MUL.APIN (𒀯𒀳) ist die übliche Bezeichnung für ein babylonisches Kompendium, das sich mit vielen verschiedenen Aspekten der mathematischen babylonischen Astronomie befasst. Jüngste Edition ist die von Hunger und Steele (2019).[1] Möglicherweise steht es bzw. Teile davon in der Tradition früherer Sternkataloge, der so genannten Three-Stars-Each-Listen. Allerdings geht dieses Kompendium weit darüber hinaus. Es besteht aus zwei großen Teilen: Im ersten Teil wird die scheinbare Himmelskugel beschrieben, also die Daten zum Bau eines Globuskalenders[2] gegeben, im zweiten Teil geht es um Zeitrechnung mit Hilfe dieses Sternkalenders sowie mit Sonnen- und Wasseruhren. Den Abschluss bildet eine Liste von Omina. Die Daten beruhen auf genaueren Beobachtungen verschiedenen Alters:[3] Manche der Teil-Listen datieren zwischen 1400 und 1100, manche anderen sind möglicherweise jünger oder älter. Die Kompilation datiert wahrscheinlich zwischen 1250 und 1000 v. Chr. Der Text listet die Namen von über 70 Sternen und Sternbildern auf und enthält darüber hinaus eine Reihe von Angaben wie Auf-, Untergangs- und Kulminationsdaten, die dazu beitragen, die Grundstruktur der babylonischen Sternkarte darzustellen.
Das älteste Exemplar datiert ins 7. Jahrhundert v. Chr., ist auf zwei Tafeln erhalten, die nach ihrem Incipit benannt sind und dem ersten Sternbild des Jahres, MULAPIN, "Der Pflug", entsprechen, das nach der Zusammenstellung der Vorschläge von Gössmann[4] und Kurtik[5] mit Sternen im Bereich der modernen Sternbilder Kassiopeia, Andromeda und Triangulum identifiziert wird. Neuerdings wird vorgeschlagen, dass es nur die hellen Kassiopeia-Sterne sind.[6]
Der Astrophysiker Bradley Schaefer und der Astronom Teije de Jong haben errechnet, dass die Daten der heliakischen Auf- und Untergänge in diesen Tafeln in die Region von Assur um das Jahr 1370±100 v. Chr. (Schaefer)[7][8] bzw. ungefähr in die Epoche zwischen 1400 und 1100 v. Chr. (de Jong[9]) passen.
Watson und Horowitz[3] haben gezeigt, dass der Textstil von einer Liste zur anderen von geringer zu hoher Komplexität wechselt. Daher ist es gut möglich, dass Liste 1 älter ist als Liste 2-4 und diese wiederum älter als Liste 5 usw.
Inhalt
Der Text wurde häufig auf zwei, mitunter auch auf drei Tafeln geschrieben. Egal, wie viele Tafeln er physisch einnimmt, besteht er aus zwei inhaltlichen Teilen:
Teil I – Beschreibung des statischen Himmels
Liste 1
I i 1
bis
I ii 35
Katalog der Asterismen (Inventur des Himmels)
Liste 2
I ii 36
bis
I iii 12
Daten von heliakischen Aufgängen im babylonischen Kalender
Liste 3
I iii 13
bis
I iii 33
simultane Auf- und Untergänge
Liste 4
I iii 34
bis
I iii 48
Zeitintervalle zwischen zwei aufeinander folgenden Aufgängen
Hermann Hunger, David Pingree: Mul.Apin : an astronomical compendium in cuneiform (= Archiv für Orientforschung 24). F. Berger und Söhne, Horn 1989.
Literatur
Susanne M. Hoffmann: Hipparchs Himmelsglobus : Ein Bindeglied in der babylonisch-griechischen Astrometrie? Springer, 2017, ISBN 978-3-658-18682-1, S. 265–361.
Susanne M. Hoffmann: Das Babylonische Kompendium MUL.APIN : Messung von Zeit und Raum. In: Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 24, S. 251–277.
Werner Papke: Die geheime Botschaft des Gilgamesch : 4000 Jahre alte astronomische Aufzeichnungen entschlüsselt. Weltbild-Verlag, Augsburg 1993, ISBN 3-89350-551-2.
Werner Papke: Die Keilschriftserie MUL. APIN, Dokument wissenschaftlicher Astronomie im 3. Jahrtausend. Dissertation Tübingen 1978.
Rita Watson, Wayne Horowitz: Writing Science Before the Greeks : A Naturalistic Analysis of the Babylonian Astronomical Treatise MUL.APIN. Brill, Leiden 2011, ISBN 978-90-04-20230-6.
↑Susanne M. Hoffmann: Das Babylonische Kompendium MUL.APIN : Messung von Zeit und Raum. In: Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 24, S. 251–277.
↑ abRita Watson: Writing science before the Greeks : a naturalistic analysis of the Babylonian astronomical treatise MUL. APIN. Brill, Leiden 2011, ISBN 978-90-04-20231-3.
↑Felix Gössmann (Hrsg.): Planetarium Babylonicum oder die sumerisch-babylonischen Stern-Namen. Verlag des Päpstlichen Bibelinstituts, 1950, OCLC1072318001.
↑GennadiÄ. Kurtik, Геннадий. Куртик: Zvezdnoe nebo drevneÄ Mesopotamii : shumero-akkadskie nazvaniiï¸ a︡ sozvezdiÄ i drugikh svetil. AleteÄiï¸ a︡, Sankt-Peterburg 2007, ISBN 978-5-903354-36-8.
↑Susanne M. Hoffmann, Gudrun Wolfschmidt (Hrsg.): Astronomy in Culture – Cultures of Astronomy. Astronomie in der Kultur – Kulturen der Astronomie. Featuring the Proceedings of the Splinter Meeting at the Annual Conference of the Astronomische Gesellschaft, Sept. 14-16, 2021. 1. Auflage. Nuncius Hamburgensis, Nr.57. tredition, Ahrensburg 2022, ISBN 978-3-347-71288-1.
↑Bradley E. Schaefer: The Latitude and Epoch for the Origin of the Astronomical Lore of Eudoxus. In: Journal for the History of Astronomy. Band35, Nr.2, Mai 2004, ISSN0021-8286, S.161–223, doi:10.1177/002182860403500204.
↑Denis Walsh: Waiting on Birth. In: Childbirth, Midwifery and Concepts of Time. Berghahn Books, 1. September 2009, S.126–144, doi:10.2307/j.ctt9qcj16.12.
↑Teije de Jong: Astronomical dating of the rising star list in MUL.APIN. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. Band97, 2007, ISSN0084-0076, S.107–120, JSTOR:23861410.