Territorium des Reichsstiftes Marchtal (nördlich des Federsees, rot umrandet; Ausschnitt der «Karte Circvli Sveviae Mappa» von Johann Matthias Hase von 1743)
1 zu Roß, 4 Fußsoldaten und 90 Gulden (1521); 2 zu Roß, 5 Fußsoldaten oder 44 Gulden (1663); 2 zu Roß, 5 Fußsoldaten oder 44 Gulden; zum Kammergericht 45 Gulden (18. Jh.);
Im Jahr 776 übertrugen die Nachkommen des Grafen Halaholf († vor 776) (Ahalolfinger) und der Hitta das von diesen gestiftete Petrus-Kloster, ein Cella der Abtei Sankt Gallen. Dieses Benediktinerkloster wurde im 9./10. Jahrhundert zerstört oder zerfiel. Jedenfalls bestand das Kloster wieder seit 993 als ein von Hermann II., Herzog von Schwaben und seiner Ehefrau Gerberga den Aposteln Petrus und Paulus gewidmetes Kanonikerstift, das den Herzögen von Schwaben als Grablege und Hauskloster diente. Am 1. Januar 995 wurde die erweiterte Klosterkirche von Bischof Gebhard II. konsekriert. Die ältere Forschung nahm die Gründung dieses mit sieben Weltpriestern besetzten Säkularkanonikerstiftes erst für das Jahr 1011 durch Herzog Hermann III. an.
Im 12. Jahrhundert war Marchtal im Besitz einer Reihe von schwäbischen Adligen, darunter auch die Staufer und insbesondere Kaiser Friedrich I., wobei die häufigen Besitzwechsel einen Niedergang des Klosters zur Folge hatten.
Propst Meinhardt ließ 1204–1208 die Klostermauern erneuern.
Propst Konrad (1226–1275) verbot 1273 die Neuaufnahme von Frauen, so dass das Doppelkloster bald zum Männerkloster wurde.
Propst Walther II. ließ die alte Stiftskirche zu einer dreischiffigen Basilika erweitern, die am 2. Mai 1239 von Bischof Heinrich I. von Konstanz geweiht wurde.
Erst im Jahr 1440 wurde Kloster Marchtal zur selbständigen Abtei erhoben und erhielt im Jahr darauf einen eigenen Abt. Die Abtei erlangte 1500 als Mitglied des Schwäbischen Reichsprälatenkollegiums die Reichsunmittelbarkeit und unbestrittene Reichsstandschaft. Insgesamt konnte das Kloster über 30 Dörfer und Weiler die Hoheitsrechte gewinnen. Zum Territorium der Reichsabtei zählten die Orte Obermarchtal, Uttenweiler, Dieterskirch, Hausen am Bussen, Sauggart, Seekirch, Unterwachingen, Reutlingendorf und Oberwachingen. Der Marchtaler Abt erhielt 1609 für sich und seine Nachfolger das Recht in der Liturgie die Mitra zu tragen. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts besuchten aus Marchtaler Prämonstratenser als Studenten die Jesuiten-Universität Dillingen. Die von dort ausgehenden Impulse der Gesellschaft Jesu beeinflussten und inspirierten die nachfolgenden Klosterreformen in Marchtaler Konvent. Während des Dreißigjährigen Krieges ragte die Persönlichkeit des Reichsabtes Konrad Kneer († 1660) heraus. So wagte die Abtei Marchtal in Prälat Kneers Abbatiat in der Mitte des 17. Jahrhunderts den Versuch in Munderkingen eine gemeinsame Schule (Gymnasium und Hochschule) der oberschwäbischen Prämonstratenser zu errichten, der aber fehlschlug. Daher bauten die Marchtaler Chorherren nun die eigene Klosterschule aus und öffneten sie auch für externe Schüler. Am 11. September 1701 wurde ein weiterer Neubau der Stiftskirche St. Peter und Paulgeweiht, nachdem dieser, nach der Flucht der Chorherren 1632 vor angreifenden Schweden, 1686 zusammen mit dem barocken Neubau der Klosteranlage begonnen worden war. Abt Nikolaus Wierith (1661–1691) gilt daher als "zweiter Gründer" des prämonstratensischen Marchtal. Die Baumeister der barocken Stiftskirche waren Michael Thumb und nach seinem Tod im Jahr 1690 sein Bruder Christian Thumb sowie Franz Beer von Bleichten. Die Stukkaturen schuf Joseph Schmutzer. Anno 1770 übernachtete Marie-Antoinette, Erzherzogin von Österreich aus dem Haus Habsburg-Lothringen auf ihrer Brautfahrt von Wien nach Paris im Kloster Marchtal. Im 18. Jahrhundert ist die barocke Musikpflege im Reichsstift Marchtal, z. B. durch Sixtus Bachmann von Bedeutung. Erwähnenswert ist zudem der aus dem hiesigen Chorherrenkonvent stammende Prediger, Schriftsteller und Mundartdichter des Barock Sebastian Sailer. Von 1800 bis 1803 war Johann Nepomuk Schelble (1789–1837) Chorknabe in der Abtei.
