Der Begriff Partymusik wurde bereits früher für populäre Musik verwendet, etwa von einem 1966 von der Electrola gegründeten Label namens Party-Musik.[11] Als einer der ersten Vertreter der Party-Stimmungsmusik in den 1970er Jahren gilt Tony Marshall, als Vorläufer der Ballermann-Musik die Gruppe Die 3 Besoffskis,[12] deren größter Hit Puff von Barcelona (1975) 1999 von Mickie Krause gecovert wurde.
Partyschlager werden häufig auf Kompilationen veröffentlicht, etwa seit 1995 in der Reihe Ballermann-Hits (EMI Electrola[20]) und der Reihe Fetenhits (Universal Music). Seit 2006 wird der Ballermann-Award verliehen, dessen Teilnehmerbeiträge ab 2013 auf gleichnamigen Kompilationen erschienen sind. Beim seit 2011 verliehenen smago! Award gibt es Kategorien wie „Wiesn-Hit des Jahres“ und „Erfolgreichster Partyschlagersänger des Jahres“.
Laut des Musikethnologen Julio Mendívil trug Guildo Horns Auftritt beim Eurovision Song Contest 1998 mit dem Stück Guildo hat euch lieb! maßgeblich zur Entwicklung der Partymusik bei. Danach habe sich der Begriff „Schlager“ aufgespalten in den etablierten deutschen Schlager und die Ballermann- bzw. Après-Ski-Musik, die sich ihm kaum mehr zuordnen lässt und Anleihen von Volksmusik und Comedy enthält. Erfolgreiche Schlagersänger wie Jürgen Drews, Bernhard Brink oder Costa Cordalis sowie volkstümliche Gruppen wie De Randfichten traten nun in der Ballermann-Szene auf. Mendívil beobachtet drei Bereiche des Schlagers: 1.) einen volkstümlichen Bereich, 2.) einen deutschen Schlager-Bereich und 3.) einen Partymusikbereich. Während sich Schlager und Ballermann- bzw. Après-Ski-Musik sowie Schlager und der volkstümliche Sektor jeweils gegenseitig beeinflussten, sei die Interaktion zwischen Partymusik und dem volkstümlichen Schlager bzw. der volkstümlichen Musik eher gering.[7]
Charakteristiken
Partyschlager stehen in der Tradition von Stimmungsliedern. Drehen sich die Texte primär um Alkohol (insbesondere Bier, z. B. Freibierotto von Dorfrocker), Party und Sex, werden die Trinklieder umgangssprachlich auch als „Sauflieder“ bezeichnet.[21] „Ballermann“ und „Après-Ski“ sind in der Musikindustrie inoffizielle Bezeichnungen für ein Partymusik-Marktsegment, das aus einem überwiegend jungen Publikum besteht. Obwohl es sich nicht um eine einheitliche Musikszene handelt, gibt es musikalische Gemeinsamkeiten, etwa elektronische Rhythmen, Melodien, die als ,typisch deutsch‘ gelten, und deutschsprachige Texte über Sex, Alkoholkonsum und Partys.[22]
Charakteristisch für viele Stücke ist eine inszenierte Live-Atmosphäre mit Publikumsgeräuschen. Sie beginnen häufig mit einem gesprochenen Intro, das die Ansage eines Livekonzerts simuliert, und enthalten manchmal Pausen im Gesang, die zum Mitsingen des Publikums einladen. Bei der Aufführung der Musik steht die Live-Performance der Sänger, die sich auch als „Stimmungssänger“ bezeichnen,[23] und die Interaktion mit dem Publikum im Zentrum. Sie singen überwiegend zu einem Backing Track, also ohne Liveband[24], oder Vollplayback.
