Mario Rainer Lepsius, meist abgekürzt M. Rainer Lepsius, 1928 in Brasilien geboren und Enkel des Chemikers Bernhard Lepsius, wuchs seit 1936 in München auf und erlebte dort das Ende des Zweiten Weltkriegs im Alter von siebzehn Jahren.[1] Von 1947 bis 1952 studierte er Geschichte, Volkswirtschaftslehre und Soziologie an den Universitäten München und Köln. 1950 erlangte er das Diplom für Volkswirte an der Universität München und wurde dort 1955 zum Dr. oec. publ. promoviert. Während er in München eine Einführung in die Soziologie bei Alfred von Martin belegen konnte, wurde er in Köln von René König angezogen, und sein Interesse wandte sich dadurch ganz der Soziologie zu. Gerhard Weisser interessierte ihn für Stadtplanung. Im Herbst 1951 lernte er bei einem London-Aufenthalt die London School of Economics and Political Science kennen. Friedrich Lütge bot ihm darauf eine Assistentenstelle im Seminar für Wirtschaftsgeschichte in München an, womit er Kollege von Knut Borchardt wurde. Außerdem wurde er mit einer Studie über die soziale Stellung des Meisters im Industriebetrieb beauftragt, woraus sich Kontakte zu Industriesoziologen wie Theo Pirker, Burkart Lutz und Friedrich Weltz ergaben.
Lepsius galt als ein namhafter Forscher und Theoretiker der gegenwärtigen Gesellschaft. Wie die meisten Soziologen der Nachkriegsgeneration hatte er als Industriesoziologe begonnen und war Mitglied des „Fachausschusses für Industriesoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“, dem alle namhaften Nachwuchssoziologen angehörten.[4] Sein besonderes Interesse galt dem Werk Max Webers, an dessen historisch-kritischer Gesamtausgabe er als Mitherausgeber maßgeblich beteiligt war. Seine Forschungen erstreckten sich zudem auf historische und gegenwartsbezogene Sozialstrukturanalysen. Außerdem hat er im Bereich der Politischen Soziologie sowie zur Europäischen Union gearbeitet. Stark beeinflusst hat Lepsius die politische Kulturforschung durch seinen Milieubegriff.
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg verlieh ihm den Dr. phil. h. c. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie hat ihn im Jahr 2000 mit dem Preis für ein herausragendes wissenschaftliches Lebenswerk geehrt.
Lepsius war seit 1958 mit der promovierten Publizistin und späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Renate Lepsius, geborene Meyer, verheiratet und lebte in Weinheim an der Bergstraße. Ihr gemeinsamer Sohn ist der Staatsrechtslehrer Oliver Lepsius. Lepsius hatte 2008 im Rückblick erklärt, dass er Soziologe wurde, weil er die „Aufklärung“ suchte „gegen die deutsche kognitive Selbstverschleimung, die im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt erreicht hat“.[5]
Schriften (Auswahl)
Schriftenverzeichnisse sind enthalten in: Adalbert Hepp, Martina Löw (Hrsg.): M. Rainer Lepsius. Soziologie als Profession. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2008, ISBN 3-593-38322-5, S. 161–178 und Steffen Sigmund, Gert Albert, Agathe Bienfait, Mateusz Stachura (Hrsg.): Soziale Konstellation und historische Perspektive. Festschrift für M. Rainer Lepsius. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 3-531-15852-X, S. 468–483.
Soziologie und Soziologen. Aufsätze zur Institutionalisierung der Soziologie in Deutschland. Hrsg. von Oliver Lepsius. Mohr Siebeck, Tübingen 2017, ISBN 3-16-155624-0.
Max Weber und seine Kreise. Essays. Mohr Siebeck, Tübingen 2016, ISBN 3-16-154738-1.
Soziale Schichtung in der industriellen Gesellschaft. Mit einer Einführung von Wolfgang Schluchter. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 3-16-154168-5 (zugleich: Habil.-Schr., München 1963).
Institutionalisierung politischen Handelns. Analysen zur DDR, Wiedervereinigung und Europäischen Union. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 3-658-01325-7.
Interessen, Ideen und Institutionen. Westdeutscher Verlag, Opladen 1990, ISBN 3-531-11879-X (2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2009, ISBN 3-531-16581-X).
Extremer Nationalismus. Strukturbedingungen vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. Kohlhammer, Stuttgart 1966, DNB457412623.
Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft. In: Wilhelm Abel, Knut Borchardt, Hermann Kellenbenz, Wolfgang Zorn (Hrsg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge. Fischer, Stuttgart 1966, DNB458669210, S. 371–393.
Steffen Sigmund, Gert Albert, Agathe Bienfait, Mateusz Stachura (Hrsg.): Soziale Konstellation und historische Perspektive. Festschrift für M. Rainer Lepsius. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 3-531-15852-X.
↑M. Rainer Lepsius: Soziologie als angewandte Aufklärung. In: Christian Fleck (Hrsg.): Wege zur Soziologie nach 1945: Autobiographische Notizen. Opladen 1996, S. 185–197.
↑Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who. 24. Ausgabe. Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, ISBN 3-7950-2005-0, S. 758.
↑Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea
↑M. Rainer Lepsius: Soziologie als Profession. Autobiographische Skizzen. In: Adalbert Hepp, Martina Löw (Hrsg.): M. Rainer Lepsius. Soziologie als Profession. Frankfurt am Main/New York 2008, S. 92 ff.
↑Dieter Langewiesche: M. Rainer Lepsius und die Geschichtswissenschaft. In: Geschichte und Gesellschaft. Band 42, 2016, S. 195–207, hier: S. 195.