Säkularisation und neuere Entwicklung
Einhergehend mit der Säkularisation mussten Abt Friedrich II. und der Konvent im Jahr 1802 alle Rechte und Einkünfte an das Haus Thurn und Taxis abtreten, die es als Teil des Reichsfürstentum Buchau verwalteten, bevor es 1806 im Zuge der Mediatisierung an das Königreich Württemberg fiel. Des Weiteren mussten sie 1803 das Stift räumen, damit es als Verwaltungszentrale der Thurn und Taxis für die in Oberschwaben neu erhaltenen Besitzungen genutzt werden konnte. Die Marchtaler Klosterbibliothek kam in die fürstliche Zentral-Bibliothek in Regensburg. Später gelangten Teile daraus in die Klosterbibliotheken von Beuron und Neresheim. Die Klostergebäude selbst wurden zum selten benutzten Sommer- und Jagdschloss sowie wie zum Ort fürstlicher Veranstaltungen.
Im Jahr 1919 liesen sich die aus Tschechien vertriebenen ChotieschauerSalesianerinnen im Nordtrakt des Klostergebäudes nieder und gründeten hier eine Mädchenrealschule mit Internat.
1972 kaufte Diözese Rottenburg-Stuttgart die Klosteranlage der Thurn und Taxis, um sie zu einer Akademie für Lehrerfortbildung, die 1978 eröffnet wurde, umzubauen. Auch die Realschule der Salesianerinnen wurde 1992 von der Stiftung Freie Katholische Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart übernommen.
Am 16. September 2001 wurde die Stiftskirche St. Peter und Paul vom Diözesanbischof Gebhard Fürst zum Münster erhoben.[1] Die Klosterkirche ist eines der bekannten Beispiele für den süddeutschen Barock.
Hexenverfolgung
In der Zeit der Hexenprozesse wurden im Bereich des Reichsklosters Hexenverfolgungen durchgeführt. Diese Hexenprozesse beginnen im 16. Jahrhundert und reichen bis ins 18. Jahrhundert. Dabei lassen sich drei Verfolgungswellen unterscheiden: zwischen 1586 und 1596, um 1627/1628 und zwischen 1745 und 1757.[2] Die Besonderheit an den Marchtaler Hexenprozessen ist die Verfolgungspanik noch Mitte des 18. Jahrhunderts, der 7 Frauen zum Opfer fielen. Mindestens 60 Todesurteile gegen vermeintliche magische Delinquenten lassen sich insgesamt aus den Marchtaler Hexenprozessakten nachweisen.[2]
Heutige Nutzung der Anlage
Die von einer Mauer umgebene Klosteranlage Obermarchtal mit der Kirche St. Peter und Paul, der ehemaligen Klausur und mit seinen Wirtschaftshäusern wird heute von der Kirchlichen Akademie der Lehrerfortbildung Obermarchtal der Diözese Rottenburg-Stuttgart als Tagungshaus genutzt. Ihr Innenhof war Ort der Ausstellung „Marchtaler Fenster - Neue Kunst“.[3] Der Nordflügel der Anlage beherbergt die Franz-von-Sales-Schule mit Realschule und Aufbaugymnasium (ehemals Studienkolleg). In der Kirche St. Peter und Paul finden Gottesdienste und Konzerte statt.
Ehemalige Klosterkirche Münster St. Peter und Paul
Max Müller, Rudolf Reinhardt, Wilfried Schöntag (Hrsg.): Marchtal. Prämonstratenserabtei – Fürstliches Schloß – Kirchliche Akademie. Festgabe zum 300jährigen Bestehen der Stiftskirche St. Peter und Paul (1692 bis 1992). Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 1992, ISBN 3-88294-182-0.
Maximilian Müller/Winfried Aßfalg: Ehemaliges Prämonstratenser-Stift St. Peter und Paul Marchtal. Großer Kunstführer. Kath. Kirchengemeinde St. Peter und Paul, Obermarchtal 1998, ISBN 3-00-003061-1
Manuela Oberst: Exercitium, Propaganda und Repräsentation. Die Dramen-, Periochen- und Librettosammlung der Prämonstratenserreichsabtei Marchtal (1657 bis 1778) (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 179). Kohlhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-020984-8.
Lyndal Roper: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung. C. H. Beck, München 2007.
Wilfried Schöntag: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Konstanz 6. Das reichsunmittelbare Prämonstratenserstift Marchtal. Germania Sacra, Dritte Folge 5. De Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-025312-2. (Digitalisat)
↑Maximilian Müller, Winfried Aßfalg: Ehemaliges Prämonstratenser Stift St. Peter und Paul Marchtal. Hrsg.: Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul. 2. Auflage. 2006, ISBN 3-00-003061-1, S.56.
↑Marchtaler Fenster. In: Gemeinde Obermarchtal. Archiviert vom Original am 8. August 2016; abgerufen am 4. April 2018.
↑Maximilian Müller, Winfried Aßfalg: Ehemaliges Prämonstratenser Stift St. Peter und Paul Marchtal. Hrsg.: Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul. 2. Auflage. 2006, ISBN 3-00-003061-1, S.56.