Die Kleine Bibernelle (Pimpinella saxifraga), auch Kleine Pimpinelle[1]Gemeine Bibernelle, Stein-Bibernelle, Steinbrechwurz, Steinpetersilie, Bockwurz, Pfefferkraut oder Bumbernell, kurz auch Bibernell und veraltet auch Bibenelle, genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Bibernellen (Pimpinella) innerhalb der Familie der Doldenblütler (Apiaceae).
Die Kleine Bibernelle ist eine ausdauerndekrautige Pflanze, die Wuchshöhen von selten 10 bis meist 40 bis 60 Zentimetern erreicht.[1] Der im Querschnitt runde, gerillte Stängel ist fast voll, kahl oder kurz anliegend behaart und besitzt im oberen Bereich nur spreitenlose Blattscheiden.[1] Die Wurzel verfärbt sich beim Anschneiden nicht[1] und ist spindelförmig mit einem starken Geruch und an ihrem Hals mit Faserschopf.[2]
Die Laubblätter sind grundständig und wechselständig am Stängel verteilt angeordnet. Die einfach gefiederten und lang gestielten Grundblätter besitzen rundlich-eiförmige stumpfe Fiederabschnitte mit grob gesägtem Blattrand und kahler Blattoberseite sowie locker behaarter Blattunterseite.[1] Die im Umriss länglichen und kahlen oder unterseits behaarten Stängelblätter sind sehr variabel. Zum Teil besitzen sie linealische, ganzrandige Fiederabschnitte, zum Teil sind die Stängelblätter zweifach fiedrig eingeschnitten. Die mittleren Stängelblätter sind auf ihren Blattscheiden sitzend.[2] Die oberen Stängelblätter besitzen mit linealisch, ganzrandige Blattabschnitte.[1] Die alleroberstren Stängelblätter sind bis auf die erweiterten und häutigen Blattscheiden reduziert.[2]
Generative Merkmale
Die Blütezeit reicht von Juni bis Oktober. Die relativ großen, auffälligen doppeldoldigenBlütenstände sind 8- bis 15-strahlig.[1] Charakteristisch für die Pimpinella-Arten ist das Fehlen von Hüllblättern, Hüllchenblättern und Kelchblättern.
Die Blüten sind fünfzählig. Die weißen, selten rosafarbenen Kronblätter sind bis etwa 1 Millimeter lang. Nach dem Abfallen der Kronblätter wird der Griffel gut sichtbar, er ist bis zu 1 Millimeter lang und kürzer als Frucht- und Griffelpolster zusammen.
Die 2 bis 2,5 Millimeter langen, mit undeutlichen Rippen versehenen, kahlen Früchte[1] sind am Grund schwach herzförmig und schon nach dem Verblühen länger als der Griffel. Sie sind im Querschnitt 1,5 bis 2 Millimeter dick. Sie sind am Grund fst herzförmig und zur Spitze hin halsartig verschmälert.[2]
Bei der Kleinen Bibernelle handelt es sich um einen Hemikryptophyten.
Die Kleine Bibernelle ist die Futterpflanze der Raupen des Bibernell-Widderchens und der Raupen der westasiatisch-mediterranen, in Deutschland äußerst seltenen Bibernell-Bergwieseneule (Sideridis lampra).[4]
Die Kleine Bibernelle ist in Europa, Zentralasien, Kleinasien und im Kaukasusraum heimisch.[5] In Europa reicht das Verbreitungsgebiet von Südeuropa bis Nordeuropa, vereinzelt bis zum 70° nördlicher Breite. Sie kommt in Europa fast in allen Ländern vor und fehlt nur in Portugal und in Island.[5] In den Allgäuer Alpen steigt sie bis zu einer Höhenlage von 2200 Metern auf.[6] Im Kanton Wallis steigt sie bis in Höhenlagen von 2160 Meter auf, in Graubünden im Münstertal oberhalb von Lü bis 2400 Meter.[2]
In Deutschland ist die Kleine Bibernelle vermutlich ein Archäophyt. Sie ist verbreitet, der Bestand ist durch Intensivierung der Bodennutzung aber sicher zurückgegangen. Dennoch ist sie nicht bedroht.
