Hans Hoffmann übt gerne auf öffentlichen Toiletten homosexuelle Praktiken aus. Mal masturbiert er gemeinsam mit anderen, mal hat er Oral- oder Analverkehr. Im Jahr 1968 muss Hans für 24 Monate ins Gefängnis, und es ist nicht das erste Mal, dass er wegen eines Verstoßes gegen den damals in Westdeutschland geltenden § 175StGB einsitzt, der homosexuellen Verkehr unter Männern verbietet. Bereits 1945 hatte man ihn zwar aus dem Konzentrationslager gerettet, doch anschließend direkt ins Gefängnis geworfen. Dort begegnete er erstmals Viktor Bix, der keinen Hehl aus seinem Abscheu für Hans und dessen Neigungen machte. Und dann saß Hans in den 1950er Jahren noch einmal ein, nachdem man ihn mit seiner großen Liebe geschnappt hatte.
Zwanzig Jahre nach seiner ersten Bekanntschaft mit Viktor muss nun Hans seinem ehemaligen Zellengenossen helfen. Der ist während seines langen Gefängnisaufenthalts drogenabhängig geworden, steht kurz vor seiner dritten Anhörung und hofft, vielleicht endlich doch noch entlassen zu werden.[4][5][6]
Für Regisseur und Drehbuchautor Sebastian Meise war dies nach dem Spielfilm Stillleben (2011) und dem Dokumentarfilm Outing (2012) sein dritter Langfilm.[5] Die beiden Hauptrollen von Hans Hoffmann und Viktor besetzte er mit dem deutschen Schauspieler Franz Rogowski und dem österreichischen Schauspieler Georg Friedrich.
Auf Geschichten wie der von Hans sei der Regisseur bei seinen Recherchen für den Film zuhauf gestoßen. Schwule hätten in Alliierten-Gefängnissen ihre Reststrafe absitzen müssen, weil Amerikaner und Briten in ihren Ländern ähnliche Gesetze gehabt hätten, somit sei die Verurteilung durch die Nazis in ihren Augen rechtens gewesen, so Meise.
In der Nachkriegsgesellschaft sei es „absolut konsensfähig“ gewesen, männliche Homosexualität als Straftat zu betrachten, und immer wieder seien Versuche gescheitert, den Paragrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch streichen zu lassen. Zwar sei die Gesellschaft heute diverser, und es habe sich viel geändert, dennoch sei es auch heute noch nicht so einfach, in der Schule sein Coming-out zu haben und zu sagen, dass man schwul ist.[9]
In Vorbereitung auf den Film hatten er und sein Mitautor Thomas Reider Berichte von schwulen Männern gelesen, die nach dem Krieg aus dem KZ kamen und direkt vom KZ aus ins Gefängnis transferiert wurden, um dort gemäß dem Paragrafen 175 ihre Reststrafe abzusitzen.
In Österreich habe es einen ähnlichen Paragrafen gegeben, den Paragrafen 129, so der Regisseur. Die Recherchen hätten gezeigt, mit welchem unglaublichen Aufwand der Staat damals agierte.[10] Man traf in Berlin und Wien von der Verfolgung betroffene ältere Schwule, die wegen des deutschen oder des österreichischen Paragrafen im Gefängnis saßen.[11]
Der Film spielt 1945, 1957 und 1968 und somit in Jahren, die für die Befreiung vom Nationalsozialismus beziehungsweise für die sexuelle Revolution stehen, jedoch nicht für Hans, der von einem System, das ihn verfolgt, in das nächste gerät und den Film so fast dystopisch wirken lässt.[11] Auch der Schauplatz Deutschland sei für die erzählte Geschichte austauschbar, so Meise.[11]
Dreharbeiten, Szenenbild und Kostüme
Die Dreharbeiten fanden an 32 Drehtagen ab Februar 2020 in einem leerstehenden Gefängnis in Magdeburg statt.[12][4][11] Die Rückblicke in die Freiheit erzählt der Film über Super-8-Bilder aus einer Überwachungskamera.[10] So werden die Figuren in ständiger Überwachung gezeigt, die sich ihre kleinen Freiräume erkämpfen müssen.[11] Die Kamera führte Crystel Fournier. Für den Ton zeichnete Jörg Theil verantwortlich, für das Kostümbild Tanja Hausner und Andrea Hölzl und für das Szenenbild Michael Randel.[4][12]
Am 30. September 2021 eröffnete Große Freiheit das Filmfest Hamburg.[17] Ebenfalls im September 2021 wurde er bei der Filmkunstmesse Leipzig gezeigt[18], hiernach beim Busan International Film Festival[19] und Ende Oktober 2021 im Rahmen der Viennale.[20] Der deutsche Kinostart erfolgte am 18. November 2021, in Österreich am 19. November 2021.[4] In Deutschland wurde der Film von der FSK ab 16 Jahren freigegeben. In der Freigabebegründung heißt es, der Film konzentriere sich ganz auf die sehr einfühlsam gezeichneten Figuren und schildere eindringlich die brutale historische Verfolgung von Homosexualität. In diesem Kontext zeige er auch Gewalt und sexuelle Handlungen, die jedoch gut in die Erzählung eingebettet und nicht voyeuristisch inszeniert seien.[21]
