Auf Anraten des Premierministers löste GeneralgouverneurinAdrienne Clarkson am 23. Mai 2004 das Parlament auf, knapp ein halbes Jahr vor Ende der Legislaturperiode. Lange Zeit waren politische Beobachter davon ausgegangen, dass Martin den Liberalen die vierte Mehrheitsregierung in Folge sichern würde. Im Februar 2004 begann aber der so genannte Sponsoring-Skandal in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken: Im Bestreben, die Provinz Québec nach dem knapp gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum von 1995 wieder stärker an das übrige Kanada zu binden, hatte die Bundesregierung zahlreiche Imagekampagnen zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls durchgeführt. Viele Aufträge waren dabei an Werbefirmen gegangen, die Mitgliedern der Liberalen Partei gehörten. Meinungsumfragen ergaben sinkende Zustimmungswerte für die Liberalen. Mit der Ausrufung einer vorgezogenen Neuwahl hoffte Martin, zumindest eine Minderheitsregierung bilden zu können, bevor der Skandal noch weitere Kreise ziehen würde.
Ende 2003 waren die Progressiv-konservative Partei und die Kanadische Allianz in den Meinungsumfragen weit abgeschlagen; sie deckten ungefähr dasselbe politische Spektrum ab. Um die seit einem Jahrzehnt bestehende Zersplitterung im rechten Lager zu überwinden, fusionierten beide Parteien am 6. Dezember 2003 zur neuen Konservativen Partei. Diese wurde ab März 2004 von Stephen Harper angeführt. Auch die sozialdemokratische Neue Demokratische Partei (NDP) hatte im Januar 2003 mit Jack Layton einen neuen Vorsitzenden gewählt. Der separatistische Bloc Québécois stieg erneut mit Gilles Duceppe an der Spitze ins Rennen.
Zwar blieben die Liberalen stärkste Kraft, doch erhielten sie (wie in den Meinungsumfragen prognostiziert) keine absolute Mehrheit. Theoretisch hätten sie zusammen mit der NDP und einem Unabhängigen eine Koalition bilden können, doch wäre diese mit nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit instabil gewesen. Martin zog es vor, eine Minderheitsregierung zu bilden und von Fall zu Fall mit unterschiedlichen Parteien zusammenzuarbeiten. Obschon die Konservativen über acht Prozentpunkte unter dem kumulierten Ergebnis von Progressiv-Konservativen und Kanadischer Allianz vier Jahre zuvor blieben, führte die wegfallende Zersplitterung zum Gewinn von 21 Sitzen. Harper wurde Oppositionsführer. Sowohl der Bloc Québécois als auch die NDP konnten sich verbessern.
Die Wahlbeteiligung betrug 60,9 % und war so gering wie nie zuvor.[1]