Die Italiensehnsucht der Deutschen ist spätestens seit GoethesItalienischer Reise zum Topos, ja zum Inbegriff für Bildung schlechthin, geworden. Doch sie ist auf weit ältere Zeiten zurückzuführen und hatte bis in das 20. Jahrhundert eine große Bedeutung.
Das Heilige Römische Reich, das aus dem Reich Karls des Großen hervorging, verstand sich als Wiederherstellung und Fortsetzung des Imperium Romanum (daher römisch) unter christlichen Vorzeichen (daher heilig). Die Renovatio imperii war insbesondere das Programm Ottos III. und Friedrich Barbarossas und hatte ihren Fixpunkt in Italien, zunächst in Rom, wo durch den Papst die Kaiserwürde verliehen wurde, zu Barbarossas Zeiten dann in den oberitalienischen Städten, weil deren Steueraufkommen weit höher war als das des übrigen Reiches, später dann als Erinnerung an den alten Glanz des Stauferreiches unter Friedrich II., der in der Kyffhäusersage freilich mit Friedrich Barbarossa verschmolz.
18. und 19. Jahrhundert
In der Renaissance wurde Italien zum Mittelpunkt der kulturellen Erneuerung und blieb daher bis ins 19. Jahrhundert der bevorzugte Studienort bildender Künstler.
Das Ende des 18. und der Beginn des 19. Jahrhunderts, eine Epoche, die kunstgeschichtlich auch als Klassizismus bezeichnet wird, ist gekennzeichnet durch eine Italiensehnsucht beziehungsweise eine Sehnsucht nach den klassischen Altertümern. Das macht sich daran bemerkbar, dass viele Dichter, Maler, Bildhauer und Architekten nach Italien gegangen sind und sich als Deutschrömer in Rom niederließen, um sich in der Originallandschaft ihren Eindruck zu verschaffen. Außer der räumlichen Nähe war Italien auch deswegen bevorzugt, weil Griechenland zu dieser Zeit Teil des Osmanischen Reichs und daher sehr viel schwieriger zu bereisen war. Um Spuren der griechischen Kultur zu sehen, suchte man daher die ehemaligen griechischen Kolonien in Unteritalien und Sizilien auf.
Deutschsprachige Künstler, die sich zum Studium in Rom aufhielten, gründeten 1845 dort auf der Grundlage der 1813/1814 entstandenen Ponte-Molle-Gesellschaft den Deutschen Künstlerverein.
20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert kam die deutsche Sehnsucht nach Italien in zahlreichen romantischen Schlagern zum Ausdruck. In den späten 1940er Jahren wurde das Lied Capri-Fischer in der Aufnahme von Rudi Schuricke zu einem Welterfolg.
Michael Matheus (Hrsg.): Ninfa. Percezioni nella scienza, letteratura e belle arti nel XIX e all’inizio del XX secolo. Regensburg, 2022.
Wilhelm Waetzoldt: Das klassische Land. Wandlungen der Italiensehnsucht. Seemann, Leipzig 1927.
Christina Ujma: Fanny Lewalds urbanes Arkadien, Studien zu Stadt, Kunst und Politik in ihren italienischen Reiseberichten aus Vormärz, Nachmärz und Gründerzeit, Aisthesis Verlag Bielefeld 2007.
Matthias Bleyl: Sehnsucht nach Italien – heute: Eine Untersuchung zum Thema Malerei, Nürnberg 1995
Harald Siebenmorgen (Hrsg.): „Wenn bei Capri die rote Sonne …“ Die Italiensehnsucht der Deutschen im 20. Jahrhundert. INFO-VG, Karlsruhe 1997, ISBN 3-88190-216-3 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, 31. Mai – 14. September 1997).
Im Land der Sehnsucht. Mit Bleistift und Kamera durch Italien 1820 bis 1880. Katalog der Kunsthalle Bremen. Bremen 1998, ISBN 3-89165-113-9.
Hildegard Wiegel (Hrsg.): Italiensehnsucht. Kunsthistorische Aspekte eines Topos. Deutscher Kunstverlag, München 2004, ISBN 3-422-06447-8.
Kennst du das Land. Italienbilder der Goethezeit. Katalog München, Neue Pinakothek. Pinakothek-Dumont, München 2005, ISBN 3-8321-7519-9.
Sehnsucht nach dem Süden. Oldenburger Maler sehen Italien. Katalog des Landesmuseums im Oldenburger Schloss. Oldenburg 2000, ISBN 3-89598-676-3.
Michael Rüppel: »Zwischen Nationalstolz und Italiensehnsucht – Wilhelm Christian Müller als Reiseschriftsteller«, in: Wilhelm Christian Müller. Beiträge zur Musik- und Kulturgeschichte Bremens um 1800, hrsg. v. Christian Kämpf, Bremen 2016, S. 153–168, ISBN 978-3-944552-88-0.
↑Die Italienaufenthalte von Musikern des Barock wie etwa der von Heinrich Schütz und Georg Friedrich Händel dienten vor allem dem Studium der italienischen Musik und nicht so sehr dem Studium von Landschaft und Volkscharakter.