Bereits 1719 immatrikulierte sich Johann Samuel Friedrich Böhmer, ebenso wie später auch sein jüngerer Bruder Georg Ludwig Böhmer, für das Jurastudium bei seinem Vater Justus Henning Böhmer an der 1694 gegründeten Universität Halle, der heutigen Martin-Luther-Universität Halle.[3][4][5][6] Nachdem er im Jahre 1725 zum Doktor beider Rechtepromoviert worden war, machte er die damals übliche gelehrte Reise und wurde bereits 1726 zum ordentlichen Professor der Rechte und Beisitzer der Juristenfakultät in Halle berufen. In dieser Eigenschaft verwaltete er drei Jahre lang das Dekanat. Im Jahre 1733 folgte die Ernennung zum Ordinarius des Spruchkollegiums. 1739[3][7] oder 1740[6] ernannte ihn Friedrich Wilhelm I., König in Preußen, zum Hofrat. 1739 verlieh ihm Günther XLIII. Fürst von Schwarzburg-Sondershausen im Auftrag von Kaiser Karl VI. die Privilegien eines Hofpfalzgrafen (Comes Palatinus minor).[8][5] 1746 sollte er auf Empfehlung des Königs als Reichskammergerichtsassessor in Wetzlar eingesetzt werden, doch aus Sorge um seinen alten Vater lehnte er dieses Angebot ab und blieb zunächst in Halle. Dort nahm er sich jetzt mit seinem jüngeren Bruder Karl August von Böhmer die Zeit, die zahlreichen Gutachten und Entscheidungen seines Vaters zu sammeln und noch zu dessen Lebzeiten herauszugeben. 1749 ernannte ihn Friedrich II., König in Preußen, zum Geheimrat.[9] Als im Mai 1749 Johann Lorenz Fleischer, Direktor der Brandenburgischen Universität Frankfurt, verstarb, sandte Justus Henning Böhmer zu Gunsten seines Sohns Johann Samuel Friedrich ein Empfehlungsschreiben an den preußischen Minister und Großkanzler Samuel von Cocceji, aber erst nach dem Tod des Vaters im August 1749 nahm der Sohn die Berufung zum Ersten Professor der Rechte und Ordinarius der juristischen Fakultät und zum Direktor der Universität an und zog Ostern 1750 nach Frankfurt (Oder). Das Direktorium war geschaffen worden, um die Aufsicht über die Professoren zu verbessern, denen die Studenten in einer schriftlichen Eingabe „Faulheit und Ungerechtigkeit“ vorgeworfen hatten. Böhmer galt offenbar als besonders durchsetzungsfähig, wurde doch sein Wechsel von Halle nach Frankfurt (Oder) von der Befürchtung König Friedrichs II. begleitet, dass Halle dadurch in „decadence“ fallen könne.
Juristische Verdienste
Schon früh spezialisierte sich Böhmer auf dem Gebiet des Strafrechts, seiner aktuellen Auslegungstradition und möglicher Reformansätze. Durch seine drei Hauptwerke stellt er das bisherige Strafrecht auf eine neue, systematisch aufgebaute Grundlage, ohne dabei Traditionelles ganz abzulehnen. Im ersten dieser Werke, den „Elementa jurisprudentiae criminalis“, macht Böhmer sich um die Systematik des Strafrechts einschließlich der Prozessordnung verdient. Dieses Lehrbuch gilt als das erste Strafrechtslehrbuch von wissenschaftlicher Bedeutung und diente anderen Professoren weit über seinen Tod hinaus als Grundlage für ihre Vorlesungen. Sein zweites Werk, die „Observationes selectae ad Bened.Carpzovii practicam novam rerum criminalium“ (1759), schwächten den Einfluss des seit dem 17. Jahrhundert maßgeblichen Strafrechtsdogmatikers Benedikt Carpzovs des Jüngeren beträchtlich und förderte die Angleichung der bis dahin geltenden Strafrechtslehre an die Forderungen der Zeit. Dieses Werk gilt als Markstein in der deutschen Strafrechtsentwicklung. Dabei war er bestrebt, durch die Definition fester Grundsätze Willkür für die Praxis zu vermeiden. Kurz vor seinem Tode schrieb Böhmer in seinem Werk „Meditationes in Constitutionem Criminalem Carolinam“ (1770) einen umfassenden Kommentar zum damals geltenden deutschen Strafgesetzbuch, der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 („Carolina“). Noch heute gilt dieser Kommentar als die gründlichste und wissenschaftlich erschöpfendste Erläuterung dieses Gesetzes.
Zusätzlich machte sich Böhmer in diesem Zeitalter der Aufklärung dafür stark, dass sich das Strafrecht von der vorherrschenden „theokratischen Rechts- und Staatsauffassung, dem Territorialsystem und der Reichsunmittelbarkeit“ löst und es „vom Menschen her kommend und seinem irdischen Leben dienend“ bestimmt ist. Damit führte er fort, was bereits sein Vater bei seinen Reformenvorschlägen zum natürlichen Recht und zu einem Kollegialsystem zu verwirklichen begonnen hatte.
Für seine vielseitigen Verdienste auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften und der Verwaltung wurde Böhmer am 8. März 1770, also zwei Jahre vor seinem Tod, vom König Friedrich II. in den preußischen erblichen Adelsstand erhoben.