Das Onlineportal kinofenster.de empfiehlt Große Freiheit ab der 11. Klasse für die Unterrichtsfächer Geschichte, Politik, Ethik, Religion, Sozialkunde/Gemeinschaftskunde und Deutsch und bietet Materialien zum Film für den Unterricht. Jan Künemund schreibt dort, obwohl der Film historisch genau situiert ist, rücke er sein Thema des staatlichen Eingriffs in die individuellen Freiheiten durch die Abstraktion des Ortes und die Konkretion der Beziehung sehr nah an die Gegenwart heran. Genau hier liege auch ein möglicher Einstieg für Filmanalysen im Rahmen des Oberstufenunterrichts. Dazu könne man Foucaults Begriff des Panoptismus recherchieren und diskutieren, wie permanente Überwachung zur Internalisierung von Machtbeziehungen führt.[25]
Auf der vom österreichischen Filmverleih Filmladen initiierten Website „Kino macht Schule“, die sich an Lehrerinnen und Lehrer richtet, die mit dem Medium Film im Unterricht vertiefend arbeiten wollen, werden Materialien und Bilder für Schulzwecke als Download angeboten.[26] Das Institut für Kino und Filmkultur hat zudem Material für die Schule und die Erwachsenenbildung erarbeitet.[27]
Kritiken
Der Film konnte bislang 97 Prozent aller bei Rotten Tomatoes erfassten Kritiken überzeugen und erhielt hierbei eine durchschnittliche Bewertung von 8,1 der möglichen 10 Punkte.[28] Auf Metacritic erhielt der Film einen Metascore von 89 von 100 möglichen Punkten.[29]
Von der Filmzeitschrift epd Film wurde Große Freiheit zum Film des Monats November 2021 bestimmt.[30] Zudem war der Film der Kinotipp desselben Monats der Jury der katholischen Filmkritik des Filmdiensts. Die Jury überzeugte Große Freiheit als herausragendes Schauspielerkino, auch wenn der Film keine leichte Kost sei. An dem Protagonisten Hans beeindruckte die Jury die Tatsache, dass dieser trotz Unrecht, Ausgrenzung und Ablehnung nicht verbittert, sondern „grundsätzlich anderen Menschen zugewandt bleibt“. Anhand der Figur formuliere der Film eindringlich „die existenzielle Frage nach dem, was den Menschen zum Menschen macht“.[31]
Guy Lodge von Variety schreibt, in Sebastian Meises und Thomas Reiders elegant strukturiertem Drehbuch, das sich in und aus Zeitlinien gräbt, vergingen die Jahre im Handumdrehen, um das Gefühl zu vermitteln, dass die Zeit gleichzeitig vergeht und ins Stocken gerät. Meise schaffe Momente taktiler Intimität inmitten dieser strengen Umgebung, und der wichtigste von ihnen sei, als Viktor seinem Mitgefangenen Hans anbietet, die Lagernummer auf seinem Unterarm zu entfernen, so Lodge. Meise interessiere sich nicht besonders für saubere moralische Aussagen, Große Freiheit handele vielmehr von diesen beiden Verbündeten, jeder mit seinen eigenen Fehlern, aber beide unter verzweifelten Umständen lebend. So sei es Meise gelungen, den anhaltenden Schaden zu verdeutlichen, den der Paragraf 175 in einer vermeintlich befreiteren Nachkriegsgesellschaft verursacht hat.[32]
Katja Nicodemus schreibt in der Zeit, Große Freiheit sei ein Film der Körper, der Rebellion und der Hoffnung, obwohl er fast ausschließlich im Gefängnis spielt. Franz Rogowski verströme in der Rolle des Hans den Stolz eines Menschen, der sich die Liebe nicht verbieten lässt. Dabei bildeten Szenen, in denen Hans zur Strafe für sein „Fehlverhalten“ in eine lichtlose Einzelzelle gesperrt wird, eine Art Scharnier der Jahre und Jahrzehnte. Was ihn und Viktor verbindet, so als ihm dieser durch die Klappe Zigaretten und Streichhölzer in die Dunkelheit wirft, könne man Freundschaft, Zuneigung, Liebe oder Erotik nennen, oder aber man vergisst die Bezeichnungen und schaut sich diesen beeindruckenden Film und seine großartigen Schauspieler einfach an.[33]
Thomas Abeltshauser erklärt in der taz, Hans sei ein Aussätziger unter Mördern und anderen Schwerverbrechern und werde entsprechend behandelt. Nachdem er in eine Zelle mit dem heterosexuellen verurteilten Mörder Viktor gesteckt wird, der zunächst nur Abscheu für den „Perversen“ übrig hat, entwickele sich ganz langsam über alle Differenzen hinweg doch eine Art vorsichtiger Respekt und schließlich so etwas wie Freundschaft und Zuneigung. Rogowski und Georg Friedrich spielten das sehr eindrücklich, so Abeltshauser, gerade weil sie so zurückgenommen mit feinen Gesten agieren.[34]
Auszeichnungen und Nominierungen
Große Freiheit erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Nominierungen; im Folgenden eine Auswahl: