Leopold Oser wurde als Sohn des Textilhändlers Hermann Hirsch Oser und Amalia Maly Milka, geborene Pisk, geboren.[2] Von 1856 bis 1861 studierte Leopold Oser Medizin an der Universität Wien; 1862 promovierte er zum Doktor der Medizin und Chirurgie und erhielt den Mag. obstet. (Magister obstetricis – Geburtshelfer). Er arbeitete dann im Institut für experimentelle Pathologie unter Salomon Stricker. Er war Schüler von Josef von Škoda und Johann von Oppolzer, den Begründern einer ganzheitlichen Diagnose und Therapie in der Zweiten Wiener Medizinischen Schule. Leopold Oser war mit Amélie (Chaja), geborene Hirsch (1852–1933), verheiratet, Tochter des Wiener Kunsthändlers Leopold Hirsch (gestorben 1889) und Katharina Hirsch. Er hatte fünf Schwestern, Julie, Josefine, Karoline, Therese und Regine, und vier Brüder, Adolf, Sigmund, Ludwig und Bernhard.[3][4] In verschiedenen Zeitungsartikeln wurde berichtet, dass die Eheleute in Wien ein reges gesellschaftliches Leben führten. Laut Todesanzeige von Oser hatten sie keine Kinder.[5]
1909 wurde Leopold Osers 70. Geburtstag feierlich im Rothschild-Spital in der Anwesenheit von Statthalter Erich von Kielmansegg und des Stifters Albert Rothschild begangen. Er erhielt eine Kronenrente in Höhe von 20.000 Kronen, die er der Israelitischen Kultusgemeinde Wien zur Unterstützung junger Ärzte stiftete.[6] Im Jahr darauf starb er. Auf seinem Grabstein auf dem Wiener Zentralfriedhof wurden seine letzten Worte verewigt: „Vergiss an meine armen Kranken nicht!“ Ein für jüdische Grabsteine typischer Segenswunsch in hebräischer Sprache (ת' נ' צ' ב' ה', abgekürzt für „Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens!“, vgl. 1 Sam 25,29 EU) schließt die Inschrift ab.[7] Das Illustrierte Österreichische Journal schrieb aus Anlass seines Todes: „Sein urbanes ungekünsteltes Wesen und sein Bestreben, Schüler zu fördern und zu ermuntern, haben dem nun Verewigten die regsten Sympathien verschafft. Die Kranken, denen er in seiner Herzensgüte ein allezeit hilfsbereiter Tröster war, vergötterten ihn.“[8]
Wissenschaftliche Laufbahn
Nach seiner Promotion war Oser fünf Jahre lang als Sekundararzt am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien tätig. Ab 1866 leitete er die dortige Choleraabteilung.[10] Er war als Abteilungsvorstand an der Allgemeinen Poliklinik Wien tätig, deren Mitbegründer er 1872 neben elf anderen Ärzten war, darunter Heinrich Auspitz, Carl von Rokitansky, Johann Schnitzler, Robert Ultzmann und Wilhelm Winternitz. Sie war vor allem für die Ausbildung von Ärzten und die Versorgung ärmerer Patienten gedacht und wurde durch die Gründer und später auch aus Spenden finanziert. Das Neue an der Wiener Poliklinik war, dass man um die Abdeckung der gesamten Palette medizinischer Fächer bemüht war, während ausländische Polikliniken stets auf einzelne medizinische Sparten ausgerichtet waren. Sie war damit die erste ihrer Art in Europa.
