Funktion als Herausgeber – unter anderem der Serie Negra, in der Übersetzungen der Kriminalromane Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers, David Goodis' oder Horace McCoys erschienen, – machte er sich in dieser Zeit auch einen Namen als Literaturkritiker.
Respiración artificial (1980) gilt als ein Schlüsselwerk der Zeit der Diktatur, das die Zensur unterlaufen hat, indem er den Schrecken der späten 1970er Jahre in die Geschichte projiziert. Der in Brief-, Monolog- und Dialogform verfasste Roman, dessen Akteure untereinander gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten und in verschlüsselter Form Kontakt aufnehmen können, spielt auf mehreren Zeitebenen zwischen 1837/38 (der Diktatur unter Juan Manuel de Rosas) und 1979, zwei Phasen des staatlichen Terrors und des Exils in Argentinien. Verschleiert wird der aktuelle Bezug unter anderem dadurch, dass das Schicksal der argentinischen Emigranten durch das Beispiel eines Polen im argentinischen Exil verfremdet wird, für den erkennbar Witold Gombrowicz als Vorbild gedient hat. Der polnische Emigrant glaubt, einen Einfluss der bei Caféhaus-Gesprächen geäußerten Phantasien Hitlers während seines Prag-Aufenthalts 1909/10 auf Kafka entdeckt zu haben, der sich in dessen Werk Der Prozess niederschlägt.
Piglia lebte ab 1986 überwiegend in den USA, lehrte an der Harvard-Universität und ist emeritierter Professor für spanische und portugiesische Kultur und Sprache an der Universität Princeton. Im Dezember 2011 kehrte er nach Buenos Aires zurück. Seine Jahrzehnte in den USA empfand er nicht als Exil, sondern – in seinen Worten – als „Existenz zwischen Gehen und Bleiben“.[3]
Respiración artificial gilt als Schlüsselwerk der Zeit der Diktatur, das die Zensur unterlaufen hat, indem Piglia den Schrecken der späten 1970er Jahre in die Vergangenheit projiziert. Zitate, Allegorien und historische Anspielungen, Plagiate und Parodien in höchst artifizieller Sprache erschwerten dem Zensor die Arbeit, da scheinbar nicht von der aktuellen argentinischen Diktatur gesprochen wird. Der in Brief-, Monolog- und Dialogform verfasste Roman, dessen zum Teil verschollene Akteure untereinander gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten und in verschlüsselter Form Kontakt aufnehmen können, um das „Unsagbare“ zu kommunizieren, spielt auf mehreren Zeitebenen zwischen 1837/38 (der Zeit der Diktatur unter Juan Manuel de Rosas, dessen Privatsekretär Enrique Ossorio über Uruguay und Chile in die USA flieht) und 1979, also zwischen zwei Phasen des staatlichen Terrors und Exils in Argentinien. Scheinbar handelt es sich zunächst um einen Familienroman, wobei die „natürliche“ Vater-Sohn-Generationenfolge durch Tod oder politische Ereignisse abreißt. Die Geschichte weist für den Schriftsteller Emilio Renzi immer mehr rätselhafte Lücken auf, so dass die Realität in einem Netz von Diskursen und Dokumenten archäologisch-detektivisch rekonstruiert werden muss.[4] Zitat und Verschachtelung der Handlung sind Stilprinzipien. Verschleiert werden die aktuellen Bezüge, weil vordergründig über das Schicksal argentinischer Emigranten im 19. Jahrhundert gesprochen wird. Die aktuelle Situation der Exilanten wird durch das Beispiel eines Polen im argentinischen Exil der 1940er Jahre verfremdet, für den erkennbar Witold Gombrowicz als Vorbild dient. Der polnische Emigrant glaubt, einen Einfluss der bei Caféhaus-Gesprächen geäußerten Phantasien Adolf Hitlers während dessen Prag-Aufenthalts 1909/10 auf Kafka entdeckt zu haben, der sich in Kafkas Werk Der Prozess niederschlägt – ein durchaus mögliches, aber unwahrscheinliches Zusammentreffen.
Auch in den anderen Romanen wie Blanco nocturno spielen die Verschleierung von Informationen, die Suche nach versteckten Codes oder nach der verlorenen Geschichte von Familiendynastien eine Rolle, wobei die Figur des Emilio Renzi mehrfach auftaucht. Noch lange nach dem Ende der Diktatur galten die Ereignisse etwa um die Zehntausenden von „Verschwundenen“ als nicht mit realistischen Mitteln darstellbar.[5]
Piglia orientierte sich in der Folge immer stärker auf die USA. Sein letzter Roman El camino de Ida (2013) war autobiografisch inspiriert. Es handelt vom rätselhaften Tod einer Literaturprofessorin an einer US-amerikanischen Elite-Universität durch einen Serienbomber.
Respiración artificial, 1980.
Künstliche Atmung, dt. von Sabine Giersberg; Wagenbach, Berlin 2002. ISBN 978-3-8031-3173-7.
Leopold Federmair: Mikroerzählungen. In: Ders: Buenos Aires, Wort und Fleisch. Zwölf Essays. Klever-Verlag 2010. ISBN 978-3-902665-22-5. S. 44–68. – Über Germán García und Ricardo Piglia.
Jorge Fornet: El escritor y la tradición. Ricardo Piglia y la literatura argentina. Fondo de cultura económica, Buenos Aires 2007, ISBN 978-950-557-704-0.
↑Volker Breidecker: In Borges’ Hand. Der argentinische Autor Ricardo Piglia ist tot. In: Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2016, S. 11.
↑ abPaul Ingendaay: Mensch aus Wörtern. Zum Tode des argentinischen Schriftstellers Ricardo Piglia. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2017, S. 9.
↑Santiago Colás: Postmodernity in Latin America: The Argentine Paradigm. Duke UP: Durham, London 1994, S. 121 ff.