Kritik
Auch von Böhmer war ein Kind seiner Zeit. Aufkommenden aufklärerischen Forderungen nach allgemeiner Strafmilderung stand er im Wesentlichen ablehnend gegenüber, insbesondere bei qualifiziertem Diebstahl, Kindestötung und Brandstiftung. In seinem dritten Hauptwerk, der „Carolina“, beharrt er in Fällen der Schwerstkriminalität auf einer harten Vorgehensweise. Immerhin differenziert und definiert von Böhmer aber bei der Anwendung des Strafmaßes gleichzeitig durch neue Begriffe wie Vorsatz, Teilnahme, Notwehr, Rechtsirrtum sowie individuelle Argumente. Ähnlich ambivalent akzeptiert er beispielsweise, dass die damals übliche Folter als Mittel der Beweisführung für ein mit der Todesstrafe zu ahndendes Verbrechen durchaus beibehalten werden könne, stellt aber im Gegensatz dazu die Beweisführung auf Grund reiner Indizien auf eine neue Rechtsgrundlage.
Zusammenfassend äußerte Uwe Scheffler 1994 in seiner Antrittsvorlesung vor der Universität Frankfurt (Oder): Böhmer bleibe ihm trotz aller Verdienste als „konservativer Befürworter von Folter und Todesstrafe“ fremd, so dass er sich für ihn „kaum als wissenschaftliches oder menschliches Vorbild“ eigne.[10]
Familie
Johann Samuel Friedrich von Böhmer war verheiratet mit Catharina Charlotte Stahl (1717–1784), Tochter des Hofrates und königlichen LeibarztesGeorg Ernst Stahl (1659–1734) und seiner dritten Ehefrau Regina Elisabeth Wesener (1683–1730). Mit ihr hatte er zehn Kinder, darunter den LegationsratGeorg Friedrich von Böhmer (1739–1797), der durch Friedrich den Großen zum Legationssekretär am Hofe Kaiser Josephs II. in Wien ernannt wurde und Preußen beim „Immerwährenden Reichstag“ in Regensburg und an den Höfen mehrerer Fürstentümer des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation vertrat, sowie den Regierungs- und Oberkonsitorialdirektor Christian Wilhelm von Böhmer (1745–1803). Johann Samuel von Böhmer ist zugleich der Stammvater des Zweiges der Familie, von dem alle derzeitigen adeligen Namensträger abstammen. Die weiteren acht Kinder sind:
Justus Ernst von Böhmer (1736–1797)
Eleonore Henriette von Böhmer (* 1738)
Johann Heinrich von Böhmer (1740–1743)
Samuel Gustav Böhmer (1741–1742)
Johanna Elisabeth von Böhmer (1742–1782); heiratete 1766 Peter Immanuel Hartmann (1727–1791), Arzt und Professor für Medizin sowie Mitglied der „Leopoldina“ .
Johanna Luise Sophie von Böhmer (1747–1781), heiratete Otto Christoph Eltester (1734–1812).
Hans-Thorald Michaelis: Geschichte der Familie von Boehmer – In Fortführung der von Hugo Erich von Boehmer im Jahre 1892 verfassten Genealogie der von Justus Henning Boehmer abstammenden Familien Boehmer und von Boehmer sowie auch einiger der mit ihnen verschwägerten Familien. Rheinische Verlagsanstalt, Bonn-Bad Godesberg 1978, in der DNB und in der Library of Congress.
Uwe Scheffler: J.S.F. von Böhmer (1704–1772) und der dolus eventualis – Kann der große Professor der alten Viadrina dem heutigen Strafrecht noch etwas geben? In: Juristische Ausbildung 1994, S. 349 ff.
Uwe Scheffler: Kein Genie, aber doch irgendwie genial, 22 Jahre lehrte Samuel Friedrich von Boehmer an der Frankfurter Universität Viadrina. In: Märkische Oderzeitung. 12./13. November 1994.
Uwe Scheffler: Festvortrag zur Übergabe eines Ölbildnisses von Johann Samuel Friedrich von Böhmer in Frankfurt (Oder) am 28. November 2013, in: Frankfurter Jahrbuch 2013/2014 S. 51–59
↑Die Schreibweise „Boehmer“ hat sich erst postum durchgesetzt. Dagegen war zeitlebens in lateinischen Texten die Schreibweise „Böhmerus“ etc. sowohl in von ihm selbst verfassten Schriften vorherrschend (beispielsweise in seiner Dissertation, seinen Vorlesungsankündigungen und großen Werken wie den Elementa), als auch in Schriften Dritter, die ihn benannten (beispielsweise in von ihm betreuten Dissertationen). Auch in deutschen Texten wie etwa den Nachschlagewerken ADB und NDB und in Teilen der Sekundärliteratur wurde die Schreibweise „Böhmer“ über seinen Tod hinaus verwendet.
↑Friedrich Wilhelm I. am 25. Mai 1739 an die Universität Halle: Notification, daß ihr Profess. Juris Böhmer, zum Hoff-Rath allergnädigst bestellet und angenommen worden. In: Universitätsarchiv Halle-Wittenberg: Rep. 3, Nr. 241: Bestallung und Besoldung der Professoren der Juristischen Fakultät (Bd. 2), 1730–1754.
↑Günther XLIII. Fürst von Schwarzburg-Sondershausen: Ernennung des Johann Samuel Friedrich Böhmer zum Hofpfalzgrafen am 21. April 1739, Staatsarchiv Rudolstadt, Geheimes Konsilium Sondershausen Nr. 1302.
↑Uwe Scheffler: J. S. F. von Böhmer (1704-1772) und der dolus eventualis - Kann der große Professor der alten Viadrina dem heutigen Strafrecht noch etwas geben ? Antrittsvorlesung vor der Universität Frankfurt (Oder), 7. Juni 1994, Online als pdf [1]