Der Gemeine Augentrost oder Große Augentrost, auch Wiesen-Augentrost genannt (Euphrasia officinalis, Euphrasia rostkoviana, Euphrasia officinalis subsp. rostkoviana), ist eine Wiesenpflanze aus der Familie der Sommerwurzgewächse (Orobanchaceae).
Wie viele der Pflanzen, die in der Heilkunde Verwendung finden, trägt auch der Gemeine Augentrost eine Reihe deutschsprachiger Trivialnamen. Weitere Namen für die Pflanzen-Art sind Augendank, Augustinuskraut, Gibinix, Grummetblume, Herbstblümle, Heuschelm, Milchschelen oder Wegleuchte sowie (lateinisch) Adhil.
Den weiteren Namen Wiesenwolf verdankt der Augentrost seinen Saugwurzeln, mit denen er benachbarten Gräsern Mineralien und Nährstoffe direkt aus deren Wurzeln entzieht und so deren Wachstum hemmen kann (Halbschmarotzer). Aus dieser Eigenschaft resultiert auch der Name Milchdieb, da durch den schlechteren Wuchs der Gräser der Ertrag des Weideviehs gemindert werden kann.
Die wissenschaftliche Einteilung der Gattung Augentrost ist umstritten. Teilweise wird Euphrasia rostkoviana (benannt auch Euphrasia officinalisL. p. p.[1]) weiteren ähnlichen Pflanzen (z. B. Euphrasia picta, Euphrasia kerneri oder Euphrasia stricta) zu Euphrasia officinalis zusammengefasst und dann als Unterart Euphrasia officinalis subsp. rostkoviana angesprochen.
Beschreibung
Die einjährige krautige Pflanze erreicht eine Wuchshöhe von 5 bis 25 cm. Die Blüten sind weiß, häufig violett geadert und haben auf den unteren Blütenblättern einen gelben Fleck. Die Blätter sind knapp einen Zentimeter lang, kreuzweise gegenständig, ungestielt, eiförmig-länglich und gekerbt gezähnt. Wie der gesamte Blütenstand sind sie dicht drüsenhaarig.
Man kann bei Euphrasia rostkoviana folgende Unterarten unterscheiden[3]:
Euphrasia rostkovianaHayne subsp. rostkoviana
Euphrasia rostkoviana subsp. campestris(Jord.) P. Fourn.: Sie kommt in Frankreich, Belgien, Italien, in der Schweiz, in Deutschland, im früheren Jugoslawien und in Bulgarien vor.[3]
Euphrasia rostkoviana subsp. fennica(Kihlm.) Karlsson: Sie kommt in Finnland, Schweden, Litauen, Lettland, Estland, in Russland, Belarus und in der Ukraine vor.[3]
Der Große Augentrost ist ein einjähriger Halbschmarotzer auf Wiesenpflanzen; seine Samen sind nur in deren Einflussbereich keimfähig. Mit Hilfe von Saugwurzeln wird das Xylem von Wirtspflanzen angezapft. Die Art zeigt Saisondimorphismus, d. h. im Sommer und im Herbst heranwachsende Pflanzen haben eine unterschiedliche Gestalt.
Die Blüten sind vorweibliche „Eigentliche Lippenblumen“. Bei Berührung der Staubbeutel rieselt der trockene Pollen auf die Blütenbesucher herab. Bestäuber sind besonders Bienen und Schwebfliegen. Die Absonderung von Nektar erfolgt an der Unterseite des Fruchtknotens. Die gelben Saftmale der Blüten werden auch als Staubblattattrappen gedeutet, weil die Bestäuber die Blüten auch außerhalb der männlichen Phase anfliegen. Bei älteren Blüten ist Selbstbestäubung möglich, indem sich durch Wachstum der Blütenkrone Staubbeutel und Narbe berühren. Die Blütezeit ist in Mitteleuropa von Juli bis September.
Die Früchte sind 2-klappige Kapseln, die sich in trockenem Zustand etwas spreizend öffnen und damit als Wind- und Tierstreuer wirken. Die ganze Pflanze wird u. a. wegen der grannig gezahnten Deckblätter auch mit Heu oder Tierfellen verbreitet, was einer Zufalls- und Klettausbreitung entspricht. Die Samen selbst breiten sich als Körnchenflieger aus. Fruchtreife ist von September bis Oktober.
Vorkommen
Der Wiesen-Augentrost kommt in fast allen Ländern Europas vor, außerdem in der Türkei und in Georgien.[4]
Als Standort werden frische (Mager-)Wiesen und Weiderasen bis in Höhenlagen von 2300 m NN bevorzugt. Die Art ist in Mitteleuropa eine Charakterart der Klasse Molinio-Arrhenatheretea. Sie kommt besonders in montanen Gesellschaften der Arrhenatheretalia vor, aber auch in denen der Verbände Violion oder Mesobromion.[2]
Die Blütezeit ist in Mitteleuropa von Juli bis September. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in Mittel-, West- und Südeuropa. In Österreich ist diese Art häufig in allen Bundesländern anzutreffen.
Verwendung in der Augenheilkunde
Der erstmals als euphrasia um 1165[5] genannte Augentrost wird belegbar seit dem 13. Jahrhundert als Augenheilmittel verwendet.[6] Als Heildroge dienen die getrockneten, während der Blütezeit geernteten oberirdischen Teile, aber auch die ganze frische Pflanze.
Gegen die innerliche Verwendung als Tee bestehen keine Bedenken; die äußerliche Anwendung in Form von Waschungen, Umschlägen und Bädern am Auge wird aus hygienischen Gründen dagegen nicht empfohlen, da die Zubereitungen oft nicht schwebstoff- und keimfrei sind. Gegen sterile Zubereitungen sei nichts einzuwenden.
Der dem katalanischen Arzt Arnaldus de Villanova zugeschriebene Liber de vinis – in Afrika entstanden, 1358 ins Hebräische übersetzt und spätestens um 1400 als niederfränkische Handschrift im Umlauf – wurde im Jahre 1478 durch Wilhelm von Hirnkofen gestrafft ins Hochdeutsche übertragen und in Esslingen gedruckt. In dieser Inkunabel wurde empfohlen, Augentrostkraut in Most einzulegen und so Augentrostwein (lateinisch vinum eufragiae, vinum eufragiatum, genannt auch euphrasia[12])[13] herzustellen, der nach der Qualitätenlehre heiß und trocken sei und sich damit besonders zur Behandlung von Augenerkrankungen der „Phlegmatiker“ und der an Alterssehschwäche Leidenden eignen würde.[14][15][16][17]
Eine Nürnberger Handschrift vom Jahre 1474 (Cpg 545) erwähnte ein aus „augen tropff“ oder „augen trost“ gebranntes Wasser, welches zur äußerlichen und innerlichen Anwendung bei akuten und chronischen Augenerkrankungen empfohlen wurde. Auch in dem Michael Puff zugeschriebenen Büchlein von den ausgebrannten Wässern wurde „ewfrasia wasser das ist augen trost“ erwähnt und für Erkrankungen der Augen im Winter empfohlen.
Durch Abbildung und Beschreibung wurde „eufragia“ – „augendroist“ – arabice „herba adhill“ 1479 durch Vitus Auslasser und 1485 im Mainzer Gart der Gesundheit sicher als Gemeiner Augentrost gedeutet. In seinem Kleinen Destillierbuch vom Jahre 1500 berichtete Hieronymus Brunschwig von einer „küngin von Engelant“, die ein besonders wirksames Augentrost-Wasser allein aus den Blüten brannte. Dies habe ihm Hans Heinrich, der Arzt der Königin, gesagt.
In seinem Kräuterbuch vom Jahre 1539 zählte Hieronymus Bock vier Pflanzenarten auf, die zu seiner Zeit den Namen „Augentrost“ führten. Bei den Nürnberger Apothekern war es die Große Sternmiere, bei den Straßburgern der Gemeine Augentrost („edel Augentrost der Straßburger“). Auch zwei Vergissmeinnicht-Arten, das Sumpf-Vergissmeinnicht und das Acker-Vergissmeinnicht wurden – ohne dass Bock den Ort angab – „Augentrost“ genannt.[18][19]
Willem Frans Daems (gemeinsam mit Mientje Daems und Gundolf Keil): Euphrasia. Beiträge zur mittelalterlichen Pharmakologie des Augentrosts und der Erdbeere. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 14, 1996, S. 253–260 (aus dem Niederländischen übersetzte und an den neueren Forschungsstand angepasste Bearbeitung von: Willem Frans Daems: Bijdrage tot de geschiedenis van Euphrasia. In: Scientiarum Historia. Band 4, 1962, S. 53–62).
Willem Frans Daems: Bijdrage tot de geschiedenis van Euphrasia. In: Scientarum Historia. Band 4, 1962, S. 53–62.
Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Portrait. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1.
Günther Neidhardt: Euphrasia rostkowiana Hayne, der Augentrost. In: Pharmazie, Ergänzungsband I, Beiheft 3, Berlin 1947.
↑ abErich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S.853–854.
↑Euphrasia im Germplasm Resources Information Network (GRIN), USDA, ARS, National Genetic Resources Program. National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Abgerufen am 29. Januar 2018.
↑Hans Balzli (Hrsg.): Vokabularien im Codex Salernitanusder Breslauer Stadtbibliothek (Nr. 1302) und in einer Münchener Handschrift (Lat. 4622), beide aus dem XII. Jahrhundert. Leipzig 1931 (= Studien zur Geschichte der Medizin, 21), S. 6 und 32.
↑Willem F. Daems † (gemeinsam mit Mientje Daems und Gundolf Keil): Euphrasia. Beiträge zur mittelalterlichen Pharmakologie des Augentrosts und der Erdbeere. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 14, 1996, S. 253–260.
↑Vgl. auch Henri Leclerc: La médecine des signatures magiques. In: Janus. Band 23, 1918, S. 5–28, hier: S. 11 f.
↑Georg August Pritzel, Carl Jessen: Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Neuer Beitrag zum deutschen Sprachschatze. Philipp Cohen, Hannover 1882, S. 148 f.(online).
↑Klaus Bergdolt: Medizinisches im Briefverkehr Francesco Datinis (1335–1410), Kaufmann aus Prato. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 7, 1989, S. 35–43, hier: S. 41.
↑Siehe auch Christian Egenolff: Von Speisen, Natürlichen und Kreuter Wein, aller verstandt […] Auß Apitio, Platina, Varrone, Bapt. Fiere etc. Frankfurt am Main (Christian Egnolphen) 1531; Neudruck, hrsg. von Manfred Lemmer mit einem Nachwort von Anneliese Schmitt, Leipzig (und München) 1984, Blatt XIX verso (Augentrostwein).
↑Karl Sudhoff. Deutsche medizinische Inkunabeln. Leipzig 1908, S. 133–139.
↑Arnold Carl Klebs. Incunabula scientifica et medica. (Reprint der Ausgabe Brügge 1938) Hildesheim 2004, S. 57–57: 11 Inkunabeln (Esslingen, Augsburg, Straßburg, Reutlingen, Ulm).
↑Willem Frans Daems (gemeinsam mit Mientje Daems und Gundolf Keil): Euphrasia. Beiträge zur mittelalterlichen Pharmakologie des Augentrosts und der Erdbeere. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 14, 1996, S. 253–260; hier: S. 253 und 255 f.
↑Brigitte Hoppe: Das Kräuterbuch des Hieronymus Bock. Wissenschaftshistorische Untersuchung. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Pflanzen des Werkes, der literarischen Quellen der Heilanzeigen und der Anwendungen der Pflanzen. Hiersemann, Stuttgart 1969, S. 185.
↑Zur Herkunft des Namens „eufrasia“ siehe: Willem Frans Daems. Synonymenvielfalt und Deutungstechnik bei den nomina plantarum medievalia. In: P. Dilg (Hrsg.) Perspektiven der Pharmaziegeschichte. Graz 1983, S. 30.
↑Pietro Andrea Mattioli: Commentarii, in libros sex Pedacii Dioscoridis Anazarbei, de medica materia. Übersetzung durch Georg Handsch, bearbeitet durch Joachim Camerarius den Jüngeren, Johan Feyerabend, Franckfurt am Mayn 1586, Blatt 356r–356v: Augentrost(Digitalisat)
↑Nicolas Lémery : Dictionnaire universel des drogues simples. Paris 1699, S. 292: Euphrasia(Digitalisat); Übersetzung. Vollständiges Materialien-Lexicon. Zu erst in Frantzösischer Sprache entworffen, nunmehro aber nach der dritten, um ein grosses vermehreten Edition [...] ins Hochteutsche übersetzt / Von Christoph Friedrich Richtern, [...]. Leipzig: Johann Friedrich Braun, 1721, Sp. 442: Euphrasia(Digitalisat)
↑Albrecht von Haller (Herausgeber): Onomatologia medica completa oder Medicinisches Lexicon das alle Benennungen und Kunstwörter welche der Arzneywissenschaft und Apoteckerkunst eigen sind deutlich und vollständig erkläret [...]. Gaumische Handlung, Ulm / Frankfurt am Main / Leipzig 1755, Sp. 620–621: Euphrasia (Digitalisat)
↑August Friedrich Hecker’s practische Arzneimittellehre. Revidiert und mit neuesten Entdeckungen bereichert von einem practischen Arzte. Camesius, Wien, Band I 1814, S. 359 (Digitalisat)
↑Philipp Lorenz Geiger: Handbuch der Pharmacie zum Gebrauche bei Vorlesungen & zum Selbstunterrichte für Ärzte, Apotheker & Droguisten. Wolters, Stuttgart, 2. Band, 2. Hälfte 1830, S. 1143–1144: Euphrasia(Digitalisat)
↑Wolfgang Schneider: Lexikon zur Arzneimittelgeschichte. Sachwörterbuch zur Geschichte der pharmazeutischen Botanik, Chemie, Mineralogie, Pharmakologie, Zoologie. Govi-Verlag, Frankfurt a. M. Band 5/2 (1974), S. 81–83: Euphrasia(Digitalisat)