Die Kleine Bibernelle findet sich in einzelnen Pflanzenexemplaren an lichtreichen bis sonnigen, mäßig trockenen, nährstoffarmen, kalkhaltigen Stellen. Sie wächst gern auf Rohböden, in Trockenrasen und in Zwergstrauchheiden, gern in Gemeinschaft mit Flügelginster (Genista sagittalis). Die Kleine Bibernelle gilt als Magerzeiger. Sie ist in Mitteleuropa pflanzensoziologisch eine Charakterart der Klasse Festuco-Brometea, kommt aber auch in Gesellschaften der Verbände Violion oder Erico-Pinion vor.[7]
Die ökologischen Zeigerwerte nach Landoltet al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 3 (mäßig feucht), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 4 (neutral bis basisch), Temperaturzahl T = 4+ (warm-kollin), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 4 (subkontinental).[8]
Sie gehört zu einer Gruppe verwandter Arten, die als Pimpinella saxifraga agg. zusammengefasst werden können. Dazu gehören außer Pimpinella saxifragaL. beispielsweise noch:[5]
Alpen-Bibernelle (Pimpinella alpinaHost, Syn.: Pimpinella saxifraga subsp. alpina(Host) Nyman): Sie kommt in der Schweiz, in Österreich, in Bosnien-Herzegowina, in Nordmazedonien und in Rumänien vor.[5] Sie fehlt in Deutschland.[5] Die ökologischen Zeigerwerte nach Landoltet al. 2010 sind in der Schweiz für diese Art: Feuchtezahl F = 2+ (frisch), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 3 (schwach sauer bis neutral), Temperaturzahl T = 2+ (unter-subalpin und ober-montan), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 3 (subozeanisch bis subkontinental).[8]
Schwarze Kleine Bibernelle (Pimpinella nigraMill., Syn.: Pimpinella saxifraga subsp. nigra(Mill.) Ces.): Sie kommt von Frankreich und Schweden bis ins europäische Russland vor.[5] Die ökologischen Zeigerwerte nach Landoltet al. 2010 sind in der Schweiz für diese Art: Feuchtezahl F = 1+ (trocken), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 4 (neutral bis basisch), Temperaturzahl T = 3+ (unter-montan und ober-kollin), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 5 (kontinental).[8]
Je nach Autor gibt es auch weitere Unterarten (Auswahl):
Pimpinella saxifraga subsp. rupestrisWeide: Dieser Endemit kommt auf basaltischen Untergrund nur in Polen in der Kleinen Schneegrube (Mały Śnieżny Kocioł) des Riesengebirges vor.[2][9]
Medizinischer Nutzen
Die Samen und Wurzeln („Wurzelstock“) der Kleinen Bibernelle (über mittelhochdeutsch bibenelle von althochdeutsch bibinell aus lateinisch pimpinella[10] von piperinella und in Bezug auf den Geschmack bzw. Nachgeschmack möglicherweise als Pfefferkraut abgeleitet von piper, „Pfeffer“[11]) werden gesammelt und als Droge Pimpinellae radix verwendet.[12] Vor allem die Wurzel enthält 0,4 % ätherisches Öl und verschiedene Cumarinderivate, darunter vor allem Pimpillin. Die Droge hat einen würzigen Geruch, einen würzigen Geschmack und einen scharfen, beißenden Nachgeschmack.
Im Gebiet von Hohenzollern in Baden-Württemberg wurde das Ausstechen der Wurzeln besonders eifrig betrieben. So konnte man dort im Jahr 1917 einen täglichen Verdienst von 20 Reichsmark erreichen.[2]
Als medizinische Wirkungen werden genannt: Die Bibernellenwurzel wirkt schleimlösend und ein Sud kann bei Erkrankungen des Rachens gegurgelt werden. Getrunken wirkt der Sud als Magenmittel, aber auch harntreibend und menstruationsfördernd. In der Likörindustrie wird die Wurzel auch zur Aromatisierung von Magenbittern eingesetzt.
In alten medizinisch-pharmazeutischen Schriften unterschied man gelegentlich zwischen der Kleinen Bibernelle als Pimpinella germanica und der Pimpinella italica (zu deuten als Großer Wiesenknopf).[13]
Quellen
Literatur
Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Pteridophyta, Spermatophyta. 2. Auflage. Band V. Teil 2: Angiospermae: Dicotyledones 3 (2) (Cactaceae – Cornaceae). Carl Hanser bzw. Paul Parey, München bzw. Berlin/Hamburg 1966, ISBN 3-489-74021-1 (unveränderter Nachdruck von 1926 mit Nachtrag).
Oskar Sebald, Siegmund Seybold, Georg Philippi (Hrsg.): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. Band4: Spezieller Teil (Spermatophyta, Unterklasse Rosidae): Haloragaceae bis Apiaceae. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 1992, ISBN 3-8001-3315-6.
↑ abcdefgAlbert Thellung: Umbelliferae. S. 1202–1209, 1567–1568. In: Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 1. Auflage, unveränderter Textnachdruck Band V, Teil 2. Verlag Carl Hanser, München 1965.
↑Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S.711.
↑Helmut Genaust: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Birkhäuser, Basel/Stuttgart 1976, ISBN 3-7643-0755-2, S. 293.
↑Rudolf Hänsel: Hagers Handbuch Der Pharmazeutischen Praxis: Band 6: Drogen P-Z, Band 6 von Rudolf Hänsel, Konstantin Keller, Horst Rimpler (Herausgeber): Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis Series. Springer-Verlag, 1994, ISBN 978-3-540-52639-1: Google-Book-Online.: Pimpinella saxifraga auf S. 153–154.
↑Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 151 (Pimpinella).