Eine Studie aus dem Jahr 2021, die 84 deutschsprachige Songs einer populären Spotify-Playlist für Ballermann-Musik („Mallorca für alle – Ballermann Hits 2020 – Mallorca Hits“) auswertete, ermittelte ein durchschnittliches Tempo von 133,3 bpm (Minimalwert: 70; Maximalwert: 160). Die Stilistik entspricht damit den gängigen Geschwindigkeiten von Techno/Trance und House. Unter den Interpreten waren mit Mia Julia, Isi Glück und Ina Colada nur drei weibliche. Die häufigsten Tonarten waren A-Dur (18,3 %), gefolgt von a-Moll (12,2 %), B-Dur (12,2 %) und e-Moll (8,5 %). Die Themen der Stücke entfielen auf die Kategorien Alkohol (23,2 %), Urlaub auf Mallorca (19,5 %), Party (17,1 %), sexualisierte Frau (13,4 %), Frau (8,5 %), Humor (6,1 %), Deutschsein (3,7 %) und Fußball (2,4 %).[24]
Die umgangssprachlich nach Orten und Anlässen benannte Musik (Ballermann, Après-Ski, Karneval, Oktoberfest) wird nicht nur dort, sondern auch auf nach ihnen benannten Partys unabhängig von Ort und Jahreszeit gespielt. Dieses Phänomen wurde als „peripherer Karneval“ bezeichnet.[9] Die Darstellung der deutschen Identität bzw. Heimat im Fremden, wie sie nicht nur in Texten, sondern auch auf Mallorca inszeniert wird, wurde mit dem vom Ethnologen Hermann Bausinger geprägten Begriff der „Binnenexotik“ beschrieben.[24]
Bekannte Künstler
Zu den bekanntesten Vertretern des Partyschlagers bzw. der Partymusik gehören:
Zu den meistverkauften Singles mit Goldstatus zählen die Titel Mallorca (da bin ich daheim) von Mia Julia, Biste braun, kriegste Fraun und Eine Woche wach von Mickie Krause, Saufen – morgens, mittags, abends von Ingo ohne Flamingo, Helikopter 117 (Mach’ den Hub Hub Hub) von Tobee, Scheiß drauf! (Mallorca ist nur einmal im Jahr) (Peter Wackel), Mama Laudaaa von Specktakel und Almklausi sowie Dicht im Flieger von Julian Sommer. Das Stück Das geht ab! (2009) von Die Atzen erhielt 2012 Platin, Johnny Däpp (2016) von Lorenz Büffel (geschrieben von Ikke Hüftgold und Dominik de Leon) 2020, Layla im Jahr seiner Veröffentlichung 2022. Das Musikvideo zum Stück Amsterdam von Axel Fischer (2008) wurde 2013 als erstes Partyschlager-Musikvideo mehr als 10 Millionen Mal bei YouTube aufgerufen.[27] Das Album Nummer eins von Ikke Hüftgold erreichte 2024 als erstes Partyschlager-Album den ersten Platz der Deutschen Albumcharts.[28]
Heinz Strunk spielt im Film Fraktus (2012) einen Partyschlager-Produzenten, der auf Ibiza den Hit Geilianer produziert.[31] 2022 veröffentlichte Strunk unter dem Pseudonym Pierre Panade, das er bereits 2020 in seiner Titanic-Kolumne erwähnt hat,[32] das Stück Breit in 100 Sekunden.[33] 2023 wurde seine Serie Last Exit Schinkenstraße bei Amazon Prime veröffentlicht.[34]
2021 veröffentlichten Tommi Schmitt und Felix Lobrecht (Podcast Gemischtes Hack) als fiktives Ballermann-Duo Die Sacknähte zusammen mit Ikke Hüftgold den Song Unten kommt die Gurke rein.[37]
2023 veröffentlichte Heino das Album Lieder meiner Heimat mit Coverversionen von Ballermann-Hits.[38]
Dokumentationen
2024 wurde unter der Regie von Maria Burges eine dreiteilige Dokuserie über Partyschlager für ZDFinfo produziert:
Julio Mendívil: Ein musikalisches Stück Heimat: Ethnologische Beobachtungen zum deutschen Schlager. transcript Verlag, 2008, ISBN 978-3-8394-0864-3.