1896 wurde er Mitherausgeber der durch Ismar Boas neu gegründeten Zeitschrift Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluß der Stoffwechselpathologie und Diätetik zusammen mit führenden Internisten internationaler Universitätskliniken, die sich zu jenem frühen Zeitpunkt mit Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten beschäftigt und dazu teilweise monografisch publiziert hatten. Bereits nach kurzer Zeit zählte sie zu den führenden und international anerkannten Publikationsorganen der Gastroenterologie und besteht noch heute unter dem Namen Digestion, International Journal of Gastroenterology fort.[12]
Oser spezialisierte sich auf die Behandlung von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts und galt als „einziger und bester Magenspezialist Österreichs“. Sein wesentlicher Beitrag in diesem Bereich war 1875 die Einführung eines flexiblen Magenschlauchs anstelle eines starren Rohrs, das der Gastroenterologe Adolf Kußmaul 1867 entwickelt hatte, bei einer Gastroskopie („Magenspiegelung“). (Kußmaul war die Idee bei der Beobachtung eines Schwertschluckers gekommen.[13]) Dem ging die Entwicklung von Charles Goodyear voraus, der 1839 das Verfahren der Vulkanisation erfand und so in der Lage war, elastischen Gummi herzustellen. Dieser flexible Magenschlauch passte sich der menschlichen Anatomie besser an und war in der Lage, sowohl die Unannehmlichkeiten der Untersuchung zu mildern, als auch dem Arzt Analysen der Magenfunktion zu ermöglichen. Zudem wurde einer gefährlichen Perforation der Speiseröhre oder des Magens, die nicht selten bei der starren Gastroskopie vorkam und oft tödlich endete, vorgebeugt. Laut einem Nachruf wurde diese Leistung nicht entsprechend anerkannt und diese Innovation später anderen Medizinern zugesprochen beziehungsweise Oser gar nicht erwähnt.[14] So hatte etwa zur gleichen Zeit der Berliner Arzt Carl Anton Ewald ebenfalls diese neue Methode bei der Sondierung des Magens eingeführt, eine Methode zur systematischen Untersuchung der Magensekretion und des Mageninhaltes.[15] Erst 90 Jahre später, im Jahre 1957, fand das erste vollflexible Gastroskop Einzug in die Gastroskopie, einer Erfindung des Gastrologen Basil Isaac Hirschowitz und seines technischen Leiters L. Curtiss, unter Verwendung einer Fiberglasoptik.[16]
Oser und der ungarisch-österreichische, aber in Wien als Privat-Dozent tätige Gynäkologe Wilhelm Schlesinger machten die Innervationen des Uterus zum Gegenstand ihrer Untersuchungen und wiesen 1872 ein Erregungszentrum in der Medulla oblongata nach, das sich am Übergang des Zentralnervensystems zum Rückenmark befindet.[17] Ferner versuchten sie die Auslösung von Uterusbewegungen bei Kohlensäureüberladung des Blutes experimentell festzustellen.
Im Arkadenhof der Wiener Universität – der Ruhmeshalle der Universität – steht seit 1917 eine Büste Osers, geschaffen von Carl Wollek. Im Rahmen von „Säuberungen“ durch die Nationalsozialisten Anfang November 1938 wurden zehn Skulpturen jüdischer oder vermeintlich jüdischer Professoren im Arkadenhof im Zusammenhang der „Langemarck-Feier“ umgestürzt oder mit Farbe beschmiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der kommissarische Rektor Fritz Knoll eine Überprüfung der Arkadenhof-Plastiken veranlasst; auf seine Weisung hin wurden fünfzehn Monumente entfernt und in ein Depot gelagert, darunter diejenige von Leopold Oser.[18] Nach Kriegsende wurden im Jahr 1947 alle beschädigten und entfernten Denkmäler wieder im Arkadenhof aufgestellt.
Im Wiener 21. Bezirk wurde 1932 eine Gasse nach ihm benannt. 1938 wurde die Straße in Stammelgasse umbenannt, am 15. April 1947 erfolgte die Rückbenennung.[10]
Die Erkrankungen der Pankreas im Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie von Hermann Nothnagel 1898. Nachdruck 2013: Nabu-Verlag, ISBN 978-1-293-43655-4.
mit Wilhelm Schlesinger: Experimentelle Studien über Uterusbewegungen. 1873.
Über die mechanische Behandlung der Magenkrankheiten. 1875.
Band 8 (1881) (Digitalisat), S. 455–461: Magenblutung; S. 461–468: Magencatarrh, acuter; S. 476–486: Magenerweiterung; S. 487–495: Magengeschwür; S. 496–503: Magenkrebs; S. 503–506: Magenphlegmone; S. 506–512: Magenpumpe; S. 512–513: Magenzerreissung
↑Es werden unterschiedliche Geburtsdaten in historischen Dokumenten angegeben. Auf dem Grabstein und in den meisten Quellen ist es der 27. Juli. Siehe auch Österreichische Zeitung 1909 zum 70. Geburtstag. In wenigen anderen Quellen (vergleiche Geni.com) wird auch der 24. Juli oder der 31. Juli angegeben.