Mirjam Stahl / Patrik Mähling: Peripherer Karneval. Entwicklung – Gestalt – Pendants. In: Massen und Masken: Kulturwissenschaftliche und theologische Annäherungen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16400-3, S. 191–204.
Harald Scholz: „Ein Hoch auf uns…“: Facetten deutschsprachiger Popularmusik. LIT Verlag Münster, 2017, ISBN 978-3-643-13699-2.
Christoph Jacke und Julio Mendívil: Heimat 2.0. Über Konstruktionen und Imaginationen von Beheimatung in der deutschsprachigen Schlagermusik. In: Frank Thomas Brinkmann, Johanna Hammann (Hrsg.): Heimatgedanken: Theologische und kulturwissenschaftliche Beiträge. Springer-Verlag, 2018, ISBN 978-3-658-22253-6, S. 45–66.
Marina Schwarz: Schon wieder besoffen – Kleinbiotop Mallorca und der Wunsch nach Exzess. In: Dies. (Hg.) Das verdächtig Populäre in der Musik: Warum wir mögen, wofür wir uns schämen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-658-32690-6, S. 175–190.
↑Oliver Bekermann: "Wunder gibt es immer wieder": eine Untersuchung zur gegenseitigen Abhängigkeit von Alltagskommunikation und deutschem Schlager. BoD – Books on Demand, 2007, ISBN 978-3-8370-0045-0 (bekermann.com [PDF; abgerufen am 29. Juli 2022]).
↑Simon Mues: Der deutsche Schlager im DaF-Unterricht, Masterarbeit, FU Berlin, 2012, S. 43 f., PDF
↑Thomas Schulz: »Bumm, bumm, bumm!« In: Der Spiegel. 8. Juli 2007, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 31. Juli 2022]).
↑Yvonne Niekrenz: Rauschhafte Vergemeinschaftungen: Eine Studie zum rheinischen Straßenkarneval. Springer-Verlag, 2011, ISBN 978-3-531-93086-2, S.138 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑ abMirjam Stahl, Patrik Mähling: „Peripherer Karneval. Entwicklung – Gestalt – Pendants“. In: Massen und Masken: Kulturwissenschaftliche und theologische Annäherungen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-16400-3, S. 191–204.
↑Georg Brunner: „Von Musikantenstadl bis Ballermann. Anmerkungen zum 30-jährigen Jubiläum der ,Zillertaler‘ (ein Beitrag zur Musiksoziologie)“. In: Sänger- und MusikantenZeitung, Jg. 45, 6/2002, S. 453–457, PDF
↑Mathias Fiedler: Urlaub mit den Deutschen. In: jungle.world. 16. August 2018 (jungle.world [abgerufen am 24. August 2018]).
↑Michael Fischer: Diskotheken im ländlichen Raum: Populäre Orte des Vergnügens in Südwestdeutschland (1970–1995). Waxmann Verlag, 2020, ISBN 978-3-8309-9129-8, S.197 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Stimmen gegen Nazi-Stimmungsmache: Musi gegen rechts. In: Die Tageszeitung: taz. 7. September 2018, ISSN0931-9085 (taz.de [abgerufen am 8. Oktober 2022]).
↑Heinz Strunk: Intimschatulle, Teil 68 & 69, in: Titanic, November & Dezember 2020.
↑Heinz Strunk schreibt Ballermann-Lied für «Zeitmagazin». In: FAZ.NET. ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Juli 2022]).
↑Christian Buß: (S+) »Last Exit Schinkenstraße«: Ballermann-Serie von Heinz Strunk bei Amazon Prime. In: Der Spiegel. 6. Oktober 2023, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 9. Oktober 2023]).